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KOMMENTAR/152: Fansolidarität - Spaltfrage Pyrotechnik droht Antwort durch Gesichtsscanner (SB)




Wohin treibt die medial vermittelte Diskussion um eine Solidarität, die über die Rivalitätsgrenzen der Fanklubs reicht und sich gegen die zunehmende Repressivität des organisierten Fußballs richtet?

Am 26. März kam es anläßlich des Zweitligaspiels 1. FC Union Berlin gegen Eintracht Frankfurt (0:4) zu einer vielfach gefeierten, auch von den Sportmedien wohlwollend goutierten Solidaraktion "unter Ultras". Wegen "fortgesetzten unsportlichen Verhaltens", insbesondere aufgrund des wiederholten Entzündens von Pyrotechnik, hatte das Sportgericht des Deutschen Fußballbundes (DFB) gegen Eintracht Frankfurt eine drastische Kollektivstrafe verhängt: Offiziell sollten den Anhängern keine Karten für das Auswärtsspiel in Berlin verkauft werden, zudem mußten die Frankfurter den Gastgebern den Einnahmeverlust ersetzen.

Doch nicht zuletzt mit Hilfe von Union-Anhängern, die für die Gäste-Fans Eintrittskarten kauften, gelang es den Fußballanhängern in einer konzertierten Aktion, die DFB-Sanktionen zu unterlaufen und in eine Demonstration solidarischer Fanstärke zu verwandeln. Rund 1000 Eintracht-Fans, die ins Berliner Stadion gelangt waren, unterstützten schon beim Einlaufen der Mannschaften ihre Farben. Um die im Stadion verstreuten Eintracht-Gruppen zusammenzuführen und unüberschaubaren Gefahrenlagen vorzubeugen, öffnete der Sicherheitsdienst Mitte der ersten Halbzeit den bis dahin verwaisten Gästesitzplatzbereich, woraufhin sich die hessischen Fans in Richtung Gästeblock in Bewegung setzten. Manche Eintracht-Fans nahmen auch die Abkürzung über den Zaun. Alles verlief friedlich und ohne Ausschreitungen.

Wo die Fußballfans den eigentlichen "Störer" ihrer gemeinsamen Leidenschaft verorteten, war nicht zu übersehen und zu überhören. Im prall gefüllten Gästeblock wurden Banner hochgehalten mit Aufschriften wie "Köln.Hansa und Dresden haben es gezeigt" (Anspielung auf ähnlich verlaufende Soli-Aktionen im Vorfeld) oder "Gäste lassen sich nicht verbieten" sowie derberen Inhalts wie "Fick Dich DFB". Auch auf seiten der Union-Anhänger mangelte es nicht an Plakaten ("Fehlen die Argumente, kommt meistens ein Verbot" etc.), zudem unterstrichen gemeinsame Schmähgesänge gegen den DFB, wer der gemeinsame "Feind" war.

Man könne "aus einem Fußballstadion keinen Hochsicherheitstrakt machen", hatte anschließend auch Frankfurts Vorstandsvorsitzender Heribert Bruchhagen, zugleich in prominenter Funktion in der Deutschen Fußballliga (DFL) und beim DFB tätig, ein Einsehen. "Eine Aussperrung von Fans ist nur schwer zu verwirklichen." [1] In die gleiche Kerbe schlug wenig später Rainer Koch, Vizepräsident für Rechts- und Satzungsfragen beim DFB: "Bei uns ist wahrgenommen worden, dass die ausgesprochene Sanktion ihren Zweck nicht erfüllt hat." Der DFB zog bereits Konsequenzen daraus. Künftig werde der Kontrollausschuß nach Ausschreitungen keine Teilausschlüsse von Gästefans mehr beim DFB-Sportgericht beantragen. [2]

