Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/150: Guantánamo für immer - Fußball in Gefängnissen und Konzentrationslagern (SB)



Der Sport läßt sich auf vielerlei Weise für herrschaftliche Zwecke und Ziele einsetzen. In der bürgerlichen Welt würde man von "Mißbrauch" oder "Instrumentalisierung" sprechen, um die Kulturtechnik des Sports nicht in ihren hegemonialen Kontexten dechiffrieren zu müssen. Daß beispielsweise die Bundeswehr Sportevents nutzt, um im Rahmen ihrer Image- und Rekrutierungskampagnen Jugendliche für den Soldatenberuf zu begeistern, wird gewöhnlicherweise nicht als "Mißbrauch" verstanden. Genausowenig wird von einer "Instrumentalisierung" des Sports gesprochen, wenn nationale und internationale Fußballverbände unter der Schirmherrschaft kriegführender Staaten in Afghanistan (Frauen-)Fußballprojekte initiieren. "Fussball bedeutet Ablenkung von Sorgen, Bomben und Raketen", konstatierte die DOSB-Presse im Juni 2008 [1], als es noch angesagt war, die "Schreckensherrschaft des Taliban-Regimes", das das Fußballspielen unterdrückte, herauszustreichen, um den Interventionsvorwänden populistische Nahrung zu geben. Nichts gegen die Freuden des Fußballspiels, doch sobald es zum Mittel wird, um die Niedertracht der rückständigen Taliban und die Lauterkeit der westlichen Wertekrieger propagandistisch zu befestigen, kann der Schuß schnell nach hinten losgehen. Zumal wenn sich die vermeintlichen Befreier selbst als Tod und Verderben säende Schreckensbringer erweisen. Im September 2009 hatte ein Bundeswehroberst US-Piloten zwei Tanklastzüge bombardieren lassen, die im Sand des nordafghanischen Flusses Kunduz feststeckten. Dabei wurden über 140 Menschen aus der Gegend getötet, die sich an der Ladung der zuvor von Milizen gekaperten Fahrzeuge bedienen wollten. Dürfen sich die Hinterbliebenen nach dem "Massaker von Kunduz" nun glücklich schätzen, daß ihnen die Besatzer Fußball als Trost- und Ablenkungsmittel gebracht haben? Und wie sieht es nach der jüngsten Mordaktion eines oder mehrerer US-Soldaten aus, die in afghanischen Dörfern von Haus zu Haus gingen und bis zu 16 Zivilisten, darunter neun Kinder, erschossen oder erschlagen haben?

An Sport in Gefängnissen als Beschäftigungs-, Ablenkungs-, Erziehungs- und Resozialisierungsmittel haben sich die Menschen bereits hinlänglich gewöhnt. Solange die eingesperrte Kreatur nach den Regeln der Gesellschaft läuft, spielt oder sich sonstwie körperlich verausgabt, nicht zuletzt aus dem schieren (Über-)Lebensinteresse, sich aus der Not und Enge fremdverfügter Bewegungs- und Reizarmut zu befreien, ist alles in schönster Ordnung. Nur höchst ungern erinnert man sich daran, daß Sport auch während der Nazi-Herrschaft in den Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslagern betrieben wurde. Die Geschichtsforschung hat in den letzten Jahren verstärkt darauf hingewiesen, daß in den Lagern nicht nur "Strafsport" zur Demütigung und Züchtigung der Insassen verübt wurde. Neben Turnen und Boxen wurde in den KZs zur Erbauung und Ablenkung der Insassen vor allem Fußball gespielt, teilweise wurden sogar Meisterschaften ausgetragen. Im "Vorzeige"-Ghetto Theresienstadt wurde ein Ligabetrieb aufrechterhalten, in dem es auch zu Spielen wie "Kleiderkammer" gegen "Ghettowache" kam. SS-Offiziere sollen sogar Wetten auf den Ausgang der Partien abgeschlossen haben. "1942 führte Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, ein Prämiensystem für Häftlinge ein - mit dem Ziel, die Arbeitsmoral zu steigern und für die Rüstungsindustrie auszubeuten. Teil dieses Plans war auch das Fußballspielen - für fast alle Lager finden sich Belege dafür: neben Buchenwald ebenso für Sachsenhausen oder Mauthausen - und auch Auschwitz. Dort lag der Platz direkt neben dem Krematorium", berichtete der Deutschlandfunk im Dezember vergangenen Jahres [2].

Da wirken die glorifizierenden Reden von der "Vorbildfunktion" und der "Integrationskraft" des Sports, der die Athleten dazu bringe, sich an Regeln zu halten, auf einmal erschreckend deplaziert. Daß sich die Körperpolitik des Sports hervorragend eignet, um den Menschen zu disziplinieren, anpassungsbereit und systemgefügig zu machen, statt ihn zu befähigen oder zu bemitteln, sich gegen jede Form der Herrschaftsausübung aufzulehnen, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Spätestens seit der französische Philosoph Michel Foucault in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschrieb, wie moderne Disziplinargesellschaften versuchen, den lebenden Körper zu regulieren und zu kontrollieren, sind die Methoden und Techniken humanisierter Herrschaft und reformistischer Machtausübung inner- und außerhalb des Gefängnisses weitreichend bekannt. Daß Sportspielarbeit den unter welchen Zwängen auch immer stehenden Menschen ebenso physische Erleichterung wie soziale Vorteilslagen verschaffen kann, und sei es unter repressivsten Bedingungen, mag angehen, doch emanzipiert sie ihn auch?

