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KOMMENTAR/175: Überwachung Arbeitsplatz - Überwachung Dopinghatz (SB)




Nach verschiedenen Datenschutz-Skandalen in den vergangenen Jahren will die schwarz-gelbe Koalition die heimliche Videoüberwachung von Arbeitnehmern in Schlaf- und Umkleideräumen sowie auf der Toilette verbieten. Statt dessen soll die offene Überwachung deutlich ausgeweitet werden. Was die Gewerkschaften als "Anschlag auf die Arbeitnehmerrechte" (DGB-Chef Michael Sommer) verurteilen und was auch von Teilen der politischen Opposition als weiterer Schritt zum "gläsernen Arbeitnehmer" scharf kritisiert wird, läßt die Herzen der Arbeitgeber höher schlagen. Sollte das neue "Beschäftigtendatenschutzgesetz" die Bundestagsabstimmung heil passieren, wonach es gegenwärtig allerdings nicht aussieht, könnten die Unternehmen den Überwachungs- und Kontrolldruck auf die Beschäftigten weiter steigern. Gemäß Entwurf soll die öffentliche Videoüberwachung unter anderem zur Zutrittskontrolle, zum Schutz des Eigentums sowie zur Sicherheits- und Qualitätskontrolle erlaubt werden. Entgegen der bisherigen Rechtslage durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) wäre die offene Videoüberwachung auch ohne konkreten Anlaß und zeitlich unbegrenzt möglich. Datenerhebungen zur "Aufdeckung von Straftaten und schwerwiegenden Pflichtverletzungen" könnten nach Ermessen des Arbeitgebers vorgenommen werden. Nicht nur Thüringens Arbeitsminister Matthias Machnig (SPD) kritisierte: "Wenn die Pläne der Bundesregierung umgesetzt würden, dann würde eine Kultur des Misstrauens und ein Klima der Repression in den Unternehmen etabliert." [1]

Regierungsvertreter versuchen zu beschwichtigen. Eine offene Videoüberwachung sei an strikte Vorgaben gebunden und dürfe nicht zur allgemeinen Verhaltens- oder Leistungskontrolle der Beschäftigten eingesetzt werden, heißt es. In der Praxis wird sich die Unterscheidung zwischen der Wahrung von Persönlichkeitsrechten bei Arbeitnehmern und den Wettbewerbsinteressen der Unternehmen kaum realisieren lassen. Dieser Spagat - manche sprechen auch von Interessensausgleich oder Verhältnismäßigkeit - ist bereits auf dem gesellschaftlichem Experimentierfeld des Hochleistungssports kläglich gescheitert. Dort hat der sportindustrielle Komplex zur Durchsetzung wettbewerblicher Regeln - genaugenommen Ideale - eine Kontroll- und Überwachungskultur von sportübergreifendem Charakter etabliert, die jeden liberal gesonnenen Bürger eigentlich zur Weißglut treiben müßte, gäbe es nicht die zahlreichen Einflußnehmer in Politik, Medien, Wissenschaft und Justiz, die das Anti-Doping-System mittragen und sowohl zu seiner Verschlimmbesserung als auch zur Verschleierung seiner Widersprüche beitragen.

Das Anti-Doping-System, das neben anderen Herrschaftstechnologien und -methoden den Übergang zu innovativen Formen paternalistischer Verhaltens- und Leistungskontrolle in der Bevölkerung ebnet, wird zwar schon seit Jahren von sportunabhängigen Experten als eklatanter Verstoß gegen demokratische Gemeinwohlprinzipien, Menschenwürde, Datenschutzbestimmungen, arbeitsrechtliche Standards sowie verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrechte scharf verurteilt. Doch die bürgerliche Empörungskultur, die im Unterhaltungsgewerbe des Sports wahre Hochstände feiert, bietet zu viele moralische Ausfluchten, als daß sie geeignet wäre, die Widersprüche und Paradoxien des Antidopingkampfes im besonderen und des Leistungssports im allgemeinen in der gebotenen Sachlichkeit zu diskutieren. So verwundert es auch nicht, daß sich der gehobene Anti-Doping-Journalismus kaum noch von der vielgeschmähten Haudrauf-Sportberichterstattung unterscheidet. Als gelte es, auch noch die letzten Bastionen bürgerlicher Freiheitsrechte zu zertrümmern, prügeln Sportjournalisten auf die jeweils aktuellen Skandalträger des Hochleistungssports ein und rufen nach immer schärferen Zwangsmaßnahmen, um Dopingsündern das Handwerk zu legen. Härtere Gesetze und Strafen für Dopingmißbrauch stehen dabei ebenso auf der Agenda wie die Entwicklung immer lückenloserer Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen. Und dies nicht nur in Hinblick auf biochemisch-analytische Testverfahren, sondern auch mit Blick auf eine verbesserte Umsetzung kriminologischer Fahndungsmethoden (Hausdurchsuchungen, Leibesvisitationen, V-Leute, Telekommunikationsüberwachung, heimliche Observationen, elektronische Fußfessel, Kronzeugenkauf u.v.m.).

