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KOMMENTAR/127: "Gesichtserkennung nicht mit uns" - Karlsruher Fußballfans vereiteln wissenschaftlichen Feldversuch (SB)



Das Verhältnis zwischen Fans und ihren Idolen hat sich längst gewandelt. Waren Sporthelden früher Menschen gewesen, die zu Identifikation und Nachahmung einluden, weil sie etwas repräsentierten, was ihre Bewunderer selbst gerne hätten oder wären oder was sich mit ihrem eigenen Lebenskampf in Deckung bringen ließ, so sind es heutzutage vielfach die Fans, an denen sich die zu Kontrollsklaven degenerierten Spitzen- und ProfisportlerInnen ein Beispiel nehmen könnten. Denn während die "gläsernen" HochleistungssportlerInnen ein Wettbewerbssystem repräsentieren, das zur Gefährleistung eines nach offizieller Sprachregelung "effizienten" oder "glaubwürdigen" Antidopingkampfes die ausforschende Überwachung, Verletzung der Privat- und Intimssphäre sowie Mißachtung von Grundrechten zwingend erscheinen läßt, setzten sich Fußballfans gegen ihre Peiniger aus der sozialrepressiven Forschung und Wissenschaft erfolgreich zur Wehr. Das verdient Hochachtung - denn im Gegensatz zu den "vorbildlichen" SportlerInnen, die in zunehmendem Maße für das überwachungsstaatliche Ermächtigungsmantra "Wer nichts zu verbergen hat, läßt sich uneingeschränkt kontrollieren" Werbung machen [1], ließen sich Fußballfans nicht in "gewaltlose" und "gewaltbereite" spalten (adäquat dazu im Dopingkampf: "saubere" und "betrügerische"), sondern zeigten ihren Verdächtigern gemeinsam die Rote Karte.

So sollte anläßlich des DFB-Pokalspiels zwischen dem Fußball-Zweitligisten Karlsruher SC und Alemannia Aachen am 31. Juli eigentlich der erste von drei geplanten wissenschaftlichen Feldversuchen zur Erprobung und Entwicklung einer automatischen Gesichtserkennung beim gastgebenden KSC durchgeführt werden. Doch dank einer konzertierten Aktion engagierter Fußballanhänger konnte das Experiment noch rechtzeitig vereitelt werden. Aus Protest gegen das Vorhaben des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und des Forschungszentrums Informatik (FZI) trugen rund 2000 Zuschauer, darunter rund 400 Aachener Fans, im Wildparkstadion einen Pappteller mit zwei Augenlöchern und einem schwarzen Strich über dem Mund. Beide Fangruppen unterstrichen ihren Protest mit Plakaten, auf denen geschrieben stand: "Gesichtserkennung nicht mit uns". Der 3200 Mitglieder starke Fan-Dachverband des KSC, die Supporters Karlsruhe 1986, verurteilte nicht nur die Verletzung von Grundrechten, sondern verwies auch auf die Gefahr, "dass dies alles nur der Anfang eines groß angelegten Überwachungs-Netzwerks ist, welches es in naher Zukunft möglich machen könnte, jeden freien Menschen an jedem Ort aufzuspüren". Wie die Badische Zeitung [2] berichtete, sah auch Max Baur, ein Vertreter der Aachener Fanszene, die Verhältnismäßigkeit außer Kraft gesetzt: "Da wird jeder Fußballfan als potentieller Verbrecher verdächtigt und in Sippenhaft für einige Chaoten genommen."

Ähnlich wie im Antidopingkampf, wo Wissenschaftler und Forscher mit Rückendeckung von Medienvertretern, Funktionären, Politikern, Juristen und Kriminalisten ein die Unschuldsvermutung aufhebendes Kontroll- und Überwachungsregime etabliert haben, das sämtliche Spitzenathleten unter Generalverdacht stellt und mit schärfsten Vorbeugemaßnahmen überzieht, machten auch die Entwickler des Gesichtserkennungsverfahrens keinen Hehl aus ihren kriminalpräventiven Intentionen. Schließlich wird in offenen Gesellschaften, in denen Polizeiaufgaben und -befugnisse ohne Straftatverdacht oder konkrete Gefahr sowie Verdachtsanlässe immer weiter ins Vorfeld ganz gewöhnlicher sozialer Interaktionen verlegt werden, der Abbau von Bürgerrechten unter aller Augen praktiziert. Dies hat sich als die erfolgreichere Strategie erwiesen, da Geheimniskrämereien schneller Argwohn wecken als eine nach außen hin relativ offene Informationspolitik, die einerseits auf die Wissenschaftsgläubigkeit in der Bevölkerung setzt, andererseits wesentliche Aspekte bei der sicherheitspolitischen Indoktrination ausblendet.

