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KOMMENTAR/006: Handball-Bundesliga - Marter mit System (SB)



Der professionelle Handballsport in Deutschland liegt dem Publikum zur Zeit nicht mit WM-Hau-Ruck-Schlagern der Sorte "Wenn nicht jetzt, wann dann?" in den Ohren, auch vom Handball-Boom, ausgelöst und beflügelt durch den Gewinn der Männer-Weltmeisterschaft 2007 im eigenen Land, ist nicht mehr die Rede. Im Gegenteil. Schlagwörter wie "Korruption im internationalen Handball", "verpfiffene Spiele", "gekaufte WM- Bewerbung", "presserische Verbandstage" sowohl auf europäischer wie nationaler Ebene, "überlastete und ausgebrannte Profis", "Zweiklassengesellschaft in der Bundesliga" beherrschen die Schlagzeilen, und die Liste ließe sich fortführen. Dabei geben die im Sport-Medien-Komplex aufgespießten "Skandale" und "Affären" meistens nur verkürzte oder beschönigende Sichtweisen auf die Widerspruchslagen im professionellen Leistungssport wieder.

So wird aktuell zwar das offenbar unzureichende "Lizenzierungsverfahren" der Männer-Bundesliga kritisiert, nachdem schon frühzeitig zu Saisonbeginn die HSG Nordhorn an einer Pleite knapp vorbeischlitterte, der Traditionsklub TuSEM Essen wegen massiver Liquiditätsprobleme Insolvenz beantragen mußte und Aufsteiger Stralsunder HV ähnliches droht, wenn nicht die Stadt (gemeint ist der Steuerzahler) mit einer Bürgschaft einspringt, doch das Leistungs- und Konkurrenzgefüge namens Handball-Bundesliga (HBL), das sich die kommerzielle Ausbeutung der beliebten Ballsportart zur profitablen Aufgabe gemacht hat, wird nicht in Frage gestellt.

Bei aller Emotionalisierung durch das Unterhaltungsgewerbe gäbe es aber durchaus Anlaß, sich einmal nüchtern vor Augen zu führen, daß der massenmediale Spitzensport längst jeden Anspruch verloren hat, etwas mit dem zu tun zu haben, was der gemeine Handballspieler mit seiner Sportart verbindet, wenn er beispielsweise vom "sportlich-fairen Wettkampf" spricht.

Tatsächlich handelt es sich bei der Bundesliga um ein künstliches Marterwerk, in dem sich der sportliche Wettbewerb elementar über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen definiert. Man könnte auch sagen, die Spieler sind lediglich die ausführenden Organe eines Wettbewerbs, den die zu Wirtschaftsbetrieben mutierten Vereine mit allen marktwirtschaftlichen Instrumenten - verdeckte und offene Fouls inklusive - betreiben. Die oft beanstandete "Wettbewerbsverzerrung" ist genaugenommen ein Dauerzustand und findet schon vor dem ersten Ballwechsel statt, da die Vereine unterschiedliche wirtschaftliche Voraussetzungen haben. Die reichen Vereine, die sich qualitativ wie quantitativ hochwertiges "Spielermaterial" kaufen können, bilden nach dem von den Funktionsträgern offen eingestandenen Motto "Geld wirft Tore" eine Klasse für sich und sahnen die für die vordersten Plätze ausgelobten TV-Gelder, Siegprämien, Europacup-Teilnahmen etc. ab, wodurch sie wiederum ihre Vorteilsposition gegenüber der Konkurrenz absichern und ausbauen können.

Es ist eben kein Zufall, daß derjenige Verein, der in den 1990er Jahren eine Vorreiterrolle bei der Kommerzialisierung und Professionalisierung des Handballs in Deutschland spielte, auch zum sportlich erfolgreichsten Handballklub avancierte. Die Rede ist natürlich vom Etatriesen THW Kiel, der seit Jahren sportlich und wirtschaftlich den Ton angibt und von der Handball-Journaille, die Teil der Verwertungskette ist, zum Vorbild für die gesamte Branche stilisiert wird - obwohl doch längst ersichtlich ist, daß sich eine Minderheit privilegierter Vereine zu Lasten der Mehrheit durchsetzt. Nur weil die Bettler, salopp gesagt, auch König sein wollen - und nicht etwa Revolutionäre -, trägt sich dieses Teilhaberschaftssystem.

Die Ökonomisierung des Handballsports, die auch auf Druck der Profivereine den Deutschen Handballbund (DHB) ergriffen hat, der mit jeder Verbandsreform weitere Zugeständnisse an die kommerziellen Notwendigkeiten und Perspektiven des Spitzenhandballs macht, führt geradezu zwangsläufig dazu, daß der Spieler, der aus welchen Gründen auch immer diese Ballsportart ursprünglich betrieben haben mag - sei es aus Spaß, aus Freude an der Bewegung, an den gemeinschaftlichen Erlebnissen oder einfach nur wegen des "Bieres" nach dem Spiel - im Laufe seines Schulungs- und Reifeprozesses immer waren- und marktförmiger wird.

Die Professionalisierung des Handballsports hat unterdessen einen Spielertyp kreiert, der als hochwertiger Funktionssklave auf dem Transfermarkt, welcher ständig mit neuer, noch unverbrauchter Frischware beliefert wird, gehandelt wird und der sich nahezu widerspruchslos mit den sportlichen, d.h. den TV- und Marketingprämissen angepaßten Spielregeln arrangiert. Auf dieser Grundlage konnten die Kommerzialisierung des Handballsports vorangetrieben und sämtliche Spieler und Mannschaften als ein "Produkt" abstrahiert werden, das sich in Konkurrenz zu Produkten anderer Sportarten oder Anbieter auf dem Medienmarkt zu behaupten sucht. Die weitere Entwicklung war damit vorgezeichnet: Zur optimalen Vermarktung des Produktes "Handball-Bundesliga - stärkste Liga der Welt" haben die - inzwischen ebenfalls bezahlten - Vereinsmanager 1997 das Lizenzierungsverfahren eingeführt, das im Laufe der Zeit ständig modifiziert wurde.

