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KOMMENTAR/120: Muslima und Jüdinnen unerwünscht - Kleiderregeln der Verbände verhindern "Sport für alle" (SB)



Der Sport rühmt sich gerne seiner "integrativen Kraft" und daß er Brücken zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Kultur, Religion oder sexueller Ortientierung bauen könne. Zahlreiche Initiativen, Kampagnen, Projekte und Stiftungen, auch anläßlich der in Kürze beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Deutschland, sprechen sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aus. Allenthalben ist zu hören, wie wichtig der Sport für eine "weltoffene" und "tolerante" Gesellschaft sei und daß er allen zugänglich gemacht werden müsse. Die zuständigen Minister der europäischen Länder verabschiedeten bereits 1975 eine Europäische Charta "Sport für alle", die sich zum Ziel gesetzt hat, Bedingungen zu schaffen, welche es der gesamten Bevölkerung ermöglichen, regelmäßig Sport zu treiben, und zwar ohne "Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religionszugehörigkeit, der politischen oder anderen Ansichten, der nationalen oder gesellschaftlichen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Besitzes, der Geburt oder des sonstigen Status" (Art. 4). Insbesondere benachteiligten Personen oder Gruppen soll der Zugang zum Sport erleichtert werden. Ähnliches ist auch in der Olympischen Charta niedergeschrieben. Die Ausübung des Sports wird dort sogar als "Menschenrecht" bezeichnet.

Doch wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, zeigt die Diskriminierung und Ausgrenzung von Sportlerinnen, die aus religiösen Gründen nicht mit den Kleiderregeln der Sportorganisationen und -verbände konform gehen. So durfte die iranische Fußball-Nationalmannschaft der Frauen, die am 3. Juni an einem Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele 2012 in London teilnehmen wollte, wegen ihrer Kleidung nicht gegen Gastgeber Jordanien antreten. Weil sich die Spielerinnen weigerten, ohne lange Anzüge und die traditionelle Kopfbedeckung "Hijab", wie sie aufgrund ihrer Religion vorgeschrieben sind, aufzulaufen, sagten FIFA-Offizielle die Partie ab und werteten sie 3:0 für Jordanien. Anschließend sollen die am Boden zerstörten iranischen Spielerinnen beim Abspielen der Nationalhymne weinend auf dem Rasen gesessen und gebetet haben, wie hiesige Medien nicht ohne Pathos berichteten. Auch die weiteren Turnierspiele gegen Vietnam, Thailand und Usbekistan wurden jeweils 0:3 gegen Iran gewertet.

Die FIFA, die den Hals und Ohren bedeckenden Hijab-Schal vor vier Jahren als Spielbekleidung verboten hatte, verteidigte den Ausschluß der Iranerinnen als "zu Recht" und führt "Sicherheitsgründe" an. Angeblich würde sich durch das Tragen der Ganzkörper-Outfits die Verletzungsgefahr bei den Gegnerinnen erhöhen. Mit diesem vordergründigen Argument versucht der Sportverband den Anschein zu erwecken, als würde er nicht politisch konnotierten Vorgaben und Ressentiments folgen, die sich gegen religöse Überzeugungen richten. Natürlich wäre es der FIFA und anderen Sportverbänden ein Leichtes, die Kleiderregeln so auszulegen oder zu modifizieren, daß tatsächlich "Sport für alle" möglich wäre, also auch für Sportlerinnen, deren Glauben das Tragen einer bestimmten Garderobe gebietet.

Daß sich die Kleiderregeln der Sportdachverbände keineswegs nur gegen Sportlerinnen muslimischen Glaubens richten, bezeugt der Fall der israelischen Basketballspielerin Naama Shafir. Der orthodoxen Jüdin wurde kürzlich die Teilnahme an den Europameisterschaften (18. Juni bis 3. Juli in Polen) verwehrt, weil sie aufgrund ihrer religiösen Überzeugung darauf bestand, unter ihrem Trikot ein T-Shirt zu tragen, das ihre Schultern bedeckt. Dies untersagte ihr jedoch der in München ansässige europäische Baskeball-Verband FIBA mit Verweis auf die Regeln, wonach alle Teammitglieder im selben Outfit auflaufen müssen. Die 21jährige Aufbauspielerin wies laut Medienberichten in einer Mitteilung des israelischen Verbandes darauf hin, daß dies an ihrem amerikanischen College nie für Probleme gesorgt habe. "Ich finde es schwierig zu verstehen, warum sie sich in Europa nicht so wie in den USA verhalten können", sagte sie. Eine Beschwerde des israelischen Verbandes wurde von einem FIBA-Ausschuß aus technischen Gründen zurückgewiesen, weil die Frist dafür abgelaufen sei. Der Nationaldirektor der in New York ansässigen Anti-Defamation League (ADL), Abraham Foxman, kritisierte indessen das Verhalten der FIBA mit den Worten: "Der Unwille, religiöse Werte zu berücksichtigen, ist sicher unsensibel und kommt fast einem Vorurteil gleich."

