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KOMMENTAR/237: Es muß doch noch mehr zu holen sein ... (SB)


"Full spectrum dominance": IOC will digitalen Olympiakanal etablieren


Der Medienkrieg um Kommunikations- und Deutungshoheiten läuft in Form der Propaganda nicht nur bei militärischen Konflikten zur Hochform auf. Schon in Friedenszeiten werden die Weichen gestellt, welche "Wahrheit" die Bürgerinnen und Bürger zu sehen, zu hören oder zu lesen bekommen und welche nicht. Im Rahmen der "Full spectrum dominance"-Strategie [1] ist es zum Beispiel erklärtes Ziel der US-Militärs, die globale Überlegenheit auch im Informations- und Kommunikationsbereich zu erringen. Wer die weltweiten Medienkanäle beherrscht und mit "seinem" Informationsmaterial (ver-)stopfen kann, braucht keinen vergleichsweise umwegigen "Embedded Journalism" (eingebettete Berichterstattung) mehr. Die größte Medienzensur wäre wohl dann erreicht, wenn sowohl die Produktion der Kriegsbilder als auch die Markenrechte daran in den Händen der Militärs lägen. Auf einem eigenen "Freedom & Democracy-Channel" könnten dann dem weltweiten Publikum Bilder und Nachrichten vom "sauberen Krieg" - menschen- und völkerrechtlich geprüft und für zivilgesellschaftlich wertvoll befunden - per 24stündigem Livestream zur Verfügung gestellt werden. Das schließt selbstverständlich auch eine auf leichte Konsumierbarkeit getrimmte Friedens-Berichterstattung zwischen den "humanitären Interventionen" mit ein.

Was hier grob vereinfacht skizziert wurde, könnte auf einem anderen Felde gesellschaftlicher Auseinandersetzung, die in der Öffentlichkeit eher als "Nebenkriegsschauplatz" oder "Stellvertreterkrieg" rezipiert wird, bald Realität werden. Denn im globalen "Krieg der Körper", in den nach Aussage des Olympia-Chefverkäufers Thomas Bach soviel Geld und Knowhow investiert wird, wie nicht einmal zu Zeiten des Kalten Krieges [2], strebt auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) "full dominance" an. Die "Weltregierung des Sports", die sich auf ein internationales Beziehungsnetzwerk von Lobbyisten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft stützt und ein Verwertungsmonopol auf ihr kommerzielles Produkt hat, versucht ihre massiven Akzeptanz- und Reputationsverluste insbesondere in europäischen Metropolengesellschaften dadurch auszugleichen, daß sie ihre crossmedialen Werbebotschaften nun auch im digitalen Bereich mit aller Macht zu forcieren sucht. Zuletzt war es dem IOC nicht mehr gelungen, die Bevölkerungen in Städten wie Boston, Barcelona, Krakau, Lwiw (Lemberg), St. Moritz, Stockholm, Oslo, München/Garmisch-Partenkirchen oder Graubünden mehrheitlich für den Olympiazirkus einzunehmen.

Die Eroberung der Online-Welt und der sich darin tummelnden Konsumentenschichten, insbesondere der jugendlichen Zielgruppen, gilt den IOC-Funktionären als überlebenswichtig. So hat sich IOC-Präsident Thomas Bach Ende vergangenen Jahres auf der außerordentlichen Vollversammlung in Monte Carlo einen Reformplan mit Namen "Olympische Agenda 2020" absegnen lassen, der auch die Einrichtung eines olympischen TV-Kanals beinhaltet. Mit dem eigenen Fernsehsender, der als digitale Plattform im Internet etabliert werden soll, will das IOC - so die vordergründige Selbstdarstellung - die TV-Präsenz der olympischen Sportarten in der Zeit zwischen den Spielen deutlich erhöhen und auf Sportarten und Wettkämpfe aufmerksam machen, die vom breiten Publikum sonst weniger wahrgenommen werden. "Wir wollen eine Plattform für alle olympischen Sportarten aufbauen, die an 365 Tagen im Jahr, sieben Tage die Woche, sendet. Das IOC will die olympischen Werte fördern und auch zeigen, wie wir in humanitären Angelegenheiten und in der Kultur mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten", sagte Thomas Bach [3].

Der bei UNO, INTERPOL oder anderen suprastaatlichen Institutionen herrschaftliche Legitimität schöpfende bzw. kaufende Ringekonzern will sein Medienprojekt in Spaniens Hauptstadt Madrid durch das IOC-eigene Unternehmen Olympic Broadcast Services (OBS) realisieren. Aus der durch mehrere Rekorderlöse prallgefüllten IOC-Kasse - zuletzt der TV-Rechteverkauf an den amerikanischen Fernsehgiganten NBC für unfaßbare 7,75 Milliarden Dollar sowie nach Südkorea und Japan für 3,7 Milliarden Euro - sollen bis 2021 etwa eine halbe Milliarde Euro für den Aufbau des digitalen Olympiakanals abgezweigt werden. Dieser könnte laut einer Machbarkeitsstudie mehr als 200 Märkte weltweit bedienen.

