Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → REPORT


INTERVIEW/007: Armut, Flucht und Nöte - Bauern, Springer, Dame ...    Gerd Pohl im Gespräch (SB)


Global City Hamburg?

Interview am 15. Oktober 2015 in Hamburg-Altona


Der Sozialwissenschaftler Gerd Pohl war Leiter der Abteilung Tarifpolitik beim Hauptvorstand der Gewerkschaft NGG, ist bei FIAN, der Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung, aktiv und hat als Mitherausgeber des Buches "Hamburg: Gespaltene Stadt" zu den sozialen Verhältnissen in der Hansestadt gearbeitet. Zu der Veranstaltung der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft "Armut in Hamburg und der Traum von Olympia" war er als Sozialexperte geladen.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Gerd Pohl
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Pohl, es ist kein Geheimnis, daß mit Olympia ein Aufwertungsprozeß für die Stadt angestrebt wird, zumindest soll dafür gesorgt werden, daß Bauflächen und Immobilien an Wert gewinnen, weil man sich dadurch eine allgemeine Belebung der Wirtschaft verspricht. Gibt es also eher ökonomische Gründe für die Olympiabewerbung, oder handelt es sich eher um ein Prestigeprojekt?

Gerd Pohl: Aus meiner Sicht ist Olympia für Hamburg ein politisches Prestigeprojekt, mit dem aber auch ökonomische Interessen bedient werden sollen, indem man beispielsweise den Kleinen Grasbrook in Wert setzt. Das heißt, man muß Flächen freimachen und mit Infrastruktur wie zum Beispiel einer U-Bahnverbindung besetzen, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, daß der Immobilienwert im Hafenbereich steigt. Mit dieser Maßnahme zur Stadtentwicklung will Hamburg 900 Millionen für den Grund und Boden erwirtschaften. Insgesamt gesehen ist Olympia für Hamburg ein Konjunkturprogramm. Diese Art des Dopings hat jedoch zwei Gesichter. Was für den Wirtschaftssenator gut ist, ist für den Finanzsenator schlecht, denn die Konjunkturspritze wird im wesentlichen mit Schulden und durch Privatisierung finanziert.

SB: Als Hafenstadt ist Hamburg auf der Einnahmenseite im wesentlichen auf den Hafen angewiesen. Wenn jetzt der Kleine Grasbrook oder andere Hafenflächen in Wert gesetzt werden sollen, bedeutet dies nicht zugleich, daß die Hafenwirtschaft nicht profitabel genug ist und daher eine Transformation der wirtschaftlichen Struktur geplant wird?

GP: Ich glaube, daß es Widersprüche zwischen der Hafenwirtschaft und der Politik gibt. Die Hafenwirtschaft hat ganz spezielle Interessen: billige Hafenflächen und Subventionierung durch die Stadt Hamburg. So bekommt die Hafenwirtschaft jedes Jahr durch den Hamburger Haushalt Zuschüsse, aber die HHLA-Milliarde ist inzwischen aufgebraucht. So überrascht es jetzt nicht, daß sich die Hafenwirtschaft gegen die Bebauung des Kleinen Grasbrook zur Wehr setzt. Sie kritisiert auch die Art und Weise des Vorgehens und der Finanzierung, weil sie durch die Kapitalisierung der Mieten und Pachten befürchtet, daß hinterher kein Geld mehr für ihre eigenen Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung steht. Deswegen gab es und gibt es immer noch einen großen Konflikt, wobei man natürlich wissen muß, daß die Hafenlobby in Hamburg traditionsgemäß sehr stark ist.

SB: Schon in den 90er Jahren hat Klaus von Dohnanyi mit dem Konzept der unternehmerischen Stadt das Ziel verfolgt, Hamburg größer und international bedeutsamer zu machen. Könnte Olympia ein integraler Bestandteil dazu sein?

GP: Ja natürlich. Olaf Scholz will Hamburg in der globalen Handelsliga positionieren und ausbauen. Diese Stellung ist durch Rotterdam und überhaupt durch die Urbanisierung stark bedroht. Das ist der erste Punkt, der zweite ist, daß die Elbphilharmonie und die Hafencity als städtebauliche Projekte zur Globalisierung beitragen sollen. Olympia ist in diesem Sinne ein weiteres Projekt. Scholz fährt für Hamburg eine ganz klare Globalisierungsstrategie.

SB: Als Sozialdemokrat müßte Scholz eigentlich den Anspruch haben, auch die ärmeren Menschen in die Aufwertungsstrategie und den Versuch des wirtschaftlichen Aufschwungs zu integrieren. Wird dies von ihm in der Öffentlichkeit auch so kommuniziert oder agiert die Hamburger SPD im wesentlichen im Interesse der Wirtschaft?

GP: Sie agiert nicht nur im Interesse der Wirtschaft. In ihrer Politik gibt es auch eine ganze Reihe von sozialen Aspekten wie beispielsweise den Wohnungsbau. Scholz hat zu Beginn seiner Amtszeit gesagt, in Hamburg fehlen 50.000 Wohnungen, und deswegen hat er ein Programm von jährlich 6000 Wohnungen, darunter 2000 Sozialwohnungen, initiiert. Nur reicht das Volumen nicht, da der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen erheblich größer ist. Weil durch die auslaufende Sozialbindung von 30 Prozent Sozialwohnungen ein immer größerer Bedarf auch im unteren Einkommenssegment an preiswertem Wohnraum besteht, funktioniert der Drittelmix natürlich nicht. Daraus folgt, daß diese Politik unzureichend ist. Im Rahmen der Olympiabewerbung wird der Wohnraum zwei- bis dreimal teurer, als wenn man das Geld für die Olympiabewerbung nehmen würde, um damit Wohnraum zu schaffen. Hinzu kommt, daß die Mietverträge auf dem Kleinen Grasbrook irgendwann auslaufen.