Wer sich das politische Geschäft anschaut, kommt schnell dahinter, daß doppelte Standards bei der Auslegung kultureller Normen und Werte nicht ungewöhnlich sind und der Kampf gegen religiöse Diskriminierungen keineswegs unabhängig von der Herkunft der Athletinnen geführt wird. So kämen in westeuropäischen Ländern wohl nur die wenigsten auf die Idee, das T-Shirt der jüdisch-orthodoxen Basketballerin, das ihre nackten Schultern bedecken soll, als "Symbol der Unterdrückung von Frauen" zu geißeln. Ähnliche Vorwürfe werden in der Regel auch nicht gegenüber religiösen jüdischen Frauen erhoben, die Hüte, Kopftücher oder den traditionellen "Scheitel", wie Perücken auf jiddisch genannt werden, tragen, um damit dem Gebot ihrer Religion nachzukommen, ihren Kopf zu bedecken, sobald sie verheiratet sind. Im Gegensatz dazu wird jedoch der von der FIFA untersagte Ganzkörper-Outfit der Iranerinnen - ähnlich wie das Kopftuch oder der Schleier muslimischer Frauen - von zahlreichen westeuropäischen Politikern/innen und Frauenrechtlerinnen als Ausdruck religiöser Unterdrückung, männlicher Bevormundung oder Frauenapartheid angeprangert. So berechtigt Kritik an reaktionären religiösen Systemen, die sich gleich welchen Kulturraums gegen emanzipatorische Bewegungen richten, auch sein mag, vielfach ist sie inzwischen zu reinen Klischeeformeln verkommen, die Muslima zu unterdrückten, ungebildeten oder unterwürfigen Kopftuchmädchen degradieren, denen jedwede Selbstbestimmung im Rahmen religiöser Orientierung, etwa das Tragen eines Schleiers aus eigener Überzeugung, abgesprochen wird.

Fast regelmäßig wird insbesondere der islamischen Sportwelt zum Vorwurf gemacht, daß sie meist nur reine Männermannschaften zu den Olympischen Spielen schickt. Dies war bei den vergangenen Sommerspielen in China für die Mannschaften aus Brunei, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten der Fall. In diesen Ländern werde Frauensport entweder grundsätzlich verboten oder die Frauen müßten sich an Kleidervorschriften halten, die den Sport fast unmöglich machten, lautet der Bezichtigungsbogen, wie er vornehmlich an die islamischen Sitten- und Religionswächter adressiert ist. Ebenso wird der Umstand beklagt, daß noch nie eine Frauen-Mannschaft aus der arabischen Welt an einer Fußball-Weltmeisterschaft teilgenommen hat. Daß dies jedoch (auch) die strengen Kleidernormen des Sports und die dahinterstehenden politischen Interessen verhindern, gehört in westeuropäischen Gesellschaften, die sich zunehmend islamfeindlicher gerieren, nicht gerade zu den verbreiteten Überzeugungen.

Statt dessen bricht sich immer unverhohlener ein antiislamischer Rassismus Bahn, der zwischen rechten Integrationsdebatten und linksangehauchtem Feminismus à la "Bild"-Gerichtsreporterin Alice Schwarzer changiert. Das lassen nicht nur die verächtlichen Reden eines Thilo Sarrazin (SPD) erahnen, der vor zwei Jahren behauptet hatte, Türken und Araber hätten "keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel". Auch die Kopftuchverbote für Muslima an Schulen und Hochschulen in verschiedenen Bundesländern Deutschlands, die von vielen Frauenrechtlerinnen begrüßt werden, zeugen von einer grassierenden Islamophobie, die in mehreren europäischen Ländern mit erstarkenden rechtspopulistischen Parteien immer rigidere Formen strafrechtlicher Erzwingungspraktiken annimmt. So hat Frankreich als erstes Land in Europa Mitte April ein als Vermummungsverbot formuliertes Gesetz in Kraft gesetzt, das komplett verschleierte Frauen aus dem öffentlichen Leben verbannt und Verstöße mit Geldstrafen ahndet. Als zweites EU-Land folgte Belgien. Andere europäische Länder wie die Niederlande oder Spanien könnten ebenfalls folgen.

