Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

MELDUNG/076: Nahost - Mit harten Bandagen gegen Intoleranz. Boxsport verbindet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Januar 2011

Nahost:
Mit harten Bandagen gegen Intoleranz - Boxsport verbindet

Von Pierre Klochendler

Israelis und Palästinenser gemeinsam im Ring - Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Israelis und Palästinenser gemeinsam im Ring
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Jerusalem, 28. Januar (IPS) - Der Glockenschlag ertönt, und ein junger Palästinenser springt in den Ring, um sich seinem israelischen Herausforderer zu stellen. In einem Boxclub im Westen der Stadt Jerusalem wird mit harten Bandagen gekämpft - und Versöhnung praktiziert.

Ob Jude oder Araber, Gläubiger und Ungläubiger, Mädchen oder Junge, Einheimischer oder Zuwanderer, im Jerusalemer Boxclub, einem ehemaligen Luftschutzbunker, ermöglicht die Liebe zum Sport, was im realen Leben selten ist: gegenseitiges Verständnis und Toleranz.

Die Gegner können unterschiedlicher nicht sein. Rechts im Ring steht das Halbschwergewicht Ismail Jaafari, ein 36-jähriger Lastwagenfahrer aus dem Ostjerusalemer Viertel Jabel Muqabber, links das Leichtgewicht Akiva Finkelstein, ein 17-jähriger Seminarist aus der israelischen Siedlung Bet el im besetzten Westjordanland. Finkelstein ist der aufsteigende Stern des Clubs, der erst kürzlich in einem Freundschaftsspiel den europäischen Titelverteidiger in die Knie zwang.

"Bis ich hierher kam, waren für mich alle Araber dumm und Terroristen", gesteht Finkelstein, dem seine damalige Voreingenommenheit noch heute peinlich ist. "Doch als ich hier mit Palästinenser zusammenkam und sie sich als nette Kerle herausstellten, wurden wir Freunde." Der Jerusalemer Boxclub sei ein guter Ort, um Vorurteile zu hinterfragen. Im Ring sind wir alle Boxer, da spielt es keine Rolle, woher du kommst", sagte der israelische Titelverteidiger.

Auch auf Palästinenserseite denkt man offensichtlich ähnlich. "Hier sind wir alle gleich", sagt Jaafari. "Und es interessiert hier niemanden, welchem Volk oder welcher Religion du angehörst."

Geführt wird der Jerusalemer Club von zwei Brüdern. "Jeder Mensch hat eine schlechte Seite. Deshalb kommt es zu Feindschaft und Gewalt", meint Eli Luxemburg, der Ältere. "Du liest die Zeitung und erfährst, was vor sich geht. Doch wenn du hier bist, trainierst du. Hier im Ring kann du deine Wut rauslassen."


Hassgefühle unerwünscht

"Doch Fairplay muss ein! Dass nur niemand meint, hier offene Rechnungen begleichen zu können", unterstreicht sein jüngerer Bruder Gershon. "Wir schauen uns die Kids hier sehr genau an. Wer mit Hass kämpft, fliegt aus dem Ring. Wir fördern nur den Kampfgeist. Boxer müssen sowohl Kämpfer als auch Gentleman sein und sich gegenseitig respektieren."

Die Luxemburg-Brüder hatten sich Anfang der 1960er Jahre ihre Sporen als Profiboxer in der ehemaligen Sowjetrepublik verdient: Beide kämpften in der Kategorie Schwergewicht. Eli brachte es zweimal zum sowjetischen Boxmeister, Gershon holte sich den usbekischen Meistertitel. "Als wir Kinder waren, lernten wir boxen, um uns vor antisemitischen Übergriffen zu schützen", erinnert er sich.

Nach seiner Ankunft in Israel 1972 errang Gershon gleich mehrmals den Boxmeistertitel. Damals habe er sehr nationalistisch gedacht, räumt er ein. "Bevor ich Trainer wurde, betrachtete ich Araber als Hindernis, mit denen man niemals friedlich zusammenzuleben könnte. Kaum zu glauben, dass uns der Kampfsport zusammenbrachte."

Jaafari trainiert seit 14 Jahren bei den Luxemburg-Brüdern und trat bei vielen israelischen Meisterschaften als Kampfrichter auf. Für ihn steht fest: Sport kennt keine Grenzen. "Wir streifen uns unsere Handschuhe über und lassen die politische Lage außerhalb des Rings."


"Wen interessiert schon die politische Situation draußen?"

Allerdings gesteht Jaafari, in den schlimmsten Jahren des Nahostkonflikts den Club gemieden zu haben, um heikle Begegnungen zu vermeiden. Doch diese Phase dauerte nicht lange an, da Gershon auf sein regelmäßiges Erscheinen bestand. "Wen interessiert schon die politische Situation draußen?", pflegte ihm der Trainer zu sagen.

"Wir sind hier mehr als Freunde, wir sind eine Familie", meint Jaafari. In Jerusalem hingegen leben Israelis und Palästinenser nebeneinander her. Dass sie verschiedene Viertel bewohnen, unterschiedliche Schulen besuchen und politisch anderer Meinung sind, hat nicht dazu geführt, sich näher zu kommen.

Im Jerusalemer Boxclub hängt ein Bild von Muhammad Ali. "Manche Länder zetteln Kriege an, damit ihr Name auf der Landkarte erscheint. Armut verursacht Kriege, die einen Wandel herbeiführen sollen", hat die Boxerlegende einmal gesagt. Diese Worte sind für die Mitglieder des Jerusalemer Boxclubs durchaus bedeutungsvoll, stammen die meisten von ihnen aus den ärmeren Stadtteilen.

Angespornt von den Luxemburg-Brüdern, die Kinder in seinem Viertel von der Straße zu holen, hat Jaafari eine eigene Boxschule gegründet. Sein Klub gilt als Schmiede palästinensischer Nachwuchstalente. (Ende/IPS/kb/2011)

Link:
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=54256

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. Januar 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2011