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KOMMENTAR/287: Weisung und Zwänge ... (SB)



Der eigene Krieg ist immer ein gerechter Krieg, der fremde Krieg ist immer ein böser Krieg.
(Meinhart Volkamer, Erziehungswissenschaftler)

Wer sich im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Beijing die Schlagzeilen anschaut, wird schwerlich um den Eindruck herumkommen, dass auch in den Sportmedien die Messer gegenseitiger Propaganda gewetzt werden. Wenn es um die System- bzw. Wirtschaftsrivalen China oder Russland geht, wird kaum ein Feindbild mit den entsprechenden Schuldzuweisungen ausgelassen. Einseitigkeit, Heuchelei und das Messen mit zweierlei Maß sind eher die Regel als die Ausnahme.

"Böse ist nur, was der Gegner tut", konzedierte schon vor etlichen Jahren der Sportpädagoge Prof. Meinhart Volkamer, der den Einfluss der Sportberichterstattung auf Sportler und Zuschauer unter die Lupe genommen hatte und erstaunliche Parallelen zwischen Kriegs- und Sportberichterstattung feststellte. Aggressive Regelverletzung würden, wenn sie von der eigenen Mannschaft begangen würden, als taktisches Verhalten etwas außerhalb der Legalität, aber durchaus entschuldbar und verständlich, letztlich aber harmlos dargestellt, so Volkamer. "Wir kennen diese Einschätzung auch aus unserem eigenen Verhalten. Die Parallelen zur Kriegsberichterstattung sind deutlich: Die eigenen Soldaten kämpfen stets ehrenhaft, die Gegner dagegen heimtückisch und hinterhältig. Der eigene Krieg ist immer ein gerechter Krieg, der fremde Krieg ist immer ein böser Krieg." [1]

Zum Wesen der Kriegspropaganda und der Feindbildproduktion gehört freilich auch, dem Gegner möglichst jedwede Gelegenheit zu nehmen, sich in Absicht oder Gestik als freundlich oder friedfertig darzustellen. Das betrifft auch den Nebenkriegsschauplatz Sport, wo Athletinnen und Athleten aus aller Welt als gesellschaftliche "Vorbilder", "Botschafter" oder "Diplomaten" auftreten und im friedlichen Wettstreit ihre Kräfte messen. Gemäß Olympischer Charta sei "jede Form der Diskriminierung gegenüber einem Land oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus anderen Gründen mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar". Die IOC-Regel 50, die in letzter Zeit viel diskutiert wurde, weil sie auch zur Beschränkung der Redefreiheit als Menschenrecht beitragen kann, besagt außerdem, dass keine Art von Demonstration oder politischer, religiöser oder rassistischer Propaganda in den olympischen Stätten, Austragungsorten oder anderen Bereichen erlaubt sei.

Nun ist "Propaganda" ein äußerst dehnbarer Begriff. Das demonstrative Zeigen einer schwarzbehandschuhten Siegerfaust, das Tragen einer schwarzen Baskenmütze oder eines anderen politischen Symbols auf dem Siegerpodest kann ebenso harte Strafen nach sich ziehen wie demonstrative Verweigerungen, gegen politisch unliebsame Gegner einen sportlichen Wettkampf zu bestreiten. Deshalb werden zum Beispiel iranische Sportler, die seit Jahrzehnten nicht gegen israelische Kontrahenten antreten und Verletzungen vortäuschen, von den Dachverbänden sanktioniert. Das islamische Regime im Iran, das Israel als Staat nicht offiziell anerkennt, wünscht weder sportliche Duelle noch emotionale Bilder im Zusammenhang mit dem Erzfeind.

Eine Propagandaschlacht tobt auch im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland bzw. zwischen westlichen und russischen Medien, die sich auch im Sport widerspiegelt. Um sportliche Verbrüderungsszenen verhindern und Russland als klaren Feind markieren zu können, soll das ukrainische Sportministerium jüngst eine Empfehlung für seine Athleten herausgegeben haben, wonach sie nicht nebeneinander stehen sollen, wenn Sportler aus Russland mit einer Fahne zugegen sind - wegen möglicher "Provokationen", wie der ukrainische Sportminister Wadim Gutzajt im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Peking warnte.

