Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

POLITIK/293: "Was im Weißbuch steht, ist dort nicht in Stein gemeißelt" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 43 / 21. Oktober 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

"Was im Weißbuch steht, ist dort nicht in Stein gemeißelt"
DOSB äußert Änderungswünsche beim internationalen Symposium in Bonn

Von Hanspeter Detmer


Ján Figel verfügt als EU-Kommissar für Bildung, Kultur und Jugend auch über großes diplomatisches Geschick. Am Ende eines internationalen Symposiums, zu dem das Bundesministerium des Innern und das Bundesinstitut für Sportwissenschaft nach Bonn eingeladen hatten und in dessen Verlauf über das EU-Weißbuch des Sports und die Zukunft der europäischen Sportpolitik diskutiert wurde, meinte Figel: "Was im Weißbuch steht, ist dort nicht in Stein gemeißelt. Der Dialog geht weiter." Schließlich war auch dem EU-Kommissar die Kritik nicht entgangen, mit der seit der Erstveröffentlichung des Weißbuchs im Juni 2007 nicht nur Sportfachverbände mit großem Profisport wie der Fußball, sondern auch zahlreiche Medien und in Bonn nun auch Sportwissenschaftler nicht hinter dem Berg zurück hielten.

Zu denen, die gleich zu Beginn des Symposiums Änderungswünsche äußerten, gehörte auch DOSB-Präsident Dr. Thomas Bach: "Das Weißbuch Sport und die damit verbundene Vorlage des 'Aktionsplans Pierre de Coubertin' haben aus der Sicht des DOSB zwar dazu beigetragen, die wichtige gesellschaftliche und ökonomische Dimension des Sports innerhalb der Europäischen Gesellschaft zu verdeutlichen. Dafür gebührt der Europäischen Kommission auch Dank. Was das Weißbuch aber nicht im ausreichenden Maß leistet, ist eine an den Zukunftsfragen des Sports ausgerichtete perspektivische Analyse, die dringend nötig wäre." Vor allem vermisst der DOSB-Präsident im noch nicht ratifizierten Lissaboner-Vertrag eine deutlichere Aussage zur Autonomie des Sports: "So lange die Autonomie der Sportorganisationen nicht im Primärrecht der EU verankert ist, so lange werden wir mit Einzelfall bezogenen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs leben müssen, die dem Sport aber keine ausreichende Rechtssicherheit bieten. Der im Lissabon-Vertrag verankerte Artikel 165, der erstmals eine ergänzende Teilkompetenz der Europäischen Union für den Sport festschreibt, bedarf in jedem Fall noch einer Konkretisierung."

Bach machte zwar darauf aufmerksam, dass die Staats- und Regierungschefs bereits im Jahre 2000 in ihrer Erklärung von Nizza die Autonomie der Sportorganisationen anerkannt hätten. "Aber in verschiedenen Urteilen hat der Europäische Gerichtshof das Recht der Sportverbände eingeschränkt, selbständig über die Anwendung ihrer eigenen Regeln zu entscheiden. Die vom Europäischen Gerichtshof eingeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung, die die Anwendung des Wettbewerbsrechts auch auf sogenannte Sportregeln - wie das Strafmaß beim Dopingvergehen - vorschreibt, stellt die Autonomie des Sports ernsthaft in Frage."

Begrüßt wurde vom DOSB-Präsidenten, dass die EU in ihrem Aktionsplan Pierre de Coubertin angekündigt habe, die Sportverbände beim Schutz junger Athleten zu unterstützen. Auch in diesem Zusammenhang sei es wichtig, die negativen Einflüsse sogenannter Spielervermittler und persönlicher Berater einzudämmen, die ihre Tätigkeiten oft nur im Eigeninteresse, aber nicht im Interesse der jungen Sportler ausübten. Die von der EU initiierte Studie "Rolle der Spielerermittler" könne für den Sport nützlich sein. Vor allem der Handel mit minderjährigen Sportlern aus Afrika und Südamerika, nicht zuletzt auch in Folge des Bosman-Urteils und einer weiten Auslegung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in den EU-Staaten, gefährde immer mehr die Ausbildung und den Einsatz einheimischer Talente. Dr. Christoph Bergner, der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenminister, drückte sich nicht zuletzt mit Bezug auf angemessene Berücksichtigung von Autonomie und Besonderheiten des Sports wie folgt so aus: "Im europäischen Wettbewerbsrecht sollte nicht nur alles unter den Regeln der wirtschaftlichen Grundfreiheiten des Binnenmarktes betrachtet werden."

