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GESCHICHTE/487: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 285 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 4 / 20. Januar 2015
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

2002/IV: "Die Bundesregierung bleibt ein verlässlicher Partner des Sports" Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 282) *

Eine Serie von Friedrich Mevert



Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte anlässlich der Gemeinschafts-Tagung der Ständigen Konferenzen der Landessportbünde und Spitzenverbände am 26. April 2002 in Potsdam den versammelten Repräsentanten des Sports seine Aufwartung machen. Die tragischen Geschehnisse nach dem Amoklauf eines Schülers in Erfurt hinderten Schröder jedoch am Potsdam-Besuch. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolte übermittelte im Auftrag des Kanzlers dessen Rede, die wir in nachfolgenden Auszügen dokumentieren:

"Kaum etwas kann Menschen so unkompliziert zusammenbringen wie der Sport. Sport überwindet Grenzen. Die Grenzen von Sprache, Hautfarbe oder Religion. Und auch eine Behinderung schließt sportliche Betätigung keineswegs aus. Sport ist aber nicht nur etwas, das beinahe jeder tun kann. Er ist für die Deutschen auch die beliebteste Form der Freizeitgestaltung. Sport vermittelt Lebensfreude und verschafft eine höhere Lebensqualität. Jeder, der sich selbst einmal sportlich betätigt hat, weiß, wovon ich rede. Und dann ist der Sport noch eine große gesellschaftliche Bewegung. 27 Millionen Menschen sind in den rund 88.000 Vereinen in Deutschland organisiert. Eine wahrhaft stolze Zahl.

Mir ist es deshalb eine besondere Freude, Ihnen als den Vertretern aus den Landessportbünden und den Spitzenverbänden des deutschen Sports zu danken für ihre Leistungen und für ihr Engagement zum Wohle des Sports. Sie alle haben beträchtlichen Anteil daran, dass der deutsche Sport in den vergangenen 50 Jahren eine so positive Entwicklung genommen und viele großartige Erfolge verzeichnet hat. Dabei denke ich nicht nur an das gute Abschneiden bei herausragenden internationalen Ereignissen wie Olympischen Spielen, Paralympics, Welt- oder Europameisterschaften. Nein, das gilt vor allem auch für die Entwicklung im Breitensport und für Talentsichtung und Talentförderung. Mit ihren vielfältigen Angeboten haben sich die Verbände und Vereine immer wieder auf neue Anforderungen eingestellt, um den gewandelten Bedürfnissen der Menschen nach sportlichen Aktivitäten in der Freizeit gerecht zu werden.

Auch das erfreulich gute Abschneiden unserer Athletinnen und Athleten bei den Winterspielen und den Paralympics in Salt Lake City kann und darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir noch erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, dass deutsche Leistungssportler in der gesamten Breite der Disziplinen international wettbewerbsfähig sind. Und ich sage durchaus ganz bewusst "wir", denn zweifelsfrei haben Bundeswehr und Bundesgrenzschutz einen großen Anteil an den internationalen Erfolgen. Für mich persönlich, für Innenminister Otto Schily, der sich mit viel Herzblut für die Belange des Sports einsetzt, und für die ganze Bundesregierung kann ich nur erklären: Wir sind unverändert zur engen Zusammenarbeit mit dem deutschen Sport bereit. Wir sind interessiert an gemeinsamen Lösungen, die den Leistungssport wie auch den Breitensport nach vorn bringen. Die vielen Gespräche, die wir mit Ihnen als den Repräsentanten des deutschen Sports geführt haben, stimmen mich da ausdrücklich zuversichtlich. Was den Sport betrifft, haben wir seit 1998 so manches auf den Weg gebracht und zum Besseren gewendet. Unsere sportpolitische Bilanz, das sage ich nicht ganz ohne Stolz, ist mehr als vorzeigbar. Wir haben trotz Konsolidierungspolitik die Übungsleiterpauschale erhöht, den Kreis der Berechtigten ausgeweitet und das Stiftungsrecht "sportfreundlicher" gestaltet. Und es ist uns in gemeinsamen Bemühungen gelungen, deutlich zu machen, dass unser Land mit seinen sportbegeisterten Menschen ein guter Ort für den Sport und für internationale Großereignisse ist.

