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POLITIK/297: Was steht eigentlich im "Weißbuch Sport" der EU-Kommission? (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 49 / 2. Dezember 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Was steht eigentlich im "Weißbuch Sport" der EU-Kommission?
Viel Kritik und auch offene Fragen in den bisherigen Beratungen

Von Friedrich Mevert


Das "Weißbuch Sport" der EU-Kommission ist am 11. Juli 2007 in Brüssel erschienen. Es wurde in den letzten anderthalb Jahren bereits in zahlreichen politischen und auch sportlichen Gremien zur Diskussion gestellt, so u. a. im Europäischen Parlament, im Sportausschuss des Deutschen Bundestages, im IOC und in der FIFA, ja sogar im "Freiburger Kreis", der Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine. Zuletzt wurde das Weißbuch im Oktober dieses Jahres bei einem internationalen Symposion beraten, zu dem das Bundesministerium des Innern und das Bundesinstitut für Sportwissenschaft nach Bonn eingeladen hatten. Wenn man aber führende Sportfunktionäre von Bundes- und Landesebene, bekannte Sportjournalisten oder aber Sportwissenschaftler - von "normalen" Vereins- oder Kreisvorsitzenden einmal ganz abgesehen - fragt, welchen Inhalt denn dieses "Weißbuch - Sport" überhaupt habe, dann erfolgt oft ein etwas verlegenes Achselzucken.

Das Weißbuch umfasst mit seinen Anhängen ca. 200 Seiten und ist das erste umfassende Dokument der Europäischen Union, dass sich intensiv mit der gesellschaftliche Rolle des Sports befasst. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Thema Vereinbarkeit sportpolitischer Aktivitäten mit dem EU-Recht gewidmet. Die Übersicht über alle relevanten Urteile des EUGH bietet dem Leser eine gute Übersicht über die zum Leidwesen der Sportorganisationen eingeschränkte Autonomie des Sports. Vorwerfen kann man dem Weißbuch jedoch, dass eher eine Rückschau betrieben wurde und zu wenig Lösungsansätze für künftige sportpolitische Herausforderungen vorgestellt wurden, wie bspw. zur Finanzierung des Sports, zu nationalen Quoten in Mannschaftssportarten, zur Anwendung der Grundfreiheiten oder des Wettbewerbsrechts auf den Sport.

Eine Rechtsgrundlage für die unmittelbare Förderung des Sports auf der Basis des EU-Vertragswerks existiert bis heute - leider - nicht. Mit den Amsterdamer Verträgen, die am 1. Mai 1999 in Kraft traten (und nicht erst mit der Nizza-Erklärung 2000, wie das Weißbuch fälschlich informiert), wurden konkrete Schritte getan, um die EU bürgernäher zu gestalten und erstmals auch den Sport einzubinden. So wurde vom Europäischen Rat der Schlussakte eine Erklärung mit folgendem Wortlaut beigefügt: "Die Konferenz unterstreicht die gesellschaftliche Bedeutung des Sports, insbesondere die Rolle die dem Sport bei der Identitätsfindung und der Begegnung der Menschen zukommt. Die Konferenz appelliert daher an die verschiedenen Gremien der EU, bei wichtigen, den Sport betreffenden Fragen die Sportverbände anzuhören. In diesem Zusammenhang sollten die Besonderheiten des Amateursports besonders berücksichtigt werden."

In Nizza ergänzte der Europäische Rat 2000 die Amsterdamer Erklärung zur Rolle des Sports, diese Erklärung war jedoch nur politischer Art und schuf keine Rechtsgrundlage. Diese vor allem vom deutschen Sport immer wieder eingeforderte EU-Kompetenz auch für den Sportbereich würde nun mit dem - z. Zt. durch das irländische Veto verzögerte - Inkrafttreten des Reformvertrages von Lissabon gegeben sein, dessen Neufassung von Artikel 165 auch eine ergänzende Rechtsgrundlage für die Sportförderung vorsieht.


Erste Auseinandersetzung der Kommission mit dem Sport

Das Papier befasst sich nach dem einleitenden Kapitel in vier weiteren Kapiteln hauptsächlich mit der gesellschaftlichen Rolle des Sports, seiner wirtschaftlichen Dimension, der Organisation des Sports in Europa sowie mit den Folgemaßnahmen dieser Initiative. "Diese Initiative ist" - so der Autor des Weissbuches, der Leiter des Sportreferates in der EU-Generaldirektion Erziehung und Kultur, Michal Krejza, - "die erste umfassende Auseinandersetzung der Kommission mit dem Thema Sport. Sie soll eine strategische Ausrichtung der Rolle des Sports in Europa ermöglichen, eine Diskussion über bestimmte Probleme anregen, die Sichtbarkeit des Sports in der EU-Politik erhöhen und die Öffentlichkeit für die Bedürfnisse und Besonderheiten des Sportsektors sensibilisieren. Die Initiative hat zum Ziel, wichtige Themen wie die Anwendung des EU-Rechts im Sportbereich zu illustrieren und weitere sportbezogene Maßnahmen auf EU-Ebene darzulegen." (...) "Konkrete Vorschläge für weitere EU-Maßnahmen sind in einem nach Pierre de Coubertin benannten Aktionsplan zusammengefasst, der Maßnahmen umfasst, die von der Kommission durchgeführt oder unterstützt werden sollten."

