Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/124: Handball-WM-Gastgeber Katar gerät ins Feuer des israelisch-palästinensischen Konflikts (SB)



Wenn wie Anfang Mai mehr als 1400 palästinensische LäuferInnen ihre dürftigen, nicht selten von Einschußlöchern übersäten Häuser verlassen, um erstmals im Gazastreifen einen Marathon-Wettbewerb zu veranstalten, dann mag das vielleicht im fernen Europa den Anschein erwecken, als hätten alle Beteiligten viel Grund zur Freude und Heiterkeit gehabt. Doch die Lebenswirklichkeit im Gazastreifen, dem größten Freiluftgefängnis der Welt, sieht anders aus. Für die von ärgsten Existenznöten gebeutelten Menschen stellt Sporttreiben keinesfalls eine Selbstverständlichkeit dar, sondern ist unter den eingeschränkten Verhältnissen purer Luxus und, legt man olympische Maßstäbe an, das Privileg von sehr wenigen. Wie könnte es auch anders sein, wo doch das israelische Besatzungsregime den Bewohnern von Gazastreifen und Westjordanland schärfste Restriktionen auferlegt. Die Schäden, die das wochenlange Bombardement der israelischen Streitkräfte im Rahmen der Operation "Gegossenes Blei" im Dezember 2008 im Gazastreifen verursachte, sind kaum behoben, da die Regierung in Tel Aviv Hilfsgüter nicht im erforderlichen Umfang passieren läßt und mit aller Gewalt an ihrer Blockadepolitik festhält. Berichte von offiziellen Beobachtern der UNO sowie von NGOs und des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) sprechen von verheerenden Zuständen im Gazastreifen - den Familien mangelt es praktisch an allen lebensnotwendigen Gütern, angefangen von sauberem Trinkwasser und ausreichend Nahrungsmitteln bis hin zu medizinischen Produkten und Baumaterialien. Trotz vieler nationaler und internationaler Proteste setzt Israel auch weiterhin seine Politik der Häuserzerstörung und den Siedlerkolonialismus auf Palästinensergebiet fort.

Nationale und internationale Boykotthandlungen und Protestformen, die sich sowohl gegen die Verhältnisse im Sport als auch gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse richten, die unmittelbar oder mittelbar mit dem Sport verbunden sind, kommen durchaus vor. Doch weil der organisierte Sport alle Abweichler, die sich nicht an das Demonstrationsverbot [1] bei Sportveranstaltungen halten, sowohl direkt mit Sanktionen oder Ausschluß als auch indirekt mit karrierehemmenden oder -beendenden Maßnahmen abstraft, gibt es kaum Athleten, die etwas riskieren und die Marktplätze des Sports zum sozialen oder politischen Protest nutzen. Zu groß scheint ihre Abhängigkeit von Sponsoren sowie verbandlicher und staatlicher Förderung zu sein, als daß sie den Vorgaben ihrer Gönner und Wächter zuwiderzuhandeln wagten. Auch politische Zuschauerproteste werden in der Regel sofort unterbunden. Als Anfang des Jahres bei der Handball-WM in Schweden tunesische Fans ein Transparent mit der Aufschrift "Game over Ben Ali" entrollten, das sich gegen den ins Exil geflüchteten, inzwischen gestürzten tunesischen Staatschef Zine el-Abidine Ben Ali richtete, wurde dieses von Ordnungskräften umgehend wieder entfernt.

Wo sich dennoch Widerstand regt, aber aufgrund der Gewehre des Sports nicht offen sein Haupt erheben darf, ist mitunter Erfindungsgabe gefragt. Das wird im auf den Sport übergreifenden hegemonialen Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn auf besondere Weise deutlich. Immer wieder kommt es vor, daß sich Sportler aus arabischen Ländern aus politischen Gründen weigern, gegen israelische Athleten oder Teams anzutreten, mitunter verwehren auch nationale Veranstalter israelischen SportlerInnen die Einladung. Weil etwa der Iran Israel politisch nicht anerkennt, trat ein Ringer gegen seinen israelischen Kontrahenten wegen "Magenproblemen" nicht an, ein Judoka hatte "Übergewicht", ein Fußballer eine "schwere Zerrung", oder ein Taekwondoka, wie zuletzt bei den Olympischen Jugendspielen in Singapur, "Verletzungsprobleme".