In diesem Jahr finden die Leichtathletik-Europameisterschaften in München und die Schwimm-Europameisterschaften in Berlin statt. Und 2006 haben wir bei der Fußball-Weltmeisterschaft dann die ganze Welt zu Gast in Deutschland. Zu diesen Erfolgen haben Sie, meine Damen und Herren, entscheidend beigetragen. Sie wissen wie ich, dass internationale Verbände solche Veranstaltungen nur vergeben, wenn die Bewerbungen optimal und professionell vorbereitet sind. Das war auch bei deutschen Bewerbungen leider nicht immer der Fall. Um so wichtiger erscheint es mir, dass die zuständigen Gremien des deutschen Sports die geplante Bewerbung für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 mit der gebotenen Sorgfalt und der nötigen Professionalität vorbereiten.

Es ist nur zu bekannt, dass der Sport ohne das Ehrenamt nicht denkbar, nicht lebensfähig wäre. Ich weiß um Ihre Wünsche und Forderungen für eine bessere Unterstützung und Förderung des Ehrenamtes. Hierzu wird die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements in Kürze ihren Bericht mit konkreten Empfehlungen vorlegen.

Ich möchte Ihnen anbieten, dass wir danach konkrete Gespräche darüber führen, was machbar und was finanzierbar ist, um die Anreize für das Ehrenamt im Sport weiter zu verbessern.

Seine gesellschaftliche Verantwortung beweist der Deutsche Sportbund übrigens auch mit seiner vor wenigen Tagen vorgestellten nationalen Initiative "Sport tut Deutschland gut". Diese Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, menschliche Begegnungen zu ermöglichen, für kulturelle Toleranz zu werben und soziale Initiativen zu fördern. Ich begrüße diese Kampagne sehr und wünsche ihr großen Erfolg. Besonders dankbar bin ich den vielen Sponsoren für ihre finanzielle Unterstützung. Diese Initiative ist für mich ein gutes Beispiel für eine gelungene Partnerschaft zwischen der Wirtschaft und dem Dachverband des deutschen Sports. Gerne bin ich bereit, den dafür vorgesehenen Förderkreis zu leiten.

Bei vielen Besuchen von Sportveranstaltungen, aber auch in den Olympia-Stützpunkten hier in Potsdam und im thüringischen Oberhof habe ich mich selbst von der Leistungsfähigkeit des deutschen Sports überzeugt. Auch über die vorzügliche Arbeit der Eliteschulen des Sports und die optimale Förderung durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe habe ich mich ausführlich informiert. Ich bin optimistisch, dass die bevorstehenden sportlichen Großereignisse aus deutscher Sicht erfolgreich verlaufen werden. Das gilt für das Turnfest in Leipzig, für die Europameisterschaften im Schwimmen und in der Leichtathletik und für die Fußball-Weltmeisterschaft in Japan und Süd-Korea. Für Ihre zukünftige Arbeit wünsche ich Ihnen Erfolg und eine glückliche Hand. Sie können sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung Ihnen und dem Sport weiterhin ein starker und ein verlässlicher Partner sein wird."

DSB-Präsident Manfred von Richthofen sprach bei der Gemeinschaftstagung der Ständigen Konferenzen der Spitzenverbände und der Landessportbünde am 26. April 2002 in Potsdam, die auch der Bundeskanzler besuchen wollte, was aber letztlich die tragischen Erfurter Ereignisse verhinderten. Seine Rede blieb als Antwort auf die Kanzler-Ausführungen aktuell, weil Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe im Auftrag des Regierungschefs dessen Rede-Part Übernahme. In von Richthofens Kanzler-Replik heißt es unter anderem:

"Einmal mehr konnten Sie in Ihren Ausführungen Ihre ganz persönliche Beziehung zum Sport deutlich machen und gleichzeitig unterstreichen, dass Ihnen eine konstruktive Partnerschaft auch im politischen Sinne am Herzen liegt. Sie haben dem organisierten Sport viel Lob zuteil werden lassen, haben den Verbänden und Vereinen und vor allem der großen Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf allen Ebenen gedankt. Sie sind dabei der aktuellen gesellschaftlichen Forderung "Ehrenamt braucht Anerkennung" mit überzeugenden Worten gerecht geworden.

Darüber freuen wir uns sehr, und diese Botschaft wird, da bin ich sicher, auch an der Vereinsbasis ankommen. Doch Sie werden verstehen, dass wir Ihnen einige Problemfelder der Sportpolitik nicht vorenthalten können.

