Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/222: Der lange Spalt der Zungen ... (SB)


Kumpanei des Schreckens: IOC will sich noch stärker mit den Weltregenten und -polizeien "verpartnern"



Der globalisierte Spitzensport befindet sich in einer schweren Akzeptanzkrise. Nur unter massivem Einsatz konsumistischer Vereinnahmungsstrategien durch Sportunterhaltung, Politik und Wirtschaft sowie durch verschärfte Sozialkontrolle und Repression kann das ohnehin schwer wurmstichige Glaubwürdigkeitskonstrukt des organisierten Sports noch aufrechterhalten werden. Während der Staat zur personellen Gewährleistung der internationalen Sportgroßereignisse immer mehr Gelder in die Elitenförderung pumpt - nach einer Absturzängste im Medaillenspiegel anheizenden Verkaufsshow im Sportausschuß [1] bewilligte erst kürzlich der Deutsche Bundestag für 2015 15 Millionen Euro mehr als das Bundesinnenministerium ursprünglich in einem Entwurf gefordert hatte -, wächst auch der Reibach der Sportindustrie. So vermeldete jüngst das Internationale Olympische Komitee (IOC) nach Abschluß sämtlicher Fernsehverträge für die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro einen neuen Einnahme-Rekord. Zudem konnte das IOC seine Rücklagen bis auf knapp eine Milliarde US-Dollar aufstocken.

Vor diesem Hintergrund auch nur anzunehmen, daß der wachstumsorientierte Ringekonzern unter dem Titel "Olympic-Agenda 2020" eine Palastreform durchführen könnte, die den kommerziellen Wanderzirkus von unten nach oben kehrte, verkennt fundamental, daß "Brot und Spiele" bereits das Programm fortgesetzter Herrschaftssicherung sind, damals wie heute. Der jüngste Vorstoß der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, die verbindliche Einhaltung menschen- und bürgerrechtlicher wie ökologischer Standards bei der Vorbereitung und Durchführung von Sportgroßereignissen verpflichtend zur Voraussetzung von Vergabeentscheidungen zu machen und ihre Umsetzung "sanktionsbewehrt sicherzustellen", kann daher nur als eine weitere Irreführung der Öffentlichkeit verstanden werden. Solange sich auch die Grünen um den "Glanz" sorgen, den die Olympischen Spiele "eingebüßt" hätten, und darauf hinzuwirken trachten, den "Vertrauensverlust" insbesondere bei den europäischen Bürgern, deren Bewerberstädte mehrfach eine Ausrichtung der Spiele abgelehnt hätten, wettzumachen, betreibt auch ihre Politik das Geschäft der Sportunternehmen, mit buchstäblich allen Mitteln - von der Imagepolitur und Wertepuderei bis hin zur Anwendung staatlich legitimierter Sanktionsgewalt - den "Glauben" an das kommerzielle Produkt wiederherzustellen. Statt das kapitalistische Verwertungsprimat, Gewinne zu privatisieren und Schäden zu vergesellschaften, in grundlegender Weise anzugreifen, sprechen auch die Grünen lieber von einer "Glaubwürdigkeitskrise im Weltsport", hervorgerufen durch die "von Sportverbänden vorgetragene Vorstellung eines politisch neutralen Sports". [2]

Damit gehen sie absolut d'ac­cord mit den Spitzenfunktionären und Chefvermarktern der Verbände, die diesen Vorwurf längst in ihr Geschäftsmodell integrieren. Schon vor der Verabschiedung des vielfach kritisierten Reformpakets hatte IOC-Präsident Thomas Bach im Rahmen der Asienspiele im südkoreanischen Incheon davor gewarnt, eine strikte Trennung zwischen Sport und Politik zu propagieren. "In der Vergangenheit hieß es immer, der Sport habe nichts mit Politik, Geld oder Wirtschaft zu tun", sagte der Wirtschaftsanwalt. "Diese Einstellung ist falsch, und die können wir uns auch nicht mehr leisten." Man müsse sich mit "Politikern, die diese Welt regieren", und mit internationalen Regierungen "verpartnern". [3]