Unterabschnitte in Kapitel 2 (Die gesellschaftliche Rolle des Sports) befassen sich mit:

Verbesserung der öffentlichen Gesundheit durch körperliche Aktivität (2.1),
Gemeinsam gegen Doping (2.2.),
Ausweitung der Rolle des Sports in der allgemeinen und beruflichen Bildung (2.3.),
Forderung von Ehrenamt und aktiver Bürgerschaft durch den Sport (2.4.),
Nutzung des Potenzials des Sports für die soziale Eingliederung, die Integration und die Chancengleichheit (2.5.),
Besserer Schutz und bessere Bekämpfung von Rassismus und Gewalt (2.6.),
Förderung unserer Werte in anderen Teilen der Welt (2.7.) und
Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung (2.8.).

Das Kapitel 3 - Wirtschaftliche Dimension des Sports - hat nur die beiden Unterabschnitte Umstellung auf eine evidenzbasierte Sportpolitik (3.1.) und Bessere Absicherung der öffentlichen Unterstützung für den Sport (3.2.). Insgesamt acht Unterabschnitte enthält das Kapitel 4, die Organisation des Sports, und zwar die Besonderheit des Sports (4.1.), Freizügigkeit und Staatsangehörigkeit (4.2.), Transfers (4.3.), Spieleragenten (4.4.), Schutz von Minderjährigen (4.5.), Korruption, Geldwäsche und andere Formen der Finanzkriminalität (4.6.), Lizenzvergabe für Vereine (4.7.) und Medien (4.8.). Das abschließende Kapitel 5 ist mit Folgemaßnahmen betitelt und hat die Unterabschnitte Strukturierter Dialog (5.1.), Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten (5.2.) und Sozialer Dialog (5.3.).

Den Unterabschnitten zugeordnet sind insgesamt 53 Vorschläge, Selbstaufträge oder Prüfvorgänge, wie z. B. Nr. 1: "Die Kommission schlägt vor, bis Ende 2008 zusammen mit den Mitgliedsstaaten neue Leitlinien für körperliche Aktivitäten zu entwickeln - oder Nr. 9: Regeln, nach denen Mannschaften einen bestimmten Anteil an einheimischen Sportlerinnen und Sportlern umfassen müssen, könnten als mit dem Vertrag vereinbar akzeptiert werden, wenn sie keine direkte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit zur Folge haben und wenn eine mögliche indirekte Diskriminierung als verhältnismäßig im Hinblick auf das verfolgte legitime Ziel - Stärkung und Schutz der Ausbildung und Entwicklung begabter junger Sportlerinnen und Sportler - angesehen wird. Die laufende Studie über die Ausbildung junger Sportlerinnen und Sportler wird hierfür wertvolle Inputdaten liefern."

Oder Nr. 11: "Die Kommission wird den Breitensport im Rahmen des Programms 'Bürger für Europa' fördern" - oder schließlich Nr. 41: "Die Kommission wird eine Folgenabschätzung durchführen, um einen Überblick über die Spieleragenten in der EU zu gewinnen und prüfen, ob Maßnahmen auf EU-Ebene erforderlich sind, und die möglichen Optionen analysieren."

Im Kapitel 6 (Fazit) heißt es dazu:

"Das Weißbuch enthält eine Reihe von Maßnahmen, die von der Kommission durchgeführt oder unterstützt werden sollten. Zusammengenommen bilden diese Maßnahmen den Aktionsplan 'Pierre de Coubertin', der in den kommenden Jahren wegweisend für die Tätigkeit der Kommission im Sportbereich sein wird. Das Weißbuch hat die Möglichkeiten, die die derzeitigen Verträge bieten, voll und ganz ausgeschöpft. Der Europäische Rat vom Juni 2007 hat der Regierungskonferenz einen Auftrag erteilt, der eine Vertragsbestimmung zum Sport vorsieht. Gegebenenfalls wird die Kommission auf diese Frage zurückkommen und das weitere Vorgehen im Zusammenhang mit einer neuen Vertragsbestimmung ansprechen. Nach Aussagen der EU-Kommission ist bis Oktober 2008 mit der Umsetzung von ca. 2/3 der 53 Vorschlägen des Aktionsplans Pierre de Coubertin begonnen worden."

In den bisherigen Beratungen über das Weißbuch sind u. a. kritisch angesprochen worden:

Das Fehlen eines klareren Bekenntnisses zur Autonomie des Sports (DOSB-Präsident Dr. Bach) und einer engen Abstimmung der geplanten EU-Förderprogramme mit den Sportverbänden (DOSB-Generaldirektor Dr. Vesper), das Fehlen einer Gehaltsobergrenze für Spieler und Mannschaften (DFB-Präsident Dr. Zwanziger), fehlende berufliche Mindestqualifikationen für Spieleragenten (Rechtsausschuss des Europäischen Parlamentes), Vermeidung von Doppel-Bürokratie und Beschränkung der EU-Förderung auf supranationale Aktivitäten (Freiburger Kreis), das Fehlen einer perspektivischen Analyse für Zukunftsfragen des Sports (Dr. Bach), die Beschreibung einer Sport Situation "mit weißen Flecken" (Dr. Vesper) und die Vermeidung einer uneingeschränkten Übernahme von Regeln des Kartellrechtes auf den Sport (Bundesminister Dr. Schäuble). Beim Bonner Symposium im Oktober zeigte sich auch der für den Sport zuständige EU-Kommissar für Bildung, Kultur und Jugend, Jan Figel, für kritische Anmerkungen aus den unterschiedlichen Richtungen durchaus empfänglich ("Was im Weißbuch steht, ist dort nicht in Stein gemeißelt!") und betonte, dass der Dialog über die künftige Sportpolitik der EU weitergehen werde.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 49 / 2. Dezember 2008, S. 44
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2008