Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/198: Vorsorge! (SB)


Bundeswehr und Deutscher Behindertensportverband vereinbaren Kooperation



Kein leichtes Unterfangen, die Bevölkerung auf Kriegskurs zu bringen. An Schulen und Universitäten stoßen die Image- und Werbekampagnen der Bundeswehr, die von einer "Verteidigungsarmee" zu einer weltweit agierenden Armee im Einsatz umgewandelt wird, um Rohstoffquellen und Transportwege für die deutsche Wirtschaft zu sichern, zunehmend auf Widerstand. Um den Einfluß der Militärs und Rüstungsunternehmen auf deutsche Hochschulen und Forschungsinstitute im Rahmen der Drittmittelfinanzierung zurückzudrängen und die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre sicherzustellen, machen sich immer mehr Arbeitende, Studierende und Lehrende für die Einhaltung bzw. Etablierung von Zivilklauseln stark. Ebenso wird die "Geheimschutzordnung", mit der das Verteidigungsministerium seine Drittmittelaufträge an Hochschulen belegt, um öffentliche Transparenz zu verhindern, von der Zivilklausel-Bewegung entschieden abgelehnt. Während die Kooperationsverträge zwischen Armee und Schulministerien auf den Prüfstand gestellt und die sichtbaren wie unsichtbaren Formen "zivil-militärischer Zusammenarbeit" kritisch hinterfragt werden, scheint der organisierte Sport, dessen Mitläufertum nicht nur in Kriegszeiten vielfältig belegt ist, wieder einmal eine besondere Rolle zu spielen. Dort werden die "Kooperationen" von Sportverbänden und Militär euphemistisch als Erfolgsmodell gefeiert, als verfolge die Bundeswehr mit ihren Sportsoldatinnen oder -soldaten nicht handfeste Werbe- und Mobilisierungsziele.

Nun soll auch der organisierte Behindertenleistungssport vor den Karren der Militarisierung von Politik und Gesellschaft gespannt werden. Auf einer feierlichen Ehrung von Sportsoldaten im Oktober 2012 in Berlin hatte der damalige Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière "eine besondere Idee" vorgestellt: Eine eigene Sportfördergruppe für Sportler mit Behinderung, die dann an den Paralympics teilnehmen könnten. Innerhalb der Bundeswehr werde geprüft, wie so ein Projekt umgesetzt werden könne, berichtete damals das Bundesverteidigungsministerium. "Und da habe ich einen großen Traum, dass ein oder zwei verwundete Soldaten dabei sein können, die etwas für sich und für uns erreichen", erklärte der CDU-Politiker vor den Sportsoldaten. Im Beisein von hochrangigen Militärs, Bundestagsabgeordneten, dem DOSB-Generaldirektor Dr. Michael Vesper (Grüne) und weiteren Gästen unterstrich Thomas de Maizière das Engagement der Bundeswehr für den deutschen Spitzensport. Nicht ohne Hintergedanken, denn die Athleten sollen auch etwas geben. "Wir wollen etwas für Sie tun, aber Sie sollen auch etwas für Deutschland tun", sagte de Maizière, verknüpft mit der Bitte, daß sich die Athleten zur Bundeswehr bekennen. So könnte das Image der Bundeswehr, ein Patriotismusgefühl sowie ein unverkrampfter Leistungsbegriff durch die Bundeswehrathleten gefördert werden. [1]

Der "Traum" von Thomas de Maizière, inzwischen wieder als Innenminister in der schwarz-roten Regierungskoalition tätig, ist kurz vor Weihnachten in Erfüllung gegangen. Am 17. Dezember unterzeichneten Bundeswehr und der Deutsche Behindertensportverband (DSB) eine Rahmenvereinbarung, die sowohl kriegsgeschädigten Soldaten als auch paralympischen Athleten im Rahmen des "Bundeswehr-Förderprojekts Paralympics 2014/2016" künftig uneingeschränkten Zugang zum Breiten- und Leistungssport gewährt. Die Förderung des Behindertensports in Deutschland durch die Bundeswehr sei ein "Schritt auch zur Normalität", freute sich Verbandspräsident Friedhelm Julius Beucher (SPD) im Deuschlandfunk. Die Kooperation sei "gar nicht hoch genug zu bewerten" [2]. Drei vom DSB ausgewählte Topsportler "mit einer tollen Perspektive bei den anstehenden Paralympischen Spielen in Sotschi wie auch in Rio", so Karl Quade, der für den Leistungssport zuständige Vizepräsident des DSB, haben bereits Verträge unterzeichnet [3]. Ihnen werden prominente "Patensportler" zur Seite gestellt, die selbst als Sportsoldaten Dienst leisten.

