Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

POLITIK/287: Die politische Dimension der Olympischen Spiele (idw)


Universität Augsburg - 17.07.2008

Die politische Dimension der Olympischen Spiele

Mit ihrer Stellungnahme wollen die DOA-Vorstandsmitglieder Helmut Altenberger und Sylvia Schenk zu einer Differenzierung der Diskussion beitragen.


"Wir wollen auf die politischen Möglichkeiten der Olympischen Bewegung aufmerksam machen und zu einer Diffenerzierung der Diskussion beitragen, die häufig auf die Boykottfrage reduziert wird", meint der Augsburger Sportpädagoge Prof. Dr. Helmut Altenberger auf die Frage, was ihn gemeinsam mit Sylvia Schenk, Olympiateilnehmerin 1972 und wie Altenberger Mitglied im Vorstand der Deutschen Olympischen Akademie e. V. (DOA), veranlasst, mit einer Stellungnahme zur politischen Dimension der Olympischen Spiele an die Öffentlichkeit zu gehen. Olympische Spiele seien immer mit politischen Implikationen verbunden und es sei naheliegend, dass mit der Entscheidung für Peking die Menschenrechtsfrage und die Tibetpolitik Chinas ins Zentrum des Interesses gerückt seien. Zugleich, so Altenberger, sei aber daran festzuhalten, dass der Sport auch im Kontext von Peking 2008 weder durch die Politik noch durch die Wirtschaft instrumentalisiert werden dürfe. Die Stellungnahme ist im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben:


1. Der politische Anspruch der olympischen Bewegung

Wenn es um die Bewertung der politischen Dimension der Olympischen Spiele geht, so kann und muss der politische Anspruch der olympischen Bewegung vor allem aus der Olympischen Charta abgeleitet werden:

"Die olympische Bewegung setzt sich zum Ziel, einen Beitrag zum Aufbau einer friedlichen und besseren Welt zu leisten, indem sie die Jugend mit Hilfe des Sports erzieht, eines Sports, der, auf jede Form der Diskriminierung verzichtend und in olympischem Geist ausgeübt, gegenseitiges Verstehen, den Geist der Freundschaft, Solidarität und Fairplay erfordert."

Mit diesem grundlegenden Prinzip aus der Olympischen Charta erhebt die olympische Bewegung einen politischen Anspruch, von dem sie sich auch dann nicht lossagen kann und darf, wenn es schwierig wird. Sie verliert sonst jegliche Legitimation für die Gründung ihrer Idee "auf den erzieherischen Wert des guten Beispiels und auf die Achtung fundamentaler und universell gültiger ethischer Prinzipien", ein weiteres in der Olympischen Charta festgelegtes Prinzip.

2. Die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008 an Peking als politischer Akt

Die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008 an Peking hat das IOC "erkennbar auch mit der Hoffnung verbunden, dass sich die Menschenrechtssituation in China im Zuge der unumkehrbaren Öffnung des Landes durch die Ausrichtung der Olympischen Spiele und angesichts des überwältigenden Interesses der Weltöffentlichkeit deutlich verbessern werde. 'Indem Sie Peking gestatten, die Spiele auszutragen, helfen Sie der Entwicklung der Menschenrechte' sagte Liu Jingmin , einer der Vizepräsidenten des damaligen Bewerbungskomitees vor der IOC-Entscheidung." (Positionspapier des DOSB-Präsidiums vom Mai 2007)

Sieht man von den sicher auch gegebenen wirtschaftlichen Gründen für die Vergabeentscheidung ab, so hat die olympische Bewegung die Wahl Pekings von Anfang an als einen politischen Akt verstanden bzw. die Entscheidung in Teilen damit legitimiert.

3. Politische Akteure und die olympischen Spiele

Jede Veranstaltung mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit kann politisch instrumentalisiert werden. Dies gilt umso mehr, je höher die Außenwirkung und der mit dem Ereignis verbundene - politische - Anspruch ist. Die olympischen Spiele mit den in der olympischen Charta festgelegten grundlegenden Prinzipien stehen in besonderer Gefahr für andere, vor allem politische, Interessen genutzt zu werden.

Dabei kann ein Missbrauch durch externe politische Gruppen, die sich die olympischen Spiele für ihre Zwecke als Bühne suchen, aber auch durch Nutzung der Olympischen Spiele für vordergründige Propaganda geschehen.

4. Olympiaboykott als Missbrauch der olympischen Idee

Eine spezifische Form des Missbrauchs der olympischen Idee ist der Olympiaboykott. Auch er nutzt die öffentliche Wirkung olympischer Spiele als Demonstration für andere - politische - Zwecke und steht im Gegensatz zu dem von dem Wert der Begegnung und der Zusammenführung der Völker getragenen Ansatz der olympischen Bewegung mit den olympischen Spielen als "Höhepunkt" (Olympische Charta).

Die Geschichte der vergangenen drei Jahrzehnte hat gezeigt, dass ein Boykott schnell ausgerufen ist, politisch aber nichts bewegt. Gerade in diffizilen politischen Problemlagen verbieten sich vordergründige, angeblich einfache Mittel, die letztlich nur auf Ressentiments setzen bzw. dem eigenen Gefühl, etwas getan zu haben, dienen.

5. Aktuelle politische Situation

In der derzeitigen politischen Diskussion dominiert zu Recht die Frage der Menschenrechte in China. Dabei dürfen aber all die Länder und Regionen nicht vergessen werden, in denen die Einhaltung grundlegender Menschenrechte nicht gewährleistet ist - Tibet ist nur eines davon.