Allenthalben wird proklamiert, daß der DFB umdenken müsse und die "Law-and-order-Politik" des Verbandes nichts tauge. "Die Welt" ist der Meinung, daß sich die Verbandsstrafe ins Gegenteil verkehrt habe: "Statt reumütig zu Hause zu sitzen, haben die Anhänger beider Klubs das Spiel zur Demonstration der eigenen Stärke genutzt und das DFB-Urteil ad absurdum geführt." Die Bestraften machten sich sogar einen Spaß daraus, diese Strafen zu konterkarieren. [3] Auch die "FAZ" konstatierte: "Der Widerstand der Kurve ist weit machtvoller, als es dem DFB recht sein dürfte." [4]

Doch was ist die Konsequenz daraus, daß nach allgemeinem Dafürhalten die Strafen zu "undifferenziert" seien, da sie unterschiedslos alle Fußballanhänger treffen und Feindbilder nicht abgebaut, sondern verstärkt werden? Nach wie vor zeigt der DFB der von zahlreichen Ultragruppierungen und Vereinen unterstützten Kampagne "Pyrotechnik legalisieren - Emotionen respektieren" die kalte Schulter [5]. Weil während des Berlin-Frankfurt-Spiels keine Feuerwerkskörper von den Fans gezündet wurden, fanden sonst von Funktionären und Medienvertretern ausgestoßene Verbalinjurien gegen "Chaoten", "Unbelehrbare" oder "Pyromanen", die hart abzustrafen seien, keine Nahrung. Schon beim nächsten massiven Bengalozünden vermummter Fans, die auf Feuerwerkskörper als Stimmungsmittel und "Support" ihrer Mannschaft bestehen, könnten die Scharfmacher wieder Zeter und Mordio schreien und für ein "effektives" und "konsequentes" Durchgreifen seitens der Vereine, des Verbandes sowie von Ordnungskräften und der Polizei plädieren. Und diesmal womöglich "differenziert" und gegen "einzelne", statt gegen das Kollektiv. Das könnte Solidarisierungseffekten vorbeugen, die Fußballanhänger spalten und das "Feindbild" wieder gegen die "sogenannten", sprich "bösartigen" oder "kriminellen" Fans kehren - wenn die Rechnung der Verfechter einer harten Law-and-Order-Politik denn aufgeht.

An bislang noch unzulänglichen Versuchen, Stadionverbote gegen "Einzeltäter" durchzusetzen, die zum Beispiel beim Schmuggeln von Pyrotechnik ins Stadion erwischt oder beim Abbrennen identifiziert wurden, mangelte es nicht. Die Gleichsetzung von Pyro- und Gewalttätern erleichtert den Anklägern dabei die Arbeit. Um die "Chaoten" zu stoppen, wurde neben umfänglichen Leibesvisitationen und bundesweit personalisiertem Ticketverkauf bei Risikospielen auch der Einsatz von Nacktscannern an Stadioneingängen ins Gespräch gebracht. Noch deutlichere Absichten in Richtung biometrischer Überwachung hatte vor kurzem der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Mecklenburg-Vorpommerns Innenressortchef Lorenz Caffier (CDU), kundgetan. Der diplomierte Ingenieur für Landtechnik forderte Gesichtsscanner in Fußballstadien, weil Stadionverbote derzeit nicht wirksam durchgesetzt werden könnten. Wie "Der Spiegel" berichtete, sollten damit laut Caffier "Chaoten" zuverlässig aus den Arenen ferngehalten werden. Die Geräte könnten die Gesichter der Besucher mit Bildern aus der Datei "Gewalttäter Sport" abgleichen und Alarm schlagen, falls sich ein Problemfan in die Arena schleichen wolle [6]. Nach Angaben des Innenministers gehe es ihm allein darum, das Gefahrenpotential von "Gewaltchaoten und Pyromanen" durch den Einsatz moderner Technik zu verringern, "zum Nutzen der übergroßen Mehrheit der Besucher" [7].