Verkauft wird die Bundeswehrkooperation unter anderem als gesellschaftspolitischer Beitrag zur "Integration" - ein inflationär verwendetes Schlagwort, hinter dem sich so ziemlich alle heiligen wie unheiligen Interessen verbergen lassen. Um nicht gleich die Katze aus dem Sack zu lassen, wurden nur Athleten mit "ziviler" Behinderung ausgewählt. Der "Traum" von Thomas de Maizière ist somit noch nicht vollständig in Erfüllung gegangen. Die leistungssporttauglichen Kriegsverletzten, die zum Ruhme Deutschlands und für das Image der Bundeswehr etwas erreichen sollen, werden später folgen. Erklärtes Ziel der Kooperationsvereinbarung ist es, "Sport als Mittel zur Prävention und Gesundheitsförderung" im Bereich der Bundeswehr zu etablieren. "Insbesondere einsatzgeschädigten Soldaten soll durch die neue Partnerschaft der Zugang zum Sport ermöglicht und die rehabilitierende Wirkung des Sports nähergebracht werden", schalmeit es von der Bonner Hardthöhe [4].

Vom Deutschlandfunk wurde ein äußerst wohlmeinender Beitrag zum Thema Kooperation von Bundeswehr und Behindertensportverband gesendet. "Die Bundeswehr hat in Pilotprojekten an ihrem Sportwissenschaftlichen Institut in Warendorf erkannt, dass auch Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen durch Sport geholfen werden kann", heißt es lapidar von seiten des Autors Rolf Clement. Kein Wort zur umstrittenen "Sicherheits- und Verteidigungspolitik" der Bundeswehr, kein Wort darüber, daß medaillenträchtige Behindertensportler in Uniform die Grausamkeit des Krieges mit Heldenidentifikationen oder einer im Spitzensport bereits zur Funktion gebrachten Verletzungsökonomie übertünchen sollen. Das verwundert nicht, denn der DLF-"Hintergrund"-Redakteur, Mitverfasser des Jubiläumsbandes "50 Jahre Bundeswehr", ist Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung. In dem militärfreundlichen Zirkel werden handverlesene Journalisten aus deutschen Leitmedien regelmäßig mit Hintergrundinformationen gebrieft - streng vertraulich, versteht sich.

In den perfekt sprachgeregelten Berichten über die "Partnerschaft" von Bundeswehr und Behindertensport wird alles vermieden, was auch nur den Anschein erwecken könnte, daß die Armee höchst eigennützige Ziele mit der Kooperation verbindet. "Normalität", "Inklusion", "Partizipation", "Gleichstellung", "Prävention", "Gesundheitsförderung", "Rehabilitation" - die in diesem Zusammenhang kursierenden Begriffe hören sich an, als sei die Bundeswehr die reinste Sozialstation und nicht etwa für viele Soldatinnen und Soldaten eine sichere Fahrkarte zu Invalidität oder Schlimmerem.

