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KOMMENTAR/064: Verdummungskampagne der Deutschen Sporthilfe - Spitzensportler auf Hartz-IV-Niveau? (SB)



Worauf zielt der Vergleich von deutschen Spitzensportlern mit Hartz-IV-Empfängern wirklich ab? Die Stiftung Deutsche Sporthilfe (DSH) hat ihre für das neue Jahr angekündigte Spendenkampagne, in der die Bürger dazu aufgerufen werden, "schon mit einem kleinen Betrag von drei Euro im Monat ein Förderer der Sporthilfe-Athleten zu werden" (siehe auch KOMMENTAR/063), jüngst mit einer ironisch-sarkastischen "Stellenanzeige" in mehreren Tageszeitungen und Magazinen gestartet, ohne daß es daraufhin auch nur den Deut einer kritischen Kommentierung im deutschen Blätterwald gab.

"Haben Sie gewusst, dass die meisten Spitzenathleten im Schnitt 60 Stunden in der Woche arbeiten und gerade mal 600 Euro netto monatlich beziehen?", fragt ausgerechnet Ex-Weltklasseschwimmerin Franziska van Almsick in der "Bild" (4.1.10), die zu den wenigen gehört, die es in ihrer Randsportart tatsächlich zu Ruhm und Reichtum gebracht haben. Die 31jährige hat in jeder Hinsicht ausgesorgt und kann nun auch mit der für Millionäre typischen Attitüde hausieren gehen, "dem Leben gegenüber sehr demütig" zu sein, wie sie dem Boulevardblatt verriet. 2008 wurde van Almsick "als Persönlichkeit bei der Außendarstellung und als Bindeglied zu den Sportlern" ins Boot der Sporthilfe geholt. Zusammen mit Sporthilfechef Werner E. Klatten gibt sie die neue DSH-Doppelspitze ab - sie als repräsentabler "Goldfisch" mit DDR-Sozialisation, die als Vereinigungssportlerin die erfolgreiche Westintegration und das wahrgewordene Märchen von den blühenden Landschaften verkörpert, er als erfahrener Jurist mit profitablen Verbindungen zu Wirtschaft, Politik und Medien.

Als "Grundlage" für die neue Anzeigen-Kampagne wird in den Zeitungen nicht etwa die Finanz- und Wirtschaftskrise genannt, deren Kosten nun auf die Bürger mittels direktem Athletensponsoring abgewälzt werden sollen, sondern eine repräsentative Studie der Deutschen Sporthochschule in Köln, für die 1133 Spitzensportler befragt wurden. In der FAZ (online, 5.1.10), als bürgerlich-konservativer Kampagneträger mit großer Reichweite immer erste Wahl, heißt es dazu: "Reduziert auf die wesentlichen finanziellen Aussagen, kommt die Studie zu dem Ergebnis: Geht von dem durchschnittlich im Monat verfügbaren "Einkommen" von 626 Euro noch eine Mietzahlung von mindestens 267 Euro ab, bewegen sich die sportlichen Repräsentanten der Republik auf Hartz-IV-Niveau."

Im Stellenmarkt der FAZ wurde zudem eine "Anzeige" geschaltet, frei nach dem Motto: Spitzenschwimmer/in über 200 m Schmetterling gesucht - wer quält sich gerne von morgens bis abends im Schwimmbecken und im Kraftraum für 600 Euro im Monat, hat kein Problem mit Chlor-Akne und betreibt seine berufliche Ausbildung in den Regenerationszeiten?