Wenn ich dabei unter dem Stichwort "Spitzensport" beginne, dann ist auch hier zunächst ein pauschales Wort des Dankes auszusprechen. Es gilt der Spitzensportförderung durch die Bundesregierung, die in vielfältiger und oft unkonventioneller Weise gewährt wurde und ganz sicher auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Nicht nur das Abschneiden unserer Olympiamannschaften bei den Winterspielen und den Paralympics in Salt Lake City hat gezeigt, auf welch überzeugende und sympathische Art das Ansehen Deutschlands in der Welt gestärkt werden kann. Lohnende Investitionen sind zweifellos auch Fördermittel für große internationale Ereignisse in unserem Land. Auch hier haben wir, etwa mit Blick auf die Ausrichtung der Fußball-WM 2006 oder die Initiativen rund um die deutsche Olympia-Bewerbung 2012, für Unterstützung und Rückenwind aus dem politischen Bereich zu danken.

Doch es gibt, was unsere internationalen Ambitionen betrifft auch ärgerliche Hemmnisse, die wir beklagen. Da ist beispielsweise der Paragraph 50 a des Einkommensteuergesetzes, der - unabhängig von Sonderregelungen wie für die Fußball-WM - die Bemühungen des deutschen Sports um vielfältige Internationalität torpediert. Eine sogenannte "Quellensteuerabführung" macht den Standort Deutschland im internationalen Sportgeschehen zunehmend unattraktiv. Ob es sich um Welt- und Europameisterschaften, Tagungen und Kongresse oder auch nur um den Geschäftssitz internationaler Sportverbände handelt: In unserem Lande sind die gesetzlichen Auflagen so, dass man sich lieber anderswohin orientiert. Diesen Imageverlust sollten wir uns ersparen. Hier herrscht, so meine ich, dringender regierungsamtlicher und parlamentarischer Handlungsbedarf. Wir müssen die hervorragenden Möglichkeiten des Sports im globalen Geschäft und Konkurrenzkampf auf Dauer besser nutzbar machen, statt sie zu untergraben. Hier schließt sich nahtlos ein anderer internationaler Problempunkt an, der schon lange auf der politischen Tagesordnung ist. Es geht um die Präsenz des Sports im europäischen Integrationsprozess.

Fakt ist: Die Bemühungen des Deutschen Sportbundes und vieler europäischer Partnerorganisationen um einen eigenen Artikel im EU-Vertragswerk sind bisher gescheitert. Auch Versuche, eine Verankerung des Sports etwa im Kultur-Artikel sicherzustellen, hatten noch keinen Erfolg. Und die jüngste Kunde aus Berlin stimmt uns erst recht nicht froh. Da hat nämlich die Bundesregierung auf eine große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion geantwortet, dass sie keineswegs die DSB-Auffassung von der Unverzichtbarkeit eines eigenen EU-Sportartikels oder angemessener anderer Berücksichtigung des Sports teilt. Zunächst müsste sich, so die Begründung, eine entsprechende Auffassung im Kreise der EU-Mitgliedsstaaten herausbilden, "dass der Bereich Sport eine rechtliche Grundlage im Gemeinschaftsrecht erhalten soll", wie es wörtlich heißt. Wir haben in letzter Zeit national wie international andere Signale empfangen. Und zwar solche, die ein gutes Stück verbindlicher klangen. Darüber hinaus sollte nach mehrjähriger Diskussion auf den verschiedensten politischen Ebenen der Abstimmungsprozess der EU-Mitgliedsstaaten eigentlich bald mal abgeschlossen sein.

Es ist absolut unerfindlich, warum man sich mit dem Sport so schwer tut. Seine Integrationskraft wird zwar bei festlichen Anlässen tausendfach beschworen, aber wenn es um die Schaffung von Rahmenbedingungen und die offensive Nutzung dieser Kraft geht, dann verheddert man sich in kleinmütigen Auseinandersetzungen. Mein dringender Appell an Sie, verehrter Herr Bundeskanzler, lautet: Bringen Sie den Sport in der ihm angemessenen Form wieder auf die europäische Tagesordnung und überzeugen Sie auch ihre Kollegen. Denn alles andere hieße, eine große Chance für Europa zu verpassen.

