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KOMMENTAR/144: Narrenspiel bei Hofe - US-Präsident Barack Obama empfängt Dirk Nowitzki (SB)



Die Instrumentalisierung des Sports für politische und anderweitige Zwecke ist sicherlich so alt wie die Geschichte des Sports selbst. Zugleich birgt der Begriff "Instrumentalisierung" einen nicht unproblematischen Entlastungsversuch zu Gunsten eben des Sports und seiner Funktionseliten, weil er unterstellt, es könnte jemals eine "Nicht-Instrumentalisierung" gegeben haben. Ein besonders schauerliches Beispiel für die politische Instrumentalisierung des Sports, die als solche gar nicht in Erscheinung tritt, weil sich Sportler und Politiker vollkommen einig darin sind, sich wechselseitig zu Instrumenten des eigenen Karrierestrebens zu machen, wurde uns dieser Tage in Washington am Hofe des Weißen Hauses dargeboten, wo der "mächtigste Mann der Welt", sichtlich gutgelaunt, mit den Basketball-Heroen seines Landes Scherze trieb. Auch die hiesigen Sportmedien von Bild bis Spiegel stimmten wohlwollend in das Possenspiel ein. US-Präsident Barack Obama hatte die Dallas Mavericks um ihren deutschen Superstar Dirk Nowitzki geladen, um sie für den ersten Titelgewinn in der Nordamerikanischen Basketball-Liga (NBA) zu ehren. Die "Weltmeister", frotzelte der 50jährige Obama, seien alle in seiner Altersklasse - eine Anspielung darauf, daß die Mavericks die älteste Mannschaft der ganzen Liga sind und ihnen kaum jemand den Titel zugetraut hatte.

An Dirk Nowitzki, der vor seinem Besuch im Weißen Haus laut über die Annahme der US-Staatsbürgerschaft nachgedacht und wegen seiner Wurstwerbung in einer Schlachterei einen "Kommentarkrieg" zwischen Vegetariern und Fleischessern im Social-Web ausgelöst hatte, schien der Präsident einen besonderen Narren gefressen zu haben. Obama sprach den 33jährigen Würzburger ständig falsch mit "No-WIN-zki" an - ein Spottname, der noch aus Zeiten stammt, als der "magere Junge mit Goofy-Haarschnitt" vor 13 Jahren in die nordamerikanische Profiliga gewechselt war. Damals galt Nowitzki als zu schwach und zu langsam für den großen Erfolg. Heute macht der NBA-Champion gute Miene zum bösen Spiel: "Der Name wird ganz schön gemetzgert hier in Amerika. Aber in den 13 Jahren habe ich mich schon ein bisschen daran gewöhnt." [1]

Alles sollte witzig und amüsant sein. Die versammelten Schausteller gaben sich alle Mühe, sportlich-locker rüberzukommen. Obama, der den "harten Kerl" Nowitzki dafür lobte, daß er trotz kaputtem Finger und hohem Fieber im Finale auf dem Feld gestanden habe, konnte sich weitere Sticheleien nicht verkneifen. Nowitzkis "We are the Champions"-Jubelgesang bei der Siegesfeier bezeichnete Obama als ziemlich schmerzvoll. "Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten dafür geübt? Ehrlich? Okay", foppte der US-Präsident in Anspielung auf die nicht gerade meisterliche Sangesleistung des NBA-Stars.

Nach der Ansprache durfte Nowitzki dem Präsidenten ein blaues Mavericks-Trikot mit dessen Namen und der Nummer 23 überreichen. "Wir haben gehört, daß Sie ein großer Fan von Michael Jordan sind", begründete Nowitzki die Auswahl der Rückennummer. Obama nutzte auch dies für einen plumpen Scherz: "Ich hatte die 23 vor Jordan. Er hat mir die Nummer gestohlen."