Natürlich ist den Kampagneträgern der Sporthilfe klar, daß der Vergleich mit Hartz-IV-Almosenempfängern in jeder Hinsicht hinkt, deshalb ironisieren sie ja auch die Anzeigenkampagne, um einerseits nicht als Zyniker bloßgestellt zu werden, andererseits dennoch Mitleid in der Wohlstandsbevölkerung zu heischen, da sich der Armutsstand von "Hartzern" fünf Jahre nach seiner Genese einigermaßen herumgesprochen haben dürfte. Alleinstehende Hartz-IV-Betroffene müssen nach derzeitigem Regelsatz mit 359 Euro pro Monat auskommen, was z.B. 3,94 Euro pro Tag für Ernährung bedeutet. Beschränkt sich der "Hartzer" auf drei Mahlzeiten pro Tag, bleiben ihm 1,31 Euro jeweils für Frühstück, Mittag und Abendbrot. Jeder Hochleistungssportler, egal wie magersüchtig er oder sie auch sein mag, oder, wie es in der Sporthilfe-Anzeige heißt, auf "eine kohlehydratreiche, kalorienarme Ernährung" achtgibt, würde daran elendig den Hungerast sterben. Selbst für Otto-Normal reicht der Regelsatz hinten und vorne nicht aus.

Zahllose Eltern mit Kindern von 6 bis 14 Jahren, die mit 251 Euro pro Kind monatlich über die Runden kommen müssen, können sich nicht einmal Mitgliedsbeiträge bei Sportvereinen leisten, weil sie das knappe Geld für andere Dinge brauchen. Entsprechend schlecht ist es oft um die körperliche Fitneß von Jugendlichen aus sozial unterprivilegierten Schichten bestellt, deren Gesundheit zudem unter dem gerade noch erschwinglichen Billigfraß leidet. Nicht mal Turnschuhe für die Kinder liegen oftmals drin. Hartz-IV-Bezieher haben keine Ausrüsterverträge mit Adidas, Puma oder Nike.

Davon spricht die Anzeigen-Kampagne der von Konzernen und Banken gesponserten Sporthilfe lieber nicht, denn es geht ihr nicht um Solidarität mit den wirklich Armen und Ausgegrenzten in der Gesellschaft, sondern um ihre "Vertafelung", um es im Jargon des modernen Prekarisierungs-Deutsch zu sagen. Unter kapitalistischen Bedingungen ist der repressive Leistungssport mit seinen Auslese- und Disziplinierungsmechanismen sowie autokratisch erzwungenen Kontrollauflagen, Schuldregeln und Schnellgerichten das vorweggenommene Sanktionsregime, dem sich der um sein Überleben kämpfende Mensch aus freien Stücken, eben sportbegeistert, zu überantworten hat. Während Anti-Hartz-IV-Initiativen noch gegen ihre im Zuge der Arbeitsmarktreform unter Rot-Grün eingeleiteten Verelendung kämpfen, sind entpolitisierte Leistungssportler in der Regel nicht mehr in der Lage, den Wesenskern ihrer vollreglementierten und entrechteten Existenz (siehe WADA-Code 2009) zu erfassen und dagegen wirksam zu opponieren. Deshalb fällt auch den wenigsten auf, daß die Forder- und Förderprinzipien im staatlich und privatwirtschaftlich gepäppelten Leistungssport ihren Äquivalenzwert in der Bezichtigung von Arbeitslosen oder Hartz-IV-Empfängern haben, denen wahlweise Faulheit, Selbstverschulden, Vermittlungswiderborstigkeit, Leistungsmißbrauch und Betrugspotential angelastet wird.

