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KOMMENTAR/116: Jordanischer Investor will "Arbeiterverein" 1860 München retten (SB)



Es klingt wie ein Märchen aus 1001 Nacht. "Arabischer Ölscheich will 1860 München retten", lautet die hoffnungsfrohe Schlagzeile, wie sie so oder ähnlich seit Wochen durch die Gazetten geistert. Medienberichten zufolge will der jordanische Geschäftsmann Hasan Abdullah Ismaik in den finanziell schwer angeschlagenen Fußball-Zweitligisten 1860 München investieren, um ihn vor dem Gang in die Insolvenz zu bewahren. Käme der Deal zustande, wäre es das erste Investment aus dem arabischen Raum im deutschen Profifußball. Kolportiert wird eine Summe von etwa 33 Millionen Euro bis 2014.

Aufgrund der in der Deutschen Fußball-Liga (DFL) gültigen 50+1-Regel, wonach es Kapitalanlegern nicht gestattet ist, die Stimmenmehrheit von in Kapitalgesellschaften umgewandelten Fußballklubs zu übernehmen, darf der Multimillionär maximal 49 Prozent der Vereinsanteile aufkaufen. Ginge es indessen nach dem Präsidenten von Hannover 96, Martin Kind, der die 50+1-Regelung mit Verweis auf eine größere Wettbewerbsfähigkeit deutscher Klubs im europäischen Vergleich per Gerichtsentscheid zu Fall bringen will, würde der Fußball-Kapitalismus in Deutschland eines seiner letzten Feigenblätter verlieren. Wie in England und anderen europäischen Ländern, wo russische Oligarchen, arabische Scheichs oder US-Finanzinvestoren Gelder in die Ligen pumpen, könnten dann einzelne Superreiche die Vereine komplett übernehmen und den über die Kapitalmacht geregelten sogenannten sportlichen Wettbewerb ("Geld schießt Tore") direkt und nicht über Mittelsmänner bestimmen. Medienberichten zufolge plant Kind, selbst Chef eines großen Hörgeräte-Unternehmens, den Weg bis vor den Europäischen Gerichtshof, falls ihm das sogenannte Ständige Schiedsgericht des DFB, bei dem sein Anliegen anhängig ist, nicht Recht gibt. Aufgrund der die marktwirtschaftliche Ordnung schützenden Rechtsprechung der EU (siehe u.a. Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft) bestehen gute Chancen, daß die Fußball-GmbHs für Großinvestoren geöffnet werden. Die durch die Ökonomisierung des Sports bereits wirksam unterminierte Unterscheidung zwischen "Sport und Tradition" (Vereine), die zu bewahren und zu schützen sich die Funktionseliten des Profifußballs angeblich befleißigen, und "fußballfremden Interessen" (Investoren), würde sich mit diesem Schritt noch stärker zu Gunsten der Kapital- und Profitinteressen auflösen, sofern man hier überhaupt noch eine Steigerung anzunehmen gewillt ist.

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung [1] bezeichnet Hasan Abdullah Ismaik seine Investition als "nicht enorm groß für mich", zumal er seinen Einstieg davon abhängig macht, daß die Gläubiger des Vereins, bei denen die Blau-Weißen insgesamt mit Altschulden in Höhe von rund 14 Millionen Euro in der Kreide stehen, einen Teilverzicht von etwa 60 Prozent der Summe zustimmen. Zudem knüpft er sein Engagement an die Bedingung, daß er die Mehrheit der Vereinanteile bekommt, falls die 50+1-Regel kippen sollte, sowie maximalen Einfluß im Aufsichtsrat.

Wie jeder Investor, gleich welcher Bonität und Herkunft, beherrscht auch der jordanische Geschäftsmann den Szenejargon, der handfeste Wirtschaftsinteressen hinter sportlichen Gemeinplätzen zu verbergen vermag. Hasan Abdullah Ismaik, der sein Geld mit Immobilien gemacht hat, "bei seinen Geschäften vom Öl-Reichtum am Persischen Golf profitiert und gute Kontakte zur Herrscherfamilie des Emirats Abu Dhabi unterhalten soll", wie SZ-online (31.03.11) schrieb, stellt mit Millionenofferten nicht nur die wirtschaftliche Rettung, sondern ebenso den Wiederaufstieg in die Eliteklasse sowie mittelfristig einen Stadionneubau in Aussicht. Auch möchte er den Klub gerne global vermarkten. Im erwähnten SZ-Interview läßt er kaum eines der vertrauten Schlagwörter aus, die unternehmerisches Herzblut für den Verein signalisieren sollen. So bittet er die Fans, die nicht so oft ins Stadion kommen, um Unterstützung - 1860 müsse wieder eine "Familie" werden. Lobend hebt er die "Jugendarbeit" des Vereins hervor. Zudem bezeichnet er Fußball als eine seiner "Leidenschaften". Vieles müsse aber "professioneller" gemacht werden. 1860 habe "viel Spielraum nach oben". Er glaube, zusammen mit dem Verein könne er "Großes erreichen".