Um den Krieg und seine Opfergänge gesellschaftsfähig zu machen oder gar zu heroisieren, bietet sich der emotionalisierende, auf Erfolgsgeschichten abonnierte Leistungssport geradezu an. Nicht von ungefähr verweist DSB-Präsident Friedhelm Julius Beucher auf "eine lange Tradition", die Länder wie Großbritannien, Kanada, Israel oder die USA hätten, "Verletzte aus Kriegseinsätzen in speziellen Förderprogrammen auf Paralympics und andere Weltspitzensportveranstaltungen" vorzubereiten. Nach dem Vorbild dieser in zahlreiche Kriege und Besatzungsregime verwickelten Länder wird auch die fortschreitende Beteiligung der Bundeswehr an weltweiten Interventionen mehr kriegsversehrtes Kanonenfutter produzieren als bislang. Um nicht den scheinheiligen oder vorgeschobenen Gründen künftiger Auslandseinsätze in die häßliche Fratze sehen zu müssen, bedarf es auf dem Felde der Nachsorge eines zivil-militärischen Aktionismus', der anstelle einer unbeugsamen Kriegsablehnung in Erscheinung tritt und mit humanitären Symbolhandlungen oder kriegsrehabilitativen Leistungen zu glänzen sucht, auf die alle stolz sein können. Die Vermeidungsrituale reichen von Tapferkeitskreuzen und Gefechtsmedaillen für Soldaten bis hin zur dekorativen Glorifizierung von invaliden, aber noch leistungssportgeeigneten Bundeswehrathleten auf Weltspitzensportveranstaltungen. Gerade in Ländern, auf die Julius Beucher positiven Bezug nimmt, wird die Sportförderung nicht etwa zur konsequenten Friedenserziehung eingesetzt, sondern als integratives Mittel der Kriegspolitik und davon nicht zu trennender Traumaverarbeitung.

In den USA finden seit 2010 mit wachsender Beteiligung sogenannte Warrior Games (Krieger-Spiele) statt, an denen verwundete, verletzte oder kranke Soldaten und Soldatinnen, auch verbündeter Nationen, teilnehmen können. "Sport ist ein integraler Bestandteil bei der 'Transition' vom rekonvaleszenten Kranken zum voll einsatzfähigen und sogar wettbewerbsbereiten Gesunden mit einer spezifischen Behinderung", berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "Die Sportförderung von Kriegsverletzten ist eine konsequente Ergänzung zu den enormen Fortschritten bei der medizinischen Erstversorgung von Verwundeten am Kriegsschauplatz." Nach Angaben der FAZ werden die Warrior Games gemeinsam von den amerikanischen Streitkräften und vom NOK der Vereinigten Staaten vorbereitet und veranstaltet. "Die intensive Sportförderung verletzter und kranker Soldaten wird vom Pentagon als Kernaufgabe der Betreuung von aktiven Soldaten und Veteranen mit körperlichen und seelischen Wunden erkannt. Allein das 'Warrior Transition Command' des Heeres betreut mehr als 9600 verwundete und kranke Soldaten." [5]

Ähnliche Veranstaltungen nach dem Vorbild der USA, deren selbsterklärter "Global War on Terrorism" zahllose Verwundete und tödliche Übergriffe produziert, sollen auch im kriegsbereiten Europa etabliert werden. So hat das US-amerikanische "Wounded Warrior Project" mit Geldern und Unterstützung des "European Wounded Transition Battalion (Verwundetenbataillon der US-Armee in Europa) bereits zum dritten Mal in Deutschland eine Radsportveranstaltung ("Soldier Ride Germany 2013") ausgetragen, die auch von der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf betreut wurde und unter dem inoffiziellen Motto stand: Waffenbrüder im Einsatz, Waffenbrüder in der Rehabilitation. Der internationale Militärsportverband CISM (Conseil International du Sport Militaire) feierte letztes Jahr eine "absolute Weltpremiere": Zum ersten Mal führte er in Deutschland eine offene integrative Leichtathletikmeisterschaft durch. An der Sportschule Warendorf nahmen verwundete, verletzte und erkrankte Soldaten mit "normalen" Spitzensportlern im internationalen Rahmen teil. Könnte man besser die vermeintliche Normalität von Einsatzgeschädigten in den Alltag integrieren und Prozesse der Abfindung in Gang setzen?

Natürlich geht aus der Sportunterhaltung nicht hervor, welche Tragweite und Auswirkungen die Behinderten-Sportförderung der Bundeswehr auf die fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft hat, handelt es sich beim leistungsorientierten Behindertensport doch schon von vornherein um ein elitäres Vorzeigeinstitut, das die Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmechanismen der Leistungsgesellschaft, in der sogenannte Behinderte schon aufgrund des vorherrschenden Normen- und Wertesystems den kürzeren ziehen, nicht etwa grundsätzlich in Frage stellt, sondern auf den Konkurrenzfeldern des Sports unablässig reproduziert. Gefeiert werden bei den Paralympics ja nicht die austherapierten und durchs Sieb gefallenen Kriegsversehrten, sondern die erfolgreichen, leistungsstarken und nützlichen Menschen, die im sportlichen Wettstreit nur das fortsetzen, woran sie im militärischen Agon gescheitert sind.

