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VEREINE/164: Kooperationen in der Ganztagsbetreuung mit Schulen gewinnen an Wert (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 42 / 13. Oktober 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Vereine sind wertvolle und leistungsstarke Partner
Kooperationen in der Ganztagsbetreuung mit Schulen gewinnen an Wert

Von Hans-Peter Seubert


"Wir wollen den Weg mit Schule und Verein gemeinsam gehen. Wir möchten beteiligt sein und sind auch beteiligt." Silvia Glander (Ratingen), Vorsitzende des Freiburger Kreises (FK), positioniert den "Großsportverein in der Bildungslandschaft" selbstbewusst. Beim Herbstseminar der Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine (166 Mitglieder über 700.000 Mitgliedschaften) in Oer-Erkenschwick machten Experten und Praxisbeispiele klar: Die Kooperation bedeutet eine Chance, obwohl genügend Risiken lauern.

Sportwissenschaftler Professor Nils Neuber (Münster) sieht die Gefahr längst nicht gebannt, dass das Fach Sport in der Hochschulausbildung weiter reduziert wird. Trotz des Zurückruderns der Kultusministerkonferenz (KMK), die ihre Entscheidung revidierte, Sportlehrer-Ausbildung künftig im Fach Ästheische Bildung aufgehen zu lassen. Auch auf Druck des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Neuber: "Wir sollten wachsam bleiben."

Schulsport ist im Bildungsalltag das drittgrößte Fach mit drei Wochenstunden. Er kann nicht abgewählt werden. Hinzu kommen außerschulische Bewegungsangebote. Doch reichlich Stundenausfälle sind weiterhin Alltag. Und über 50 Prozent der Stunden, vor allem an Grundschulen, werden fachfremd unterrichtet - mangels qualifizierter Sportlehrer. 6.900 Schulen in Deutschland arbeiten inzwischen vor allem im Grundschulbereich mit Ganztagsbetreuung.

Tendenz steigend. Neuber: "Dieser Zug fährt, wir können ihn nicht aufhalten." Er beschrieb den Sportverein als wichtigen Partner: "Ganztagsschule ist eine Chance, um den Schulsport in der Schule voranzubringen."

Ein gemeinsames pädagogisches Konzept, verbindliche Vereinbarungen, Kommunikation auf Augenhöhe und solide, nachhaltige Finanzierung ("Wenn die Kasse stimmt, funktioniert auch die Kooperation") sind Eckpfeiler der Zusammenarbeit. Das unterstrich auch der Sportwissenschaftler Professor Roland Naul (Essen). Vereine bringen fachliche Qualität, gutes Personal, Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit ein. Heterogene Gruppen, fehlende pädagogische Kompetenz, der Umgang mit Konflikten, Präsens am Nachmittag sowie die Mitbestimmung der Kinder bei den Angeboten entwickeln im Schul- und Betreuungsalltag am ehesten Probleme.

63.200 der gut 90.000 Sportvereine Sportvereine (69,9 Prozent) verfügten schon vor dem Ganztag über Kooperationserfahrung. Doch nicht jeder Club, vor allem die kleinen mit knappen Personal-Ressourcen, kann die Herausforderung Ganztagsbetreuung stemmen. Neuber brachte das Netzwerk der regionalen Bildungslandschaften ins Spiel, die von kommunalen Bildungsbüros (beispielsweise in Nordrhein-Westfalen) moderiert und betreut werden. Dort fließen alle Ströme der Jugendhilfe zusammen: "Wir müssen uns einmischen, um wahr genommen zu werden, was im Sport drinsteckt."

Professor Naul sieht drei Typen der Kooperation: Kommunale Zentren und Vereinbarungen mit dem Schulträger, die eine Koordinierungs- und Beratungsstelle managt. Rundum-Service von Sportvereinen, die auch Essen und Hausaufgabenhilfe einschließen, und den Regelfall: Vereine und Schulen schließen Vereinbarungen. "Alle drei helfen durchaus Vereinsbindung aufzubauen." In einer Studie in Essen hat der Sportwissenschaftler nachgewiesen: "Weniger Vereinsmitglieder ist nicht das Problem, weniger Belegungszeiten ist nicht das Kernproblem." Auch nicht Konkurrenz des Ganztagsangebots oder Abwerbung von Übungsleitern durch bessere Vergütung. Hinreichende Qualifikation oder keine Möglichkeit, früh am Nachmittag Angebote anzubieten, bereiten mehr Kopfzerbrechen. Runde Tische, die alle Partner in den Bildungslandschaften zusammenholen, Eltern, Schule, Kommune und Anbieter (Vereine) erzielen gute Resultate. Ein Handicap bildet die hohe Fluktuation der Anbieter. Ein Drittel der Übungsleiter und Betreuer sind ältere Schüler oder Studenten. Zudem verwies Naul auf die dramatische Finanznot der Kommunen: "80 Prozent leben inzwischen mit Haushaltssperren." Dennoch, die Finanzfrage lässt primär kaum eine Betreuung scheitern.

Gute Erfahrungen hat die Sportjugend Hessen mit ihrer Initiative "Sportverein plus Schule" gemacht (2007 bis 2009): Projektbegleiter Ahmed Derecik (Uni Münster) berichtete von 70 Kooperationen, die im ersten Jahr mit 1.000 Euro und im zweiten mit 500 Euro angeschoben wurden. Sechs Bausteine sorgen dafür, dass die Arbeit fruchtet. Kommunikation auf Augenhöhe, Sicherstellung der Ressourcen (Förderverein), pädagogisches Konzept, Kontinuität der Angebote und Teilnahmen und ein Bildungsnetzwerk mit guter Öffentlichkeitsarbeit. Die Qualifikation der Übungsleiter, die Ausbildung von Schüler-Assistenten sowie gründliche Evaluation über getrennte Fragebogen für Schulen und Vereine, dazu eine von Moderatoren begleitete Gesprächskultur flankieren das Projekt, vom Hessischen Sozialministerium unterstützt.

Die Sportjugend Hamburg - so Geschäftsführer Michael Sander - hat mit ihrem Projekt 14 Kooperationen der sportlichen Ganztagsförderung in Problemvierteln der Hansestadt gute und wertvolle Erfahrungen gesammelt. Nahezu alle Kinder, die bewegt wurden, sind heute in der Obhut der Vereine. Sander gab aber auch zu, dass Risiko-Familien nicht erreicht wurden. Der Blick zum Nachbarn Frankreich eröffnet keine Orientierungshilfe. Das Verwaltungs- und Schulsystem dort pflegt strikte Trennung von Schulsportclubs und Verbandssport. Referent Serge Roy: "Frankreich ist immer noch zentralistisch geprägt. Die zwei Welten Schule und Verein leben nebeneinander."

Im 63 Millionen-Staat sind knapp 16 Millionen Mitgliedschaften in Vereinen registriert. "80 Prozent der Vereine sind klein und funktionieren ohne bezahltes Personal." Fast ebenso viele Franzosen organisieren ihre Sport- und Bewegungsangebote außerhalb der Sportorganisation. Roy, Direktor eines Netzwerks Stadtforen, das die Interessen des Sports zu bündeln sucht: "Von richtiger Kooperation zwischen Schulen und Sport kann nicht die Rede sein. Schule ist für uns eine fremde Welt. Der Pädagoge blickt neidvoll nach Deutschland, wo trotz aller Reibungsverluste in der Ganztagschuldiskussion sich langsam Strukturen entwickeln, die Schule und Sport gemeinsam tragen.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 42 / 13. Oktober 2009, S. 28
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2009