Und so legte sich denn auch das Karlsruher Institut für Technologie keine Zurückhaltung auf und hoffte mit einer Öffentlichkeitsarbeit, die an den sicherheitsstaatlichen Bürgersinn appellierte und diffuse Bedrohungsgefühle und Ängste vor "gewaltbereiten Fans" zu vitalisieren suchte, offene Türen einzurennen. Ziel des Projekts "Parallele Gesichtserkennung in Videoströmen" (PaGeVi) sei, so hieß es knapp eine Woche vor dem DFB-Pokalspiel in einer Pressemitteilung des KIT [3], "die Weiterentwicklung eines Verfahrens zum Identifizieren gesuchter Personen bei Großveranstaltungen: So stellen beispielweise in Fußballstadien gewaltbereite Fans ein großes Sicherheitsproblem dar. Über eine Parallelisierung der entsprechenden Software wollen die Wissenschaftler des KIT und des Forschungszentrums Informatik (FZI) die Bildverarbeitung beschleunigen und die Erkennbarkeit verbessern. Anwendungspartner sind unter anderem der Sicherheitsdienstleister b.i.g. sowie der Karlsruher SC (KSC)". Dazu erläuterte Prof. Reiner Stiefelhagen vom Institut für Anthropomatik des KIT: "Wenn wir mit unserem Verfahren in Zukunft als gewaltbereit bekannte Fußballfans schon am Stadioneingang abfangen könnten, würde das die Stadionsicherheit deutlich erhöhen."

Zu diesem Zweck waren Kameras am Eingang für Gäste-Fans sowie am Aufgang zum Gäste-Fanbereich installiert worden, die als Testpersonen fungierende Mitarbeiter der Projektpartner, unter anderem die des b.i.g.-Sicherheitsdienstes (dessen Chef im Verwaltungsrat des KSC sitzt!), automatisch in der Menschenmasse entdecken sollten.

Nach massiven Protesten der Fußball-Fans, die zudem ein gelungenes Video bei Youtube posteten [4], für das Credomusik das Lied beisteuerte, meldete auch der Landesbeauftragte für Datenschutz in Baden-Württemberg Bedenken an. "Wir haben als Bürger das Recht, unbeobachtet zu sein", sagte Jörg Klingbeil. Das gelte auch für Fußballstadien. Mit Verweis auf das Bundesdatenschutzgesetz stellt er in Zweifel, ob die Daten ohne die Zustimmung der Betroffenen überhaupt erhoben werden dürfen.

Die Vereinsverantwortlichen um KSC-Präsident Ingo Wellenreuther gaben sich Medienberichten zufolge überrascht, daß das KIT Kameras in ihrem Stadion installiert hatte. Aufgrund der Fanproteste sah sich der Verein aber gezwungen, den Feldversuch im Stadion abzublasen. Nachdem es am 2. August zu einem klärenden Gespräch zwischen Sicherheitsdienstleistern, Vertretern des Karlsruher Polizeipräsidiums, Clubverantwortlichen sowie diversen Fan-Vertretern kam, wurde der Öffentlichkeit gegenüber erklärt, daß die Ursache des Problems in "kommunikativen Missverständnissen" zu suchen sei [5]. Wie der KSC reklamierte, seien die Tests vom Verein nie genehmigt worden.

Wenn nun versucht wird, den gesamte Vorfall als eine Art Kommunikationsdesaster darzustellen und auch von Datenschützer Jörg Klingbeil der Eindruck, daß man den Test im Wildparkstadion besser hätte vorbereiten können, mit den Worten bestätigt wird, "Man ist offenbar blauäugig an diese Sache herangegangen." [2], dann wird hier offenbar schon der nächste Bauernfängertrick eingefädelt, der über die soziale Tragweite und zivilen Gefahren der Gesichtserkennung hinwegtäuschen soll. Bezeichnenderweise haben weder die großen Medien das Thema aufgenommen noch liegen offizielle Stellungnahmen vom Deutschen Fußballbund oder Fußball Liga vor. Offensichtlich will der Sport-Medien-Komplex, der mit der neuen Überwachungskultur im Sport konform geht, keine Pferde in der ungewünschten Richtung scheu machen.