Obwohl sich im Hintergrund der Antidopingjagd ein globaler Geheimdienstapparat in Gestalt der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zu etablieren beginnt, der ein "intelligenteres", die Löcher stopfendes Verfolgungssystem aufbauen möchte, werden die Auswirkungen dieses Ermächtigungsschrittes in der Öffentlichkeit nahezu vollständig ausgeblendet. So dringt die internationale Dopingpolizei darauf, in allen Bereichen ihre Befugnisse und Kompetenzen auszuweiten, um maximale Fahndungserfolge bei Verstößen gegen Dopingbestimmungen erzielen zu können. Dazu gehören "neue investigative Methoden und Techniken" sowie "neue Partnerschaften" vor allem "zwischen der Sportbewegung und den staatlichen Behörden". Weil ihr zur Zeit noch die Hände gebunden sind, will sich die WADA die investigativen Befugnisse von staatlichen Behörden zunutze machen, "wozu auch Durchsuchungs-, Beschlagnahmungs- und Überwachungsbefugnisse gehören, ebenso wie die Verpflichtung von Zeugen zur Aussage unter Eid". Darüber hinaus arbeitet die WADA an der "Beseitigung rechtlicher Hürden für den Informationsaustausch zwischen staatlichen Behörden und Anti-Doping-Organisationen". Laut WADA mag es "rechtliche Hindernisse geben, insbesondere nationale gesetzliche Datenschutz- und Vertraulichkeitsvorschriften, aufgrund derer eine Weitergabe relevanter Informationen von staatlichen Behörden an Anti-Doping-Organisationen nicht möglich ist. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, diese Hindernisse zu erkennen und zu überwinden." [2]

Was auch immer sich den internationalen Antidopingjägern an Datenschutzbestimmungen und rechtlichen Hürden in den Weg stellt, soll offenkundig beiseite geräumt werden. Wo es nötig ist, wird Datenschutz kurzerhand zum Täterschutz umgedeutet, und wo der einzelne davor zurückschreckt, seine Privat- und Intimsphäre vollständig transparent zu machen, wird ihm unterstellt, er wolle Regeln und Pflichten verletzen oder wettbewerbsverzerrende Betrugshandlungen vornehmen. Permanent durch die Kontrollmaschen geschlüpfte Spitzensportler, die später bekennen, daß sie bei der Leistungsgenese auch mit unerlaubten Mitteln nachgeholfen haben, dienen dem Verfolgungssystem als Rechtfertigungsgrundlage, das Netz aus Überwachung und Kontrolle noch enger zu knüpfen.