Der anhaltende Gaza-Krieg und die Drangsalierung der Palästinenser stoßen auch in Europa auf Ablehnung, ungeachtet dessen, daß die europäischen Hegemonialinteressen und die politische Deckelung des Konflikts zu Gunsten Israels eine andere Sprache sprechen. So wollte vergangenes Jahr der schwedische Fußballverband ein EM-Qualifikations-Spiel seiner U21-Auswahl in Israel "aus Abscheu über die Gewalt" während eines israelischen Militäreinsatzes absagen, wie die taz [2] berichtete. Bei der widerrechtlichen Kaperung eines Hilfsschiffs der Gaza-Flottille in internationalen Gewässern waren wenige Tage zuvor neun türkische Aktivisten von einem israelischen Kommando getötet worden. Doch die Sanktionsmechanismen der UEFA verhinderten eine Verlegung oder Absage des Spiels. Den Ausschluß aus dem Wettbewerb wollte auch der schwedische Verband nicht riskieren, er stellte seinen Spielern aber die Reise nach Israel frei.

Mitte Juni diesen Jahres sorgte ein EM-Qualifikationsspiel im Handball zwischen Schweden und Israel in Karlskrona für einiges Aufsehen. Wie die liberale israelische Zeitung Haaretz [3] berichtete, hatte das pro-palästinensische "Netzwerk für Unabhängigkeit, Frieden und Allianzfreiheit", in dem VertreterInnen verschiedener politischer Parteien Schwedens versammelt sind, anläßlich des Handballspiels ein Protestmeeting organisiert, bei dem auch zum Boykott Israels aufgerufen wurde. In einer Mitteilung machten die Veranstalter ihre Position deutlich: "In Israel wird den Palästinensern das Recht verweigert, gleichberechtigt Sport auszuüben - ebenso wie den Schwarzen in Südafrika das Recht während der Apartheid verweigert wurde. Sport und Politik sind verbunden. Das israelische Team repräsentiert den Apartheidsstaat Israel."

Von derlei Protestveranstaltungen oder Boykottaufrufen gegenüber Israel bekommt man in deutschen Medien kaum etwas mit. Wer hierzulande Kritik an der israelischen Regierung übt oder zu Boykottmaßnahmen anregt, bekommt schnell den Stempel "Antisemitismus" verpaßt, als habe man zum "Judenboykott" aufgerufen. Eine israelkritische Politisierung des Sports wird nach Kräften zu verhindern versucht. So wurde kürzlich von den deutschen Mehrheitsmedien ein weiterer "Handball-Eklat" in Schweden vollständig ignoriert. Die sportfachspezifischen Portale im Internet, die als marktkonforme Multiplikatoren des Profihandballs in Deutschland gelten, schwiegen sich ebenfalls aus. Vollkommen überraschend war bei den "European Open" in Göteborg (4. bis 8. Juli), dem weltweit größten Nachwuchsturnier im Handballsport mit jährlich fast 20.000 teilnehmenden Juniorinnen und Junioren, die Auswahl Katars in der Zwischenrunde nicht gegen die israelische Mannschaft angetreten. Die offizielle Begründung lautete, die Spieler hätten ihre Trikots vergessen. Da die traditionsreiche U-19-EM in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Handball Federation (EHF) fällt, folgte die Strafe auf dem Fuße: Die Kataris wurden nicht nur umgehend vom Turnier ausgeschlossen, sondern auch für die nächsten European Open gesperrt. Überdies wurde der katarische Verband, der keinen Einspruch einlegte, mit einer Geldstrafe in Höhe von 15.000 Euro belegt.

Über die "wahren" Hintergründe, warum das Juniorenteam von Katar nicht gegen Israel antrat, kann nur spekuliert werden, da sich offizielle Stellungnahmen aufgrund des Demonstrationsverbots im Sport und der politischen Implikationen verbieten. Ob die Jugendlichen auf eigene Faust gehandelt haben, etwa aus Protest gegen die israelische Besatzungspolitik in Palästina oder aus Solidarität mit der zeitnahen internationalen Kampagne "Willkommen in Palästina", die vom israelischen Sicherheitsstaat unter Hooligan-Verdacht gestellt wurde, bleibt ebenso unklar wie die Frage, ob die Aktion der Handballer auf der Funktionärsebene abgesegnet war.

Der Eklat birgt nicht wenig sportpolitischen Sprengstoff, denn das Emirat Katar gilt eigentlich als sicherer Kantonist westlicher und US-amerikanischer Machtpolitik im Mittleren Osten und damit auch israelischer Interessen. So beteiligt sich Katar am Krieg von NATO und USA gegen Libyen und wickelt einen Gutteil der Geschäfte um das Erdöl ab, das libysche Milizen mit Feuerschutz der NATO-Bomber erbeutet haben und nun für Waffenkäufe flüssig machen wollen. Seine ausländischen Schutzmächte hält sich der steinreiche Golfstaat, der über sprudelnde Erdöl- und Erdgasquellen verfügt, nicht nur mit großzügigen Milliarden-Aufträgen aus der Industrie gewogen, sondern auch mit Brot und Spielen. Etwa 20 internationale Sportveranstaltungen stehen in Katar allein 2011 auf dem Plan. Nachdem die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 an den persischen Golf vergeben wurde, bekam auch die Handball-WM 2015 den Zuschlag. Die Bewerbung um die Leichtathletik-WM 2017 laufe ebenfalls vielversprechend, heißt es.