Den verantwortlichen Wissenschaftlern des KIT und seinen Partnern indes Blauäugigkeit zu attestieren, entbehrt jeder Grundlage, da die datenschutzrechtliche Problematik und gesellschaftspolitische Brisanz von biometrischen Identifikationsmethoden zum berufsständischen Standardwissen gehören. Viel plausibler ist dagegen die Annahme, daß die Wissenschaftler einfach nicht mit soviel Widerstand seitens der Fans gerechnet haben. Man glaubte, sie über die Spaltfrage "Gewalt" oder "Sicherheit" schlichtweg im Sack zu haben. Die Projektforscher unterschätzten offenbar, daß viele Fußballfans entweder durch eigene Betroffenheit oder durch erhöhte Sensibilität bereits hinlänglich Bekanntschaft mit sicherheitsstaatlicher Willkür gemacht haben. Seit langem wird in der Fanszene eine kritische Auseinandersetzung geführt zu Themen wie Ticket-Personalisierung mittels Personalausweis oder RFID-Funkchips, Nacktscanner an Stadioneingängen, Einsatz von Drohnen zur Identifizierung "gewaltbereiter" Fans, Einkesselung friedlicher Fangruppen, Stadionverbote bei bloßem Verdacht, polizeiliche Gefährder-Ansprachen, Hausbesuche, Meldeauflagen, Aufenthaltsverbote, Paßentzug oder Ausreiseverbote für Fußballfans, die in der Gewalttäterdatei Sport registriert sind, in der nachweislich auch viele unschuldige und friedliche Fans stehen und, und, und. Nicht zu vergessen: Bereits 2006 hatte das Bundeskriminalamt auf dem Mainzer Hauptbahnhof ein Pilotprojekt zur Gesichtserkennung im öffentlichen Raum durchgeführt, was belegt, daß die präventive Videofahndung die gesamte Bevölkerung betrifft. Zudem wurden 2008 Bestrebungen von INTERPOL publik, wonach sich das internationale Polizeinetzwerk für die Sammlung digitaler Gesichtsbilder und biometrischer Daten zum Abgleich mit Fahndungsdatenbanken interessiere. Erinnert sei auch daran, daß in den USA schon 2001 anläßlich des "Super Bowls" erstmals ein (technisch noch nicht ausgereiftes) Gesichtserkennungssystem im Football-Stadion zum Einsatz gekommen war, das sämtliche 75.000 Zuschauer beim Eintritt abfilmte. Nach einem Abgleich mit Fahndungsdateien soll die Polizei mehr als ein Dutzend Besucher aussortiert haben, die wegen Bagatelldelikten gesucht wurden. Ähnliches könnte auch deutschen Bürgern passieren, wenn die Gesichtserkennung erst einmal technisch erprobt und marktreif ist und (siehe die Jugendunruhen in Britannien) politischer Handlungsbedarf angemahnt wird. Schon kleinste Verfehlungen, fehlinterpretierte Handlungen im Tatumfeld, Verwechselungen oder das allgegenwärtige "Mitgehangen-Mitgefangen"-Prinzip könnten zu polizeilichen Zwangsmaßnahmen führen.

Es soll allerdings auch Fußballfans geben, die glauben, daß sie "Unschuld" vor staatlicher Ausspionierung oder Verfolgung schützt. Vielleicht haben sie vergessen oder auch nie gelernt, daß bürgerliche Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Übergriffe konzipiert wurden, was impliziert, daß der Staat auch gänzlich andere Ziele verfolgen könnte, als er zu erkennen geben möchte, insbesondere wenn massive wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Das betrifft den expandierenden Sicherheits- und Überwachungsmarkt, auf dem Deutschland eine Vorreiterposition anstrebt, im besonderen Maße. So wird das Karlsruher Gesichtserkennungs-Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 1,2 Millionen Euro gefördert und ist Teil des "KMU-innovativ-Programms". Dahinter verbirgt sich vom BMBF unterstützte "Spitzenforschung" für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in "wichtigen Zukunftsbereichen" und "des technologischen Fortschritts", die laut Prof. Dr. Annette Schavan (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung, "für Deutschlands Zukunft besonders wichtig sind". Dazu gehören u.a. "Biotechnologie", "Optische Technologien" sowie "Sicherheitsforschung" [6]. Wie das Karlsruher Nachrichtenportal ka-news [7] berichtete, sei Ziel des Gesichtserkennungs-Projektes, "dass die Projektpartner GPP communication und Videmo Intelligente Videoanalyse im Anschluss an das Projekt das Verfahren in eine marktfähige Softwarelösung umsetzen".

