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KOMMENTAR/136: GPS-Freiheitsfessel für Athleten - nur der Datenschutz macht (noch) Probleme (SB)



Bereits Anfang 2007 hatte der frühere Weltklasseläufer Franz-Josef Kemper den Vorschlag gemacht, ein Meldesystem mit Satelliten-Ortung für Athleten zu schaffen. "Ich bin überzeugt, daß es in fünf Jahren ein solches GPS für Sportler geben wird und sie 24 Stunden geortet werden können", sagte Kemper damals in einer Diskussionsrunde im Deutschlandfunk [1]. Am liebsten hätte er gleich Nägel mit Köpfen gemacht, auch um eine jahrelange Diskussion darüber, "wie erwische ich die Athleten, die sich entziehen wollen", zu vermeiden. Der 800-m-Olympiavierte von 1972, der als Abteilungsleiter Sport bei der rheinland-pfälzischen Landesregierung Karriere gemacht hat, wischte soziale Bedenken und rechtliche Einwände mit der kalten Hand des Bürokraten vom Tisch: "Es werden viele jetzt kommen und sagen, 'och, persönliche Freiheit' und 'das ist ja wie eine Fußfessel bei Kriminellen'. Natürlich muß man die Konsequenzen gehen, wenn man das System sauber halten will!"

Ein weiser Prophet, dieser regierungsamtliche Saubermann, der sich nicht von Fremden beim Pinkeln zuschauen lassen muß, nicht eine Stunde am Tag Hausarrest bekommt, um den Doping-Kontrolleuren zur Verfügung zu stehen, nicht drei Monate im voraus seine Aufenthaltsorte für jeden Tag dem Internet-System ADAMS mitteilen muß und keine Ängste auszustehen hat, ob er sich auch vorschriftsmäßig an-, ab- oder umgemeldet hat, wenn er einen Ortswechsel vornimmt, wie es die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Gestapo-Manier von den Spitzenathleten verlangt.

Kempers Prognose hatte sich als treffend erwiesen: Um sich das umständliche und aufwendige Meldeverfahren per Internet, E-Mail oder SMS zu ersparen, hatten betroffene Athleten immer mal wieder dafür plädiert, die Prozeduren zu vereinfachen. Einige Leichtathletik-Stars wie Carolina Klüft oder Stefan Holm zogen in Erwägung, sich einen Chip unter die Haut pflanzen zu lassen, über den sie jederzeit via Satellit geortet werden könnten. Andere schlugen eine Armbanduhr mit GPS-Sender, eine Handyortung oder eine Art elektronische Fußfessel vor. Diese Eingriffe in die Freiheitsrechte, die noch über das hinausgehen, was die als "Zentrale der Betrugsbekämpfung im Spitzensport" (Deutschlandfunk) verharmloste WADA ohnehin an massiven Grundrechtseinschränkungen den Athleten aufbürdet, waren damals noch nicht salonfähig. Auch WADA-Vertreter, die darauf bauen, daß die Spitzensportler selbst zur Perfektionierung ihres Kontrollregimes beitragen, hatten diese Vorschläge abgelehnt. Selbst der als Hardliner der Dopingverfolgung bekannte Rechts- und Kriminalwissenschaftler Prof. Dieter Rössner von der Universität Marburg hatte seinerzeit die elektronische Verfolgung der Athleten via GPS abgelehnt. "Für mich ist das ein schreckliches Szenarium", so Rössner im Deutschlandfunk [2]. "Denn wenn man das aus dem Strafrecht jetzt nimmt, dann gilt das dort als Ersatz für Freiheitsstrafen, und niemand will Athleten in Freiheitsstrafen bringen und dann wie die Gladiatoren vielleicht ins Stadion schicken. Sport hat etwas mit Freiheit zu tun. Es fasziniert eigentlich seine Eigenart, und die kann man nicht mit GPS oder ähnlichem erreichen. Da müssen andere Mittel her, um Werte und die Werte des Sports durchzusetzen."