Hintergrund dieser Aufforderung wider den Sportsgeist ist ein "Vorfall" bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio, als sich die russische Goldmedaillengewinnerin Maria Lassizkene und die ukrainische Bronzemedaillengewinnerin Jaroslawa Magutschich nach dem Hochsprungfinale freundschaftlich umarmten und gemeinsam fotografieren ließen.

Wegen der Umarmung bei der Siegerehrung und ihrem politischen Symbolgehalt war das junge ukrainische Hochsprungtalent, zugleich Offizierin in der Armee ihres Landes, von der stellvertretenden ukrainische Verteidigungsministerin Anna Maljar zum Rapport geladen worden. Athleten, die die Ukraine bei internationalen Wettkämpfen vertreten, müssten eigentlich wissen, dass es einen russisch-ukrainischen Krieg gibt und dies gewisse Einschränkungen und Verantwortlichkeiten mit sich bringe, erklärte die Ministerin. "Auch die sozialen Medien sind voller Anklagen und Drohungen gegen die 19-jährige Magutschich", berichtete die taz in einem kritischen Kommentar [2], während die Leitmedien in Deutschland, die Russland als großen Aggressor hinzustellen pflegen, während sie die faschistoiden Umtriebe in der Ukraine verharmlosen, schwiegen. Laut Maljar könnten derartige Fotos zum Gegenstand von Informationsoperationen des Feindes werden. Ähnlich nationalistische oder propagandistische Töne, die die Umarmung der beiden Sportlerinnen geißelten, soll es in russischen Medien nicht gegeben haben. Von gesonderten Kreml-Anweisungen für russische SportlerInnen ist ebenfalls nichts bekannt. Hätte es jedoch welche gegeben, wäre der ganze Vorfall vermutlich auch in deutschen Medien aufgegriffen und zum Skandalon erklärt worden.

Auch von der aktuellen Anweisung des ukrainischen Sportministers Wadim Gutzajt, dass sich die eigenen Athleten von den russischen fernzuhalten hätten, wird nur in den russischen, nicht aber in den deutschen Medien berichtet. Das gleiche gilt für die Aufforderung, dass ukrainische Athleten bei den Spielen keine Interviews in russischer Sprache geben sollen. [3]

Das verwundert allerdings nicht wirklich, laufen doch auch hierzulande die transatlantischen Stahlhelm-Fraktionen in Politik und Medien heiß, die in Russland respektive Putin das Böse schlechthin sehen, während sie ihre eigenen Macht- und Geltungsansprüche von der strategischen NATO-Osterweiterung bis hin zu militärischen Großmanövern an der russischen Grenze und Waffenlieferungen an die Ukraine als "durchaus entschuldbar und verständlich, letztlich aber harmlos" darzustellen versuchen, um es einmal mit den Worten des emeritierten Osnabrücker Professors Meinhart Volkamer (85) zu sagen, der das nicht nur auf dem Fußballfeld geltende Freund-Feind-Schema treffend beschrieben hatte. Fremdes Foulspiel in gleichen Szenen werde wesentlich mehr abgelehnt als eigenes, so der gelernte Psychologe. "Böse Absichten unterstellt man dem Gegner, sich selbst allenfalls Klugheit und Können."


Fußnoten:

[1] Aus: "Sport und körperliche Gewalt". Rowohlt, Reinbek (1982). Herausgeber Gunter A. Pilz.

[2] https://taz.de/Russisch-ukrainische-Beziehungen/!5788275/. 10.08.2021.

[3] Am 16. Januar 2021 trat ein Gesetz in Kraft, das Ukrainer zwingt, nicht nur in den Behörden, sondern auch in der Privatwirtschaft Ukrainisch zu sprechen. Außerdem müssen alle nationalen Printmedien in ukrainischer Sprache publiziert werden, ab Juli 2024 auch alle regionalen Medien. Etwa 30 bis 50 Prozent der UkrainerInnen haben Russisch als Muttersprache.


7. Februar 2022

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 171 vom 12. Februar 2022


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