Diese "Verpartnerung" zwischen Politik und Sport findet nicht nur auf der ökonomischen Ebene statt (Stichwort: Sport als Wirtschaftsfaktor und Aushängeschild nationaler Standortpolitik), sondern in wachsendem Maße auch auf der repressiven. Schlagwortartig seien hier nur einige der Kollaborationen wiedergegeben, wie sie in den Medien bekannt geworden sind und allenfalls die Spitze des Eisbergs darstellen:

Die schwer an Korruption laborierende FIFA sponsert die internationale Polizeiorganisation INTERPOL mit 20 Millionen Euro; Ende vergangenen Jahres hat auch das IOC beschlossen, INTERPOL mit rund 15 Millionen Euro zu sponsern; IOC-Präsident Bach betonte den gemeinsamen Kampf: "Zusammen rufen wir weiter alle Regierungen, Polizeiorganisationen und Wett-Aufsichtsbehörden dazu auf, sich uns anzuschließen." [4]; die globale Wettpolizei zum Schutz des kommerziellen Sportwettmarktes befindet sich im Aufbau - staatliche Stellen, Polizeien, Wettunternehmen und Sportverbände "harmonisieren" ihre Zusammenarbeit, überwachen soziale Netzwerke und Internetforen und planen schärfere Gesetze; Ex-Polizisten, Militärs und Nachrichtendienstler betreiben private Sicherheitsfirmen im Dienste des Sportbusiness; Sportverbände und Regierungen sponsern die Welt-Anti-Doping-Agentur; Sportlobbyisten fordern die Kriminalisierung von Eigendoping für alle Bürger; Spitzenathleten unter Generalverdacht werden demnächst einen GPS-Peilsender am Körper tragen; sportnahe Wissenschaftler propagieren die "individualisierte Kontrollkultur" oder verlangen die weltweite Dopingpolizei mit grenzüberschreitenden Zugriffsrechten; die Militarisierung der Spiele und öffentlichen Räume schreitet voran; neueste Sicherheits- und Überwachungstechniken zur Kontrolle der Bevölkerungen werden entwickelt und im Rahmen der Sportgroßveranstaltungen getestet ...

Mit Verlaub - sind die Funktionseliten des Sports noch bei Verstand? Oder macht genau das ihre Überlebensratio aus, daß sie sich noch stärker mit den staatlichen Gewaltakteuren "verpartnern", um auf der "sicheren" Seite zu stehen?

Doch es kommt noch dicker: Staatsfromme Sportjournalisten, die ihre "Lehren" aus den Machenschaften der Sportverbände und -organisationen gezogen haben wollen und "sportunabhängige" Verfolgungssysteme bei Korruption, Doping, Wettmanipulation und anderen sportimmanenten Regelbrüchen fordern, treiben eine Entwicklung voran, die nur in polizeistaatsähnliche Verhältnisse im globalen Wettbewerbssystem münden kann. Eine "sportunabhängige Kontrolle" durch staatliche Stellen, wie sie als Lösung der Probleme propagiert wird, würde nur dazu führen, die Geschäftspolitik der Sportorganisationen auf höchstem staatlichen Sanktionsniveau fortzubetreiben und damit die soziale Frage, welchen Sport die Gesellschaft möchte, für den Menschen noch unerreichbarer in den Kerkern einer forcierten Kriminalitätsbekämpfung einzusperren.

Das Zugeständnis der Grünenfraktion, Staaten würden Sportgroßveranstaltungen dazu nutzen, "um sich auf internationaler Ebene positiv darstellen zu können. Das trifft auf demokratische wie autoritäre Staaten gleichermaßen zu", um dann aber ein Loblied auf die Menschen in europäischen Demokratien zu singen, die "gegen den unverhältnismäßigen Eingriff von IOC, FIFA und Co. in die örtlichen Strukturen" verstärkt Widerstand leisteten, während "autoritäre Staaten Sportgroßveranstaltungen als Instrument der Propaganda nutzen wollen", ist seinerseits dem ideologisch grundierten Versuch geschuldet, zwischen der Instrumentalisierung des Sports durch autoritäre (schlecht, weil Propaganda) und demokratische (gut, weil Werbung) Systeme zu unterscheiden. Wohl nicht zufällig weist diese Dichotomie Verwandtschaft mit der politischen Feindbildproduktion auf, mit der sich die Grünen im Dienste des transatlantischen Kapitals zur kriegstreiberischen Speerspitze der gegen Rußland gerichteten Sanktions- und Pressionspolitik gemacht haben. Man möchte sich gar nicht ausmalen, was los wäre, wenn grüne PolitikerInnen sich des staatlich alimentierten Spitzensports als Instrument deutscher Großmachtspolitik bemächtigen könnten, um dann mit Hilfe von vermeintlich unabhängigen NGOs und unternehmerischen "Corporate Social Responsibility"-Strategien gegen politisch mißliebige Konkurrenten auf dem Weltmarkt vorzugehen.

