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KOMMENTAR/012: Spitzensportförderung - "Kalter Krieg" nach innen (SB)



Da reiben sich selbst die in der Wolle gefärbten Sportfunktionäre verwundert die Augen. Weltweit werde aktuell so viel Geld in den Leistungssport investiert "wie nicht einmal zu Zeiten des Kalten Krieges", so der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Dr. Thomas Bach, in der DOSB-Hauspresse (2.12.08). Hatte die kapitalistische Welt vor noch gar nicht so langer Zeit die Lesart propagiert, man beteilige sich deshalb am leistungssportlichen Wettrüsten, weil die Ostblockstaaten, allen voran die UdSSR, den Westen durch sportliche Erfolge zu demütigen versuchten, indem sie auf dem Nebenkriegsschauplatz Sport die Überlegenheit des sozialistischen Systems demonstrierten, so dürfte dieses Legitimationskonstrukt, das den Ostsport als Aggressor hinstellt, während der Westen nur auf die Herausforderungen "reagiert" habe, nach dem Ende der politischen Blockkonfrontation immer unglaubwürdiger geworden sein. Trotz Wegfalls des politischen und ideologischen Feindbildes hat die Leistungssportförderung der Bundesrepublik, sieht man einmal von Schwankungen ab, stetig zugenommen.

Kürzlich hatte der Deutsche Bundestag die Sportfördermittel im Etat des Bundesinnenministeriums (BMI) für 2009 verabschiedet. In einer sogenannten Bereinigungssitzung im November sattelte der Haushaltsausschuß zur Überraschung vieler noch einmal 12 Millionen Euro auf den BMI-Etat drauf, so daß die Spitzensportförderung für das Jahr 2009 bei nunmehr 142 Millionen Euro liegt. Damit übersteigt der Etat sogar das Gesamtvolumen des Olympiajahres 2008 um rund 15 Millionen Euro. Eine solche Finanzspritze hat es schon lange nicht mehr gegeben. An der Aufstockung werden das Institut für angewandte Trainingswissenschaft (IAT), das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten und den Sportstättenbau (FES) und die Stiftung Deutsche Sporthilfe maßgeblich teilhaben.

Um mehr Welt- und Europameisterschaften nach Deutschland zu holen, hat der Gesetzgeber überdies die Sportverbände von der Einkommenssteuerpflicht für ausländische Sportler befreit, zudem wurde der auf die Gesamteinnahmen erhobene Steuersatz von bisher 20 auf 15 Prozent gesenkt. Auch verzichten die Finanzbehörden künftig auf den bisher notwendigen Nachweis eines volkswirtschaftlichen Nutzens dieser Sportgroßereignisse. Man möchte seinen Augen und Ohren nicht trauen: Die gleichen Politiker und Medienvertreter, die ansonsten nicht müde werden zu reklamieren, daß die Steuerzahler ein Recht darauf hätten, daß der Bund die Fördermittel nur unter strengen Auflagen an die Verbände vergibt, etwa im Bereich der Anti-Doping-Bekämpfung, pfeifen plötzlich auf das Steuerzahlerargument und winken eine wachsweiche Pauschalregelung durch, wonach es zur Rechtfertigung der Steuerbefreiung künftig genügt, "wenn dies im besonderen öffentlichen Interesse liegt". Dies sei insbesondere daran zu erkennen, so heißt es weiter, daß um die Sportveranstaltung ein internationaler Wettbewerb stattfinde. Mit anderen Worten: Das banale Wettbewerbsargument fegt mit einem Schlag alle volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnungen hinweg, die immerhin noch den Anschein erweckt haben, Steuergeschenke für wie Unternehmen geführte Verbände müßten im Sinne des Allgemeinwohls begründet sein.

Mußte früher der Ostblock für die Rechtfertigung der staatlichen Spitzensportförderung herhalten, so reicht heute der Hinweis auf die globale Sportkonkurrenz aus, den erheblichen Mitteleinsatz des Bundes zu legitimieren. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) stellte die satte Steigerung der Bundesmittel für den Hochleistungssport als notwendige politische Entscheidung dar und bekräftigte vor dem Bundestag, es sei wichtig, "daß wir weiterhin dem freien Sport in unserem Lande helfen, um im härter werdenden Wettbewerb der Besten der Welt Schritt zu halten".