Begrüßt wurde von allen Symposiums-Teilnehmern die im Weißbuch unmissverständlich formulierte Bekämpfung des Dopings. So wird empfohlen, den Handel mit verbotenen Dopingsubstanzen in der gesamten EU genau so zu verfolgen wie den illegalen Drogenhandel. IOC-Vizepräsident Dr. Thomas Bach wünschte sich außerdem, dass die Netzwerke der Strafverfolgungsbehörden ausgebaut werden, und dass insbesondere durch eine verstärkte polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit europaweit agierende Gruppe und kriminelle Hintermänner besser identifiziert und zur Rechenschaft heran gezogen werden. Der Hausherr, Bundesinnen- und somit auch Sportminister Dr. Wolfgang Schäuble, stimmte zu: "Im Kampf gegen Doping ist eine enge Zusammenarbeit innerhalb der EU zwingend."

Der Mainzer Sportökonom Prof. Holger Preuß nahm das Weißbuch wieder kritisch unter die Lupe. Er vermisste im potentiellen Leitfaden für eine europäische Sportpolitik deutlichere Hinweise auf den Zusammenhang von Gesundheit und Sport. Die deutsche Bundesregierung habe einen Zusammenhang von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht mit diversen Erkrankungen hergestellt. "Das Weißbuch berücksichtig dieses Thema jedoch nicht." Mängel wurden dem Weißbuch auch angekreidet im Zusammenhang mit dem Schutz geistigen Eigentums. Prof. Preuß: "Es gibt zu wenig interdisziplinäre Forschung zwischen Sportökonomie und Sportrecht." Die problematische Wettmarktssituation wird nicht allseits zufriedenstellend dargestellt. "Und ich hätte mir auch deutlichere Aussagen gewünscht bezogen auf einen verbesserten Veranstalterschutz, den wir dringend brauchen", sagte der Münchner Sportrechtler Dr. Thomas Summerer. Auch Bundesinnenminister Dr. Schäuble war der Meinung: "Regeln des Kartellrechts können z.B. im Fußball nicht uneingeschränkt übernommen werden. Man muss dem Sport mehr Autonomie überlassen." DFB-Präsident Theo Zwanziger wird diese Aussage mit Interesse vernommen haben.

DOSB-Generaldirektor Dr. Michael Vesper bewertete schließlich den Verlauf des Symposiums wie folgt: "Das Weißbuch bringt den Sport in Europa weiter. Aber es ist kein Selbstläufer. Das Weißbuch ist eine Beschreibung der Sportsituation in Europa, allerdings eine auch mit weißen Flecken. Es ist wichtig, dass es die Aufmerksamkeit auf Sport in Europa gelenkt hat. Und deshalb ist es die Voraussetzung für gute Politik. Es ist selber aber noch keine Politik."

Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble ließ am Ende der zweitägigen Vorstellung des EU-Weißbuchs des Sports in Bonn grundsätzlich keinen Zweifel: "Dieses Weißbuch ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die europäische Dimension des Sports deutlich heraus zu arbeiten. Wenn sich im November in Biarritz die europäischen Sportminister treffen, will ich das Weißbuch als gute Grundlage für die Debatte mit seinen Kollegen nehmen."


*


Quelle:
DOSB-Presse Nr. 43 / 21. Oktober 2008, S. 18
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund
Otto-Fleck-Schneise 12, 60528 Frankfurt/M.
Tel. 069/67 00-255
E-Mail: presse@dosb.de
Internet: www.dosb.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2008