Nicht nur von Staats wegen wird versucht, eine spezifische Norm weiblicher Sichtbarkeit durchzusetzen, deren Janusköpfigkeit sich in modernen westlichen Kulturen in der sexualisierten medialen Darstellung und Vermarktung von Frauenkörpern manifestiert mit einer deutlichen Tendenz zum "Sporno" (Kombination aus Sport und Porno). Das zeigen die männlich dominierten Sportautokratien auf exemplarische Weise. So hatte der Fußballweltverband nach monatelangen Verhandlungen die Mädchenmannschaft des Iran von den Olympischen Jugendspielen 2010 ausgeschlossen, weil die Sportführung des Landes auf der traditionellen Verhüllung bestand. Schließlich lenkten die Iraner jedoch ein und erlaubten, daß die Spielerinnen mit einer Kappe statt des Hijab-Schals auflaufen konnten. Stolz verkündete FIFA-Boß Joseph Blatter anschließend, dies sei "ein großer Schritt für den Frauenfußball". Der gleiche Mann hatte Jahre zuvor knappere Hosen und Trikots für Frauen gefordert, ähnlich wie im Beachvolleyball, wo Bikini-Höschen lediglich eine Breite von sieben Zentimetern haben dürfen. Ziel sei, so versuchte Blatter möglichst unverfänglich zu klingen, eine "weiblichere Ästhetik" zu kreieren. Eine stärkere Betonung weiblicher Reize regte wenig später auch der damalige UEFA-Präsident Lennart Johannsson an. Schweißnasse und gut aussehende Frauen würden nach Meinung des Schweden das Interesse am Frauenfußball steigern: "Es gibt Unternehmen, die ein bezauberndes, Ball spielendes Mädchen gut verwerten können", sagte der 75jährige damals. "Die Frauen müssen akzeptieren, daß sie das Geld, das sie verdienen wollen, nur bei ausreichendem Zuschauer- und Sponsorenzuspruch kassieren können." [1]

Die Unterwerfung des Körpers unter das Diktat des gesellschaftlichen Leistungsvergleichs, seine den industriellen und militärischen Erfordernissen angepaßte Zurichtung sowie seine marktgerechte Verwertbarkeit gilt sicherlich für weibliche und männliche Athleten, insbesondere im Spitzen- und Profisport, gleichermaßen. Legt man in verkürzter Sportkritik die Meßlatte beim Geschlechterdualismus an, so springt buchstäblich die Unterwerfung der Frau unter das männliche Patronat ins Auge.

"Seit Mitte der 1980er Jahre lässt sich medienübergreifend verstärkt die visuelle Repräsentationsstrategie der Sexualisierung in der Sportberichterstattung beobachten", schreiben die WissenschaftlerInnen Daniela Schaaf und Jörg-Uwe Nieland vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Der Trend zur medialen Sexualisierung des Sportlerinnenkörpers sei jedoch kein neues Phänomen. "Internationale Studien im Längsschnittsdesign zeigen, dass Athletinnen auch im Zeitverlauf kontinuierlich häufiger in erotischen Kontexten inszeniert werden und die Motive teilweise sogar Ähnlichkeiten mit Softpornos aufweisen." [2]

Die Dressur des Frauenkörpers zum Gefallen des Mannes wird in ihrer Gänze kaum thematisiert, weil sie längst Normalität ist. Sich selbst (permanent) im Spiegel des männlichen Blicks zu sehen, haben viele Frauen nicht nur akzeptiert, sondern so sehr verinnerlicht, daß sie es sogar als Ausdruck ihrer persönlichen Freiheit empfinden, sich dem Manne als sportlich (männlich, durchsetzungsfähig) und sexuell (weiblich, schön) attraktives Reizobjekt präsentieren zu können. Pünktlich vor der Fußball-WM in Deutschland zogen sich jüngst mehrere Bundesligaspielerinnen für den Playboy aus, um "das Mannweiber-Klischee" von der "unattraktiven Fußballerin" zu widerlegen, wie sie dem Herrenmagazin offenbarten. Schließlich spielten "immer mehr süße, hübsche Mädels, die auch shoppen gehen und Wert auf ihr Äußeres legen".

Die Werbeaktion der "halbnackten Mädels", die im Internet große Verbreitung fand, wurde von den maßgeblichen FunktionärInnen des Frauenfußballs nach dem Motto "jeder nach seiner Facon" kaum oder gar nicht kritisiert. Man/frau geben sich "tolerant" und "offen für alles". Wenn jedoch Musliminnen Kopftücher, Schleier oder Burkinis (stoffreiche Badeanzüge) tragen und ausdrücklich keine Nacktparaden veranstalten wollen, stößt die bürgerliche Toleranz in unserem Kulturkreis schnell an ihre Grenzen. Das Befolgen religiös oder kulturell induzierter Kleidervorschriften wird muslimischen, jüdischen oder schwarzafrikanischen MitbürgerInnen nicht nur zunehmend häufiger mit übelsten Beschimpfungen im Alltag vergolten, sondern auch mit der Ausgrenzung aus dem Wettkampfbetrieb sowie der Verbannung aus den öffentlichen Räumen. "Sport für alle", ob nun mit spärlichster oder mit weitgehender Verhüllung betrieben, soll es eben nicht geben. Dabei böte gerade die Verschiedenartigkeit der SportlerInnen bezüglich ihrer Kulturtechniken, Gebräuche und Wertvorstellungen eine der wenigen noch verbliebenen Reibungsflächen für emanzipatorische Fragen im kommerziellen Sportbetrieb.

Anmerkungen:

[1] http://www.n-tv.de/sport/Scharfer-Frauen-Fussball-article152539.html

[2] www.das-parlament.de/2011/16-19/Beilage/index.html. Nr. 16/18.04.2011. "Medienpräsenz von Sportlerinnen - Emanzipation oder Sexualisierung?"

20. Juni 2011