Welchen "freien Sport" könnte der für den Spitzensport in Deutschland zuständige Innenminister wohl gemeint haben? Sicherlich nicht den Sport, den sein Ressort alimentiert und überwacht. Der "Kalte Krieg" indes wird bei näherem Hinsehen durch eine Wettbewerbsideologie fortgeführt, die sich vor allem innergesellschaftlich auswirkt und den organisierten Sport, mit 27,5 Millionen Menschen unter dem Dach des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) immerhin größte Personenvereinigung des Landes, als Katalysator und Sinnstifter repressiver Sozialkontrolle auszunutzen weiß. Davon kündet nicht nur Schäubles Dauerbegehren, den Bundeswehreinsatz im Innern, wie anläßlich der Fußball-WM 2006 mit Vehemenz geschehen, durchzusetzen, sondern eine mit der Sportfördermittelvergabe verknüpfte Dopingbekämpfung, die zunehmend mehr Sporttreibende in das Joch permanenter Aufenthaltskontrolle treibt. Was zu Zeiten des "eisernen Vorhangs" im vermeintlich "freien Westen" noch undenkbar erschien, daß man Menschen - und als solche dürften auch Spitzensportler gelten - einmal dazu zwingen könnte, daß sie sich täglich auf eine Stunde festlegen, in der sie von Kontrolleuren an einem bestimmten Ort garantiert angetroffen werden können, daß sie im voraus festlegen, wo sie sich in den kommenden 90 Tagen vorzugsweise aufhalten und welchen regelmäßigen Tätigkeiten sie nachgehen werden, andernfalls drohten ihnen schlimmste Strafen, die bis zur beruflichen Vernichtung reichen können, ist in der "schönen neuen Welt" des sauberen Sports, sobald am 1. Januar 2009 der reformierte Code der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zu greifen beginnt, brutale Realität geworden. Wer zu oft kurzfristige Änderungen seine Aufenthaltsortes an die zuständige Überwachungsbehörde meldet, zieht bei den Kontrolleuren der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) "die besondere Aufmerksamkeit" auf sich, "Argwohn inklusive", wie der DOSB im Neusprech der sich formierenden Verdachtsgesellschaft verlauten ließ.

Was man der Staatssicherheit der DDR auch immer an fragwürdigen Überwachungsmaßnahmen gegen die Bevölkerung zuschreiben mag - solch ein Anti-Doping-Regime, das weltweit betrachtet erst in der Entstehung begriffen ist und die totale soziale und medizinale Kontrolle des unter Generalverdacht stehenden Athletenkörpers anstrebt, hat es selbst zu Hochzeiten des "Kalten Krieges" nie gegeben. In diesem Zusammenhang vom "freien Sport" zu sprechen - ein weiterer Verschleierungsbegriff lautet "humaner Leistungssport" - kommt einem Anschlag auf die Intelligenz gleich und macht deutlich, worauf die global administrierte Sicherheits- und Überwachungsgesellschaft im Kern zusteuert.

Das leistungssportliche Wettrüsten ist der weltweit anwachsenden Legitimationsnot der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie geschuldet, den aufscheinenden Armuts- und Hungerkriegen eine überschaubare Ordnung in Gestalt sportlichen "fairen" Wettbewerbs anheimzustellen, die Funktionstüchtigkeit und Wertebeständigkeit vorspiegelt. Nach wie vor gilt der Leistungssport als probates Mittel, nackte Verfügungsgewalt unter dem Schein der Freiwilligkeit durchzusetzen. Daß durch die Hintertür eine Art Blockwart-System in den modernen Spitzensport eingeführt wird, ohne daß die damit einhergehenden sozialen und kulturellen Verheerungen auch nur ansatzweise in Politik und Medien kritisch reflektiert würden, ist nicht etwa verwunderlich, sondern Programm des zu allen Zeiten eingesetzten Herrschaftsinstrumentes Sport. Wäre es anders, würde im öffentlichen Diskurs nicht der "gläsere Athlet", der sich mit jeder Faser "seines" Körpers rechenschaftspflichtig machen muß, als vermeintlich alternativlose Akzeptanzgröße und mithin Vorbild für die Gesellschaft propagiert, sondern der Emanzipation des Sportlers aus seiner instrumentellen Zweckbestimmung das Wort geredet werden.

31. Dezember 2008