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KOMMENTAR/113: Kommerzielle Sportwetten - neue Begründungsfigur bei der Gefahrenabwehr (SB)



Einen kleinen Vorgeschmack, welche Auswirkungen staatlich begünstigte wie reglementierte Sportwettleidenschaft haben kann, bekamen ALG-II-Bezieher kürzlich zu spüren, nachdem das Landgericht Köln der Lottogesellschaft WestLotto per einstweiliger Verfügung untersagt hatte, insbesondere Hartz-IV-Empfängern die Teilnahme an öffentlichen Glücksspielen zu ermöglichen. Beantragt worden war die Verfügung von Tipico, einem privaten Sportwetten-Anbieter mit Geschäftssitz auf Malta. Das Unternehmen hatte WestLotto vorgeworfen, gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb und den seit 2008 geltenden Glücksspielstaatsvertrag verstoßen zu haben. Dieser sieht den Ausschluß von Menschen an Lotteriespielen oder Sportwetten vor, die "spielsuchtgefährdet oder überschuldet sind, ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen oder Spieleinsätze riskieren, die in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen oder Vermögen stehen", sofern die Annahmestellen dies "aufgrund der Wahrnehmung ihres Personals, durch Meldung Dritter oder sonstiger Anhaltspunkte wissen oder annehmen müssen". Vermutet wird, daß der Kläger zuvor Testkäufer losgeschickt hatte, die sich in WestLotto-Filialen laut und vernehmlich über ihr angeblich bezogenes Arbeitslosengeld unterhalten haben, ohne daß das Personal der Annahmestellen nach Kenntnisnahme zur Pflicht geschritten wäre. Im Gefolge des "Lotto-Urteils" von Köln droht den Verantwortlichen von WestLotto bei Zuwiderhandlungen für jeden einzelnen Fall ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro.

Unklar ist bislang, wie das Spielverbot kontrolliert und durchgesetzt werden soll. Ein Sprecher von WestLotto, das Widerspruch gegen die Verfügung eingelegt hat, reagierte mit Befremden: "Ich kann doch niemandem ansehen, ob er Hartz-IV-Empfänger ist. Und wir können ja auch kaum zu unseren Kunden sagen, zeigen Sie uns mal bitte Ihren Hartz-IV-Bescheid, dann dürfen Sie nicht spielen." WestLotto befürchtet, daß eine zweite einstweilige Verfügung die Einschränkungen von Hartz-IV-Beziehern bezüglich Sportwetten auch auf das Lottospielen ausweiten könnte.

Während Arbeitsloseninitiativen gegen diese neue Form der Ausgrenzung, Stigmatisierung und Entwürdigung von Hartz-IV-Beziehern Sturm laufen, und sich die Betroffenen zu Recht fragen, ob dem Sportwetten-Verbot demnächst auch Verbote von Kino- oder Schwimmhallenbesuchen folgen, weil sie ebenfalls "in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen oder Vermögen stehen", haben sich die Ministerpräsidenten der einzelnen Bundesländer bei einer Sitzung am 10. März in Berlin, nur einen Tag nach dem "Lotto-Verbot" von Köln, darauf geeinigt, daß das staatliche Lotteriemonopol erhalten, der deutsche Markt für private Wettanbieter aber geöffnet werden soll. Der Coup von Tipico traf also ins Schwarze: Den als "Schutz des Verbrauchers" deklarierten Restriktionen wurde zu Lasten der sozial Schwachen Geltung verschafft, während die Wettunternehmen grünes Licht für die Liberalisierung des Wettmarktes signalisiert bekamen. Einzelheiten der geplanten Novelle wollen die Länder auf einer Sonderkonferenz in der ersten Aprilwoche klären.

Zu den treibenden Kräften, die das staatliche Wettmonopol aushebeln wollen, gehören verschiedene Interessensgruppen der profitorientierten Wett- und Sportindustrie. Während private Wettunternehmen aus dem rechtlichen Grauzonenbereich herauskommen wollen, um ihre Geschäfte auf dem lukrativen deutschen Wettmarkt ausdehnen zu können, versprechen sich die Profiligen im Fußball, Handball, Basketball oder Eishockey durch Werbeverträge mit den Wettanbietern (Sponsoring) Einnahmen von 200 bis 400 Millionen Euro im Jahr, wie FAZ-online (16.12.10) mit Bezug auf Expertenschätzungen schreibt.