Würden die "Menschen- und Bürgerrechtsstandards sowie Arbeitsrechtsstandards", auf deren Einhaltung die Grünen in ihrem jüngsten Antrag pochen, tatsächlich gelten, gäbe es das freiheitsberaubende Anti-Doping-Regime im Spitzensport gar nicht. Dank der grünen Sportpolitik konnte die repressive Schraube zur Sicherstellung von "panem et circenses" sogar noch fester gedreht werden. Wie kann man ernstlich einen mit Steuergeldern befeuerten Hochleistungswettbewerb der Körper gutheißen, der, um ihn überhaupt in Betrieb und Funktion zu halten, zwingend die Preisgabe der Privat- und Intimsphäre zur Voraussetzung hat und seine Verdachtssubjekte wie Gefängnisfreigänger behandelt? Macht sich der Staat damit nicht zum modernen Sklaventreiber, der mit immer schärferen Kontroll- und Strafmaßnahmen darauf dringt, daß seine sportlichen Leistungseliten bei der Medaillenfron nicht fehltreten?

Man darf indessen gespannt sein, ob die Grünen mit der gleichen Inbrunst gegen eine Olympiabewerbung der USA für 2024 - durch Guantánamo, NSA-Massenüberwachung, CIA-Folterpraktiken, Drohnenhinrichtungen etc. hinlänglich diskreditiert - zu Felde ziehen werden, wie sie es zur Zeit gegen Rußland (Gastgeber der Fußball-WM 2018) machen. Auch in Richtung Japan fehlen nennenswerte Protestimpulse. Das durch die Fukushima-Katastrophe und wirtschaftliche Wachstumsflaute angeschlagene Land, Gastgeber der Olympischen Sommerspiele 2020, hat vor kurzem ein umfassendes Staatsgeheimnis-Gesetz in Kraft gesetzt, das es praktisch in vordemokratische Zeiten zurückversetzt. Das Maulkorbgesetz erlaubt der nationalkonservativen Regierung um Ministerpräsident Shinzo Abe, Beamte und Journalisten mit bis zu 10 Jahren Haft zu bestrafen, wenn sie nach diffusen bzw. der Willkür der Regierung unterworfenen Kriterien Geheimes an die Öffentlichkeit bringen. Der Anschlag auf die Meinungs- und Pressefreiheit, mit dem sich japanische Politiker und Wirtschaftslobbyisten in die Lage versetzen, eigene Versäumnisse oder Freveltaten als Staatsgeheimnis zu deklarieren und damit der öffentlichen Wahrnehmung zu entziehen, hat auch auf seiten des IOC keine offiziellen Reaktionen ausgelöst. Die Strategie des Ringekonzerns, sich mit den internationalen Regierungen und ihren exekutiven Organen zu "verpartnern", scheint voll aufzugehen. Alles bleibt unter einem Deckel.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek219.html.
Knallharte Wettbewerbs- und Standortpolitik: In der Spitzensportförderung soll unternehmerisch gearbeitet werden

[2] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/035/1803556.pdf.
Antrag (18/3556) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Vergabe von Sportgroßereignissen. 17.12.2014.

[3] http://www.zeit.de/news/2014-09/20/olympia-bach-fordert-mehr-nachhaltigkeit-fuer-olympische-spiele-20113603. 21.09.2014.

[4] http://www.handelsblatt.com/olympia-olympia-ioc-und-interpol-wollen-zusammenarbeit-vorantreiben/10678516.html. 09.09.2014.

30. Dezember 2014


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang