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INTERVIEW/004: Von Grund auf ...    Hauke Benner im Gespräch (SB)


Das ganze Menschenbild

Gespräch mit Hauke Benner, NOlympia-Bündnis Berlin

Veranstaltung der Hamburger Linken am 17. September 2015: "Von Berlin und München lernen: Hamburg sagt Nein zu Olympia!"


Als der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) vor rund anderthalb Jahren verkündete, Berlin sei bereit für die Olympischen Sommerspiele 2024, da hielten das viele für einen verspäteten Aprilscherz, erzählte Hauke Benner vom Bündnis NOlympia Berlin. Sollte nach der Flughafenpleite von Schönefeld etwa ein neues Milliardengrab in Berlin entstehen? Der erfahrene Aktivist gehörte zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer Podiumsdiskussion, die die Hamburger Bürgerschaftsfraktion Die Linke am 17. September unter dem Slogan "Von Berlin und München lernen: Hamburg sagt Nein zu Olympia!" anberaumt hatte. Schon in den 1990er Jahren, als sich die frisch gekürte Bundeshauptstadt ebenfalls für die Spiele bewerben wollte, gehörte Hauke Benner zu einer Gruppe von Olympiakritikern und -gegnern, die gegen den "neuen deutschen Größenwahn" mobil machte und das Internationale Olympische Komitees (IOC) mit zum Teil Aufsehen erregenden Aktionen düpierte. Der Schattenblick nahm die Gelegenheit wahr, Hauke Benner einige Fragen zur aktuellen Olympiabewerbung von Hamburg und über den Spitzensport zu stellen.


Im Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

Hauke Benner
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Hauke, welche Aktionen der NOlympia-Bewegung von damals wären auch für das heutige Hamburg denkbar?

Hauke Benner (HB): Es ist immer schwierig, das von einer Stadt wie Berlin in den 90er Jahren auf eine andere Stadt zu übertragen. Hamburg hat ja eine ausgeprägte und gute Widerstandstradition und einen Ruf zu verteidigen - gerade die außerparlamentarische Linke. Angefangen von der Hafenstraße bis hin zu den St. Pauli-Fans, die zum Beispiel die Flüchtlinge im Fußballstadion begrüßen. Das hat eine sehr starke Ausstrahlung. Daran anknüpfend könnte die Botschaft an das IOC lauten: Wir wollen eure Spiele hier nicht! Denn es sind die Spiele der Bonzen, des internationalen Jetsets, und das hat nichts mehr mit Breitensport zu tun, sondern ist reine Geschäftemacherei. Man könnte der IOC-Delegation, wenn sie zu Besuch kommt, deutlich signalisieren, daß sie unerwünscht ist.

SB: Es scheint so, daß sich in Hamburg die NOlympia-Bewegung erst langsam aufbaut und vom Organisationsgrad her noch nicht so weit entwickelt ist, wie es vielleicht damals bei euch in Berlin der Fall war. Ist das ein Nachteil?

HB: Das sehe ich nicht so. Wir waren auch eine relativ kleine Gruppe. Es gab ja einzelne Abgeordnete der damaligen PDS und der Alternativen Liste zusammen mit ein paar Leuten aus dem linksradikalen Spektrum. Die haben ein Bündnis gemacht. Das waren drei Dutzend Leute. Es hat dann allerdings eine größere Bewegung in der Anfangsphase gegeben. So sehe ich das momentan auch in Hamburg - also gar nicht so pessimistisch. Du kannst das nicht übers Knie brechen, diese Bewegung entsteht irgendwann. Danach ist es aber wichtig, daß Leute da sind, die das dann auch mit befördern, die ihr Wissen und die Infrastruktur zur Verfügung stellen, damit die Leute auch medial wahrgenommen werden. Das ist heute sicherlich leichter als vor 20 Jahren - dank des Internets, dank des Schattenblicks und so weiter.

SB: Wie erreicht man die Menschen?

