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FRAGEN/057: Paul Plantschnase am Meer - mit Franziska von Almsick u.a. (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 12 / 17. März 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Paul Plantschnase am Meer

Wie ein Buch helfen soll, einen Missstand zu bekämpfen

Ein Interview mit Franziska van Almsick, Ingo Weiss und Klaus Wilkens


Franziska van Almsick, Spitzenschwimmerin und seit Ende 2008 stellvertretende Vorsitzende der Stiftung Deutsche Sporthilfe, hat ein Buch geschrieben. Es richtet sich an Kinder, die nicht schwimmen können. Die DOSB PRESSE hat mit van Almsick, DOSB-Präsidiumsmitglied Ingo Weiss (Vorsitzender Deutsche Sportjugend) und DLRG-Präsident Klaus Wilkens über ein fröhliches Buch zu einem ernsten Thema gesprochen.


DOSB PRESSE: Frau van Almsick, wer ist Paul Plantschnase - eine deutsche Schwimmhoffnung?

VAN ALMSICK: Schön wär's, aber da haben wir ja schon Paul Biedermann. Nein, bei meinem Paul geht es nicht ums Wettschwimmen, bei ihm geht es darum, dass er nicht untergeht - er kann nämlich noch überhaupt nicht schwimmen. Er ist mit seinen Eltern zum ersten Mal am Meer und ziemlich traurig, weil er die anderen Kinder im Wasser sieht und merkt, dass er da nicht mitmachen kann. Zum Glück trifft er einen Seestern und einige andere Strandbewohner, und die nehmen ihm die Angst vor dem Wasser, sagen ihm gleichzeitig, wo's gefährlich ist und bringen ihm die ersten Schwimmübungen bei. Das kann man im Buch nicht nur lesen, sondern auch auf Illustrationen anschauen.

DOSB PRESSE: Kindern das Schwimmen beibringen, das ist eine ganz andere Baustelle als die Eliteförderung, der Sie sich bei der Sporthilfe verschrieben haben.

VAN ALMSICK: ...und gehört doch zusammen. Ohne Basis gibt's auch keine Spitze. Und beim Schwimmen geht's sogar noch um viel mehr als um Nachwuchs für eine Sportart - wer das nicht früh genug lernt, kann in banalen Situationen elendig umkommen.

WILKENS: Franziska van Almsick setzt mit ihrem Buch bei einem Problem an, dass uns seit Jahren unter den Nägeln brennt. Die DLRG hat 2004 die erste repräsentative Umfrage zur Schwimmfähigkeit in Auftrag gegeben, die Ergebnisse sind gerade bei Schulkindern schockierend: jedes dritte Kind, dass die Grundschule verlässt, kann noch nicht schwimmen. Und so gern wir junge Menschen ausbilden, es kann einfach nicht sein, dass wir jedes Jahr mehr Kindern, genauer gesagt ungefähr einer Viertelmillion, das Schwimmen beibringen als die Schulen. Es ist aber so. Um das Schwimmen Lernen für Kinder attraktiv zu machen, haben wir einen Schwimmlernpass mit bunten Stickern für den jeweiligen Schwimmfortschritt sowie die Broschüre "Startblock" mit Tipps, Rätseln und kleinen Geschichten herausgegeben.

WEISS: Das Buch von Franziska und die Fakten von Kollege Wilkens stehen als Beispiele für die gesamte Situation im Verhältnis Kinder, Bewegung und Gesellschaft, da kracht es überall im Gebälk, oder um beim Buch zu bleiben, da ist Land unter, wenn nicht bald das Ruder herumgerissen wird. Fast 50 Prozent des Sportunterrichts an Grundschulen wird von fachfremden, das heißt nicht speziell im Fach Sport ausgebildeten Lehrern unterrichtet. Und solange deutsche Studien und sogar die Weltgesundheitsorganisation unseren Kindern schwere Bewegungsmängel nachweisen, muss sich unsere Gesellschaft vorwerfen lassen, fahrlässig mit der Gesundheit unserer Kinder umzugehen.

DOSB PRESSE: Was erwarten Sie denn von den Schulpolitikern?

WEISS: Ich habe die Hoffnung, dass wir momentan zumindest eine zusätzliche Fehlentwicklung bremsen können. Die Kultusminister hatten beabsichtigt, die Sportlehrerausbildung für Grundschulen in einem neuen übergreifenden Bereich "Ästhetische Erziehung" untergehen zu lassen, da sind wir in konkreten Gesprächen. Aber insgesamt muss da noch viel mehr passieren. Wir brauchen und fordern mindestens drei Stunden Schulsport in allen Bundesländern. Darüber hinaus haben wir einen Sanierungsstau bei Hallen, Sportplätzen und eben Bädern. Ohne Bewegung kann es keine ganzheitliche Erziehung geben, Bewegung bildet zusammen mit Denken und Sprechen die Basis unserer Existenz.

WILKENS: ... den Sanierungsstau kann ich bestätigen, 20 Prozent aller Schulkinder haben überhaupt keinen Zugang zu Schwimmbädern. Damit sind wir bei einer zweiten Gruppe von Verantwortlichen. Neben den Kultuspolitikern kommen auch die Träger der Bäder ins Spiel, also in der Regel die Kommunen. Zum Glück haben es die Finanzausschüsse da nicht mehr so leicht wie noch vor einigen Jahren, als einfach die entsprechende Kostenstelle auf Null gesetzt wurde, und dann wurde das Schwimmbad geschlossen. Es gibt immer deutlicheren Widerstand aus der Bevölkerung, weil sie merkt, dass da bei der Grundversorgung etwas Wichtiges weggenommen wird. Und es gibt erfreulicherweise auch immer mehr Initiativen, die entweder die Schließung verhindern oder den Weiterbetrieb unter veränderter Trägerschaft organisieren.

VAN ALMSICK: Und am Ende muss es doch so sein, dass es für Eltern und Lehrer gleichermaßen selbstverständlich ist: Wenn das Kind in die Schule kommt, dann lernt es im ersten Jahr das Alphabet, das Einmaleins UND Schwimmen. Dafür habe ich das Buch geschrieben, um einen Anstoß zu geben, und wenn es einige tausend Kinder erreicht und motiviert, dann ist das ein guter Anfang.


("Paul Plantschnase am Meer" von Franziska van Almsick, farbig illustriert von Betina Gotzen-Beek, Verlag Herder, 2009).


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 12 / 17. März 2009, S. 12
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2009