Fehlt da noch ein Schlagwort? Ach ja, "Tradition". Vermutlich haben Ismaik oder seine Berater der hiesigen Sportberichterstattung entnommen, daß 1860 München "kein Schampusverein, sondern ein ehrlicher Arbeiterverein" sei, wie Geschäftsführer Robert Schäfer Ende vergangenen Jahres sagte, nachdem er wegen finanzieller Defizite allen Angestellten und Spielern das Gehalt um zehn Prozent kürzen mußte. Folgerichtig erklärte auch Ismaik im SZ-Interview, daß er sich in den letzten Monaten mehrere Klubs in Italien oder England angeschaut habe, ihn 1860 "emotional" aber gleich ganz anders bewegt habe: "Mir gefällt sehr, dass 1860 ein Arbeiterverein ist. Ich arbeite, seit ich 16 bin, auch hart und habe mich hochgearbeitet. Ich fühle mich mehr zu dieser Schicht zugehörig."

Zweifellos wird der Multimillionär, der laut SZ-Informationen (05.04.11) "offenkundig florierende Geschäfte bei Bauträgern, Öl-Firmen und Beteiligungsgeschäften in Abu Dhabi, Riyad, Dubai, New York, London, Amman und Damaskus" betreibt und "hauptsächlich zwischen diesen Orten, wo er Wohnsitze unterhält", pendelt, bei der Mehrung seiner Reichtümer tüchtig die Ärmel hochgekrempelt haben. Zwar erwähnt die SZ, daß Ismaik sein Vermögen hauptsächlich mit Immobilien während des Booms im Nahen Osten 2006 und 2007 gemacht hat, doch die näheren Umstände der Reichtumsverteilung von unten nach oben bleibt sie dem interessierten Leser schuldig. Daß die "Freiheit des Kapitals" nicht gleichbedeutend mit der Befreiung des Menschen von Unterdrückung und Armut ist, mußten die Bevölkerungen des Nahen und Mittleren Ostens bereits leidvoll erfahren, die sich immer häufiger gegen ihre despotischen Herrscherfamilien erheben, welche im besten Einvernehmen mit den westlichen Dompteuren neoliberaler Wirtschaftspolitik standen und stehen. Das gilt insbesondere für Jordanien, das unter König Abdullah II. eine intensive Phase der Wirtschaftsliberalisierung erlebte, die es anschlußfähig für das kapitalistische Weltsystem machte mit der Folge, daß heute in weiten Teilen der Bevölkerung große Armut und Arbeitslosigkeit herrscht, während die kleine Oberschicht märchenhafte Reichtümer anhäufen konnte.

Ismaiks Hauptwohnsitz liegt in Abu Dhabi, zugleich Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Der Bauboom in den VAE gründet wesentlich auf der Ausbeutung von schlechtbezahlten Arbeitsmigranten, die rund 85 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Rechte der im niedrigentlohnten Bausektor arbeitenden sogenannten Nicht-Emiratis, die auf zeitlich beschränkte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen angewiesen sind, welche als Druckmittel gegen sie verwendet werden können, waren während des Baubooms kaum geschützt, heute sind sie es ein wenig besser. Aufgrund der klimatischen Verhältnisse sind die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter und Hilfskräfte im Hochhausbau, die meist in armseligen Containersiedlungen hausen, extrem - kein Vergleich zu den Arbeitsräumen, in denen sich Hasan Abdullah Ismaik aufhalten dürfte, der zur reichen Schicht der Einheimischen gehört, die vom monarchischen Wohlfahrtsstaat über alle Maßen privilegiert werden, um ihre Loyalität zum Herrscherhaus sicherzustellen. Gewerkschaften gibt es in den VAE nicht, Streiks sind ebenso verboten wie Parteien, die Medien sind zudem (selbst)zensiert. Die Arbeitsmigranten sind kaum oder gar nicht am gesellschaftlichen Reichtum beteiligt, dafür fließt der größte Teil des Gesamthaushalts, insgesamt rund 40 Prozent, ins Militär. Das stützt die Ausbeutungsordnung nach innen und die Stellung der VAE nach außen, denn die Emirate gelten den westlichen Aliierten, insbesondere den USA, als wichtige Garanten zur Durchsetzung eigener Hegemonialinteressen am Persischen Golf.

