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KOMMENTAR/060: Sternstunde für Anpassertum - Sabine Spitz erhält IOC-Trophy (SB)



Die Inszenierung des "sauberen Sports" im Sport-Medien-Komplex hat mittlerweile kabarettistische Höhen erreicht. In dieser Hinsicht erlebte das "Parlament des deutschen Sportes", wie die Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) auch genannt wird, tatsächlich "eine seiner wirklich seltenen Sternstunden", wie der Deutschlandfunk jubilierte. Endlich mal eine Sportlerin, die voll in ihrer Rolle als saubermännische Konformistin aufgeht und so ganz nach dem Geschmack der Verdachtsprediger, Schuldzuweiser, Scharfrichter und Strafverschärfer im organisierten Sport ist!

Für die Trophy des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die Sabine Spitz vergangene Woche in Düsseldorf von DOSB-Präsident Thomas Bach und Generaldirektor Michael Vesper in Anwesenheit von Innenminister Thomas de Maizière für ihr Engagement im Antidopingkampf überreicht bekam, hatte die Mountainbike-Olympiasiegerin auch lange buckeln müssen - nicht nur über Stock und Stein. Nein, die Silberlinge der Anerkennung kassierte die 37jährige Radsportlerin für ihr angepaßtes Verhalten, für ihre totale Identifikation mit dem Geißelsystem ihrer Kontrolleure, Überwacher und, falls nötig, Bestrafer. Darin liegt auch ihre Vorbildfunktion.

Wie die schöne saubere Welt von Sabine Spitz aussieht? Nun, einiges haben wir bereits im KOMMENTAR/027: WADA-Code 2009 - Knechtschaftsdienste von Sabine Spitz erwähnt. Deshalb hier nur eine Kurzzusammenfassung: Die Radsportlerin wünscht sich schon seit langem, daß Dopingvergehen per Anti-Doping-Gesetz strafrechtlich verfolgt werden können, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. "Wenn Gefängnis droht, überlegt sich derjenige zweimal, ob er illegale Mittel nimmt." Angst vor einer "Kriminalisierung" des Sportlers hat sie nicht. Eigentlich will sie Doper ganz eliminieren. "Wer vorsätzlich dopt, sollte lebenslang gesperrt werden und nicht nur zwei Jahre." Eine Lockerung der Doping-Meldepflicht für Profis, etwa wie vom Fußball gefordert, ist für sie nicht nachvollziehbar. Es darf keinen "Doping-Urlaub" geben. "Erschreckend" findet sie, daß Spanien zum Schutz der Privatsphäre von Athleten und ihrer Familien nächtliche Dopingtest untersagt hatte. "Da wird der Anti-Doping-Kampf politisch untergraben." Nicht wegen Spitz oder vermeintlicher Subversion, sondern wegen Madrids inzwischen hinfälliger Olympia-Chancen hat Spanien die Schutzregel bekanntlich wieder aufgehoben.

Auch plädiert Spitz dafür, daß Doping-Fahnder die Aufenthaltsorte von Sportlern durch Handy-Ortung bestimmen dürfen. "Dann ist das Problem mit den geplatzten Kontroll-Terminen endlich vom Tisch." Kontrolleure müssen auch mal privatdetektivische Fähigkeiten entwickeln und aufgrund von Verdachtsmomenten Athleten auflauern können. Die bisherigen Kontrollmaßnahmen mit Blutvolumen-Messungen, Blutprofilen und DNA-Abgleichen gehen ihr noch nicht weit genug. Sie fordert den "gläsernen Athleten". Ihr persönliches Mantra: "Wer nichts zu vertuschen hat, läßt sich uneingeschränkt kontrollieren." Die Veröffentlichung von Blutwerten via Internet hält sie für nicht verwerflich. "Blutwerte sind für mich keine Intimsphäre." Legale Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel wie Fitneßdrinks, Vitamintabletten oder eiweißreiche Riegel dienen laut Spitz "vielen Hobbysportlern als Einstieg in die Doping-Szene". Gemeinsam mit dem Mountainbike-Profiteam Central Ghost Pro und ihrem Sponsor Central Krankenversicherung setzt sie sich für eine "noch größere Transparenz und Kontrolldichte" ein. In den permanenten Rechenschaftspflicht und der Weitergabe der "Whereabout"-Informationen an das WADA-Meldesystem ADAMS sieht sie kein Problem. Für Umstandskrämer hat sie den Vorschlag parat: "Man kann ja auch an ein GPS-System zur Ortung der Sportler denken." Ihr Altruismus lautet: "Für einen sauberen Sport muß der Athlet Opfer bringen."