Die Freiheitslyrik der bürgerlichen Leistungssportapologeten ist von den Antreibern des jede Verhältnismäßigkeit sprengenden Antidopingkampfes, der nur in eine dem Gefängnis oder der Quarantäne vergleichbare Situation für den gläsernen Athleten münden kann, längst ad absurdum geführt worden. Sportunabhängige Juristen, Datenschutzbeauftragte und Arbeitsrechtler in Deutschland haben wiederholt auf die rechts- und verfassungswidrigen Verhältnisse im Anti-Doping-System hingewiesen und sogar Menschenrechtsverstöße angeprangert. Weil aber die Sportmedien bis hinein in die Internet-Blogs den Dopingbegriff nicht mehr hinterfragen, sondern sich im Gegenteil die Kritik am pervertierten oder korrumpierten Spitzen- und Profisport ganz wesentlich auf den Dopinglegalismus stützt, bereiten sie - möglicherweise ungewollt - einer postdemokratischen Ermächtigungspolitik das Feld, die mit kriminalpräventiven Argumenten die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung immer weiter einzuschränken sucht. Der vollreglementierte Spitzensport, der sich in einem journalistischen und wissenschaftlichen Kritikumfeld mit hochgradigen Affinitäten zu sozialtechnokratischen Law-and-order-Rezepturen befindet, bietet hierfür ein geradezu perfektes Experimentierfeld.

Wohl nicht zufällig hat es im Deutschlandfunk, der sich auf entsprechende Fragestellungen versteht, kürzlich einen erneuten Vorstoß in Sachen GPS-Ortung gegeben. Wie der Tischtennis-Europameister Timo Boll im DLF-Gespräch [3] erklärte, sei er ein "großer Befürworter" des Antidopingkampfes. Ein gläserner Athlet müsse jeden Tag mitteilen, wo er sich befinde, selbst wenn er nur mal einen Spaziergang in den Wald mache. Es sei aber schwierig, seinen Aufenthaltsort immer ins System einzutragen. Man laufe Gefahr, bei zwei- oder dreimaligem Vergessen gesperrt zu werden, was zum Karrieeende führen könne. "Ich würde viel lieber zum Beispiel einen GPS-Empfänger mitnehmen, der automatisch mitteilt, wo man ist", sagte Boll, der auf Nachfrage bestätigte, daß für ihn nicht der Datenschutz, sondern der große Aufwand das Problem sei.

Die Aussage des Tischtennisstars schlug hohe Wellen. "Athleten wollen wie Straftäter GPS-Fußfessel" lautete eine der verallgemeinernden Überschriften, eine andere "Datenschützer nicht völlig entsetzt". Neben sich wohlwollend äußernden Athleten mit sportlichem Tunnelblick, die "Datenschutz-Aspekte" nicht sonderlich stören, beginnen sich auch Datenschützer, die von öffentlichen Meinungsmachern bisweilen als Täterschützer gebrandmarkt werden, für den Vorschlag zu erwärmen. "Auf den ersten Blick ist GPS eine Fußfessel, wie sie bei Straftätern unter Hausarrest verwendet wird", erklärte Bettina Gayk, Sprecherin des NRW-Datenschutzbeauftragten Ulrich Lepper [4], der in Deutschland zu den eher stromlinienförmigen Experten seiner Zunft zählt. Doch ausgehend "von unserem Prinzip", so Gayk, daß so wenig Daten wie möglich preisgegeben werden sollten, hätte die Ortung den Vorteil, daß nur die kontrollierte Person aktenkundig werde. "Über das Meldesystem müssten dagegen Daten über andere Personen mitgeteilt werden, bei denen sich der Athlet zu verschiedenen Zeitpunkten befindet. GPS könnte eine Verbesserung sein."