Auch der Staat hat Dollar-Zeichen in den Augen. Nach Zahlen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der Deutschen Fußball Liga (DFL) und der Stiftung Deutsche Sporthilfe (DSH), die einen gemeinsamen Entwurf für einen neuen Glücksspielstaatsvertrag vorgelegt haben, sollen 95 Prozent der Umsätze auf dem deutschen Wettmarkt, der auf etwa fünf Milliarden Euro taxiert wird, am Staat vorbeilaufen und statt dessen über das Internet und Wettbuden bei ausländischen Anbietern abgewickelt werden [1]. Über Steuern und Lizenzen will sich deshalb auch der Staat ein großes Stück vom Wettkuchen abschneiden. Nach dem "dualen Modell" des DOSB, das die Beibehaltung des staatlichen Lotterie-Monopols, aber für den Sportwettenmarkt eine kontrollierte Öffnung für private Anbieter vorsieht, würde der Staat bei einer Abgabe von fünf Prozent künftig rund 250 Millionen Euro einnehmen, von denen nach Rechnung des DOSB ein Drittel an den gemeinnützigen Sport zurückfließen sollen, was die Landessportbünde, die unter chronischem Fördermittelmangel leiden, wohl ebenfalls begrüßen würden.

Das staatliche Wettmonopol wird bislang noch mit Suchtgefahren begründet - ein fadenscheiniges Argument, wie die Liberalisierer des Sportwettenmarktes rufen, die nach entsprechenden Gerichtsentscheiden Oberwasser bekommen haben. Im September hatte der Europäische Gerichtshof nach einer Klage privater Anbieter den deutschen Glücksspielstaatsvertrag für unzulässig erklärt, weil das Staatsmonopol gegen die europäische Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verstoße. Eine Beschränkung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Staat konsequent gegen das Problem der mit Glücksspiel einhergehenden Suchtgefahr vorgehen würde - was offensichtlich nicht der Fall ist. Die EU-Richter verwiesen dabei unter anderem auf die laschen Beschränkungen im Geschäft mit "gefährlichen" Spielautomaten sowie die intensive Werbung staatlicher Lottoanbieter ("Oddset"), um ihre Gewinne zu maximieren. Kaum anders urteilte einen Monat später das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig: Das Sportwettenmonopol dürfe nur bestehen bleiben, wenn es ausschließlich der Bekämpfung der Spielsucht diene.

Interessant ist nun, wie Bestimmungen und Rechte hin- und hergebogen werden, damit sowohl die Sport- und Wettindustrie als auch der Staat einen Reibach machen können - und zu wessen Lasten das geht. Bereits im Vorfeld der Ministerkonferenz in Berlin hatte der DOSB den Vorschlag unterbreitet, das staatliche Lotteriemonopol nicht mehr mit der Bekämpfung der Spielsucht, sondern mit der Abwehr von Manipulationsgefahren zu begründen. Denn die Suchtgefahr, so DOSB-Generaldirektor Michael Vesper in welt-online (21.02.11), habe sich als nicht haltbar erwiesen: "Künftig lautet die Begründung: Schutz vor Manipulation und Betrug."

Dieser Begründungsfigur scheinen auch die Länderchefs zu folgen. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck bestätigte bereits: "Unsere Regulierungsziele sind die Bekämpfung der Spielsucht und die Bekämpfung von Manipulation, Kriminalität und illegalen Angeboten."

Zwar wollen die Länderchefs mit modifizierten Restriktionen auch die Spielsucht bekämpfen - etwa verschärfte Auflagen für Spielhallen und Automaten - doch der Kampf gegen die Verfehlungen und Fährnisse auf dem Lotto- und Sportwettenmarkt soll offenbar nicht mehr mit "suchtpräventiven" oder "pathologischen", sondern mit "kriminalistischen" Argumenten legitimiert werden, sprich der "Abwehr von Manipulationsgefahren". Dazu paßt, daß verschiedene Funktionsträger des kommerziellen Leistungs- und Wettkampfsports seit Wochen eine Öffentlichkeitskampagne betreiben, die den Eindruck erzeugt, als sei der Sport von der Wett- und Dopingmafia unterwandert. So behauptete etwa WADA-Generaldirektor David Howman auf einer Doping-Konferenz in London, daß die Unterwelt den weltweiten Sport im großen Stil steuere, wie SID (16.03.11) berichtete. Auch IOC-Präsident Jacques Rogge prangerte illegale oder unlautere Wetten als "das neue Übel im Weltsport" an. Die Gefahr sei "nicht zuletzt durch das Wettangebot im Internet, das durch Anonymität, Liquidität und gewaltige Umsätze gekennzeichnet ist", so groß wie nie, schrieb Rogge in einem Gastbeitrag in der FAZ (26.02.11). "Man kann davon ausgehen, dass die Versuchung und der Druck auf Sportler, Trainer, Funktionäre und andere Personen, sich durch Betrug Wettgewinne zu erschleichen, heute grösser ist denn je zuvor."

Auf einen kurzen Nenner gebracht: Nicht mehr die Gefahr der Spielsucht wird als großes Übel angesehen, sondern die "Versuchung", sich durch "Betrug" Vorteile zu erschleichen - so als ob den Menschen eine "kriminelle Energie" innewohne, die sie zu Manipulationen aller Art triebe. Hinter dieser Sichtweise steckt der Versuch, soziale Faktoren und ökonomische Bedingungen für das Zustandekommen seiner Fehlbarkeiten zunehmend auszuklammern und durch kriminalistische Prädiktoren zu ersetzen, die ihn wie einen potentiellen Delinquenten erscheinen lassen. In besonders krasser Form manifestiert sich dieses legalistische Menschenbild bereits im Antidopingkampf, wo jeder glaubt zu wissen, was Doping sei, nämlich "Betrug". Entsprechend werden Sportler nur noch als "potentielle Betrüger" wahrgenommen, die sich jedweder Kontrolle und Überwachung durch fremde Instanzen zu unterwerfen hätten, damit sie "vor sich selbst" geschützt werden können.

