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VERBAND/008: Auszüge aus der Hamburger Rede des DOSB-Präsidenten Thomas Bach (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Auszüge aus der Hamburger Rede des DOSB-Präsidenten Thomas Bach

"In unseren 90.000 Vereinen bewegt der Sport täglich Millionen"


Das Ringen um die Glaubwürdigkeit des Sports, den Kampf gegen Doping und jede Form von Manipulation bezeichnete der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, in seiner Rede bei der Mitgliederversammlung in Hamburg als eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben des DOSB. Er eröffnete interessante Perspektiven in der Auseinandersetzung mit der Dopingproblematik. Zugleich stellte er die gesellschaftspolitische Kraft und die integrative Wirkung des Sports heraus. Nachfolgend Auszüge aus der Rede:

Sport bewegt: Das neue Motto des DOSB ist Zustandsbeschreibung und Herausforderung zugleich. Dies gilt umso mehr in bewegten Zeiten mit Unsicherheiten politischer, wirtschaftlicher, sozialer Art allenthalben. Wir leben in einer Zeit, in der wir alle nach Halt suchen, die Anhaltspunkte sich aber in ständiger Bewegung befinden. Der Sport muss sich als integraler Bestandteil unserer Gesellschaft diesen Herausforderungen stellen: Wenn er sich nicht bewegt, wird er von anderen Interessen bewegt werden. Das Präsidium des DOSB hat im vergangenen Jahr versucht, den Sport und uns alle in Bewegung zu halten.

Im wörtlichen Sinne haben wir das getan mit neuen Angeboten, insbesondere im Breitensport, wie "Deutschlands aktivste Stadt", wie dem großartigen Jugendevent der DSJ in Weimar, wie mit der Rekordbeteiligung beim Deutschen Sportabzeichen und vielen anderen Aktivitäten mehr. In unseren 90.000 Vereinen bewegt der Sport täglich Millionen. Im übertragenen Sinne hat der Sport einmal mehr die Gemüter bewegt, oft angeregt, manchmal erregt. 17 Weltmeisterschaften, davon 8 in olympischen Sportarten, im Jahr 2007 in Deutschland, das Thema Integration durch Sport und der Kampf gegen Doping sind nur einige Beispiele für diese Kategorien...

Zu den Aufgaben der Zukunft zählt an vorderster Stelle zweifellos das Ringen um die Glaubwürdigkeit des Sports, der Kampf gegen Doping und jede Form von Manipulation, dem wir uns schon bei unserer Gründungsversammlung im letzten Jahr verschrieben haben. Vieles ist geschehen im abgelaufenen Jahr. Der von Ihnen getragene 10-Punkte-Aktionsplan unserer letzten Mitgliederversammlung ist weitgehend umgesetzt und durch neue Maßnahmen ergänzt worden. Wir können zur Kenntnis nehmen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn der WADA-Präsident Richard Pound unser Konzept der integrierten Arbeitsteilung von Sport und Staat, unser Maßnahmenpaket als "beispielgebend für andere Länder" bezeichnet. Wir können zur Kenntnis nehmen, dass das IOC die Bestimmung unserer DOSB-Nominierungsrichtlinien, nach denen ein Dopingverstoß während des Zeitraums einer Olympiade grundsätzlich zum Verlust der Nominierungsfähigkeit führt, zur weltweiten Verpflichtung machen will.

Mit diesen Ihnen vorliegenden Nominierungsrichtlinien, mit der Verpflichtung zur ständigen Verfügbarkeit für Kontrollen, mit der Abgabe von Urinproben im Beisein Dritter, mit Blutkontrollen, mit DNA-Tests, mit der Anwendung des Grundsatzes der strict liability, mit der Nichtangreifbarkeit der Dopingliste, mit allen diesen Maßnahmen mutet der Sport seinen Athleten viele Einschränkungen ihrer individuellen Persönlichkeitsrechte zu. Viel mehr übrigens, als ihnen ein Staat auferlegen könnte. Unsere Athleten unterstützen diese Null-Toleranzpolitik zur Erhaltung und Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit des Sports. Deshalb haben wir Vertrauen in unsere Athleten - sie wollen wie wir Erfolg, aber keinen schmutzigen Lorbeer. Mit diesem Bekenntnis zu einem sauberen Sport und gegen jeden Generalverdacht sollten sich die Athleten in Zukunft noch deutlicher und offensiver zu Wort melden.