Hat so eine couragierte, opferbereite Sportlerin die IOC-Trophy nicht verdient - "wegen ihrer kompromisslosen Haltung gegen Doping, ihrer glaubwürdigen Bereitschaft, selbst zweifelhafte persönliche Einschränkungen beim Kampf für einen sauberen Sport hinzunehmen", wie FAZ-online (6.12.09) der "kritischen Athletin" huldigte?

Als es noch ein kritisches politisches Bewußtsein in der Bevölkerung gab, nannte man das, was Sabine Spitz repräsentiert, schlicht "Anpassertum". 'Die Gefangenen zu ihren eigenen Aufsehern machen, sie beteiligen, um das Herrschaftssystem perfekter auszugestalten', gehörte zum Allgemeinwissen. Früher wurden Jasager von einer rebellierenden Jugend, die sich gegen die Gängelung von oben, gegen die autoritären Verhältnisse in Beruf, Parteien, Verbänden, Schule, Uni, Kirche oder Freizeit auflehnten, verachtet. Heute sind die Anpasser die Geachteten und Geehrten, und je weniger Renitenz sie zeigen und je engagierter sie gegenüber den Autoritäten Forderungen nach Selbstentblößung, Selbstentmündigung und hartem repressiven Durchgreifen erheben, desto näher rücken sie an den Tisch der Mächtigen und dürfen auch mal Mut beweisen, die Nackenhaare sträuben und ein bißchen schärfer noch, als die hohen Damen und Herren Politiker und Funktionäre es sich selbst erlauben, ins Plenum bellen.

"Ich muß noch was zu Minister de Maizière und Thomas Bach sagen. Doping ist so ein Betrug wie er jetzt bei der Wettaffäre geschildert wird. Aber warum wird er nicht genauso geahndet? Ich kann nicht nachvollziehen, daß mit zweierlei Maß gemessen wird", rief Spitz, die sich das Mikrophon geschnappt hatte, in den Saal hinein, wo die Bachs, de Maizières und Schäubles milde lächelnd bis erstaunt dreinschauend saßen. Im Wir-Gefühl offenbar vereint mit den Peinigern, die gerade erst eine Sportlerin wie Claudia Pechstein mit dem Indizienschwert der WADA sportrichterlich zur Strecke gebracht und ihr soziales Umfeld der kriminellen Machenschaften bezichtigt hatten, schob Sabine Spitz später noch mal nach: "Es ist einfach wichtig, daß wir einen solchen Gesetzesentwurf auf den Weg bringen. Wir müssen es ja schaffen, nicht nur extrem viele Anti-Doping-Kontrollen durchzuführen, sondern auch die Hemmschwelle so hoch wie möglich zu setzen. Wenn die Konsequenz wäre bei einem positiven Vergehen, daß ich vorbestraft bin, dann würden sich viele nicht verleiten lassen."

Brav gesprochen - eine Sportlerin, die zur Abschreckung noch mehr Daumenschrauben und Geißelinstrumente fordert als die amtliche Anti-Doping-Inquisition. Die Saat ist somit aufgegangen: Erst wurde den Sportlerinnen und Sportlern Selbstbestimmung und Mündigkeit geraubt. Zurück bekamen sie straffällige Selbstverantwortung, legalistisch zerstückelt in erlaubte und unerlaubte Leistungsmanipulation, definiert, kontrolliert und verfügt von fremden Instanzen, Brennstoff für unendliche Schuldzuweisungen und Betrugsvorwürfe. Im besten Foucault'schen Sinne darauf angelegt, daß sich der Kontrollierte aus freien Stücken der fremden Disziplinarmacht als Henkersknecht andient. Gefallen kann der Athlet in diesem System nur, wenn er den Opferpreis noch höher treibt als sein potentieller Bestrafer ihn abverlangt, sonst wäre er uninteressant, da bereits vereinnahmt. Ob Sabine Spitz künftig auch Kolleginnen und Kollegen wegen Betrugverdachts denunzieren, gar eigenhändig ins Gefängnis werfen würde? Wäre sie auch bereit, die Familien, Freunde und Betreuer von Athleten mit schwankenden, vermeintlich anormalen Blutwerten der kriminellen Machenschaft zu bezichtigen? Etwa so, wie es Thomas Bach und andere bezüglich Pechstein taten? Auch die Polizeibeamtin Claudia Pechstein, einst "Otto Schilys Liebling", hätte bei aller Integrität niemals gedacht, daß sie einmal in eine solch verzweifelte Lage geraten könnte. Nur die obrigkeitliche Perspektive macht sie zur Betrügerin.