Doch es geht nicht nur um die Marktfähigkeit und profitable Anwendungen biometrischer "Zukunftstechnologien", sondern auch darum, der Bevölkerung überzeugend zu vermitteln, wie notwendig und sinnvoll ihre flächendeckende Einbindung in die panoptische Sicherheitsstruktur sei. Nicht von ungefähr bezeichnet die Bundesregierung den "Wissenstransfer in die Öffentlichkeit" und "die Betrachtung von gesellschaftlichen Dimensionen und Transparenz" als Voraussetzungen für den Programmerfolg der Sicherheitsforschung [8]. Mit der gleichen wissenschaftlichen Akribie und Nachhaltigkeit, wie die Forschung und Entwicklung vorangetrieben wird, muß auch die öffentliche Meinung auf Zustimmung getrimmt werden, möglichst so, daß niemandem auffällt, wie selektiv und politisch vorgefaßt das gesellschaftliche Transparenzgebot tatsächlich in Anspruch genommen wird.

Mögen die Karlsruher und Aachener Fußballfans sowie Unterstützergruppen mit ihrer Protestaktion auch einen respektablen Sieg errungen haben, die Gefahr weiterer Angriffe auf bürgerliche Freiheiten ist damit keinesfalls gebannt. Die Vertreter und Nutznießer der biometrischen Forschung und Wissenschaft werden aus ihrer "Kommunikationspanne" lernen und neue Mittel und Wege finden, wie sie den Bürgerinnen und Bürgern die Preisgabe von Grundrechten abringen können. Dazu reicht schon ein Blick auf den neuen Personalausweis. Dank Otto Schily und Co., die die Terrorhysterien im Gefolge von 9/11 nutzten, um die inneren Sicherheitsgesetze zu verschärfen, ist die Identitätskarte seit 2010 mit RFID-Chip ausgerüstet, in dem die Personaldaten und die biometrischen Daten (Lichtbild sowie freiwillig zwei Fingerabdrücke) abgespeichert sind. Dank des RFID-Chips können die Daten per Funk, ohne daß es der Paßinhaber mitbekommt, ausgelesen werden. Die elektronische Rasterung der Bilddaten gilt zudem als ein technisches Mosaiksteinchen, um auffälliges oder abweichendes Verhalten in der Bevölkerung leichter erkennungsdienstlich behandeln zu können, etwa an allen sozialen Brennpunkten, zu denen videoüberwachte Fußballstadien ebenso gehören wie politische Demonstrationen. Der nächste technologische Innovations- und sicherheitsstaatliche Anwendungsschub wird nicht lange auf sich warten lassen, denn auch in Deutschland spitzt sich der Sozialkampf zu. Das wissen mindestens alle Eltern, die zusammen mit ihren Kindern in Armut leben müssen.

Anmerkungen:

[1] Vor dem Hintergrund, daß der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF für die in Kürze in Daegu stattfindende WM teure Bluttests bei allen Teilnehmern angekündigt hat, mit denen langfristige Blutprofile erstellt werden, die dazu dienen sollen, SportlerInnen anhand von zweifelhaften Indizien des Dopings zu überführen, begrüßte Speerwerferin Christina Obergföll das verschärfte Kontrollsystem mit den Worten: "Das finde ich gut. Ich selbst habe ja nichts zu verbergen." Ähnliche Aussagen kamen in der Vergangenheit auch von anderen SportlerInnen.

[2] www.badische-zeitung.de. KSC: Streit um Gesichtserkennungs-Technik im Stadion. Von Matthias Konzok. 30.07.2011.

[3] www.schattenblick.de. INFORMATIONSTECHNOLOGIE/703: Gesichtserkennung - mehr Sicherheit im Fußballstadion (idw). Karlsruher Institut für Technologie - 25.07.2011.

[4] http://www.youtube.com/watch?v=f3Da6DI3qPo&feature=channel_video_title

[5] www.ka-news.de. KSC: Keine Gesichtserkennung im Wildpark - Missverständnis beseitigt. 02.08.2011.

[6] Siehe Flyer des BMBF "Vorfahrt für Spitzenforschung im Mittelstand". 2010.

[7] http://www.ka-news.de/nachrichten/campus/kit/ Gesichtserkennung-mehr-Sicherheit-im-Fussballstadion;art8371,675213

[8] http://www.hightech-strategie.de/de/1728.php

17. August 2011