"Fußball ist ein Massenphänomen, das auch vor den Toren der Konzentrationslager nicht haltmachte. Vielleicht konnte es gerade deshalb missbraucht werden: als Macht- und Propagandainstrument der Nazis. Angesichts des Leids und Elends in den Konzentrationslagern konnte Fußball aber eben auch Trost und Ablenkung verschaffen - zumindest für die Länge eines Spiels", so die konzilianten Schlußworte im erwähnten Deutschlandfunk-Beitrag, die das Klischeebild vom Trostspender Sport und den Nazis, die den Sport mißbrauchten, wieder in das gewünschte Licht phänomenologischer Beliebigkeit rücken. Daß Gefängnisse, Gulags, Umerziehungs-, Arbeits-, Auffang- oder Konzentrationslager nicht vom Himmel fallen, sondern Anstalten gesellschaftlicher Widerspruchsregulation darstellen, bleibt indessen weitgehend hinter der Nebelwand der Gewöhnung verborgen.

Bezeichnenderweise wurde die Meldung, daß im April im Hochsicherheitsgefängnis Guantánamo ein Fußballplatz eingeweiht werden soll, von den führenden Internetmedien vollständig ignoriert. Nur zwei Onlinezeitungen (DerWesten ernsthaft, die taz eher flapsig) berichteten ausführlicher davon, daß die USA für rund 750.000 Dollar einen mit Überwachungstürmen, -zäunen, -kameras und Scheinwerferanlagen gesicherten Bolzplatz errichtet haben - nach Angaben des Air Force-Generals Douglas M. Fraser, der für die Pentagon-Operationen in Lateinamerika und der Karibik verantwortlich zeichnet, um die "Lebensqualität" der Gefangenen zu verbessern [3].

Im "Camp 6", einem Areal in der Nähe der Haftanstalt, gibt es bereits zwei Anlagen, wo Häftlingen einmal pro Woche "auf freiwilliger Basis" ein 90minütiger Fitneß-Kurs angeboten wird - wenn sie denn "kooperativ" sind. Das gilt auch für die Freunde des Soccer. Sport, so scheint es, wird hier als indirektes Foltermittel eingesetzt nach dem Motto: "Sag, was wir hören wollen/mach, was wir sagen, und du bekommst die Fesseln gelockert und darfst als Belohnung Sport treiben. Ansonsten bleibst du in deinem Käfig!"

Vor zehn Jahren haben die USA auf Kuba ein Internierungslager in Betrieb genommen, in dem rund 800 Personen aus etwa 40 Ländern völkerrechtswidrig festgehalten und gefoltert wurden. Selbst Minderjährige wurden in den "Gulag von Guantánamo" verschleppt und mißhandelt. In der Regel handelt es sich bei den Insassen um unschuldige Männer, die das Pech hatten, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen zu sein. Zur Zeit sollen noch rund 170 Menschen, entwürdigt und jedweder Rechte beraubt, in den Hochsicherheitsverliesen hausen. Nur wenige "Terrorverdächtige" wurden je von einem Militärgericht verurteilt, die Rechtmäßigkeit dieser militärischen Sondertribunale wurde durch eine Gesetzesänderung noch in der Bush-Ära verfügt.

Der Bau des Fußballplatzes zur Zerstreuung der Gefangenen deutet darauf hin, daß US-Präsident Barack Obama sein Versprechen bei Amtsantritt 2009, das Guantánamo-Lager binnen eines Jahres schließen zu wollen, auch in den kommenden Jahren nicht einhalten wird. Im Gegenteil, Ende 2011 unterzeichnete der "Friedensnobelpreisträger" das Nationale Verteidigungs-Autorisierungsgesetz (NDAA). Dies verleiht Washington, das Militäreinrichtungen in weit mehr als der Hälfte aller Länder unterhält, die uneingeschränkte Macht, Verhaftungen durch das Militär anzuordnen und jeden beliebigen Menschen, auch US-Bürger, die der Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe bezichtigt werden, ohne Anklage, Beweise oder Verhandlung zu entführen und auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren.

Zahlreiche Häftlinge sollen offenbar auch in Guantánamo ohne Gerichtsprozeß unbegrenzt festgehalten und mit Fußballspielen betäubt werden. Obamas Schachzug, für "Hafterleichterungen" bei den Lagerinsassen zu sorgen, rief erwartungsgemäß die republikanische Rechte auf den Plan, die die hohen Kosten der "Freizeitanlage" für die "schlimmsten der schlimmsten Terroristen der Welt" (US-Politiker Dennis A. Ross) kritisierte und sogar ein Gesetz dagegen forderte. Einmal mehr kann sich der schwarze US-Präsident in der Weltöffentlichkeit als jemand hinstellen, der von besten Absichten und Motiven geleitet ist und für eine Humanisierung von Guantánamo, dem "Synonym für staatliche Willkür und Folter" (Der Spiegel), eintritt. Offensichtlich haben es nicht nur die Nazis verstanden, sich den Fußball als "Macht- und Propagandainstrument" zunutze zu machen.

Anmerkungen:

[1] DOSB-Presse Nr. 26, 24. Juni 2008

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1625600/. 18.3.2012.

[3] http://www.miamiherald.com/2012/03/06/2678865/southcom-general-heading-for-retirement.html. 18.3.2012.

20. März 2012