HB: Ganz wichtig finde ich, daß du mit den Leuten ins Gespräch kommst, die erstmal gar nicht so grundsätzlich gegen Olympia sind, die aber davon unmittelbar betroffen sind. Leute wie hier in Wilhelmsburg zum Beispiel, die nach Stadtteilaufwertungen plötzlich höhere Mieten zahlen müßten, oder wie in einem Kleingartenverein, denen der Garten weggenommen wird, weil der Sportplatz erweitert werden soll. Oder eben Leute in den Sportvereinen, die sich bisher nicht trauen, sich öffentlich gegen die Spiele zu positionieren, weil sie von oben gedeckelt werden. Wir waren in Berlin noch nicht so weit. Wir haben uns einmal bis an den Vorstand von Union Berlin herangepirscht, aber die waren erstmal dagegen. Meine Hoffnung ist, daß es irgendwann auch gelingt, größere Hamburger Sportvereine dazu zu bewegen, daß sie deutlich sagen: Nein, wir wollen diesen olympischen Wahnsinn nicht machen. Wir wollen eine Förderung des Breitensports, und dafür setzen wir uns ein.

SB: In den 90er Jahren, aber auch bei der 2005 gescheiterten Bewerbung Leipzigs argumentierten viele Olympiagegner sehr viel grundlegender und politischer. Auch der Leistungsbegriff wurde hinterfragt. Das findet heute kaum noch statt. Ist das jetzt ein Manko der neuen NOlympia-Bewegung und dem Zeitgeist geschuldet?

HB: Damit waren wir damals auch sehr minoritär. In einer Broschüre hatten wir diesen Körperkult, der mit der Förderung des Spitzensports einhergeht, deutlich in den Mittelpunkt gestellt. Das betrifft Doping genauso wie Kinder, die schon als Fünfjährige jeden Tag zum Training gejagt werden. Das ist heute vielleicht noch einmal wieder neu zu beleuchten, weil das Dopingproblem in aller Munde ist. Nicht nur das IOC, sondern auch die Spitzensportverbände sind vollkommen zahnlos bei der Bekämpfung von Doping. Sie wollen nicht wirklich etwas fundamental ändern, weil sonst die Spitzensportergebnisse wie in der Leichtathletik oder beim Radrennen gar nicht zu erzeugen wären. Und nur das bringt die Einschaltquoten. Wenn dieser Zusammenhang hergestellt und durchbrochen wird, dann bekommst du es auch mit den großen Fernsehgesellschaften zu tun, die von den Einschaltquoten abhängig sind. Schneller, höher, weiter heißt eben auch, daß die Anforderungen immer absurder werden und der Raubbau am eigenen Körper größer wird. Diesen Irrsinn kann man heute ganz gut skandalisieren. Ich glaube, vor 20 Jahren ist es noch gar nicht so möglich gewesen, den Zusammenhang von Einschaltquote, neuen Weltrekorden und Profit aufzuzeigen.

SB: Meinst du denn, daß ein dopingfreier Spitzensport einen geringeren Raubbau am Körper betreiben würde? Hätte man nicht vielmehr eine ähnliche Entwicklung, nur nicht mit so viel Chemie? Müßte man nicht eine viel grundsätzlichere Kritik üben?

HB: Ich habe letztens gerade mit einem Freund gesprochen, der war einmal Deutscher Vizemeister im 100-m-Lauf beim USC Heidelberg. Dem wurde damals in den 60er Jahren ganz offen gesagt, ihr müßt dopen, und zwar mit Steroiden zum Muskelaufbau. Er gehörte dann zu einer Minderheit, die gesagt hat, sie macht das nicht mehr länger mit. Er ist schließlich nach Frankreich gegangen und hat Sportler, auch berühmte französische Sportler, kennengelernt, die eine ganz andere Athletik hatten, ganz andere Bewegungen trainierten und ohne Doping zu vergleichbaren Ergebnissen wie die gedopten kamen. Das heißt, es hängt auch stark davon ab, wie du trainierst. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind heute andere als vor 20 Jahren. Gleichzeitig muß man natürlich aufpassen, was da vor sich geht. Ich finde es unglaublich, Kinder jeden Tag zum Training ins Eislaufstadion zu schicken oder auf den Tennisplatz, damit sie irgendwann einmal Olympiasieger werden oder als Profi Millionen verdienen. Das ist nicht deren freier Wille. Meistens stecken die Eltern dahinter. Verrückt! Also da muß in der Tat etwas Grundsätzliches geändert werden im ganzen Menschenbild.

SB: Hauke, vielen Dank für das Gespräch.


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