Um zur international geachteten Sportgroßmacht aufzusteigen, kann es sich das Scheichtum kaum leisten, nicht mit den Wölfen westlicher Suprematie zu heulen. Selbst wenn es in dem kleinen Wüstenland, dessen Bevölkerung zu rund 80 Prozent aus Ausländern besteht und zur Hälfte jünger als 30 Jahre ist, mehrheitlich israelkritische Stimmen gibt, so werden sich diese in der autoritären Monarchie kaum angemessen artikulieren können. Schon fragte Christer Ahl, ehemaliger Schiedsrichterchef der Internationalen Handball Federation (IHF), in der englischsprachigen Handballpresse, ob die Kataris nach diesem Vorfall in Schweden Gastgeber der Handball-WM 2015 bleiben könnten. Der gebürtige Schwede mit US-Paß, der 1974 in die Staaten auswanderte und dort u.a. als Personaldirektor für den Internationalen Währungsfonds arbeitete, gab sich selbst die Antwort: "Meiner Meinung nach gehören sie nach dem, was in Göteborg passiert ist, als Gastgeber der Weltmeisterschaften disqualifiziert!" [4]

Die Profitinteressen in Sport und Wirtschaft sowie der Sanktionsdruck durch die Sportverbände werden sicherlich dazu führen, daß das Herrscherhaus seinen Sportfunktionären und Athleten kräftig einbleuen wird, künftig keine provokativen Handlungen mehr zu begehen, die Sportstrafen nach sich ziehen oder israelkritische Proteste und Konterproteste aufrühren könnten. Katar wird sich als politisch neutraler und verläßlicher Veranstalter von internationalen Sportevents präsentieren wollen. Dies um so mehr vor dem Hintergrund, als die Bewerbung Katars für die Fußball-WM 2022 unter Korruptionsverdacht steht und die private Sicherheitsfirma des früheren FBI-Direktors Louis Freeh im Auftrag der FIFA Ermittlungen führt. Auch hier Gefälligkeitsaufklärung, etwa zu Gunsten der USA, die damals im Finale mit 8:14 Stimmen der katarischen Bewerbung unterlegen waren? Die höchst umstrittene Ethik-Kommission der FIFA verhängte unterdessen eine lebenslange Sperre gegen Topfunktionär Mohamed Bin Hammam. Der Katarer, der sich einen erbitterten Kampf um den FIFA-Thron mit Joseph Blatter geliefert hatte, wurde wegen Bestechung von allen Fußball-Aktivitäten ausgeschlossen, auch in der eigenen Heimat. Er will das Urteil juristisch anfechten.

Wer als Athlet dennoch Zeichen des politischen Protestes gegen Rassismus und Unterdrückung setzen will, muß sich warm anziehen. Als bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko die US-amerikanischen Athleten John Carlos und Tommie Smith bei der Siegerehrung zum Protest gegen die Rassendiskriminierung in den USA in schwarzen Socken aufs Podest stiegen und ihre schwarzbehandschuhten Fäuste in den Himmel hoben, wurden beide Sprinter mit sofortiger Wirkung von den laufenden Wettkämpfen ausgeschlossen und aufgefordert, das olympische Dorf zu verlassen. Ihren mutigen Protest bezahlten die schwarzen Athleten nicht nur mit Anfeindungen im eigenen Land, sondern ebenso mit wirtschaftlicher Verarmung. Den Suizid seiner Frau im Jahre 1977 führte Carlos, der sich nach seinem sportlichen Karriereende mühselig als Gärtner und Hausmeister durchschlug, auch auf die ökonomischen Folgen der Aktion im Olympiastadion von Mexiko-Stadt zurück. Erst Jahrzehnte später, als es den herrschenden Eliten in den USA nichts mehr ausmachte, wurden beide Sportler rehabilitiert. Mit was hätten SportlerInnen, die offen ihren Protest gegen die Palästinenserunterdrückung kundtun wollten, zu rechnen?

Anmerkungen:

[1] Der olympische Sport untersagt in seinen Sportstätten oder auf seinen Arealen "jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassistische Propaganda" (Olympische Charta, Art. 51.3).

[2] www.taz.de. Schwedens Fußballverband gegen Israel. 03.06.2010.

[3] www.haaretz.com. Sweden-Israel handball game sparks anti-Israel protests. 13.06.2011.

[4] teamhandballnews.com. "Is this behavior acceptable for a World Championship organizer?" Von Christer Ahl, 13.07.2011.

27. Juli 2011