Ein paar Aspekte will ich noch einbringen zum Thema "Bürgergesellschaft", deren wesentliches Element das Ehrenamt ist. Eine sogenannte Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit diesem wichtigen gesellschaftlichen Aufgabenfeld beschäftigt, und von den Ergebnissen und Empfehlungen werden klare Weichenstellungen erwartet. Dies nicht zuletzt vom Sport, der im Bereich von Bürger-Engagement sicher kein Neuling ist.

Gerade weil hier Millionen von Menschen dem Gemeinwohl dienen, fordern wir Rahmenbedingungen ein, die dem Ehrenamt neue Impulse geben. Wer so viel für die Gesellschaft tut und damit soziales Kapital in bemerkenswerten Größenordnungen schafft, der darf auch den politisch Verantwortlichen seine Wünsche und Erwartungen deutlich machen. Der organisierte Sport geht also zusammen mit dem neuen Netzwerk von 150 gemeinnützigen Organisationen davon aus, dass zur Förderung des Ehrenamtes jetzt tatsächlich Fakten geschaffen werden. Dazu gehört beispielsweise der Abbau der Bürokratie vor allem für die Vereinslandschaft; dazu gehören ebenso Initiativen für die breite öffentliche Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit und schließlich ein Ehrenamtsgesetz, in dem alle Facetten gemeinnütziger Leistungen ihren Niederschlag finden.

Wir sind guter Hoffnung, dass solche Forderungen und Erwartungen auf Gegenliebe in der Politik treffen. Denn in Zukunft dürfte das Ehrenamt mehr noch als bisher geradezu staatstragende Bedeutung bekommen. Unser Tagungsort Potsdam lenkt den Blick natürlich auch auf die Sportentwicklung in Ostdeutschland. Dazu einige wenige Sätze. Bei unseren hartnäckigen Bemühungen zur Umsetzung des Goldenen Plans Ost, den der Deutsche Sportbund vor fast zehn Jahren vorgelegt hat, weiß ich die Bundesregierung an der Seite des Sports. Sie hat ein Sonderförderprogramm zur Verbesserung der Sportstättensituation in den Neuen Ländern aufgelegt, für das wir dankbar sind und das Wirkung zeigt.

Wir sind uns allerdings sicher auch darin einig, dass trotz aller Fortschritte das Tempo bei der Angleichung der Lebensverhältnisse im ganzen Land erhöht werden müsste. Neben den Chancen zur Sportteilnahme der Bevölkerung geht es aber beim Bau und bei der Sanierung von Sportanlagen in den Neuen Ländern auch um wichtige wirtschaftspolitische Folgewirkungen. Investitionen in Sportstätten bedeuten nämlich gezielte, regional wirksame Impulse für die notleidende Baubranche, eine Stärkung des Arbeitsmarktes, eine Entlastung der Sozialsysteme und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Standortfaktoren.

Vor wenigen Tagen hat der DSB mit seinen Mitgliedsorganisationen unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten eine neue Gesellschaftskampagne proklamiert. Das selbstbewusste Motto lautet: "Sport tut Deutschland gut", und das ist ein Versprechen und eine Verpflichtung zugleich. Es kündigt nämlich an, dass von der Spitze bis zur Breite, von den Vorschulkindern bis zu den Senioren, von der Gesundheitserziehung und Prävention bis zur Familienförderung, von der Ausländer-Integration bis zum Sozialengagement, vom Umweltschutz bis zur Kulturpflege der Sport eine sehr gute Adresse ist. Dies wollen wir in den kommenden Jahren den Menschen in unserem Lande immer wieder unter Beweis stellen und nicht zuletzt den politisch Verantwortlichen so oft wie nötig bewusst machen. "Sport tut Deutschland gut" - mit dieser nachdrücklichen Empfehlung hoffen wir auf konstruktive Partnerschaft auch in Zukunft."


* Anmerkung der DOSB-Redaktion:
Seit den 1990-er Jahren sind sportpolitische Dokumente wie Sportberichte der Bundesregierung, Veröffentlichungen der Sportministerkonferenz der Länder, des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp), des Deutschen Sportbundes oder von anderen Institutionen und auch Personen zunehmend im Internet dokumentiert und einsehbar. Sie wurden im Rahmen der Serie nicht mehr ausführlich zitiert.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 4 / 20. Januar 2015, S. 29
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund
Otto-Fleck-Schneise 12, 60528 Frankfurt/M.
Telefon: 069/67 00-236
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2015


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