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FRAGEN/024: "Rassismus gehört mittlerweile zum Fußballalltag dazu" (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Stichwort: Kommission "Migration und Integration" des DFB
Sieben Fragen an Mehmet Matur, Integrationsbeauftragter des Berliner Fußballverbandes und Mitglied von Türkiyemspor Berlin

"Rassismus gehört mittlerweile zum Fußballalltag dazu"


DOSB PRESSE: In Frankfurt traf sich am 25. Februar zum ersten Mal die Kommission "Migration und Integration" des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der Sie angehörten. Fußballfunktionäre, Politiker und Wissenschaftler stellen die Mehrheit in der neuen DFB-Kommission. Fühlen Sie sich da als Mann der Praxis eigentlich gut aufgehoben?

MATUR: Immerhin sitzen mit dem Schiedsrichter Alexandre Ntouba aus Kamerun, der DFB-Integrationsbeauftragten Gül Keskinler und mir drei Personen mit Migrationshintergrund in der Kommission. Das ist ein echter Fortschritt .Vor vier Jahren wäre in einer DFB-Kommission eine solche Konstellation sicher nicht möglich gewesen.

DOSB PRESSE: Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die Kommission viel zu akademisch daher kommt? Also wieder mal viel geredet wird und bei den Vereinen an der Basis nichts ankommt?

MATUR: Was Rassismus auf deutschen Fußballplätzen bedeutet, bekomme ich Sonntag für Sonntag mit Türkiyemspor Berlin zu spüren. Ich werde mich in dieser Gruppe dafür einsetzen, dass unsere Konzepte, Projekte und Gelder auch den letzten Verein in der Kreisliga erreichen. Denn da ist der Bedarf am größten, nicht in der ersten Bundesliga.

DOSB PRESSE: Haben Sie den Eindruck, dass der Rassismus auf den Fußballplätzen wieder zugenommen hat?

MATUR: Nein. Aber besser ist es auch nicht geworden. Rassismus gehört mittlerweile zum Fußballalltag dazu. Das ist das Schlimme. Und es gibt regelrechte Schübe. Wenn zum Beispiel in der Politik gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund Stimmung gemacht wird, wie im hessischen Wahlkampf, dann spüren wir das auch sofort auf den Fußballplätzen.

DOSB PRESSE: Menschen mit Migrationshintergrund fühlen sich im organisierten Fußballsport benachteiligt und oft nicht mehr sicher. Wie wollen Sie das ändern?

MATUR: Es gibt keine schnelle Patentlösung. Wir werden versuchen, mehr Sportler mit Migrationshintergrund in die fußballerische Verantwortung zu nehmen - sie also im Verein und Verband auf allen Ebenen zu integrieren.

DOSB PRESSE: Wo sehen Sie aktuell die größten Defizite?

MATUR: Eindeutig in der Sportgerichtsbarkeit. In Berlin zum Beispiel gibt es keinen ausländischen Sportrichter. Aber mindestens 25 Prozent der Fußballer verfügen über einen Migrationshintergund, im Jugendbereich sogar noch mehr. Wenn dann deutsche Sportrichter gegenüber Migranten Sportrecht sprechen, kommt doch der Verdacht der Benachteiligung automatisch hoch.

DOSB PRESSE: Ausländische Sportler können sich ja selber zur Wahl stellen.

MATUR: Ja und das tun sie auch vermehrt. Aber sie werden von den mehrheitlich deutschen Vereinsvertretern nicht ins Amt gewählt. So wie erst kürzlich in Berlin. Da fehlten einem Türken elf Stimmen. Wir müssen prüfen, ob wir in die Sportgerichte nicht Leute mit Migrationshintergrund berufen können, also ohne formale Wahl.

DOSB PRESSE: Es fällt auf, dass nur eine Frau in der neuen DFB-Kommission sitzt. Ist der Mädchen- und Frauenfußball von Migrantinnen dennoch ein Thema?

MATUR: Sicher. Denn in dieser Zielgruppe sind die Barrieren noch viel höher, sich einem deutsch geprägten Verein anzuschließen. Wir sollten überlegen, ob der DFB das Glaubenssymbolverbot der FIFA nicht ein wenig abschwächen kann. Muslimische Mädchen und Frauen sollten meiner Meinung nach in Deutschland mit Kopfbedeckung Fußball spielen dürfen. Es muss ja nicht gleich ein Turban sein.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 11, 11. März 2008, S. 9-10
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2008