SB: Noch in den 80er-Jahren sah das Hafenrandgebiet ganz anders aus als heutzutage, wo von Övelgönne bis zu den Elbbrücken eine ganze Reihe hochmoderner und städtebaulich imposanter Bauwerke stehen. Hat sich der Versuch, die internationale Bedeutung Hamburgs mittels architektonischer Großprojekte und einer bestimmten Raumästhetik zu erhöhen, in irgendeiner Weise ausgezahlt?

GP: Die Containerisierung hat dazu geführt, daß Teile des Hafens umstrukturiert werden mußten, weil sie von den Containerschiffen nicht mehr erreicht werden konnten. Diese Entwicklung hat sich nicht nur in Hamburg, sondern beispielsweise auch in Singapur, Rotterdam und Shanghai und überhaupt überall dort in der Welt, wo Hafencities entstanden sind, vollzogen. Hamburg ist nur ein Beispiel dafür, ich würde sogar sagen, ein Nachahmer. In London hat dieser Prozeß viel früher eingesetzt.

Das Hafencity-Konzept ist städtebaulich durchaus attraktiv, weil es Stadtentwicklung und Maritimes verbindet und architektonische Träume realisiert. Hinter der Hafencity stehen auch Nutzungskonzepte. Abgesehen davon, daß jeder Architekt sich sein Denkmal setzen will, spielt der internationale Architektenwettbewerb durchaus eine innovative Rolle. Im Hamburger Dockland beispielsweise befindet sich eine ganze Reihe von Architektenbüros, die auch in China tätig sind. Allein über die Architektenbüros werden ökologische, ökonomische und ästhetische Standards gesetzt und internationalisiert. Wenn man einen Blick über Hamburg hinaus wirft, sieht man, daß das Beispiel Hafencity und überhaupt Hafen- und Stadtentwicklung in Hamburg keineswegs einzigartig ist, sondern überall dort stattfindet, wo es zur Containerisierung gekommen ist.

SB: Ist das einst von Saskia Sassen entwickelte Konzept der Global City in der Hansestadt in irgendeiner Weise aufgegangen, so daß Hamburg einen ähnlichen Stellenwert erlangt hätte wie beispielsweise die Handelsmetropole Hongkong? So soll der Leerstand in der Hafencity immer noch groß sein.

GP: Zunächst einmal ist die Hafencity ein Projekt, das erst 2025 abschließend beurteilt werden soll. Wir sind also noch im Entwicklungsprozeß. Darüber hinaus ist die Hafencity das Modell einer investorengesteuerten Stadtentwicklung und damit ein Geschäftsmodell. Außerdem hat die Stadt die Preisentwicklung und Vergabe von Grundstücken an Nutzungskonzepte gebunden. Es ist ein Mix aus Investoren- und Stadtinteressen, gewissermaßen eine Funktionsmischung zwischen arbeiten, wohnen und leben. So gesehen ist es auch ein Konzept sozialer Strukturierung, nur daß das Soziale dabei zu kurz kommt. Das läßt sich auch an der Zusammensetzung der Bevölkerung in der Hafencity erkennen. Dazu braucht man sich bloß die Stadtprofile anzuschauen. Ob sich ein internationales Publikum anziehen läßt, kann man erst sagen, wenn die Elbphilharmonie ein paar Jahre steht.

SB: Wenn Olympia tatsächlich an Hamburg vergeben wird, welche Auswirkungen hätte dies Ihrer Ansicht nach für die soziale Lage in der Hansestadt?

GP: Es würde dazu führen, daß man im Haushalt der Stadt Umschichtungen vornehmen müßte, denn ein großer Teil des städtischen Haushaltes ist durch Personal- und gesetzliche Sozialausgaben sowie durch Ausgaben für Pensionen und im Kulturbereich festgeschrieben. Es bleibt eigentlich nur ein kleiner Spielraum, so daß die Umschichtungen zu Lasten des Sozialen gehen werden, wobei der Kernhaushalt dazu benutzt wird, in den Schattenhaushalten Schuldenpositionen unterzubringen. Das wird weitere Privatisierungen von Grund und Boden auf Kosten der öffentlichen Daseinsvorsorge zur Folge haben. Meines Erachtens wird das gravierende negative Auswirkungen auf die soziale Entwicklung zeitigen, aus dem einfachen Grund, daß man die nötigen Überschüsse nicht hat.

SB: Herr Pohl, vielen Dank für das Gespräch.


Zu Stadtentwicklung und Gentrifizierung in Hamburg:

BERICHT/010: Planspiel Stadtbereinigung - Hamburg im Umbruch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0010.html

BERICHT/011: Planspiel Stadtbereinigung - Metropolengeburt Hafencity (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0011.html

BERICHT/012: Planspiel Stadtbereinigung - Öffnet die Tore der neuen Zeit (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0012.html


Zur Veranstaltung "Armut in Hamburg und der Traum von Olympia":

BERICHT/004: Armut, Flucht und Nöte - Wirtschaft lebt vom Unterschied ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/sport/report/srber004.html

INTERVIEW/006: Armut, Flucht und Nöte - Kompromißlos helfen und versöhnen ...    Cansu Özdemir im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/sport/report/srin0006.html

4. November 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang