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KOMMENTAR/269: Vergabetransparenz - eine Kette von Täuschungen ... (SB)



Wer sich das neueste Magazin "Journal" des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zu Gemüte führt, der stößt auf eine Mischung aus Managermagazin, Markenkommunikation und angewandten Sozialwissenschaften. Kein Widerspruch, der sich nicht auf dem Boden "Deutscher Tugenden 2.0", die laut DFB "die alten, bekannten Tugenden wie Ehrgeiz und Disziplin mit neuen wie Kommunikation und positivem Denken erweitern", in Erfolg und Wohlgefallen ummünzen ließe. Die Augen beim weltgrößten Fußballverband sind nach vorne gerichtet, Optimismus ist angesagt. "Wir wollen zurück in die Weltspitze", verkündet die neue Bundestrainerin der Frauen, Martina Voss-Tecklenburg, auf dem Titelcover des Magazins. Ihr professionelles Lächeln und der Business-Anzug geben geschäftsmäßige Entschlossenheit vor. Auch der Präsident strahlt über beide Backen. Durch die Vergabe der EURO 2024 an Deutschland "haben wir im DFB viel Rückenwind erhalten, aber auch große Verantwortung übernommen", sagt DFB-Chef Reinhard Grindel im Vorwort. "Das Jahr 2019 steht im Zeichen der organisatorischen Weichenstellungen für die EURO 2024." [1]

Die Beute ist gesichert. Ende September vergangenen Jahres entschieden die 17 wahlberechtigten Mitglieder des UEFA-Exekutivkomitees, nicht dem direkten Konkurrenten Türkei, sondern Deutschland die Europameisterschaft 2024 zuzuschanzen. "Nach der Fußballweltmeisterschaft 2006 können sich die sportbegeisterten Fans nunmehr auf das nächste 'Sommermärchen' freuen", spendete die CDU ihrem Parteikollegen an der DFB-Spitze den hochgestimmten Beifall. Ohne rot zu werden spricht auch die SPD vom "Sommermärchen 2.0". Offenbar glaubt man in der Koalition, daß inzwischen genug Gras über die "Sommermärchen-Affäre" 2006 und den Verdacht auf Schmiergeldzahlungen gewachsen ist. Noch vor einem Jahr hatte der ehemalige FIFA-Funktionär Mohamed Bin Hammam (Katar) in einem ZDF-Interview bestätigt, 6,7 Millionen Euro aus Deutschland erhalten zu haben, deren Zweck allerdings bis heute ungeklärt ist. Das Geld floß 2002 von einem Konto von Franz Beckenbauer über die Schweiz auf ein Konto in Katar des wegen Korruption sanktionierten Bin Hammam. Mit dem Namen von "Kaiser Franz", dem WM-Cheforganisator von 2006, läßt sich indessen kein Staat mehr machen, seitdem er im Fokus internationaler Finanzermittlungen durch Behörden in Deutschland, der Schweiz und den USA steht.

Um so mehr legte sich Eberhard Gienger, sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ins Zeug. Nachdem die Strippenzieher aus Sport und Politik die EURO 2024 im Sack hatten, brachte es der ehemalige Turn-Weltmeister in einer kurzen Pressemitteilung fertig, keines der Schlagwörter auszulassen, mit denen heutzutage sportlicher Größenwahn mit gesellschaftlichem Frohsinn gepaart wird: "Große Chance für Deutschland und Europa" ... "nachhaltig" ... "Breitensport" .... "gesündere Lebensweise" ... "Stärkung der demokratischen Werte im Sport" ... "verbindende Kraft zwischen Menschen" ... "wichtiges und richtiges Signal in Richtung der Demokratie sowie der Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte". [2]

Die Verlogenheit der Sportpolitik kennt offenbar keine Grenzen. Zu suggerieren, die UEFA, die bei der letzten EM in Frankreich satte 800 Millionen Euro Gewinn gemacht haben soll, hätte sich mehrheitlich wegen der Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen gegen die Türkei entschieden, und nicht etwa, weil der europäische Dachverband in Deutschland mit politisch gut abgesicherten Profiten, Steuergeschenken und Garantiemaßnahmen rechnen kann, schreibt das Ammenmärchen vom "integren" Profisport fort. Was Wunder, daß protestierende Fußballfans den offiziellen Bewerbungsslogan "United by football" auf eigenen Transparenten zu "United by money" umdeklarierten.

Im September 2018, zwei Tage nach der erfolgreichen deutschen EM-Bewerbung, hatte die FAZ noch berichtet: "Anders als zur WM 2006 gewährt der deutsche Staat diesmal keine Steuerprivilegien für die Fußballorganisatoren." [3] Das Bundesinnenministerium tönte gar: "Der Deutsche Fußball-Bund hat dabei seine Lehren aus der Aufarbeitung rund um die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 gezogen und absolute Transparenz als Maxime für das Bewerbungsverfahren gesetzt - sowohl intern, bei dem Auswahlverfahren der zehn Austragungsstandorte für das Turnier, als auch im Bewerbungsprozess der UEFA." [4]