Wer meint, daß sich Sporthelden vorzüglich als "Identifikationsgrößen für das Publikum, als Themen- und Aufmerksamkeitsproduzenten für die Medien, als Werbeträger für die Wirtschaft und als Legitimationsbeschaffer für die Politik" eignen, wie der Darmstädter Sportsoziologieprofessor Karl-Heinrich Bette einmal schrieb (FAZ, 26.12.2009), der liegt bestimmt nicht falsch. Und auch damit nicht: "Die Politik subventioniert den Spitzensport vor allem, um Begleitaufmerksamkeit für Politiker und deren Wiederwahlinteressen herzustellen. (...) So versuchen Politiker durch die Nähe zum Sport Eingang in die öffentliche Meinung zu erlangen und durch die Nähe zum Sportpublikum eine Gewogenheit bei zukünftigen Wahlentscheidungen zu gewinnen." [2]

In der Demokratur der USA ist der Sport ein fester Bestandteil des Politikentertainments. In der Öffentlichkeit stehende Sportler haben gute Patrioten und wahre Helden zu sein, und wer sich nicht auf die Rolle als gefälliger Unterhalter beschränkt und etwa die Kriegspolitik der US-Administration zu kritisieren wagt, wird ähnlich wie Musiker, Schauspieler oder Kulturschaffende angefeindet oder von den großen Medien, die das milliardenschwere Sportgeschäft in jeder Hinsicht kontrollieren, boykottiert oder zumindest mit Aufmerksamkeitsentzug gestraft. Deshalb gibt es so gut wie keine erfolgreichen Spitzensportlerinnen oder -sportler, die vom politischen Mainstream abweichen. Das war unter der republikanischen Bush-Regierung so, das verhält sich auch unter der demokratischen Obama-Regierung nicht anders. Und Mitmachen heißt auch, als karrierebewußter Sportler keinen Millimeter vom "Keep smiling" bei offiziellen Anlässen oder Veranstaltungen abzuweichen und brav die sportiven Phrasen zu dreschen, damit die affirmative Inszenierung von Politik und Sport sowie die geschäftstüchtige Beziehung ihrer Interpreten keinen Schaden erleidet. "Er war superwitzig. Er hat uns persönlich gratuliert und erzählt, wie er die Finalserie erlebt hat", beschrieb Nowitzki laut Sport-Informations-Dienst die Gespräche vor der großen Pressekonferenz: "Es war eine Riesenehre, ihn mal zu treffen. Er hatte Hintergrundwissen zu jedem Spieler." [1]

Was hier als "Hintergrundwissen" bezeichnet wird und worin sich auch das sportbegeisterte Publikum wiederzuerkennen vermeint, sind vor allem Nummern, Statistiken, Ranglisten oder Rekordzahlen, mit denen die Sportfans in den USA nicht etwa nur gefüttert, sondern regelrecht gemästet werden. Daher nimmt es auch nicht wunder, daß der durchschnittliche Sportkonsument in den USA eher in der Lage ist, die Ligastatistiken und Lebensläufe seiner Helden rauf und runter zu beten, als daß er wüßte, wie viele Hunderte Milliarden Dollar der Militärhaushalt seines Landes verschlingt, wie viele Millionen Menschen der Kriegsführung der USA in Südostasien in den 1960er und 70er Jahren zum Opfer fielen, wie viele Hunderttausende Iraker zwei Kriege und die Sanktionen von 1991 bis 2003 das Leben kosteten oder wie viele Menschen entgegen Obamas Ankündigung beim Amtsantritt 2009, das Gefangenenlager Guantanamo binnen zwölf Monaten schließen zu wollen, nach wie vor in den menschenfeindlichen Folterverließen (nicht nur in Guantanamo) dahinvegetieren müssen.