Sportler unterscheiden sich hier im Prinzip nicht von Arbeitnehmern, denen gleichwohl unterstellt wird, sie wollten sich zu Lasten des Unternehmens und der ehrlichen Mitarbeiter in die eigene Tasche wirtschaften. Was heute noch als "Schwund" gilt, könnte ähnlich wie im Sport vom "Kavaliersdelikt" zu einem schweren Verbrechen hochgejazzt werden. Wird die offene Videoüberwachung in den Betrieben erst einmal obsolet, stellt sich sofort die Frage nach der Effektivität der Maßnahmen. Zu geringe Aufdeckungsquoten rufen wie im Antidopingkampf die Kriminalisten auf den Plan, denen Generalverdacht, Meldeauflagen und flächendeckende Kontrollen noch nicht weit genug gehen. Das Panoptikum bedarf nicht nur steter technischer Verbesserung, auch die Arbeitskollegen sollen Obacht halten, ob der Mitarbeiter sich nicht Pflichtverletzungen im Betrieb schuldig macht. Was im Sport zu einer unglaublichen Verdachts- und Mißtrauenskultur geführt hat, wird sich folgerichtig auch in den Unternehmen einstellen: Wer etwas weiß, was dem Überwachungsauge entgangen ist, der zeige dies doch bitte bei der zuständigen Behörde an. Seit letztem Weihnachten fordert die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) in Bonn alle Athleten auf, Verstöße, Mißstände oder eigene Vergehen - auch anonym - zu melden. "Erinnert an Stasi und Blockwartmentalität", kommentierte ein Leser von faz.net kurz und knapp [3]. Als Appetitmacher winkt den Selbst- und Fremdbezichtigern eine Kronzeugenregelung. "Erzählen Sie uns, was Sie wissen", heißt es in einem von den NADA-Vorstandsmitgliedern Andrea Gotzmann (Chemikerin) und Lars Mortsiefer (Datenschützer) unterzeichneten Internet-Aufruf [4]. Als "unabhängiger Ombudsmann" steht aussagewilligen Athleten u.a. der ehemalige Ruderweltmeister Roland Baar zur Verfügung. Zuvor war er zum "Ombudsmann für Datenschutz im Anti-Doping-Bereich" ernannt worden. Was den früheren VW-Ingenieur, zur Zeit als Professor für das Fachgebiet Verbrennungskraftmaschinen an der TU Berlin tätig, für den Job als Datenschutzexperten oder gar für Fragen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Antidopingkampf qualifiziert, bleibt ein großes Rätsel. Er kam u.a. auf Vorschlag der konformistischen Athletenkommission des DOSB zu seinem Amt, was den Vorgang schon begreiflicher macht.

Die Athletenkommission hatte sich schon 2011 damit hervorgetan, daß sie den Protest von rund 150 Spitzensportlern gegen die totale Überwachung, die demütigenden Sichtkontrollen bei den Urinproben und die Meldepflichten (whereabouts) weit im voraus dessen, was ein Mensch überhaupt sicher abschätzen kann, rigoros abbürstete. Statt Unterstützung bekamen die auf ihre demokratischen Rechte pochenden Sportler vom Vorsitzenden der DOSB-Athletenkommission, Christian Breuer, zu hören: "Wer versucht, die nationalen Datenschutzregelungen auf den Sport zu übertragen und das Rad wieder zurückzudrehen, fällt den sauberen Sportlern in den Rücken und begünstigt die Betrüger." [5]

Öffentliche Initiativen und Beschwerden von Athleten-Organisationen oder -Gewerkschaften gegen das vorherrschende Antidopingsystem werden regelmäßig marginalisiert, als Doperschutz inkriminiert oder ganz ignoriert. Über einen offenen Brief kurz vor Weihnachten, den der Vorsitzende der französischen Vereinigung FNASS, in der sich Mannschaftssportler, vor allem Fußball- und Rugbyspieler, organisiert haben, an den Präsidenten der französischen Antidopingbehörde AFLD schickte, wurde in den deutschen Massenmedien nicht einmal berichtet. In dem Brief bezieht der FNASS-Vorsitzende Sylvain Kastendeuch im Namen Hunderter Sportler klar Position gegen die 90 Tage im voraus anzugebenden Aufenthaltsangaben (géolocalisation) sowie das damit verbundene Sanktionssystem und bittet dringend um die Eröffnung eines Dialogs mit der AFLD. Die Maßnahmen seien ohne Sinn, ein Verstoß gegen Grundrechte und würden die Athleten vorauseilend zu Verbrechern und Tätern stempeln. [6]