Mit der Reform der NADA, mit der Verschärfung des Arzneimittelgesetzes, mit der Doping-Berichterstattung an das BMI und mit den vielen anderen Maßnahmen zur Sicherung der Integrität unserer Olympia-Mannschaft, haben wir das technische Instrumentarium im Kampf gegen Doping optimiert. Diese neuen Möglichkeiten müssen jetzt konsequent genutzt werden - und zwar von Sport und Staat. Allerdings bleibt der ebenso dringend erforderliche Bewusstseinswandel offensichtlich noch oberflächlich. Hier müssen wir tiefer schürfen. Nur Sanktion, nur Kritik, nur Verdacht, gar nur Häme oder Polemik führen nicht zur grundlegenden Verbesserung der Situation; zumal dann, wenn sie manchmal mit absoluter Selbstgerechtigkeit gepaart sind. Wenn wir langfristig und tiefgreifend etwas bewegen wollen, müssen wir vielmehr unser Verständnis von Leistung und Moral auf den Prüfstand stellen. Wir wollen dies im nächsten Jahr auf einem Kongress mit Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Wissenschaftlern erörtern. Dieser Kongress wird die Erkenntnisse unseres so erfolgreichen Europäischen Fairplay-Kongresses fortschreiben und vertiefen.

Der Sport muss sich aber schon heute fragen, was er selbst in seinem Anspruch und seiner Darstellung ändern muss. Dazu gehört zunächst der Anspruch auf schonungslose und umfassende Offenlegung. Ich kann nur jeden betroffenen Mitgliedsverband ebenso wie die Universität Freiburg mit aller Dringlichkeit auffordern, diese Aufgabe offensiv anzugehen. Nur so werden auch die inzwischen eingeleiteten, weitreichenden Anti-Doping-Maßnahmen eines solchen Verbandes glaubwürdig.

In unserer Darstellung des Sports scheint mir die große Fixierung auf Rekorde ein zentrales Problem zu sein. Wir müssen wieder mehr den Wettkampf zwischen den Athleten in den Mittelpunkt des Geschehens und der Aufmerksamkeit rücken. Dabei sind alle Beteiligten gefordert: Verbände, Veranstalter, Sponsoren, Förderer, Zuschauer und Medien.

Es sollten keine Rekorde mehr anerkannt werden, die unter Ausnutzung anderer Athleten erzielt wurden. Schon die Bezeichnung "Hase" für einen Vorwegläufer spricht in ihrer Menschenverachtung für sich.
Es sollten für Rekorde keine Prämien mehr gezahlt werden, von wem auch immer. Dann könnten Siege oder Platzierungen Maßstab für Förderung und Bezahlung werden.
Es sollte bei Wettkämpfen nicht der Weltrekord oder sogenannte Championship-Rekord als Maßstab in Programmheften, auf Anzeigetafeln oder bei der Ansage angegeben werden.
Es sollten bei TV-Übertragungen die Athleten nicht hinter einer eingeblendeten virtuellen Rekordmarke gezeigt werden.

Mit diesen und anderen Maßnahmen können wir ein Umdenken fördern. Eigentlicher Sinn des Sports ist nämlich der Wettkampf zwischen Athleten, nicht die Rekordsucht vermeintlicher Heroen.

Einige mögen das für naiv halten, aber ich glaube die Zeit hierfür ist ebenso reif wie unsere Zuschauer, Hörer und Leser. Aus Gesprächen mit Athleten zu diesem Thema schöpfe ich meinen Optimismus ebenso wie aus dem Verhalten der Zuschauer bei den Weltmeisterschaften in unserem Land im Jahr 2007. Diese Zuschauer haben gezeigt, dass sie Sport nicht zum bloßen Unterhaltungsevent degradieren wollen. Diese Zuschauer haben gezeigt, dass sie fairen Wettkampf fair begleiten. Diese Zuschauer haben gezeigt, dass man fröhlich feiern und sportsachverständig sein kann. Diese Zuschauer haben gezeigt, dass sportliche Leistung nicht nur als Rekord gewürdigt wird, sondern auch ein Sieg aufgrund sportlicher Taktik, Finesse, mannschaftlicher Geschlossenheit oder gar Glück Begeisterung auslöst.