Auch die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) will die technische Machbarkeit und die datenschutzrechtliche Zulässigkeit prüfen, wie NADA-Vorstandsmitglied Dr. Lars Mortsiefer erklärte, der übrigens über "Datenschutz im Anti-Doping-Kampf" promoviert hat, sich also bestens auskennt, mit welchen argumentativen Pirouetten man Datenschutz oder den Schutz der Privatsphäre von Athleten aushebeln kann. Daß Spanien aufgrund eines kürzlich ergangenen Urteils des Obersten Gerichtshofes seine Athleten nicht mehr Nachts während der allgemeinen Schlafenszeit (nicht nur von Sportlern, sondern auch von deren Familien und Kindern) kontrollieren darf, bezeichnete Mortsiefer bei einem kürzlichen Workshop in Bonn, wo Journalisten für den Antidopingkampf gebrieft wurden, als das "absolut falsche Signal" (in Deutschland besteht die nur selten angewandte Möglichkeit noch). Gleichzeitig gab er sich kulant und verwies auf eine notwendige "Verhältnismäßigkeit". Des weiteren plant die NADA ab 2012 die flächendeckende Einführung eines Blutpasses, um den indirekten Nachweis voranzubringen. Auch hier werden die willkürlich verdächtigten Sportprobanden wieder für wissenschaftlich und rechtlich umstrittene Kontrollexperimente des Überwachungsapparates mißbraucht - nebst widerrechtlichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit von Sportlern durch zwangsweise Blutprobenentnahmen. Datenschützer haben bereits signalisiert, daß sie diesbezüglich beide Augen zudrücken werden.

Um sicherzustellen, daß die Sportler ihr GPS nicht zu Manipulationszwecken ablegen, müßten sie praktisch wie Straftäter eine Vorrichtung tragen, die Verstöße sofort meldet. In der Bundesrepublik wurde jüngst die Einrichtung einer Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) beschlossen. Durch die länderübergreifende Zusammenarbeit soll auf effiziente Weise möglichst rasch ein flächendeckendes elektronisches Überwachungssystem aufgebaut werden, das den Aufenthaltsort entlassener Straftäter mit Hilfe von GPS jederzeit feststellt. Die Aufnahme des Echtbetriebs der GÜL, die übrigens auch von Datenschützern abgesegnet wurde, ist für Januar 2012 geplant. Das Land Hessen wurde als Zentrale der Überwachungsstelle auserkoren. Dort hatte der frühere Kultus- und Justizminister Dr. Christean Wagner (CDU) einmal den Vorschlag gemacht, Langzeitarbeitslosen "elektronische Fußfesseln" anzulegen, was belegt, daß auch andere Bevölkerungskreise in der Zielpeilung liegen.

Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit bzw. sich zuspitzender innergesellschaftlicher Krisen sein, wann nach entlassenen Straftätern und de facto jetzt schon wie Kriminelle behandelten Spitzensportlern auch andere "gefährdete", "risikobehaftete" oder sonstwie verdächtigte Bevölkerungsgruppen an die präventive Überwachungsleine genommen werden. Die Argumente, die Politiker zur Rechtfertigung der GÜL anführen, sind praktisch deckungsgleich mit denen, wie sie auch im Antidopingkampf genannt werden. Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen in NRW, Dagmar Hanses, begrüßt die GÜL mit den Worten, "dass die Betroffenen selber sagen, dass es für sie im Alltag hilfreich sein kann" [5]. Einer hätte ihr erklärt: "Mit diesem Gerät kann ich auch einmal in Ruhe einen Kaffee trinken gehen und, wenn eine Straftat begangen wird, möglicherweise auch beweisen - das ist ein interessanter Aspekt -, dass ich zu dem Zeitpunkt nicht am Ort war." Hanses findet es auch wichtig, "nicht von einer 'Fessel' zu sprechen; denn es wird niemand gefesselt, sondern es ist ein kleines elektronisches Gerät, das denen ähnelt, die wir selbst in der Tasche haben. Alle unsere Smartphones funktionieren genauso wie die Geräte zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung". [6]

Mit den Grünen, die auch die Kriminalisierung der Sportler per Antidopinggesetz anstreben, ist wirklich gut Überwachungsstaat zu machen. Man sollte sich grünes Bewußtsein auf der Zunge zergehen lassen: Menschen können froh sein, daß sie überwacht werden, weil sie dadurch (möglicherweise) ihre Unschuld beweisen können! Daß "Big Brother" immer weiß, wo man sich aufhält, wird von den Grünen nicht als staatlicher Übergriff und inakzeptabler Gewaltakt höchster Potenz, sondern als positiv-hilfreiche Beweislastumkehr aufgefaßt!

