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KOMMENTAR/276: Olympiafrei ... (SB)



"Wir sammeln alle Informationen weiter, sodass wir bei Bedarf jederzeit wieder aktiv werden können", heißt es auf der Webseite der olympiakritischen Initiative www.nolympia.de, die Anfang 2018 eingefroren wurde, nachdem Olympische und Paralympische (Winter-)Spiele in München (2020) und Hamburg (2024) erfolgreich verhindert werden konnten. Auch ohne besonderes Engagement der weitgefächerten NOlympia-Bewegung ist dieser Tage eine politisch und medial unterstützte Privatinitiative in Nordrhein-Westfalen, die die Sommerspiele 2032 in 14 Städten Deutschlands austragen wollte, gescheitert. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wird höchstwahrscheinlich Brisbane im australischen Bundesstaat Queensland den Zuschlag geben. Es bedurfte also noch nicht einmal einer Mobilisierung echter Olympiakritiker, geschweige denn einer Bürgerbefragung in der Rhein-Ruhr-Region, um die seit mindestens 2017 kontinuierlich vorangetriebene Bewerbungskampagne des Kölner Sportvermarkters Michael Mronz (FDP) ins Leere laufen zu lassen. Diesmal reichte offenbar ein zeitlich gut plaziertes "Angebot" aus Down Under, an dem der einflußreiche Multifunktionär John Coates (u.a. IOC-Vize, Chef des australischen NOK und des Internationalen Sportgerichtshofes CAS) maßgeblich mitgestrickt haben soll, um es zu einer sicheren Wette für den Ringekonzern zu machen. Wie sein Chef Thomas Bach ist Coates Anwalt und kennt sich mit den gesagten und ungesagten Gesetzen im milliardenschweren Sportbusiness bestens aus. Der ehemalige Ruderer war auch Mitinitiator eines neuen flexiblen Vergabeverfahrens im IOC, von dem sein Land jetzt profitierte. Welche verdeckten, anrüchigen oder gar illegalen "Incentives" beim Bieterwettstreit noch Pate standen, wird - wie immer - die Zukunft zeigen.

Während ein Großteil der Sport- und Medienlandschaft in Deutschland das erwartbare Heulen und Zähneknirschen anstimmt und nach den Schuldigen der "verpaßten Chance" sucht, bleiben die Reaktionen all jener Bürgerinnen und Bürger, die heilfroh darüber sein dürften, daß sich das riesige, unkalkulierbare Kosten und Schäden jedweder Art verursachende Olympia-Ufo wohl nicht in NRW niederlassen wird, vollkommen ungefeiert. Als gäbe es die zahllosen Berichte aus China, Großbritannien, Rußland, Brasilien, Südkorea oder Japan nicht, die ein ganz anderes Bild von den "Hinterlassenschaften" der Olympischen Spiele zeichnen als die Stimmungen, Gefühle und Sensationslust bewirtschaftende Unterhaltungsindustrie, wird der Bevölkerung nach wie vor Glauben gemacht, es sei das Erstrebenswerteste der Welt, daß der kommerzielle Wanderzirkus auch in Deutschland Station macht.

Das spiegelt sich auch in der "Nationalen Strategie für Sportgroßveranstaltungen" wider, die das übergeordnete Ziel verfolgt, "Sportgroßveranstaltungen mit nachhaltig positiven Wirkungen für Sport, Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft in Deutschland gezielt zu unterstützen und auszurichten". [1] Das Konzept wurde im Herbst 2019 vom Bundesinnenministerium (BMI) und Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) auf den Weg gebracht und kürzlich im Rahmen einer Expertenanhörung im Sportausschuß des Deutschen Bundestages einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Deutliche Kritik erntete das etwa 100 Seiten umfassende Strategiepapier u.a. von Sylvia Schenk, Leiterin der Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International Deutschland. Die frühere Radsportpräsidentin wies auf grundsätzliche Defizite hin wie mangelnde Nachhaltigkeit, Transparenz, Good Governance, Stakeholder-Einbindung oder Menschenrechts-Beachtung und sprach von "krampfhaftem Bemühen, nur die positiven Auswirkungen heranzuziehen und die Risiken allenfalls verschämt zu erwähnen". [2]

Bezeichnenderweise ist das in Rede stehende Papier mit der Motto-Überschrift "Gemeinsam. Mehr. Wirkung." versehen, um mehr gesellschaftliche Akzeptanz für Sportgroßevents zu erzielen. Damit bedienen sich die Macher des Projektes, das nach Angaben des BMI 1,25 Millionen Euro gekostet haben soll, der gleichen stammelnden und verschleiernden PR-Signatur, wie sie etwa die Bundeswehr mit ihrem Drei-Punkte-Slogan "Wir. dienen. Deutschland." anwendet, um das Sterben und Töten für Volk und Nation zu einem positiv konnotierten Label zu kondensieren.