Diese Zuschauer waren sportlich, sympathisch, fair begeistert und begeisternd: Deshalb hat das DOSB-Präsidium die IOC-Trophäe 2007 für Sport und die Förderung der Olympischen Idee diesen Zuschauern verliehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird diese Auszeichnung stellvertretend für sie alle in Empfang nehmen.

Der Sport bewegt also auch die Bundeskanzlerin und die Politik. Der Bundespräsident bewegt sich selbst, als neuerlicher erfolgreicher Absolvent des Deutschen Sportabzeichens, und er bewegt den Sport mit seinem wertvollen Rat beim jährlichen Gespräch mit dem DOSB-Präsidium. Bei der Zusammenarbeit mit allein 11 Bundesministerien und dem Bundeskanzleramt sind wir vor allem bei der großen gesellschaftlichen Herausforderung der Integration aufgefordert, mit Bewegung etwas zu bewegen. Auch in diesem Bereich arbeiten wir ebenso vertrauensvoll wie erfolgreich mit dem Bundesinnenminister zusammen. Die positive Rolle, die der Sport bei der Integration spielen kann und seit vielen Jahren spielt, ist inzwischen allgemein anerkannt. Der 2. Integrationsgipfel der Bundesregierung hat das einmal mehr deutlich gemacht. Der DOSB hat diese Rolle angenommen mit einer Vielzahl von Verpflichtungen im Nationalen Integrationsplan, der besonderen Betonung des Themas Integration bei den Kriterien für den Wettbewerb "Deutschlands aktivste Stadt" oder bei der gemeinsam mit der DSJ erfolgten Ausschreibung des "Deutschen Schulsportpreises" im Rahmen unserer Qualitätsoffensive für den Schulsport. Dem werden weitere Aktivitäten folgen, wie zum Beispiel "Mehr Migrantinnen in den Sport".

Bei dem Thema Integration zeigen sich die herausragenden gesellschaftlichen Möglichkeiten des Sports. Unsere Vereine sind auf diesem Feld wahre Vorreiter - sie bewegen mehr Menschen zur Integration als alle anderen gesellschaftlichen Gruppen. Beschränkt der Sport sich jedoch auf seine eigenen Möglichkeiten, werden auch seine Grenzen ebenso schnell aufgezeigt. Der Sport kann wie keine andere menschliche Betätigung Barrieren aller Art überwinden, Isolierung aufbrechen, Sprachlosigkeit in Kommunikation und Verständigung umwandeln. Er ist aber alleine nicht dazu in der Lage, Sprache zu vermitteln oder gar eine Arbeitsstelle. Durch gemeinsame sportliche Betätigung wird der Wille zum gegenseitigen, auch sprachlichen Verstehen geweckt und gestärkt. Wer in der Gruppe Sport treibt, möchte sich in dieser Gruppe verständlich machen, auch in der "dritten Halbzeit" nach dem Sport. Wer sich im Sport behauptet und integriert, wird dies auch auf den Beruf übertragen.

Dafür benötigen wir jedoch Bindeglieder außerhalb des Sports. Andere Träger von Integration müssen diese Menschen, die wir durch Sport aus ihrer Isolierung befreit haben, denen wir im Sport Anreiz zu sprachlicher und beruflicher Integration geboten haben, gemeinsam mit dem Sport weiter fördern, fordern und auffordern. Deshalb müssen wir von Seiten des Sports noch mehr Angebote an andere gesellschaftliche Gruppierungen zur Zusammenarbeit, oder wie es im "Berater-Sprech" heißt, zum "Networking" machen.

Unser gemeinsam mit den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland herausgegebenes Ideenheft zur Integration ist nur ein Beispiel für viele. Der ebenso in diesem Jahr veröffentlichte DOSB-Sportentwicklungsbericht zeigt, dass unsere Vereine dies erkannt haben und deshalb für solche Anregungen und Projekte offen sind...


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 50, 11. Dezember 2007, DOKUMENTATION I-IV, S. 14-17
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2007