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MEDIZIN/082: TAB-Gutachten - Gesundheitliche Risiken beim Gendoping (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

TAB-Gutachten: Gesundheitliche Risiken beim Gendoping kaum abschätzbar
Dr. Sauter: "Ansätze für Gendoping sind in fortgeschrittener Entwicklung"

Von Holger Schück


Die gesundheitlichen Risiken beim verbotswidrigen Einsatz von Gendoping im Sport sind nach dem heutigen Stand der Wissenschaft kaum abschätzbar. Es scheint ein "hohes vermutetes Missbrauchspotential" für gezielte Manipulationen von körpereigenen Genstrukturen zu geben. Auf diese Kernpunkte weist das Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag in einem vorgestellten Zwischenbericht hin. "Gendoping wird im Moment noch nicht praktiziert", erklärte der Forscher Dr. Arnold Sauter bei einer gemeinsamen wissenschaftlichen Anhörung des Sportausschusses und des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung in Berlin. "Niemand kann es heute ausschließen, dass es vielleicht doch irgendwo auf der Welt angewendet wird."

Überhaupt: Es könne in den kommenden Jahren eine neue Qualität der Manipulation eintreten; damit werde der Kampf gegen Doping vor neue Herausforderungen gestellt. Der wissenschaftliche und medizinische Fortschritt lasse erwarten, "dass modernste Substanzen und Methoden zu einer neuen Qualität des Dopings beitragen werden", heißt es in der vorgelegten Dokumentation, die unter Leitung des Karlsruher Wissenschaftlers Prof. Armin Grunwald unter Einbeziehung von einer Vielzahl von Experten vorgelegt wurde. Aktuell scheine es schon heute möglich zu sein, dass Missbrauchsmöglichkeiten durch Entwicklungen der biotechnologischen und der Pharma-Industrie eröffnet seien: Klinische Studien könnten Zugangskanäle eröffnen, wie die Erfahrungen mit dem Peptidhormon Erythropoetin (EPO) und Wachstumshormon gezeigt hätten.

Bei Gendoping - so stellte Projektbetreuer Sauter klar - handle es sich nicht um "Menschenzüchtung": Derartige Frankenstein-Projekte seien in absehbarer Zeit technisch nicht umsetzbar. Es gehe vielmehr um eine gezielte Beeinflussung der körperlichen Genaktivität: sowohl in Form einer Aktivierung, einer Verstärkung, einer Abschwächung oder Blockade. Gendoping umfasse alle Verfahren, Methoden und Mittel zur gezielten Beeinflussung der Gentransmission; es sei also die Manipulation der körpereigenen Genaktivitäten.

"Es gibt einige Ansätze für Gendoping in fortgeschrittener Entwicklung", unterstrich Sauter. Und Dr. Katrin Gerlinger ergänzte: "Gendoping könnte ein Trendverstärker für die Manipulation im Leistungssport sein." Einfallstore seien der Spitzensport ("Wo viel Geld im Spiel ist"), das Bodybuilding mit seiner starken Fixierung auf übermäßige Körperentwicklung sowie auf längere Sicht auch der boomende Markt der Anti-Aging-Medizin mit ihren Aktivitäten, den altersbedingten Muskelabbau zu hemmen.

Als Zugangswege benennt das TAB "zunächst vorwiegend zugelassene therapeutische Verfahren und Medikamente oder solche aus klinischen Studien". Um den Missbrauch zugelassener oder in Zulassungsverfahren stehender Therapeutika einzudämmen, sollten aktuelle Entwicklungen auf dem Forschungssektor gerade bei Pharma-Unternehmen kontinuierlich beobachtet werden. Die Schwierigkeit dabei: Nicht alle für Gendoping bedeutsame Projekte würden öffentlich bekannt. Noch beunruhigender sei das sogenannte individuelle Gendoping "unter Umgehung sämtlicher Prüfmechanismen der Arzneimittelzulassungsverfahren". "Dabei könnte es sich um eine für einen einzelnen oder wenige Athleten zugeschnittene genetisch-pharmazeutische Manipulation handeln - vergleichbar mit der Situation in der Balco-Affäre, bei der von einer kleinen Firma sogenannte Designer-Steroide explizit für Dopingzwecke hergestellt und einem engen Zirkel ausgewählter Athleten zugänglich gemacht wurden." Der Aufwand bei Gendoping-Entwicklungen sei nicht wesentlich größer als bei der Produktion von Designer-Steroiden.

Im Bericht heißt es: "Die wahrscheinlichsten Ansatzpunkte eines möglichen Gendopings liegen in drei physiologischen Bereichen und deren molekularer Regulation: dem Aufbau der Skelettmuskulatur, der Sauerstoffversorgung sowie der Energiebereitstellung. Konkrete Hinweise auf eine in manchen Darstellungen angeführte Beeinflussung der Schmerzempfindlichkeit mittels Gendoping konnten nicht gefunden werden."


Konkret nennt das TAB diese "Gendoping-Ansatzpunkte":

- Aufbau des Skelettmuskels: Die Hemmung des Myostatins, eines negativen Regulators für Muskelwachstum, ist in Tierversuchen und klinischen Studien erforscht worden. Therapeutischer Nutzen könnte die Bekämpfung von Muskelschwund sein, eine potentielle Leistungssteigerung wäre in kraftbetonten Disziplinen zu erreichen. Eine Gentherapie durch vorübergehende Genblockade scheint besonders zukunftsträchtig zu sein, weil sie einfacher anwendbar wäre als ein direkter Eingriff in die Zellkern-DNA und weil Viren als Genfähre nicht benötigt werden. Wie bekannt: Bei der Rinderrasse "Belgian Blue" ist das Myostatin-Gen wegen verschiedener Mutationen defekt; diese Rinder haben im Vergleich zu anderen etwa die doppelte Muskelmasse.