Dieses "Hintergrundwissen" ist sicherlich nicht gemeint, wenn Obama mit den "No-WIN-zkis" dieser Welt zu spaßen beliebt und über den Sport bzw. die Massenmedien vermeintlich harmlose Gemeinschaftsgefühle erzeugt, um sich für die Präsidentschaftswahl in diesem Jahr zu empfehlen, während er im Hintergrund bereits die Kriegstrommeln für den Iran-Krieg rührt. Es bedarf schon einer geradezu dissoziativen Trennung von Politik und Sport, damit den Menschen nicht auffällt, wie manipulativ auch in den sogenannten Qualitätsmedien die Wahrnehmung des Massenpublikums gelenkt wird.

Ein Beispiel von vielen: Am 3. Januar erschien bei sueddeutsche.de ein Artikel aus Washington mit dem Titel "Guantanamo für immer - US-Präsident Obama unterzeichnet neues Sicherheitsgesetz", in dem detailliert berichtet wird, daß der Präsident ein Gesetz gebilligt hat, "das dem Militär erlaubt, Terrorverdächtige unbegrenzt, ohne Anklage und richterliche Anhörung einzusperren. Auch eine Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo rückt in weite Ferne" [3]. Mit dem verschärften Sicherheitsgesetz wird praktisch ein offener Verfassungsbruch legitimiert und eines der ältesten demokratischen Rechte aufgehoben, nämlich das Verbot von Verhaftungen ohne juristisch hieb- und stichfeste Beweise (Habeas-Corpus-Akte). In dem SZ-Artikel sprechen namhafte Kritiker von einem Rückfall in die McCarthy-Ära, als die Verabschiedung eines Gesetzes zur inneren Sicherheit eine unbegrenzte Internierung linksgerichteter Personen ohne richterliches Gehör erlaubte, sowie von einer Rückkehr zu den Exzessen des Anti-Terror-Kriegs von George W. Bush.

Feinsäuberlich geschieden vom Politikteil der Zeitung wurde sechs Tage später im Sportteil (online) die Obama- und Nowitzki-Wohlfühlshow aufgeführt [4]. Nicht ein Wort darüber, daß der weltweit in der Kritik stehende "Friedensnobelpreisträger", der unverkennbar in den Spuren seines ungeliebten Amtsvorgängers wandelt, die weichzeichnende Sportpublicity dringend nötig hat, um unbedacht der politisch bedrohlichen Entscheidungen Sympathien für sich zu wecken. Das Werbevideo aus dem East Room des Weißen Hauses wurde von nahezu allen Qualitätsmedien gezeigt - alles witzig, alles lustig, alles prima. "Superstar" Dirk Nowitzki und der "bekennende Basketballfan" Barack Obama, der laut Kennerblick des Deutschen einen guten Schuß habe und auch ein bißchen dribbeln und durchziehen könne, spielten sich in der Hofberichterstattung perfekt die Bälle zu. Vom blutigen Ernst und Hintergrund dieser wohlplazierten PR-Veranstaltung sieben Monate (!) nach dem Titelgewinn der Mavericks keine Rede. Weitere Gesetze zur Einschränkung der Rede- und Meinungsfreiheit wie ein Zensurgesetz für das Internet, das den Kriegskurs der USA begünstigt, hat das vermeintliche Musterland für Demokratie und Freiheit ebenfalls in der Planung. Sollte dem aufmerksamen Sportsfreund da nicht langsam das Lachen im Halse stecken bleiben?

Anmerkungen:

[1] http://www.fr-online.de/sport/nba-star-bei-obama--nowinzki--kann-nicht-singen,1472784,11416066.html

[2] Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 29-30/2008). Von Karl-Heinrich Bette und Uwe Schimank.
http://www.bpb.de/publikationen/7KJNM9,0,0,Doping%3A_der_entfesselte_Leistungssport.html#art0

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/us-praesident-obama-unterzeichnet-neues-sicherheitsgesetz-guantanamo-fuer-immer-1.1250097

[4] http://www.sueddeutsche.de/sport/sport-kompakt-barack-obama-ehrt-dirk-nowitzki-1.1253145

20. Januar 2012