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GESCHICHTE/467: Tokio 1964 - Der letzte Auftritt einer gesamtdeutschen Olympiamannschaft (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 35 / 26. August 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Tokio 1964: Der letzte Auftritt einer gesamtdeutschen Olympiamannschaft

von Friedrich Mevert



Eigentlich hatten schon 1940 die Spiele der XI. Olympiade in Tokio stattfinden sollen, doch dann brach 1937 der Krieg zwischen Japan und China aus, und ein Jahr später gab Japan den Auftrag zur Durchführung der Sommer- und der Winterspiele an das IOC zurück. Nun war die olympische Familie 24 Jahre später im Land der aufgehenden Sonne zu Gast und erlebte dort Spiele von großer Faszination. Das japanische Volk hatte mit Fleiß und Hingabe alle Möglichkeiten einer großen Industrienation aufgeboten, um die ersten Olympischen Spiele auf asiatischem Boden zu einem besonderen Höhepunkt werden zu lassen. Es war zugleich der letzte Auftritt einer gemeinsamen Olympiamannschaft der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.

Eine präzise Organisation, die kaum zu überbietende Gastfreundschaft, hervorragende Sportstätten von gleichzeitig traditioneller wie avantgardistisch-moderner Architektur, die Kulisse einer atemberaubenden Stadt, all das waren Merkmale dieser Spiele, die dazu eine Fülle von großartigen sportlichen Leistungen in fast allen Disziplinen brachten. Als der japanische Tenno, Kaiser Hirohito, am 16. Oktober 1964 im Rahmen einer beeindruckenden Feier die vom Protokoll vorgeschriebenen Eröffnungsworte sprach, waren Sportlerinnen und Sportler aus 94 Nationen - neun Länder mehr als vier Jahre vorher in Rom - zum sportlichen Wettstreit um olympische Ehren angetreten.

Willi Holdorf erkämpfte Goldmedaille im Zehnkampf

Einen Tag nach der Eröffnungsfeier begannen die leichtathletischen Wettkämpfe im Olympiastadion, bei denen die Amerikaner erneut überragende Leistungen boten, so z.B. Bob Hayes mit seinem 100-m-Sieg in der neuen Weltrekordzeit von glatten 10 Sekunden, oder Al Oerter, der im Diskuswerfen zum drittenmal nacheinander Olympiasieger wurde. Doch im Zehnkampf triumphierten die von Friedel Schirmer - 1952 in Helsinki deutscher Fahnenträger - trainierten deutschen Athleten: Willi Holdorf erkämpfte sich mit einer außergewöhnlichen Leistung die Goldmedaille, Hans-Joachim Walde errang Bronze hinter dem Russen Aun, und Horst Beyer kam noch auf einen hervorragenden sechsten Platz.

Auch im Schwimmen in der grandiosen Halle des National-Gymnasiums holten sich die Amerikaner den Löwenanteil der Medaillen und gewannen 16 der 22 Wettbewerbe. Vier Goldmedaillen erkraulte sich allein Don Schollander. Drei Silbermedaillen über 4 x 100 m und 4 x 200 m Freistil sowie 4 x 100 m Lagen erschwammen die gesamtdeutschen Männerstaffeln; Ingrid Engel-Krämer konnte ihre Goldmedaille von Rom im Kunstspringen erfolgreich verteidigen.

Gesamtdeutsche Erfolge auch in den Wassersportwettbewerben

Unter den Nachwehen eines Taifuns litten sowohl die Ruderwettbewerbe auf der Toda-Strecke, die künstlich parallel zum Arakawa-Fluss im Norden von Tokyo angelegt worden war, als auch die Kämpfe der Kanuten auf dem Sagami-Stausee. Die Endläufe der Ruderer wurden wegen der Windeinflüsse erst mit Verspätung gestartet, und so hatte auch die Auslosung der Bahnen gewissen Einfluss auf die späteren Platzierungen.