Unterdessen versucht auch der DOSB, die Spielsucht zu verharmlosen, was seinen Plänen hinsichtlich einer kontrollierten Öffnung des Sportwettenmarktes zweifellos entgegenkommt. So erklärte Generaldirektor Vesper, daß Sportwetten "kein reines Glücksspiel" seien, sondern ein "Geschicklichkeitsspiel". Von daher sei es berechtigt, "die Sportwetten anders zu behandeln". Falls dem so wäre, gäbe es ja auch kein Anlaß mehr für das über Suchtprävention begründete staatliche Wettmonopol - Bahn frei also für kommerzielle Wettanbieter und klingende Kassen beim Sport.

Die Suchtgefahren bei Sportwetten sind allerdings nicht ohne, und zwar gerade wegen des vermeintlichen Durchblicks, den sich Millionen von insgeheimen "Bundestrainern" zugute halten. Das Gefährdungspotential bei Sportwetten sei sogar sehr hoch, warnt Prof. Gerhard Meyer vom Institut für Psychologie und Kognitionsforschung Bremen schon seit Jahren: Im Vergleich zu sonstigen Glücksspielen sei die Ereignisfrequenz bei Sportwetten deutlich höher. Das euphorische Hoffen und Bangen auf den Sieg bestimmter Mannschaften wirke erregungssteigernd und gehe bei zusätzlichem Geldeinsatz mit dem Gefühl des Nervenkitzels einher. Erfolge bei Sportwetten vermittelten außerdem Gefühle der Selbstbestätigung, da sie der eigenen Kompetenz zugeschrieben würden [2].

Auch unter den Aktiven, die sich als Insider und Praktiker wohl größten sportlichen Sachverstand bescheinigen dürften, herrscht eine rege Wettleidenschaft. So hatte im Januar der frühere St.-Pauli-Stürmer René Schnitzler dem "Stern" erzählt, daß seiner Erfahrung nach die Mehrzahl der Top-Spieler notorische Zocker seien. "Viele Profis haben gewettet wie Wahnsinnige. 70 oder 80 Prozent der Spieler einer Mannschaft setzen auf irgendwelche Partien in irgendwelchen Ligen", sagte er. Auch aus anderen Sportarten ist die Wettleidenschaft der Athleten bekannt. Die Werbung von Wettfirmen prägt teilweise das Layout ganzer Sportfachzeitschriften. Wettangebote in Verbindung mit dem Zahlenzauber von Sportstatistiken, die den Konsumenten einen kontrollierten Zugriff auf die Verhältnisse suggerieren, sind längst zu Animationsprogrammen für Sportzockereien verschmolzen. Die seit 2005 gültige Vertragsregelung, die Fußballprofis verbietet, Wetten auf die eigene Mannschaft abzuschließen oder ihr "Sonderwissen" an Dritte weiterzugeben, dürfte nicht die letzte Maßnahme sein, um Mogeleien einzudämmen. Wie beim "Doping" drohen auch beim "Wettbetrug" schärfste Restriktionen nach der bewährten Reihenfolge: Kommerzialisieren, Illegalisieren, Kontrollieren, Sanktionieren. Sollte der suchtpräventive Ansatz erhalten bleiben, um staatliche Kontrolle zu gewährleisten, könnte der sich abzeichnende Krieg gegen Wettmanipulationen auch noch mit Schutzmaßnahmen gegen pathologisches Spielen legitimiert werden. Hartz-IV-Bezieher haben bereits einen Eindruck bekommen, was "Verbraucherschutz"-Argumente bewirken können, wenn das Wettgeschäft legale Wege der Profitmaximierung sucht und sich "Teilhabe" am gesellschaftlichen Leben für diejenigen, die bis auf ihre nackte Haut nichts mehr zu verwetten haben, als Ausschlußkriterium gegen sie wendet. Für alle anderen, die noch etwas auf das Naht haben, gilt die Unterwerfung unter ein repressiv verfaßtes Glücksspielsystem, dessen kommerzielle Nutznießer die Gefahren von "Betrug und Manipulation" so hartnäckig heraufbeschwören, wie sie die berühmte Brechtsche Frage, "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?", wohl überhören werden.

Anmerkungen:

[1] www.faz.net. DOSB will Glücksspielrecht erneuern. Von Christoph Becker. 21. Februar 2011

[2] Pressedienst des Deutschen Bundestages. 25.01.2006. Sportausschuß-Anhörung. "Experten gegen Liberalisierung auf dem Sportwettenmarkt".

24. März 2011