Thomas de Maizière, der die neue, Strafanzeige gegen Unbekannt auslösende Lesart des Indizien-Urteils gegen Pechstein bei der DOSB-Mitgliederversammlung noch einmal bestätigte ("Doping auf einem so hohen wissenschaftlichen Niveau betreibt ein Sportler nicht allein. Dazu braucht man ein Vertuschungsumfeld.") und das Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs CAS als "Weg in eine neue Dimension der Doping-Bekämpfung" ausdrücklich begrüßte, will vorerst keinen neuen Strafrechtsparagraphen wegen "Sportbetrugs" ins Gesetz einziehen.

Schade, dabei hatte sich Sabine Spitz doch so ins Zeug gelegt. Schade auch für den Deutschlandfunk, der "die spezielle Abwehrhaltung von Politik und Sport" kritisierte und ganz begeistert war von Spitz' "Plädoyer für ein eigenständiges Gesetz zum Sportbetrug". Der Sender schickte anderntags nicht nur ein Telefongespräch mit der Mountainbikerin über den Äther, sondern versuchte auch verzweifelt, Sabine Spitz "Zeichen" aus der Nase zu ziehen, die geeignet wären, die DOSB-Aktivensprecher als "Bedenkenträger" mit Abwehrhaltung zu entlarven. Schließlich, so die Meinung von DLF-Reporter Fischer-Solms, könnte man doch "einfach mal geradeaus" versuchen, "gesetzlich den Sportbetrug besser in den Griff zu bekommen", so wie in Österreich!

Sieht so das Rebellentum der Sportskanonen aus - sich von Sportjournalisten zum Sturm auf die letzten Barrikaden, die sie noch vor einer Kriminalisierung schützen, aufpeitschen zu lassen? Hätten die in Düsseldorf anwesenden Athletenvertreter etwa Sabine Spitz für ihr vermeintlich "couragiertes Auftreten" auf den Schultern aus dem Saal tragen sollen?

Wetten, daß die gleichen Medien, die die Mountainbike-Olympiasiegerin jetzt wegen ihres "Mutes" aufs Schild heben, die ersten sein werden, die ihr einen Mühlstein um den Hals hängen, falls - warum auch immer - sich bei ihr Indizien für eine vermeintliche Doping-Schuldigkeit finden lassen? Hat Spitz ihre Rolle schon so sehr verinnerlicht, daß ihr jeder Gedanke daran, daß sie vielleicht selbst schon in der "Pipeline" für Fälle mit verdächtigem Blutprofil stecken könnte, genommen wurde? Solche Fälle sollen bei internationalen Verbänden (Radsport, Leichtathletik, Ski), die sogenannte Blutpässe - die Vorversuchsreihe der jetzt von der WADA mit aller Gewalt durchgepaukten "biologischen Pässe" für alle Spitzensportler - betreiben, bereits vorliegen. Bekanntlich wollten die Verbände nur die für juristisch und wissenschaftlich wasserdicht erklärte Exekution von Pechstein abwarten, um dann selbst möglichst gefahrlos weitere Exempel statuieren zu können.

Sabine Spitz ist mit ihren 37 Lenzen keine Jugendliche mehr, sondern eine erwachsene, verheiratete Frau. Im Alter und Familienstand genauso wie Claudia Pechstein. Was sie unterscheidet? Fast nichts und doch ungeheuerlich viel. Die eine merkt noch nicht, daß sie für die globale Hexenjagd instrumentalisiert wird, die andere hat es schon begriffen und brennt gerade lichterloh auf dem Scheiterhaufen des "sauberen Sports". Beide haben immer treu und redlich ihre Urin- und Blutproben abgegeben, beide glauben an ihre Unschuld. Die eine wurde als Präzedenzfall für den indirekten Dopingnachweis mißbraucht, die andere zur Musterathletin für sportlich nach vorn gerichtetes Anpassertum befördert. Glaube doch niemand, daß ein bestens vernetzter IOC/CAS/DOSB-Oberfunktionär wie Thomas Bach nicht wüßte, wem er die IOC-Trophy überreicht und somit das Podium bereitet. Da gibt es keine Zufälle. Anders, als es die FAZ insinuieren wollte, erwächst aus der Position der Radsportlerin in der Tat "keine gefährliche Opposition", die den DOSB auf der politischen Bühne in Bedrängnis bringen könnte. "Sabine Spitz", soll Bach laut FAZ nach dem Solo der Mountainbikerin erklärt haben, "ist ja in Kenntnis ihrer Position für die Ehrung vorgeschlagen worden". In dieser Hinsicht hat sie sich als verläßliche Wadenbeißerin erwiesen, die auch mal die Zähne bleckt, wenn Herrchen zuviel Leine läßt. Zur Belohnung gab es dann auch noch einen Knochen von Innenminister Thomas de Maizière, der nach ihrem Auftritt lobte: "Das fand ich toll, das muß man sich erst mal trauen in so einem großen Kreis."

14. Dezember 2009