Die Sporthilfe will auf der einen Seite Werbung für ihre Topathleten betreiben und sie in ein positives Licht rücken, auf der anderen Seite darf die ironisierte Darstellung leistungssportlicher Plackerei nicht zu abschreckend auf die potentiellen Spender wirken, schließlich soll die Vorbildfunktion erhalten bleiben. Deshalb unterschlägt die Sporthilfe-Kampagne bei der Aufzählung der sozialen und beruflichen Härten ("Deutsche Spitzensportler verdienen deutlich weniger als deutsche Durchschnittsbürger. Der Stundenlohn beträgt gut 7 Euro Brutto - im Baugewerbe werden im Vergleich dazu Stundenlöhne von durchschnittlich 15,49 Euro gezahlt.") nicht nur die Repressalien, die sich die sportlichen Schwerstarbeiter in der orwellschen Sonderwelt des Sports gefallen lassen müssen, sondern läßt auch unerwähnt, daß sich der High-Tech-Hochleistungssport gemäß der olympischen Devise des "schneller, höher, stärker" in einer Todesspirale internationalen Wettrüstens befindet und immer mehr soziale und materielle Ressourcen verschlingt, die in anderen gesellschaftlichen Bereichen, wo wirkliche Not und echter Bedarf herrscht, sicherlich besser eingesetzt wären. Allein zur Aufrechterhaltung seiner repressiven Strukturen verbraucht der organisierte "saubere" Sport ungeheure Finanzmittel. Vor dem Hintergrund der steigenden Kosten im progressiven Antidopingkampf, der technisch eine immer aufwendigere und teurere Analyse, Kontrolle und Fahndung betreibt, mußte erst kürzlich die Sprecherin der Konferenz der Spitzenverbände und Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV), Dr. Christa Thiel, einräumen, daß einige nationale Verbände "wirtschaftlich platt" seien "und diese Belastungen nicht mehr stemmen können". Die breitensportlich orientierte Basis sehe nicht ein, so Thiel nach einem Bericht von FR-online (29.11.09), daß sie für "die Elite unserer Topathleten das Dopingkontrollsystem finanzieren soll". Es bestehe die Gefahr der Entsolidarisierung, sagte die Rechtsanwältin. "Wir haben bereits Austritte, weil sich die Mitglieder sagen: Der Verband macht ja nichts für uns." Ihren Angaben zufolge soll der DSV für den Antidopingkampf ein Mehrfaches der Summe ausgeben, welche der Fachsparte Breitensport zugewiesen werden könne.

Tatsächlich ist der vom Staat alimentierte und forcierte Antidopingkampf ein Faß ohne Boden, das im wesentlichen der Steuerzahler finanzieren muß, ohne daß ihm wirklich die Rechnung auf Heller und Pfennig präsentiert, geschweige denn der gesellschaftliche Zusammenhang von leistungssportlicher Passion und sozialer Repression eröffnet wird. Statt dessen wird er von der Sporthilfe, die laut Werner E. Klatten den Antidopingkampf "in großer Radikalität" führen will, permanent in die Irre geführt. Wie man am Beispiel des Schwimmsports und anderen Randsportarten sieht, ist es schlicht und einfach eine Lüge, daß die Mittel, die über den Spitzensport generiert werden, auch dem Breitensport und damit allen Bürgern zugute kommen. Im Gegenteil, das von Klatten, van Almsick und anderen Leistungssportrepräsentanten propagierte Spenden- und Fördermodell, das nicht zufällig neoliberaler Privatisierungspolitik entspricht, entzieht der breiten Bevölkerung systematisch die Mittel zum eigenen Sporttreiben und verurteilt sie zu Fernsehguckern, die sich an nationalen Helden und medaillenträchtigen Sportskanonen hoch- und runterziehen sollen. Bevor sich Bürger daran beteiligen, Leistungssportler ihrer Wahl zu sponsern, sollten sie lieber verlangen, daß sämtliche Gelder aus dem Fußball- und Formel-1-Business, die sich dort die Profis und Manager in die eigenen Taschen wirtschaften, unter allen Leistungssportlern gerecht aufgeteilt werden. Spätestens bei dieser Forderung würde deutlich werden, daß der Anspruch, der Spitzensport stifte gemeinschaftliche Identifikationen und sorge für Solidarisierungseffekte, sofort auf die Mauer einer Verteilungsordnung stößt, die die Profiteure der kapitalistischen Marktwirtschaft errichtet haben, um den gesellschaftlichen Reichtum von unten nach oben verteilen zu können. Da sich nach dem Niedergang der DDR und der Auflösung der politischen Systemkonkurrenz das hiesige Kapital nicht mehr in der Pflicht sieht, ein funktionierendes sozialstaatliches Netz aufrechtzuerhalten, um dem eigenen System zu schmeicheln, fallen auch immer weniger Brosamen vom Tisch der Mächtigen in die Schüsseln der Armen. Um so unverschämter nun der Versuch der Sporthilfe, das Bettelvolk auch noch zu Spenden für die sportlichen Leistungseliten zu bewegen, deren Schöpfer sich längst vom gesellschaftlichen Solidarprinzip verabschiedet haben.

11. Januar 2010