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MEDIZIN/070: Anabolika als Einstiegsdroge bei Jugendlichen (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Anabolika als Einstiegsdroge bei Jugendlichen

Neue Studie: Herz- und Leber-Schäden auch bei
Bodybuildern und Breitensportlern


Seit über vier Jahrzehnten ist Doping mit anabolen Steroiden im Leistungssport weit verbreitet. Aber auch im Breitensport nimmt der Anabolikamissbrauch stetig zu, wobei vor allem die Zahl der jugendlichen Dopinganwender immer größer wird. Über die schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen von Anabolika sind die Konsumenten meist unzureichend informiert. Eine im Juli 2006 verteidigte Doktorarbeit der Medizinischen Fakultät der Ludwig- Maximilians-Universität München untersuchte die Auswirkungen von Steroiden auf den menschlichen Organismus. Der Mediziner Luitpold Kistler aus Landshut analysierte im Institut für Rechtsmedizin der Universität München zehn Todesfälle von Bodybuildern zwischen den Jahren 1996 und 2001, bei denen ein gesicherter Anabolikamissbrauch vorlag. Die Studie belegt, dass Anabolika zu weitreichenden Organschädigungen führen. Das Besondere an dieser Doktorarbeit ist, dass hier zum ersten Mal Todesfälle von Bodybuildern - unabhängig von der jeweiligen Todesursache - systematisch und feingeweblich, in den verschiedensten Organen des Körpers untersucht wurden. Die zehn obduzierten Männer, allesamt Bodybuilder - Durchschnittsalter 33,7 Jahre -, wiesen erhebliche Organschäden auf.

Der Arzt Luitpold Kistler erklärte dazu im Deutschlandfunk: "Es war hauptsächlich so, dass die anabolen Steroide vor allem das Herz-Kreislauf-System, die Leber und die ganzen reproduktiven Organe erheblich geschädigt haben. Anabole Steroide, auch wenn sie am Anfang noch keine für den Laien sichtbaren Nebeneffekte haben, können in der Summe zu massiven Nebenwirkungen führen. Das kann über Herz-Kreislauf-Versagen bis hin zu Leberversagen, Nierenversagen und auch zum Tode führen." Besonders waren dies massive Gewebeschäden der Leber bis hin zum Auftreten von gutartigen Tumoren in der Leber, wie beim 1996 verstorbenen Bodybuilder und "Mister Universum", Andreas Münzer, der im Alter von nur 31 Jahren an einem von einem Tumor verursachten Blutgefäßriss in der Leber verblutet ist. Der Österreicher Münzer hatte mit einem Cocktail aus täglich bis zu zehn Präparaten seine Muskelpakete extrem aufgebläht. Kistler hat den Fall Münzer analysiert: "Bei Münzer, der sehr, sehr viele anabole Steroide konsumiert hatte, war es zu einem fast kompletten Zerfall der Leber gekommen, das heißt, die eine Leberhälfte war eine bröselige Masse ähnlich Styropor, und in der anderen Leberhälfte waren etliche tischtennisballgroße Tumore zu sehen."

Ein weiteres prominentes Opfer von Lebertumoren, die auch durch das in der DDR gebräuchlichste Anabolikum "Oral Turinabol" des VEB Jenapharm ausgelöst werden können, ist wohl auch der 1998 beim Verfahren zum Staats-Doping im Landgericht Berlin, festgestellte Lebertumor der dreifachen DDR-Schwimm-Weltmeisterin Birgit Meineke-Heukrodt, die heute Ärztin im Klinikum Berlin-Buch ist. Dieser Fall ist für den Heidelberger Anti-Dopingexperten Professor Werner Franke dabei "ein besonders anschaulicher Beweis für die Kausalität des Zusammenhangs von Anabolika mit dieser Art Lebertumoren: Im Fall von Birgit Meineke-Heukrodt, die mit 19 Jahren ihre Sportkarriere beendete, schrumpften diese Tumore glücklicherweise offenbar nach dem Absetzen von 'Oral Turinabol'." Auf diese Leber-Tumore, die nach Einnahme von Anabolika entstehen und die inzwischen in Lehrbüchern der Pathologie sogar in speziellen Kapiteln abgehandelt werden, hatten in Deutschland erstmals bereits im Frühjahr 1977 die einstige Heidelberger Diskuswerferin Brigitte Berendonk sowie ihr Ehemann Werner Franke hingewiesen. Hingegen hatten sich damals zahlreiche führende Sportmediziner der Bundesrepublik für einen dosierten Einsatz von Anabolika im Leistungssport ausgesprochen. Kistler merkt dazu an: "Anabole Steroide werden immer noch so ein bisschen verniedlicht, auch gerade bei Jugendlichen, die probieren es meistens aus und merken am Anfang gar nicht, was eigentlich passiert und kommen dann aber meistens nicht mehr von diesen Steroiden weg und sind dann in einem Teufelskreislauf drin. Wenn man sich Befunde durchliest, im Internet, in der Literatur, dass etwa 22-jährige Patienten, die in einer Football- Mannschaft spielen und als kerngesund gegolten haben, dann tot auf dem Spielfeld liegen, dann sollte jedem klar sein, dass die Einnahme von Steroiden nicht gut ist."

Zudem konstatiert Kistler, dass Menschen, die Muskelmacher einnehmen, häufig dazu neigen, auch andere Drogen zu konsumieren beziehungsweise nach Beendigung eines Anabolikamissbrauchs auf andere Substanzen umsteigen. Alleine schon durch das Training würden viele an ihre Schmerzgrenze gelangen. Viele beginnen dann, sich zu betäuben, mit Morphium, Marihuana und Diazepin. Besonders bei Jugendlichen sind Anabolika als Einstiegsdroge beliebt, wobei dadurch das Risiko für weiteren Drogenkonsum deutlich ansteigt. Kistler hat aus den Befunden und aus der Literatur heraus die Erfahrung gemacht, "dass da ein erhöhtes Potenzial besteht, mit Hasch, Alkohol, Heroin und Kokain weiterzumachen". Auch im Breitensport ist der Anabolikakonsum stark angewachsen. Viele würden schon durch die Werbung auf ein Körperideal fixiert, dass man einen muskulösen Körper brauche, sonst sei man eben nichts. Luitpold-Kistler stellte bei seinen Recherchen fest, dass die überwiegende Mehrzahl der Anabolika-Konsumenten sich nicht im Klaren über die gefährlichen Nebenwirkungen sei. Das Erschreckendste für ihn ist im Resümee, "dass eigentlich, wenn man sich einen Querschnitt durch die deutschen Fitness-Studios nimmt, 30 Prozent der männlichen Hobbysportler und 5 Prozent der weiblichen Hobbysportler gedopt sind".

Thomas Purschke


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 50 vom 12. Dezember 2006, DOKUMENTATION IV-V
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
http://www.dosb.de
Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund
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