- Verbesserung des Muskelstoffwechsels: Tierversuche haben eine Steigerung der Produktion des Wachstumshormons (HGH) in Verbindung mit dem "Insulin-like Growth Factor I" (IGF-I) im Muskel mit einer Genaddition ergeben. Durch eine intramuskuläre Injektion eines Plasmides mit den Informationen für humanes IGF-I wird es in die Muskulatur zugeführt. Diese Wachstumsfaktoren können allerdings auch das Wachstum hormonabhängiger Tumore beeinflussen. Medizinisch indiziert könnte das Verfahren bei Wachstumsstörungen und Muskelschwund Anwendung finden. Kraft- und Massezuwachs sowie Fettabbau im Rahmen einer Anti-Aging-Therapie sind mögliche Einsatzfelder. IGF-I wird derzeit vor allem von Bodybuildern genommen.

- Erhöhung der EPO-Konzentration: Diese gentherapeutische Manipulationen versprechen eine körpereigene Stimulation der Synthese von EPO. Bluterkrankungen, vor allem Blutarmut bei Dialysepatienten, wären medizinisch indiziert. Die potentielle Leistungssteigerung: "Steigerung der Sauerstofftransportfunktion des Blutes - bekannt und etabliert durch EPO-Einnahme bei Ausdauersportarten". Die Steigerung der EPO-Produktion im Muskel durch Genaddition war durch Repoxygen, das im Dopingprozess gegen Thomas Springstein eine Rolle spielte, bekannt geworden. Die Pharma-Firma, die das Medikament entwickeln wollte, hat das Projekt aufgegeben.

- Verbesserung der Blutgefäßversorgung des Gewebes über den Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), einsetzbar bei Blutleere oder Blutgefäßzerstörungen nach Herzerkrankungen sowie bei Krebs. Eine nicht erfolgreiche klinische Studie hatte die "Induktion der Expression von VEGF-2 im Herzmuskel mittels nackter DNA" zum Ziel gehabt, um eine Erhöhung der Sauerstoffaustauschkapazität im Gewerbe zu erreichen.

Der TAB-Zwischenbericht weist darauf hin: "Grundsätzlich gilt bei allen Dopinganwendungen, dass die zugrundeliegenden Verfahren bzw. Mittel für die Behandlung von Krankheiten entwickelt werden und daher nicht für den Einsatz zur Leistungssteigerung an Gesunden untersucht werden. Deshalb können die gesundheitlichen Risiken eines Missbrauchs für Dopingzwecke auf der Basis klinischer Medikamentenprüfung prinzipiell nicht abgeschätzt werden. Hierfür sprechen die schweren bis schwersten Gesundheitsschäden von Athleten bereits in der Vergangenheit, zum Teil mit Todesfolge." Es gebe Risiken beim Einschleusen des genetischen Materials (etwa durch unkontrollierte Ausbreitung des Fremdgens im gesamten Organismus) und durch Folgen der übermäßigen Produktion im Körper, so werde ein unkontrolliertes Zellwachstum gefördert. "Massive gesundheitliche Schäden" wären die Folge.

Für die Unionsfraktion erklärte Sportsprecher Klaus Riegert, der TAB-Bericht sei eine fundierte wissenschaftliche Grundlage, auf der sich Sport, Wissenschaft und Politik gemeinsam an die Spitze einer kontinuierlichen, vorausschauenden Bekämpfung des Gendopings stellen müssten. "Bei der Bekämpfung des Gendopings können wir jetzt eine Vorreiterrolle übernehmen," sagte er. Swen Schulz (SPD-Bundestagsfraktion) fasste zusammen: Es bestehe Forschungs- und Entwicklungsbedarf für den Nachweis von Gendoping. So müsse ein Monitoringkonzept entwickelt werden, das Hinweise auf Manipulation liefern könne. Der FDP-Abgeordnete Detlef Parr forderte die Entwicklung einsatzfähiger und gerichtsfester Tests zum Gendoping-Nachweis. Klinische Studien als Zugangskanal zu Dopingmissbrauch sollten ausgeschlossen und Fitnessstudios als mögliches Versuchsfeld stärker in den Blick genommen werden - so heißt es in einer Neun-Punkte-Erklärung.

"Gendoping-Forschungsprojekte müssen verstärkt und mit Bundesmitteln unterstützt werden", forderte Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen). Daneben müsse das Arzneimittelgesetz nunmehr zu einem Anti-Doping-Gesetz erweitert werden, zumal der Straftatbestand des Besitzes größerer Mengen von Dopingsubstanzen beim Gendoping "ungeeignet" sei. Außerdem sollte der Bezug gentechnischer Medikamente über das Internet unterbunden werden. Und die Fraktion Die Linke meinte: "Gendoping ist keine Science Fiction mehr." Dr. Petra Sitte, forschungspolitische Sprecherin, erklärte, für den Hochleistungssport verschärfe sich mit der Aussicht auf künstlich genetisch gesteigerte Leistungsfähigkeit die "Sinnkrise". Deshalb müsse Deutschland die bisherige Sportförderpraxis kritisch überprüfen: "Statt auf Rekordjagden, TV-Gelder und Sponsoring zu setzen, muss sich der Sport auf mehr Prävention und Lebensqualität orientieren."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 12-13/ 18. März 2008, DOKUMENTATION IV-VI
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2008