Nichts davon ist wahr, auch das "Sommermärchen 2024" gründet auf einem Täuschungsmanöver. Die "absolute Transparenz" war schon im Vorfeld der Bewerbung nicht gegeben. Vergeblich hatten die Grünen in einer Anfrage zu ergründen versucht, in welchem Umfang die Bundesregierung der UEFA besondere Steuer-Erleichterungen zugesagt habe, etwa in puncto Einkommens- und Körperschaftssteuer. Mit Hinweis auf die "Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses", die es nicht zulasse, "die Verhältnisse einzelner Steuerpflichtiger zu offenbaren", hielt sich die Regierung jedoch bedeckt. Zwar wurde eingeräumt, daß die Einkommens- oder Körperschaftssteuer in besonderen Fällen ganz oder zum Teil erlassen oder in einem Pauschbetrag festgesetzt werden könne, "wenn dies im besonderen öffentlichen Interesse liegt", doch bei vielen Beobachtern herrschte durchaus der Eindruck vor, daß sich Deutschland - anders als die Türkei, die totale Steuerfreiheit versprach - mit großzügigen Steuergeschenken an den "Milliardenkonzern" UEFA zurückhalten würde, zumal der europäische Dachverband in seinem Evaluationsbericht zur EM-Bewerbung rund eine Woche vor der Kandidatenkür selbst noch versichert hatte, daß "die deutschen Behörden die Steuerbefreiung gestrichen" hätten und dementsprechend "etwaige Gewinne" zu versteuern wären. [5]

Anfang Dezember 2018 berichtete dann "Die Welt", daß die Bundesregierung der UEFA "nachträglich" ein unerwartetes Geschenk gemacht habe: Sie sagte dem Ausrichter der EM 2024 Steuererleichterungen zu. [6]

Entweder stimmten die Angaben im Evaluationsbericht der UEFA nicht, daß es keine Steuerbefreiung in Deutschland geben werde, oder es gab womöglich inoffizielle oder geheime Absprachen, daß dem europäischen Dachverband im nachhinein Steuererleichterungen von der deutschen Regierung gewährt würden. Was die verschiedenen Player im Vorfeld tatsächlich ausgehandelt haben, war selbst für den Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler von der FDP, die in einer Kleinen Anfrage Licht ins Dunkel bringen wollte, nicht zu erfahren: "Es sind reine Geheimverhandlungen, die dort stattgefunden haben, da ist nichts an die Öffentlichkeit gedrungen, auch nicht, was jetzt das Paket ist, das man anbietet bei der Bewerbung." [7]

Die Geheimniskrämerei auf deutscher Seite mag dem Umstand geschuldet sein, daß dem Fanvolk in demokratischen Gesellschaften immer schwerer zu erklären ist, warum einem multinationalen Unternehmen wie der UEFA Sonderkonditionen eingeräumt werden sollen, damit es seine Gewinnmargen zu Lasten des Steuerzahlers auch noch steigern kann. Daß sich die Regierung auf ein - wohlgemerkt - unüberprüftes "öffentliches Interesse" beruft, um ihre intransparenten Machenschaften zu legitimieren, legt die Vermutung nahe, daß in Demokratien bei der Durchsetzung von hegemonialen Leuchtturmprojekten vergleichbare Hinterzimmerdeals und Geheimabsprachen laufen wie in autokratischen Gesellschaften, die meist ganz ungeschminkt mit üppigen Steuergeschenken werben. So hatte die Türkei während der Bewerbung nie einen Hehl daraus gemacht, daß es "eine noch nie da gewesene staatliche Unterstützung" geben werde - alle Garantien sollten "ohne jeden Vorbehalt gegeben, inklusive einiger zusätzlicher Garantien, die den wirtschaftlichen Erfolg des Turniers absichern werden". [7]

Mag sein, daß die Türkei politisch und wirtschaftlich ein zu heißes Eisen für die UEFA darstellte, um ihr den Zuschlag zu geben. Die zu erwartenden Diskussionen über Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei hat sich der europäische Dachverband dadurch erspart, was allerdings auch für EM-Gastgeber Deutschland gilt. Denn während hiesige PolitikerInnen in den Chor der Sommermärchen-Erzähler einstimmen, blieb, zumindest in der Sportunterhaltung, unerwähnt, daß die Regierungskoalition zum Beispiel millionenschwere Rüstungsgüter an das Partnerregime am Bosporus liefert, damit es seine in- und ausländischen Kriege gegen Kurden und andere oppositionelle Gruppen unter dem Mantel der Terrorbekämpfung weiterführen kann. Daß auch in Deutschland linke Oppositionelle aus der Türkei und Kurdistan kriminalisiert und verfolgt werden, darüber verlieren konservative Sportpolitiker, die von der "Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte" schwadronieren, kein einziges Wort. Bei soviel Heuchelei und Doppelzüngigkeit kann man schon verstehen, warum auch die SPD-Bundestagsfraktion lieber in wohlfeilen Jubel ausbricht und es "kaum abwarten (kann), dass der Ball wieder rollt". [8] Die Metapher kann getrost als Bestätigung dafür aufgefaßt werden, daß das Geschäft mit den nationalpatriotischen Emotionen zur Befriedung der gesellschaftlichen Widersprüche auch in Deutschland läuft wie geschmiert.

Fußnoten:

[1] http://dfb.ruschkeundpartner.de/dfb/Journal/2018/04/epaper/DFB-Journal_04-2018.pdf

[2] https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/fussball-europameisterschaft-2024-grosse-chance-fuer-deutschland-und-europa. 27.09.2018.

[3] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/das-grosse-geschaeft-um-das-fussballturnier-2024-laeuft-an-15812164.html. 29.09.2018.

[4] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2018/09/em-2024.html. 27.09.2018.

[5] https://www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/182243-Evaluation_Report_deutsch.pdf. 19.09.2018.

[6] https://www.welt.de/sport/article185072742/Fussball-EM-2024-Bundesregierung-macht-Uefa-unerwartetes-Geschenk.html. 05.12.2018.

[7] https://www.deutschlandfunk.de/em-bewerbung-2024-im-land-der-steuerfreiheit.1346.de.html?dram:article_id=423512. 21.07.2018.

[8] http://www.schattenblick.de/infopool/parl/spd/psin3033.html. 27.09.2018.

30. Januar 2019


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