Daß die Bundeswehr allen Grund hat, die Schadensfolgen ihrer Einsätze gesundzumanagen und in Kooperation mit dem zivilen Behindertensportverband eine glorreiche Nebelwand erfolgreich reintegrierter Militärathleten aufzubauen, läßt sich an den Zahlen ablesen, wie sie die bundeswehrkritische Ärzteorganisation "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung" (IPPNW) veröffentlichte. Demnach gab es während Bundeswehreinsätzen im Ausland seit 1997 mehr als 54.000 Verletzte. "Allein im Jahr 2004 wurden bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr 7.404 Soldaten verletzt, verloren ein oder mehrere Gliedmaßen. Die meisten Soldaten in Afghanistan werden bei Sprengstoffattentaten verwundet. Viele wurden auch Opfer von Verbrennungen und Entstellungen und können ihren Beruf nicht länger ausüben", heißt es im Lehrerinformationsblatt zu "Risiken und Nebenwirkungen eines Bundeswehreinsatzes im Kriegsgebiet". Um der mit der Zunahme von Auslandseinsätzen steigenden Zahl von seelisch erkrankten Soldaten Herr zu werden, hat die Bundeswehr in Berlin zudem ein Psychotraumazentrum (PTZ) eingerichtet. Im Jahr 2011 wurden bei 922 Soldaten, 2010 bei 1.458 posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) diagnostiziert. "Peter Zimmermann, Leiter des PTZ im Berliner Bundeswehrkrankenhaus, geht davon aus, dass bis zu 25 Prozent der deutschen Soldaten mit Einsatzerfahrung unter psychischen Störungen leiden." [6]

Selbstverständlich haben Behinderte jedes Recht der Welt, mit sogenannten Nichtbehinderten gleichgestellt zu werden und auch die gleichen medizinischen Leistungen zu erhalten. Die Frage ist allerdings, ob ausgerechnet die über Leichen gehende Bundeswehr der geeignete Bündnispartner in Sachen gesellschaftlicher Teilhabe und Integration ist. Mit der Unterzeichnung des "Bundeswehr-Förderprojekts Paralympics 2014/2016" hat sich jedenfalls der politisch vermeintlich neutrale Behindertensportverband eindeutig positioniert.

Fußnoten:

[1] http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYyxEoIwEES_hQ8wF6jQTqSxtYHYHSETzyEJcx7Q-PEmhbszW-ybXXhCdsSdPAqliAuMYCxdpkNNYffqnTbOrQoU6SOOaQswlM3slE3RSUlxUSinZ5TEak0sSyEbcyaKZjC67jtd67_qb2uG83hrdNPfu0c5XBl9QDAxnSzal4M1hPa4VtUPkJIksQ!!/. 09.10.2012.

Siehe zum Thema auch:
KOMMENTAR/168: Behinderten-Sportförderung - Neue Horizonte für Bundeswehrinvaliden (SB)

[2] http://www.deutschlandfunk.de/behindertensport-wichtiger-schritt-zur-inklusiven.1346.de.html?dram:article_id=272746. 21.12.2013.

[3] http://www.deutschlandfunk.de/sportfoerderung-bundeswehr-kooperiert-mit.1346.de.html?dram:article_id=272401. 17.12.2013.

[4] http://www.streitkraeftebasis.de/portal/a/streitkraeftebasis/!ut/p/c4/NYvLCsIwEEX_KJNAN3VniaJbQbRuJG2HMpgXk1FB_HiThffA2Rwu3KAS3YtWJ5Si83CFcabN9FblMd0zfVRmLAVVIBEkD5f2WFDNKaI0C0ah6pWdJFY5sfhWnsy1KFpg1MYOutP_mW-_2x_O1nS9PQ4nyCFsf18e5IU!/. 16.12.2013.

[5] http://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/die-spiele-der-krieger-paralympics-in-uniform-12186859.html. 17.05.2013.

[6] http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/lehrerinformationsblatt.pdf. November 2013.

3. Januar 2014