Wenn sich die unter permanente Bringschuld, Verfehlungsängste und Betrugsverdacht gesetzten Athleten also beeilen, könnten sie bald mit rückfallgefährdeten Sexual- und Gewalttätern auf eine Stufe gestellt, in präventivpolizeiliche Überwachungsprogramme integriert und mit der elektronischen Fußfessel ausgerüstet werden. Die "Fesseln zur Freiheit", wie die GPS-Apparaturen auch genannt werden, müßten dann nur noch zu Freiheitssymbolen für Chancengleichheit, Fairneß und die Werte des Sports uminterpretiert werden. Das könnten vielleicht Sportphilosophen übernehmen, die wie Vertreter der Humboldt-Universität zu Berlin bereits angeboten haben, "Schlüssel zu einer juristisch begründbaren Kontrollkultur" im Sport zu liefern [7].

Dann könnte sich auf unheimliche Weise auch die Prognose von Franz-Josef Kemper bewahrheitet haben, es werde bis 2012 GPS-Ortung für Sportler geben. Apropos: Der Befürworter der elektronischen Fußfessel ist mit der ehemaligen Leichtathletin Sylvia Schenk (SPD) verheiratet, ihres Zeichens Vorsitzende von Transparency International Deutschland. Die gelernte Juristin vertritt auch die Basketballgewerkschaft SP.IN und andere Athleteninitiativen, welche sich in der Hoffnung an sie gewandt haben, daß sie sich für ihre Interessen im Kampf gegen die Totalüberwachung der Sportler stark macht. Möglicherweise sind die Athleten damit vom Regen in die Traufe geraten, vielleicht sogar in eine Neutralisierungsfalle ihrer von den Medien kaum bis gar nicht unterstützten Anliegen gelaufen. Sollten am Ende etwa Transparency-Experten, Datenschützer und Antidopingkämpfer gemeinsame Sache bei der Suspendierung bürgerlicher Grundrechte, dem Abbau demokratischer Freiheiten und der doktrinären Zurichtung der Bevölkerung für die Erfordernisse des präventiven Überwachungsstaates machen?

Anmerkungen:

[1] Deutschlandfunk. Sportgespräch. 21.1.2007. Podiumsdiskussion zur aktuellen Doping-Problematik im Olympiamuseum in Köln.

[2] Deutschlandfunk. 21.1.2007. Telefoninterview mit Prof. Dr. Dieter Rössner, Jurist und Kriminalwissenschaftler an der Universität Marburg.

[3] Deutschlandfunk. 23.10.2011. Timo Boll im Studio-Gespräch mit Sportredakteur Moritz Küpper.

[4] doping.zdf.de. 25.10.2011. "Timo Boll fordert GPS-Überwachung". Mit Material von sid.

[5] Rede von Dagmar Hanses MdL, rechtspolitische Sprecherin, 19.10.2011
www.gruene.landtag.nrw.de/rede/staatsvertrag-ueber-die-einrichtung-einer-gemeinsamen-elektronischen-ueberwachungsstelle-der--0

[6] Antrag Landesregierung. Rede von Dagmar Hanses, 28.09.2011
www.gruene.landtag.nrw.de/rede/staatsvertrag-ueber-die-einrichtung-einer-gemeinsamen-elektronischen-ueberwachungsstelle-der-la

[7] Siehe SCHATTENBLICK > SPORT > MEINUNGEN > KOMMENTAR/108: "Translating Doping" - ein Wolf im geisteswissenschaftlichen Schafspelz

4. November 2011