Bis 2016 soll in Madrid eine mehr als 100köpfige Redaktion Gewehr bei Fuß stehen, um das olympische Unterhaltungsspektakel mit eigenen Live-Übertragungen in Szene zu setzen. Geplant ist, die digitale Dauerwerbesendung mit Magazinen und Features zu bereichern, in denen Retrospektiven, Sportlerportraits oder Smalltalks ebenso ihren Platz finden wie "Fitneß"-, "Gesundheits-" oder "Frauen-"Themen sowie E-Sport-Angebote - alles schön verpackt in den olympischen Werteuniversalismus, der mit mahnendem Finger auf "Doping", "Korruption", "Wettmanipulation", "Diskriminierung" etc. zeigt und den "Sündern", "Betrügern" oder "Manipulateuren" selbstverständlich den Kampf ansagt. Das nimmt den klassischen Sportmedien nicht nur die Argumente aus der Hand, sondern bringt sie in die Rolle, noch größere Geschütze in Stellung zu bringen, damit der globale Sportkrieg um Medaillen, Prämien und Profite auch wirklich "sauber" geführt wird. Wie der "saubere Krieg" hat auch der "saubere Sport" seine innere Entfaltungs- und Verschleierungslogik. Da Digitalangebote leichter mit sozialen Medien zu verbinden sind, können - wie bereits bei den ersten "Social-Media-Spielen" 2012 in London geschehen [4] - die Marketingbotschaften des IOC und seiner Sponsoren noch leichter durch Twitter, Facebook, YouTube und Co. geblasen werden. Der Olympiakanal ist vom "Olympic Athlet Hub" oder "Heldenticker" - kommunikative Knotenpunkte oder Sammelstellen, die die Eventindustrie im Netz eingerichtet hat - nur wenige Klicks entfernt.

Die neuen Online-Medien verschaffen den wie Wirtschaftsunternehmen geführten Sportorganisationen, Verbänden oder Vereinen die Möglichkeit, die Unterhaltungsware Sport von A bis Z in Eigenregie zu produzieren. Schon jetzt bieten zahlreiche internationale Großvereine oder -verbände eigene Webformate an, die mit ihren Berichten, Homestorys und Exklusiv-Interviews per demand oder Livestream die "frohe Botschaft" vom Profi- und Spitzensport in die ganze Welt ausstrahlen. In Deutschland, regelmäßig gefeiert wegen seiner Rekordzahlen schreibenden Fußball-Bundesliga, soll schon fast jeder der 36 Vereine in der 1. und 2. Liga eigenes Klub-TV betreiben. Hauseigene TV-Sender sind noch besser geeignet, die vermeintlichen Glanzseiten des kommerziellen Sports in den Vordergrund zu rücken, während die Schattenseiten in den Tiefen des Raumes verbleiben. Die klassisch für große Konzernmedien, Zeitungsverlage, Nachrichtenagenturen sowie private oder öffentlich-rechtliche TV- und Rundfunkanstalten arbeitenden SportjournalistInnen würden dann immer mehr ihre Zwischenträgerfunktion verlieren und direkt bei Global Playern wie IOC, FIFA, UEFA, DFB, Bayern München und ihren Medienfirmen eingebettet werden.

Während seiner Zeit als DOSB-Präsident hat Thomas Bach in Deutschland das "splink.tv" etabliert (Betreiber: DOSB New Media GmbH), das inzwischen als "sportdeutschland.tv" firmiert. Vor wenigen Wochen wurde das größte Medienprojekt des DOSB für einen ungenannten Preis zu großen Teilen an die ProSiebenSat1-Gruppe veräußert - offenbar deshalb, weil der deutsche Dachverband doch nicht über die Mittel verfügte, einen großen Teil der Produktionskette ganz allein zu stemmen. Auf der Online-Plattform werden mehr als 70, im Fernsehen zumeist unterrepräsentierte Sportarten angeboten und per Livestream oder on demand übertragen. Gleichzeitig werden Werbetexte für die Olympischen Spiele 2024 in Hamburg gezeigt und Slider mit Kindern eingeblendet, die später einmal "Olympiasieger in Deutschland" werden wollen. "Neuigkeiten" rund um den Sport findet man auf dem "Sportdeutschland Social Hub", die Aufforderung dazu lautet: "Werde auch du ein Teil von Sportdeutschland, veröffentliche deine Sporterlebnisse mit dem Hashtag #sportdeutschland." [5] Der inflationär verwendete Marketingbegriff "Sportdeutschland", mit dem der DOSB Zusammengehörigkeitsgefühle zu erwecken und die Botschaft von der Vielfalt des Sports zu transportieren sucht, soll sich im Laufe des Brandings in möglichst viele Gehirne "einbrennen".