Eine Minimalforderung bleibt die freie Berichterstattung, die ohne Einschränkungen sichergestellt sein muss und nicht auf den engeren Bereich der Olympischen Spiele, vor allem nicht nur auf Sportberichterstattung, begrenzt werden darf. Nach den hitzigen Debatten hierzu im Frühjahr zeigte das verheerende Erdbeben, dass China in den Stunden der größten Not zu neuer Offenheit und nationalem Miteinander fand. Hieran gilt es gerade in den kommenden Wochen anzuknüpfen, wenn Olympia wieder in den Vordergrund rückt.

Dazu sind dann auch Ansprüche an objektive Berichterstattung über China und Tibet in den deutschen Medien zu stellen, damit wir diesem großen, im Wandel begriffenen Land gerecht werden und nicht in Deutschland lebende Chinesen ihrerseits über Ausgrenzungsstrategien klagen müssen.

Politik und Wirtschaft dürfen den Sport insbesondere im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Peking nicht instrumentalisieren. Es kann nicht akzeptiert werden, dass friedenspolitische Interessen und Menschenrechte den wirtschaftlichen Entwicklungszielen untergeordnet werden. Der Sport und mit ihm die gesamte olympische Bewegung ist gefordert, sich von jeglicher Form der Bevormundung zu lösen und angemessene Formen der politischen Positionierung im Sinne der olympischen Charta zu entwickeln, ohne sich jedoch vereinnahmen zu lassen.

6. Das Dilemma der Aktiven

Spitzensport auf olympischem Niveau verlangt höchste Konzentration in Vorbereitung und Wettkampfphase, daneben bleibt wenig Zeit für weiter gehendes Engagement. Den Stars der Sportszene wird in jungen Jahren ein Maß an Vorbildfunktion zugedacht, das erdrückend wirkt und nicht selten überfordert. Deshalb waren und sind auch in der Debatte über die politische Problematik der Olympischen Spiele in Peking die Verbände, allen voran das IOC, in der Pflicht, Orientierung zu geben und den Aktiven angemessene Formen des Umgangs mit aktuellen Fragestellungen aufzuzeigen. Wer wenn nicht die Sportlerinnen und Sportler - die "Jugend der Welt" - kann Botschafter der Olympischen Idee und der damit verbundenen Werte sein? Dies ist kein Aufruf zu permanentem politischen Diskurs, sondern das Plädoyer für ein Bewusstsein der weiteren - über den Wettkampf hinaus gehenden - Dimension Olympias.

7. Wirksame politische Signale des olympischen Sports

Nachfolgend sollen Überlegungen angestoßen werden, welche Reaktionen und Maßnahmen aus den Reihen des Sports infrage kommen können, um die Potentiale der olympischen Idee auszuschöpfen, ohne sich politisch auf eine Seite zu schlagen oder instrumentalisieren zu lassen.

Zu Recht fordert die derzeitige Diskussion den "mündigen Athleten". Auffällig daran ist allerdings, dass sie in Zeiten der politischen Zuspitzung und kontroverser Positionen besonders laut geführt wird. Die politische Handlungskompetenz des Sportlers bzw. der Sportlerin bedarf einer begleitenden Vorbereitung, um der sportpolitischen Dimension des Sports zu entsprechen.

Die Deutsche Olympische Akademie Willi Daume e.V. versteht sich dezidiert als Bildungseinrichtung. Dies beinhaltet insbesondere die kritische Auseinandersetzung mit Wertfragen des Sports und der Olympischen Bewegung, die ohne Berücksichtigung des politischen Hintergrundes nicht geführt werden kann. Olympische Erziehung bringt nicht nur Geschichte und Idee Olympias in die Klassenzimmer, sondern setzt auch bei den Akteuren Olympias selber, d.h. auch bei den Aktiven und allen Mitgliedern der Olympiamannschaft an.

Jede/r ist frei sich zu äußern oder auch nicht, entscheidend ist es, unter Einhaltung der Olympischen Charta Möglichkeiten der politischen Artikulation aufzuzeigen.

Sportlerinnen und Sportler können und sollen zeigen, dass Fairplay und andere Prinzipien der olympischen Wertevermittlung (Leistungsstreben, Regeleinhaltung, Völkerverständigung) nicht nur auf den Sport beschränkt bleiben dürfen, sondern eine existentielle Grundlage für eine multikulturell sich entwickelnde, friedliche und die Menschenrechte achtende gemeinsame Welt sind.

Von den Mitgliedern der Olympiamannschaft wird erwartet, dass sie offen sind und Interesse zeigen für fremde Kulturen, dass sie bereit und in der Lage sind zum interkulturellen Dialog - nur dann können sie als Vorbilder dienen und für die friedenspolitische Idee der olympischen Bewegung werben.

Dieses Engagement speziell der Olympiateilnehmer setzt die Kenntnis der friedenspolitischen Bedeutung der Olympischen Charta sowie Basisinformationen über Geschichte und Aktualität der Olympischen Bewegung und der olympischen Erziehung sowie der Situation in China und Tibet voraus. Ein verstärkter Dialog insbesondere auch mit den Aktiven vor, während und nach den Olympischen Spielen in Peking ist unerlässlich, um die olympische Idee zu erfüllen.

Hierzu möchte die Deutsche Olympische Akademie einen konstruktiven und wirksamen Beitrag leisten.

Helmut Altenberger und Sylvia Schenk als Mitglieder im Vorstand der Deutschen Olympischen Akademie e. V. (DOA)

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution58


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Augsburg, Klaus P. Prem, 17.07.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2008