Ähnliche Protestnoten hatten in Deutschland auch die Spielergewerkschaften von Basketball und Handball (SP.IN/GOAL) verfaßt, ohne daß dies auf nachhaltige Resonanz in den Medien stieß. Dabei verfolgen die Profis lediglich reformerische Ideen und wollen rechtskonform sogar mithelfen, das Antidopingsystem effektiver zu machen. Sie werden in ihrer berechtigten Kritik zwar von einigen renommierten Landesdatenschützern und Arbeitsrechtlern unterstützt, doch ähnlich, wie das neue "Beschäftigtendatenschutzgesetz" von politisch interessierter Seite als Verbesserung des Datenschutzes verkauft wird, soll auch den Sportlern weisgemacht werden, daß schlagkräftiger Antidopingkampf und effektiver Datenschutz - den Unvereinbarkeiten zum Trotz - in Wirklichkeit ein und dasselbe sind. Datenschützer, die durch wachsweiche Einlassungen diesen Eindruck bestätigen, laufen Gefahr, sich wie die Legitimationswissenschaftler der WADA zum Instrument des kommerziellen Hochleistungssports und seiner wachsenden Kontrollindustrie zu machen.

Daß ein angesehener Arbeitsrechtler wie Prof. Peter Wedde, der im Auftrag der SP.IN den Basketball betreffend das Kontroll- und Meldesystem von NADA und WADA unter die Lupe genommen hat [7,8], zu dem vernichtenden Urteil kam, "dass einige der Eingriffe sogar aus verfassungsrechtlicher Sicht unzulässig sind und zu einer arbeitsrechtlichen Totalkontrolle führen", scheint in Anbetracht der gerade laufenden Kreuzigung des ehemaligen Radhelden und Dopingsünders Lance Armstrong kaum der Rede wert. Obwohl die Rechtsverstöße des Antidopingsystems nach Ansicht von Peter Wedde weit über die Bespitzelungsskandale der letzten Jahre etwa bei der Bahn, bei der Telekom oder beim Lebensmitteldiscounter Lidl hinausgehen, taucht der Schutz von Freiheitsrechten im organisierten Sport so gut wie gar nicht auf. Ein Leistungssportsystem indes, für dessen Erhalt und Funktionieren nahezu totalitäre Überwachungsstrukturen nötig sind, kann nur aus Teilnehmern bestehen, die selbst eine Existenz "mit einer fast totalitären Persönlichkeitsbeeinträchtigung" führen, wie der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert einmal zu bedenken gab [9]. Liegt womöglich hierin die gesellschaftspolitisch tabuisierte Vorbildfunktion des Spitzensportes?

Noch sind die Topathleten, die seit 2009 durch den verschärften WADA-Code an ein vollreglementiertes Kontrolleben vergleichbar mit Straftätern gewöhnt werden, nicht als neue Funktionseliten in der Beletage von Wirtschaft, Politik und Kultur angekommen. Nehmen sie aber führende Positionen ein, dann dürften heute noch zu vernehmende Vorbehalte gegen eine offene Videoüberwachung von Beschäftigten nicht einmal mehr in der Erinnerung vorkommen.

Fußnoten:

[1] http://www.thueringen.de/th6/tmwat/service/pressemitteilungen/69210/index.aspx. 14.01.2013.

[2] http://www.wada-ama.org/Documents/Useful_links/WADA_Investigations_Guidelines_May2011_GER.pdf

[3] http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/doping/offener-brief-sportler-sollen-dopingsuender-anzeigen-12002790.html. 22.12.2012.

[4] http://www.nada-bonn.de/praevention/projekte-der-nada-praevention/helfen-sie-uns-doping-aufzudecken/helfen-sie-uns-doping-aufzudecken/#.UP1FrxDGiuU

[5] http:/www.dosb.de/de/leistungssport/spitzensport-news/detail/news/athleten_wollen_keinen_doperschutz_durch_datenschutz/. 15.10.2011.

[6] http://www.unfp.org/a-la-une/article/geolocalisation-la-fnass-repart-au-combat-11122012-6851.html. 11.12.2012.

[7] http://www.spinbb.net/uploads/media/Wedde_-_Gutachten_fu__r_SP.IN_per_5.9.2011.pdf

[8] http://www.spinbb.net/uploads/media/Kurzfassung_Gutachten_Prof_Wedde_Final_.pdf

[9] "Dopingbekämpfung und Persönlichkeitsschutz" von Thilo Weichert (5.09.2011). In: DANA, Datenschutz Nachrichten 4/2011, S. 166.

23. Januar 2013