Doch man sollte nicht den Stab über durch Petrodollar reich gewordene Investoren aus dem Morgenland brechen, wenn die gesellschaftlichen Eliten im Musterland des Neoliberalismus nicht anders handeln - und zwar, und das ist das wirklich Erschreckende, trotz Gewerkschaften, Bürgerrechten sowie "freier" Wahlen und Medien. Die neoliberale Roßkur, die Deutschland, beginnend mit Rot-Grün und fortgeführt unter Schwarz-Gelb, verpaßt wurde, hat die Berliner Republik in ein Land mit im internationalen Vergleich extrem ausgebauten Niedriglohnsektor (Ein-Euro-Jobs, Teilzeitarbeit, Leiharbeit) verwandelt. Rigoroses Sozial- und Lohndumping hat dazu geführt, daß sich immer mehr Menschen am Existenzminimum bewegen. Und das nicht nur am unteren Rand der Gesellschaft, sondern auch in der Mitte die sogenannten Working Poors. Dessen ungeachtet meldete sich kürzlich Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt zu Wort und warnte gegenüber der Zeitung "Rheinpfalz am Sonntag" (30.04.11) davor, auf flexible Beschäftigungsformen wie Minijobs zu verzichten. Sie seien ein Jobmotor und dürften nicht als "prekäre Arbeit" diffamiert werden. Zeitarbeit, befristete Beschäftigung und andere flexible Modelle sicherten der Wirtschaft die notwendige Beweglichkeit im globalen Wettbewerb.

Es ist nicht bekannt, wieviel prekär Beschäftigte oder Hartz-IV-Bezieher sich eine Eintrittskarte für Spiele des "Arbeitervereins" 1860 München leisten können, dessen Stammkundschaft zu einem Großteil aus dem Giesinger Arbeiterviertel im Südwesten der Stadt kommt. Würden sich die Fans allerdings der Arbeiter- und Arbeitersportbewegung in Deutschland vor dem 2. Weltkrieg erinnern, die sich - wie unzureichend und, geschichtlich gesehen, wirkungslos auch immer - gegen den kapitalistischen Leistungsethos (Wettkampf um jeden Preis, Konkurrenzdenken, Rekordsucht, Siegerverherrlichung etc.) zur Wehr setzte, dann hätten sie auch weniger Probleme damit, wenn ihr Verein Investoren gleich welcher Provenienz die Tür weist und in die bayerische Amateurliga absteigt. Solange die Fans sich aber noch mit den im Spitzen- und Profisport allgegenwärtigen Leistungsimperativen identifizieren, die sportlichen oder sozialen Erfolg daran festmachen, ob einzelne Athleten oder eine Mannschaft im Äpfel und Birnen zusammenzählenden Ranking oben stehen, bleiben nicht zuletzt sie selbst ein aus den gleichen Denkvoraussetzungen resultierender Vergleichswert im gesamtgesellschaftlichen Konkurrenzsystem, das sie immer brutaler über den Leisten sozialdarwinistischer Auslese schlägt.

In der Aussage von Arbeitgeberchef Dieter Hundt, zugleich langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender des Bundesligisten VfB Stuttgart, Minijobs dürften nicht als "prekäre Arbeit" diffamiert werden, zeigt sich deutlich der Versuch, Kritik an den unwürdigen Verhältnissen bereits im Keim zu ersticken und zum böswilligen Akt der Diffamierung umzuwidmen. Hier wie im Sport ist die größte Sorge der in den Chefetagen der Verbände, Vereine und Gremien prominent vertretenen Politiker und Wirtschaftslobbyisten, daß der Protest der Straße in eine Revolte gegen das System der "freien Marktwirtschaft" umschlagen könnte. Laut Hundt dürften Projekte wie Stuttgart 21 nicht gekippt werden, weil dies "eine Gefährdung unserer repräsentativen Demokratie" bedeute und Auswirkungen auf die Reputation Deutschlands "als rechtssicherer und verlässlicher Wirtschafts- und Investitionsstandort" (FAZ, 28.09.10) habe. Kritiker des teuren Luxusprojektes wurden in den Medien bereits als "Wutbürger" diskreditiert. In Anlehnung daran werden neuerdings auch Fußballfans, die mehr Demokratie und Mitbestimmung in den Vereinen fordern, sich gegen die hemmungslose Kommerzialisierung des Sports wehren oder mit Bannern und Sprechchören, bisweilen sehr drastisch, ihren Unmut gegen die Entscheidungen der Vereinsverantwortlichen kundtun, als "Wutfans" etikettiert.

Damit wird ihr Protest auf die Ebene emotionaler Empörung abgeschoben. Die Sorge um den Ausverkauf der Seele des Arbeitersportvereins München 1860 kommentierte Hasan Ismaik in einem Interview mit der SZ [2] so: "Der Verein verkauft seine Seele nicht! Sondern er bekommt eine gesunde und starke Seele." So dehnbar sind Begriffe - über die Deutung bestimmt, wer die Macht hat - oder das Geld.

Anmerkungen:

[1] www.sueddeutsche.de. Hasan Ismaik: "Mich reizt das ganze Paket". 12.04.2011. Interview: A. Burkert und G. Kleffmann

[2] www.sueddeutsche.de. Hasan Ismaik: "1860 verkauft seine Seele nicht!". 26.04.2011. Interview: Andreas Burkert

10. Mai 2011