Die Handball-Bundesliga begreift sich längst nicht mehr nur als eine Ansammlung konkurrierender Vereine, sondern als Zusammenschluß von Wirtschaftsunternehmen, die darauf bedacht sein müssen, daß ihr an den Namenssponsor Toyota verkauftes Firmenschild nicht in Verruf gerät, etwa dergestalt, daß einzelne Vereine unter großem Mediengetöse in Konkurs gehen oder - wie jetzt durch die Fälle TuSEM Essen und Stralsunder HV, die zum Schuldenabbau teilweise ihre Spieler abgeben müssen - daß sich die Liga nicht mit "Kirmes"-Mannschaften, die schon zu Saisonbeginn zum Zwangsabstieg verurteilt sind, anfüllt. Eine solche Liga wirkt nicht eben attraktiv auf potentielle Sponsoren, die befürchten müssen, ihre Gelder in einen ruinösen Zirkusbetrieb zu buttern, der nichts als Ärger einbringt und wenig "positive" Image- und Werbewirkung für die Firmen garantiert.

Auf Funktionärsebene ist nun ein Streit darüber ausgebrochen, ob das neue, auf Testaten von Wirtschaftsprüfern beruhende, aber immer noch zu lasche Lizenzierungsverfahren der HBL zum aktuellen Desaster geführt hat oder nicht vielmehr "Mißwirtschaft" der Vereine bzw. falsche Zahlen beim Lizenzantrag. Weniger deutlich beim Namen genannt wird indessen eine der wesentlichen Schwachstellen des Lizenzierungsverfahrens, nämlich daß niemand in der Liga die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Sponsors überprüfen, geschweige denn garantieren kann, schließlich gehört eine blankpolierte Unternehmensfassade, hinter der sich womöglich Abgründe auftun, ebenso zum normalen Geschäftsgebaren wie von Vereinsseite eine drohende Insolvenz strategisch angelegt sein kann, um in der Not Gelder, etwa von Städten oder Kommunen, die ihr sportliches Aushängeschild nicht verlieren wollen, zu akquirieren.

Nebenbei erwähnt: Daß der Geschäftsführer der HBL, Frank Bohmann, auch als Mitglied in der dreiköpfigen, vermeintlich unabhängigen Lizenzierungskomission figuriert, ist nicht etwa ein Witz, sondern wird von diesem auch gegen alle Kritik verfochten. "Weil ich hier eine absolut neutrale Stellung habe", so der von der HBL bezahlte Funktionär in einem Deutschlandfunk-Interview. Unausgesprochen blieb an dieser Stelle, daß das Lizenzierungsverfahren primär ein Marketinginstrument der Vereine darstellt, das in durchaus widersprüchlicher Hinsicht funktioniert: Einerseits sollen keine wirtschaftlichen Umfaller das Entree in die Bundesliga erhalten, andererseits dürfen die Hürden für die Vereine mit chronisch überspannten Etats auch nicht zu hoch sein, denn es wäre dem Image des Produktes äußerst abträglich, wenn die halbe Liga nicht am Spielbetrieb teilnehmen dürfte. Damit sich das Lizenzverfahren nicht zur Geißel der Liga entwickelt, bedarf es zweifelsohne eines Interessensstatthalters der HBL in der Lizenzierungskommission.

Bei aller das Lizenzierungsverfahren aufs Korn nehmenden Kritik bleibt jedoch in der Regel vollkommen außer Betracht, daß ein auf Wachstum und Konkurrenz setzendes Wettbewerbssystem wie die Bundesliga schon aus systemischen Gründen permanent Unterschiede und Zwangslagen unter den Vereinen generiert. So zielen das sportliche und finanzielle Belohnungs- und Bestrafungssystem der Bundesliga, die Auf- und Abstiegsregelung sowie das Sanktionssystem bei Lizenzverstößen, das säumigen Vereinen noch zusätzliche Erschwernisse aufbrummt, darauf ab, die Marter noch zu verschärfen. Der urtümliche Webfehler des Systems liegt allerdings in der Marktkonkurrenz begründet und nicht etwa, wie vielfach behauptet, in der "Blase" (Deutschlandfunk), die dadurch entstanden sein soll, daß sich nach der Heim-WM 2007 in der boomenden Handball-Wirtschaft die Preise u.a. für deutsche Nationalspieler erhöhten, so daß sich diese nur noch die wirtschaftlich potenten Vereine leisten konnten, während sich einige der ärmeren Klubs, die natürlich auch sportlich wettbewerbsfähig bleiben wollten, beim finanziellen Kraftakt verhoben. Die "Blase" ist lediglich Ausdruck der fortwährend Unterschiede schaffenden Konkurrenz.

Mag die WM in Deutschland auch beschleunigend gewirkt haben, am unheilvollen Prinzip der Konkurrenz, das auf marktwirtschaftlicher Ebene die Vereine in wenige reiche und viele arme auseinandertreibt und auf sportlicher Ebene wenige Sieger und viele Verlierer produziert, ändert dies nichts. Der im Leistungssport verabsolutierte Konkurrenzkampf läuft wie stets auf das vampiristische Verhältnis hinaus, daß der andere zum Träger der eigenen (wirtschaftlichen) Überlebensperspektiven wird, ohne daß sich die grundsätzliche Zwangslage je löst.

26. November 2008