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MEDIZIN/085: Tanzmediziner tagten in Dresden (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 9 vom 20.05.2008

Eigene "Körpergebrauchsanleitung" lernen
Tanzmediziner tagten in Dresden

Von Dagmar Möbius


Unter Schirmherrschaft des Freistaates Sachsen fand Anfang Mai das 10. Symposium der Tanzmedizin unter dem Motto "Zusammen wachsen - Tanz und Medizin" an der Palucca Schule Dresden statt. Rund 200 Tänzer, Choreografen, Tanzpädagogen, Mediziner und Interessierte aus dem In- und Ausland besuchten 17 Vorträge, 32 Workshops und Arbeitskreise. Veranstalter TaMeD, TanzMedizin Deutschland e. V., feiert in diesem Jahr sein zehntes Jubiläum.

"Tanz ist Esperanto mit dem ganzen Körper", soll der amerikanische Tänzer und Filmschauspieler Fred Astaire gesagt haben. Das bringt es auf den Punkt. Während der kunstinteressierte Laie professionellen Tanz mit jahrelanger Ausbildung, Leistungssport und Frührente assoziiert, ist er andererseits fasziniert von Grazie und Körperbeherrschung. Für Richard Gilmore, ehemaliger Balletttänzer und heute Masseur am Stuttgarter Theater, ist Tanz ein wichtiger Teil unserer Kultur. "Im Tanz liegt viel Leidenschaft, die sonst in vielen Bereichen der Zivilisation fehlt", begründet er.

Profitänzer wissen um ihre begrenzte Zeit auf der Bühne. Dass viele von ihnen heute auch wissen, wie sie länger und vor allem gesünder tanzen können, verdanken sie dem Engagement des Vereins TanzMedizin Deutschland. Vor zehn Jahren von fünf deutschen Teilnehmern am Rande eines internationalen Tanzkongresses als Idee geboren, hat TaMeD eine beachtliche Entwicklung genommen. Rund 400 Mitglieder zählt der interdisziplinäre Verein heute.

"Oft gibt es ein Missverständnis zwischen Tanzmedizin und Tanztherapie", sagt Dr. med. Liane Simmel, ehemalige Tänzerin, Ärztin und Gründungsmitglied von TaMeD e. V., "Tanzmedizin ist Sportmedizin für Tänzer, die mehr beinhaltet als Orthopädie und sich unter anderem auch um kardiovaskuläre Aspekte, Psyche und Ernährung kümmert"

Wie bei keiner anderen Sportart werden Bewegungen analysiert und gemeinsam nach Alternativen gesucht. Dieses Wissen lässt sich übrigens auch gut auf andere bewegungswillige Menschen übertragen. "Man kann einem Tänzer nicht einfach sagen, dass er aufhören muss, wenn er Beschwerden hat, denn Tanzen ist seine Leidenschaft", spricht Dr. Simmel aus Erfahrung, "aber man kann aufklären, wann ein fachkundiger Arzt aufgesucht werden sollte bzw. darüber, wie sich Beschwerden möglicherweise vermeiden lassen." Diese Aufklärung ist eine Hauptaufgabe der Tanzmediziner. Dass Tanzmedizin heute teilweise fest in die tänzerische Ausbildung integriert ist, wie beispielsweise an der Hochschule für Tanz Dresden, ist ein Verdienst von TaMeD.

Dr. Boni Rietveld, orthopädischer Chirurg, Musiker und Mitglied zahlreicher internationaler Tanzmedizin-Gremien, leitet ein Medizinisches Zentrum für Tänzer und Musiker in den Niederlanden und meint: "Tänzer müssen Verantwortung übernehmen und ihre eigene Körpergebrauchsanleitung lernen." Die Balance zwischen Ethik und den Anforderungen des Tanzes ist wichtig. So würde er Schmerzen als Operationsindikation akzeptieren, niemals aber den Wunsch nach einer besser funktionierenden bestimmten Bewegung. Verletzungen haben nach Erfahrung der Tanzmediziner nicht nur körperliche Ursachen. In 85 Prozent der Fälle mit orthopädischer Relevanz spielen auch psychische Aspekte eine Rolle. Druck, auftreten zu müssen oder Ehrgeiz, eine Premiere zu tanzen, die über spätere Besetzungen entscheiden kann, mindern die Achtsamkeit oder Akzeptanz gesundheitlicher Probleme.

Essstörungen als häufig mit professionellem Tanzen in Verbindung gebrachte Erscheinung werden übrigens bei rund einem Viertel der Tänzer beobachtet. Interessant ist, dass Tanzmediziner zwei Formen der Magersucht unterscheiden: die psychiatrisch einzustufende Anorexia nervosa und die als Berufsbegleiterscheinung geltende, selbst gewählte Anorexia athletica, bei der das Körperbildschema nicht gestört sei.

Tanzmedizin ist in Deutschland wie international noch keine anerkannte Fachdisziplin. Tänzer, Tanzpädagogen, medizinisches Fachpersonal und Interessierte können jedoch berufsbegleitend ein Zertifikat Tanzmedizin erwerben. Die fehlende Anerkennung ist vor allem ein Problem der Bezahlung. Leistungen werden nur von den Krankenkassen übernommen, wenn der anbietende Mediziner einen entsprechenden Vertrag hat und müssen ansonsten privat bezahlt werden. "Bundesweit gibt es rund 20 tanzmedizinisch tätige Ärzte", schätzt Dr. Liane Simmel, "aber es könnten durchaus noch mehr werden." Wie viele Tänzer es in Deutschland gibt, ist nicht genau bekannt. "Es gibt etwa 1400 fest angestellte Tänzer, aber wesentlich mehr freiberufliche und semiprofessionelle sowie Laientänzer." Für alle gilt das Credo von TaMeD: Tanz ist bewegte Kunst. Bewegte Kunst fordert intakte Funktion. Intakte Funktion braucht Gesundheit.

Weitere Informationen unter www.tamed.de. Das aktuell im Schattauer-Verlag erschienene Buch "Tanzmedizin", herausgegeben von Dr. med. Elisabeth Exner-Grave, ist die erste umfassende deutschsprachige Publikation zur Thematik.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 19. Jg., Nr. 9 vom 20.05.2008, S. 8
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2008