Die Pläne stießen auf breite Ablehnung. Neben Politikern aller Couleur mochten sich auch DFB und DFL sowie die Polizei dem Vorstoß Caffiers nicht anschließen. Ganz zu schweigen von Fußballfans, Datenschützern, Fanvertretern, -forschern und -anwälten, die entschieden gegen die Einschränkung der Freiheitsrechte sowie die Totalüberwachung und Verdächtigmachung sämtlicher Fußballfans Stellung bezogen. Die Fanszene ist in vielerlei Hinsicht wacher, wehrhafter und solidarischer organisiert als etwa die Spitzensportlerszene, wo im Rahmen des Antidopingkampfes elementare Grundrechte bereits weitreichend ausgehebelt wurden und weitere Überwachungs- und Kriminalisierungsmaßnahmen drohen.

Selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP) lehnte die Pläne Caffiers ab. "Es ist Irrsinn, ein Sicherheitssystem aufzubauen, das nur über totale Überwachung funktioniert, insbesondere wenn eine Rechtsgrundlage fehlt", sagte der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut, sonst nicht gerade ein Freund der Ultras, die er im vergangenen Jahr noch als "massive Bedrohung für die Polizei" [9] gebrandmarkt hatte, der "Bild"-Zeitung [8]. Anders hingegen sein Kollege Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), der die Erprobung der Gesichtsscanner begrüßt. "Ich halte das für eine sinnvolle Sache", sagte der DPolG-Bundesvorsitzende. "Wir müssen alle rechtlichen und technischen Möglichkeiten ausschöpfen, um Schläger aus den Stadien herauszuhalten." Die Datei "Gewalttäter Sport" biete dazu eine hervorragende Grundlage. [10]

Sollten sich die Fußballoberen weiterhin dem Dialog mit der Fan- und Ultrabewegung verweigern, die in großer Zahl eine Teillegalisierung von Pyrotechnik fordert, würde die faktische Gleichsetzung von "Pyro"- und "Gewalttätern" letztlich dazu führen, daß nach Mitteln und Wegen gesucht wird, die "kriminellen Elemente", die gegen das Sprengstoffgesetz verstoßen haben, zu isolieren, um dem Recht Geltung zu verschaffen. Wer zwischen den Zeilen zu lesen vermag, für den ist klar, daß die ablehnende Haltung führender Law-and-Order-Vertreter bezüglich des Gesichtsscanner-Einsatzes und des elektronischen Abgleichs mit der Verbunddatei "Gewalttäter Sport" vor allem auf dem Umstand beruht, daß die biometrischen Verfahren bislang noch nicht massentauglich, praktikabel und technisch ausgereift sind. Sollten sich aber Forschung und Technologie auf diesem durch Steuergelder großzügig geförderten Sektor so rasant weiterentwickeln wie bisher und die kommerziellen Anwendungsperspektiven stimmen, dürfte es nur noch eine Frage politischer Aufwallungen sowie medialer Skandalisierungsbereitschaft sein, wann Gesichtsscanner als "effektives" Mittel der Strafverfolgung oder -verhütung zum Einsatz kommen.

Aus einer kürzlichen Antwort auf eine "Kleine Anfrage" Der Linken, wie die Bundesregierung die Machbarkeit des Vorhabens des Ministers für Inneres und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern, über Dateiabgleiche Stadionverbote durchsetzen zu können, einschätze, geht hervor, daß eine solche abschließende Einschätzung "noch nicht möglich" sei. "Die von Mecklenburg-Vorpommern angekündigte Machbarkeitsstudie bleibt abzuwarten." Und: "Abhängig von den Ergebnissen wären ggf. Schlussfolgerungen für den Bund zu prüfen." [11]

Die vom Land Mecklenburg-Vorpommern angekündigte Durchführung einer Machbarkeitsstudie bezüglich Gesichtsscanner zur Einlaßkontrolle soll Medienberichten zufolge in der DKB-Arena Rostock erfolgen. Ob die Rostocker Fans dabei tatenlos zusehen werden, wird sich zeigen. Ein ähnlicher Feldversuch im Karlsruher Wildparkstadion im Juli 2011 mußte aufgrund massiver Fanproteste abgebrochen werden [12].