Was für sportdeutschland.tv gilt, der vom DOSB ursprünglich mit einem siebenstelligen Euro-Betrag angeschoben worden war, gilt erst recht für den "Olympic Channel". Mit dem Kanal wolle die olympische Bewegung das Image der Marke Olympia und die olympischen Werte verbessern, erklärte Timo Lumme, früher Marketing Director bei "Nike", heute IOC-Geschäftsführer der TV- und Marketing-Services. Was bei der Image- und Markenpolitur tatsächlich "verbessert" werden soll, ist die Dominanzstellung des IOC auf dem europäischen und später auch weltweiten Onlinemarkt. Unter Federführung von Thomas Bach sicherte sich Ende Juni das US-Medienunternehmen Discovery Communications, Besitzer der Sendegruppe Eurosport, für 1,3 Milliarden Euro die europäischen Übertragungsrechte der Olympischen Spiele von 2018 bis 2024 (je zwei Winter- und Sommerspiele). Die traditionellen Olympiasender ARD/ZDF mit ihren rechtlich und onlinetechnisch beschränkten Free-TV-Programmen sitzen damit nur noch in der zweiten Reihe, nachdem sie über Jahrzehnte hinweg lineares Olympiafernsehen produziert hatten. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen sich jetzt mit Sublizenzen begnügen. Discovery hat vertraglich zugesichert, daß in Deutschland mindestens 200 Stunden von den Sommerspielen und 100 Stunden von den Winterspielen im frei empfangbaren Fernsehen laufen werden.

Bei dem Deal, der Exklusivrechte für alle Plattformen einschließlich Bezahlfernsehen, Internet und mobile Endgeräte in 50 europäischen Ländern umfaßt, soll sich Discovery verpflichtet haben, gemeinsam mit dem IOC einen neuen Olympia-Kanal für den europäischen Raum zu entwickeln, und zwar auch unter Einbeziehung der Social Media. Gut möglich, daß nun Discovery/Eurosport (Olympiakanal) und ProSiebenSat.1 (sportdeutschland.tv) gemeinsam das Olympiageschäft in Deutschland, Europa und darüber hinaus ankurbeln werden - Übernahmen nicht ausgeschlossen. 2013 hatte sich der US-Riese Discovery bereits das Nordeuropa-Geschäft von ProSiebenSat.1 einverleibt. Was die Interessen des milliardenschweren Olympiakonzerns IOC angeht, so dürfte die Marschrichtung klar sein: "Full spectrum dominance" im Fernsehen, Internet und Mobiltelefon mit "Content" möglichst unter eigener Kommandogewalt, damit das internationale Wettrüsten im Sport nicht erlahmt.

Fußnoten:

[1] Nach einem im Sommer 2000 veröffentlichten Strategiepapier ("Joint Vision 2020") ist es das Ziel des US-Militärs, die "full spectrum dominance", das heißt die Überlegenheit der US-Streitkräfte in der Luft, zur See, im erdnahen Weltraum sowie auf der Informations- und Kommunikationsebene, sicherzustellen.

[2] https://www.dosb.de/fileadmin/Bilder_allgemein/Veranstaltungen/ Mitgliederversammlung_Berlin_2011/MV_2011_Begruessung_Bach.pdf.
In einer Begrüßungsrede anläßlich der 7. Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes am 3.12.2011 erklärte der ehemalige DOSB-Präsident Thomas Bach, "dass die Konkurrenz im internationalen Leistungssport, sei es bei Olympischen Spielen oder World Games, noch nie so groß war wie heute. Noch nie ist weltweit so viel know-how und Geld in die Entwicklung des Leistungssports investiert worden, nicht einmal zu Zeiten des Kalten Krieges. Wenn wir in diesem internationalen Leistungsvergleich nicht zurückfallen wollen, muss die Förderung im Rahmen der Möglichkeiten ausgebaut werden".

[3] http://www.sportal.de/bachs-lieblingskind-ein-eigener-tv-kanal-des-ioc-1-2014121045537700000. 10.12.2014.

[4] Siehe auch: Der Sporttribut an Twitterwelten (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek176.html

[5] http://www.sportdeutschland.de/

2. September 2015


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