In den Wassersportwettbewerben gab es mehrere deutsche Erfolge: bei den Ruderern im Vierer mit Steuermann, bei den Kanuten durch Roswitha Esser und Annemarie Zimmermann im Zweierkajak und durch Jürgen Eschert aus Berlin (Ost) im Einer-Kanadier über 1000 m. Den ersten deutschen Segelsieg seit 1936 holte sich in der Bucht von Enoshima Willi Kuhweide aus Berlin (West) in der Finn-Dingi-Klasse.

Im Metropolitan-Gymnasium zeigten die Japaner ihre Überlegenheit in den Turnwettbewerben der Herren mit dem Mannschaftssieg und Erfolgen in vier Einzelwertungen. Bei den Turnerinnen ging der Stern der Tschechin Vera Càslawskà auf, die auch den Achtkampf für sich entscheiden konnte. Im Boxen stellte die Sowjetunion die bei weitem stärkste Staffel. Neun der zehn sowjetischen Kämpfer gewannen eine Medaille. Die italienischen Radsportler setzten ihre olympische Siegesserie fort, wenn auch nicht ganz so erfolgreich wie vier Jahre vorher in Rom.

Judo war erstmals olympische Sportart

Erstmals stand Judo auf dem olympischen Programm. In der tagtäglich ausverkaufte& neuen Nippon Budokan Hall zeigten sich am eindrucksvollsten die traditionellen Beziehungen des japanischen Volkes zu den Leibesübungen. In drei der vier Klassen setzten sich auch die japanischen Favoriten durch, nur in der Allkategorie entriss der holländische Riese Geesink Japans Meister Kaminaga zum Entsetzen der 15.000 Zuschauer den Sieg. Auch in den leichten Gewichtsklassen der Ringer beherrschten die geschmeidigen japanischen Athleten ihre Konkurrenten klar.

Bei den Mannschaftsspielen hatte Volleyball, das in der Welt am meisten verbreitete Mannschaftsspiel, olympische Premiere. Während bei den Herren die UdSSR gewannen, rief der Sieg der Japanerinnen wahre Begeisterungsstürme hervor. Favoritensiege gab es sowohl im Hockey durch die Inder, im Basketball durch die USA und im Fußball durch das ungarische Team, das die CSSR im Finale knapp 2:1 bezwingen konnte.

Die deutschen Reiter gehörten auch in Tokyo wieder zu den erfolgreichsten Sportlern. Sie gewannen am Schlusstag nach 1956 und 1960 zum drittenmal hintereinander das Mannschaftsspringen im Großen Preis der Nationen, bevor sich die japanischen Gastgeber in der ergreifenden Schlussfeier mit dem "Sayonara" auf der großen Leuchttafel von ihren Gästen aus aller Welt verabschiedeten.

Abschied von der gesamtdeutschen Mannschaft

Abschied musste in Tokyo für fast drei Jahrzehnte von einem gesamtdeutschen Olympiateam genommen werden, das in der japanischen Metropole mit 169 Aktiven aus der Bundesrepublik und 167 Aktiven aus der DDR angetreten war. Nach den USA stellten die vereinten Deutschen das zahlenmäßig zweitgrößte Team und belegten damit in der Medaillenwertung hinter den USA, der UdSSR und dem Gastgeber Japan den vierten Rang unter den 93 teilnehmenden Ländern. Bei seiner 6. Vollversammlung trennte das IOC am 6. Oktober 1965 in Madrid die seit 1956 in Cortina d'Ampezzo und Melbourne existierende gesamtdeutsche Mannschaft für mehr als ein Vierteljahrhundert. Erst nachdem die weltpolitischen Ereignisse am 3. Oktober 1990 zur deutschen Wiedervereinigung und zwei Monate später im Dezember des gleichen Jahres in Hannover zur Bildung eines gesamtdeutschen Sportbundes geführt hatten, traten im Februar 1992 im französischen Albertville und im Sommer des gleichen Jahres im spanischen Barcelona wieder vereinte deutsche Teams zu den Olympischen Spielen an.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 35 / 26. August 2014, S. 15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2014