Größtes Manko der "Nationalen Strategie für Sportgroßveranstaltungen", die sich unausgesprochen darum dreht, wie Deutschland nach sieben erfolglosen Bewerbungen endlich wieder Olympia ausrichten kann, denn in Sachen Welt- oder Europameisterschaften herrscht hierzulande gar kein Mangel, ist zweifellos, daß der Bevölkerung kein reiner Wein über die Schattenseiten der Megaevents eingeschenkt wird. Das stünde auch im fundamentalen Widerspruch zu den Plattitüden und Augenwischereien, mit denen zum Beispiel das BMI auf seiner Website nationalpatriotische Wir-Gefühle und positive Erinnerungen an vergangene Sportevents zu vitalisieren sucht. Aussagen wie: "So ist das 'Sommermärchen' der Fußball WM 2006 bis heute tief im kollektiven Gedächtnis verankert und zeigt beispielhaft, dass Sportgroßveranstaltungen ein Gestaltungspotenzial haben, das weit über die Grenzen des Sports hinausgehen kann." lesen sich in Anbetracht der nur unvollständig ans Licht gekommenen Schmiergeldzahlungen und Machenschaften rund um die letzte Fußball-WM in Deutschland wie eine fortgesetzte Verhohnepiepelung der Sportfans. Daß ein an sich profanes Sportereignis zur nationalen Überhöhung und kollektiven Selbstbeweihräucherung genutzt wurde, um von den sich immer mehr verschärfenden ökonomischen und sozialen Gegensätzen im Land abzulenken, gehört indessen nicht zu den Narrativen, die das BMI und seine im Hintergrund wirkende Beraterfirma PwC Strategy, die das Grobkonzept entworfen hat, tief im Gedächtnis der Menschen verankern möchte. In der Lesart hiesiger Polit- und Sportfunktionäre findet die Instrumentalisierung des Sports zur Manipulation der Massen immer nur in fernen Ländern statt, auf keinen Fall dort, wo ihnen "gesunder Patriotismus" in demokratisch legitimierter Form eingeflößt wird.

Eine "knallharte und kritische Analyse" der vergeblichen Olympiabewerbungen in Deutschland, deren Fehlen auch von Experten im Bundestagssportausschuß bemängelt wurde, muß logischerweise immer unvollständig bleiben, solange Staat und Kapital höchst eigennützige Ziele mit diesen Leuchtturmprojekten verfolgen. Die Stimmung in der Bevölkerung sänke schlicht auf den Nullpunkt, würde man mit emanzipatorischem Impetus das gesamte, mit den Megaevents untrennbar verbundene Nation-Building und Social Engineering-Programm transparent machen. Von daher sind auch die kritischen Einwendungen der zur Expertenanhörung geladenen (Spitzen-)Sportlobbyisten mit Vorsicht zu genießen, denn sie wollen Olympische und Paralympische Spiele mit all ihren sportkapitalistischen Widersprüchen und systemischen Zwangslagen nicht verhindern, sondern möglich machen. Solange sich die aufgeklärte NOlympia-Bewegung nicht von einer "Nationalen Blendstrategie" einfangen oder durch moderne Bürgerbeteiligungs- und Greenwashingverfahren kooptieren läßt, wird es indes kein olympisches Großevent in der Bundesrepublik geben.

Fußnoten:

[1] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sport/sportgrossveranstaltungen/sportgrossveranstaltungen-artikel.html;jsessionid=512C315867DC6C4E6A86D201F22FFAFB.2_cid295

[2] https://www.mitmischen.de/bundestag-aktuell/news/wie-holen-wir-olympia-nach-deutschland. 11.03.2021



17. März 2021


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