Das Bundesinnenministerium für Bildung und Forschung (BMFB) fördert derzeit das Projekt "Multibiometrische Gesichtserkennung" (GES-3D), an dem auch das Bundeskriminalamt (BKA) teilhat, und das Projekt MisPel - Multi-Biometriebasierte Forensische Personensuche in Lichtbild- und Videomassendaten. Verschiedenste Institute, Universitäten und Unternehmen sind an den Projekten beteiligt. Wie die Antwort der Bundesregierung an Die Linke ebenfalls dokumentiert, plane der Bundesnachrichtendienst für den Neubau Chausseestraße in Berlin den Einsatz einer biometrischen Gesichtserkennung für zutrittsberechtigte Mitarbeiter. In kleinem Rahmen wird also bereits die Gesichtserkennung auf ihre Alltagstauglichkeit hin überprüft.

Im Rahmen der zwei genannten Biometrie-Projekte "für die zivile Sicherheit" beim BMFB sollen auch die rechtlichen Voraussetzungen und (sozialen) Verträglichkeiten erforscht und abgeklärt werden, etwa in puncto Datenschutz, Datensicherheit, Persönlichkeitsschutz, Gerichtsverwertbarkeit etc.. Man kann davon ausgehen, daß der finanzielle, wissenschaftliche und industrielle Aufwand, der bei der Fortentwicklung biometrischer Identifikationsmethoden betrieben wird, nicht umsonst gewesen sein soll. Tatsächlich handelt es sich beim "Gesichtserkennungsrobotertum" (Fansoziologe Gerd Dembowski) nur um eine technifizierte Form sozialer Spaltung, die um so mehr greift, je stärker sich die Fans in die Lager Pro und Contra Pyrotechnik auseinanderdividieren lassen, was zwangsläufig zu mehr Stadionverboten, Einträgen in die Datei "Gewalttäter Sport" und "Vollzugsdefiziten" führen wird. Fansolidarität über die Vereins- und Rivalitätsgrenzen hinweg könnte ein Mittel sein, der biometrischen Atomisierung der Gesellschaft zumindest Steine in den Weg zu legen.

Anmerkungen:

[1]‍ ‍http://www.zeit.de/news/2012-03/26/fussball-frankfurt-bleibt-auf-aufstiegskurs-26221003. 9.4.2012.

[2]‍ ‍http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/article106123381/Kein-Teilausschluss-mehr-fuer-Fans.html. 9.4.2012.

[3]‍ ‍http://www.welt.de/sport/fussball/article13948432/Law-and-order-Politik-des-DFB-taugt-nichts.html. 9.4.2012.

[4]‍ ‍http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball-kommentar-stadionverbot-na-und-11699348.html. 9.4.2012.

[5]‍ ‍https://www.schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek139.html

[6]‍ ‍http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,812581,00.html. 9.4.2012.

[7]‍ ‍http://www.focus.de/sport/fussball/fussball-breite-kritik-an-gesichtsscannern-in-fussballstadien_aid_709988.html. 9.4.2012.

[8]‍ ‍http://www.bild.de/politik/inland/hooligan/innenminister-lorenz-caffier-fordert-gesichtsscanner-in-fussballstadien-22407246.bild.html. 9.4.2012.

[9]‍ ‍http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,795107,00.html. 9.4.2012.

[10]‍ ‍http://www.dpolg.de/front_content.php?idcatart=1188&lang=1&client=1. 9.4.2012.

[11]‍ ‍Drucksache 17/9003, 16.03.2012: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (Drucksache 17/8714).
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/090/1709003.pdf. 9.4.2012.

[12]‍ ‍https://www.schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek127.html

10.‍ ‍April 2012