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GESCHICHTE/464: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 262 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 32 / 5. August 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

2000/II: "100 Jahre DFB" - Grußwort von FIFA-Präsident Josef S. Blatter
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 262)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Als im Sommer 2006 die Bundesrepublik Deutschland als Ausrichter der 18. Weltmeisterschaften der FIFA im Mittelpunkt der Fußballwelt stand und ein "Sommermärchen" erlebte, dürfte wohl nur einem kleinen Prozentsatz der riesigen Anhängerschar von "König Fußball" bewusst gewesen sein, dass dieses beliebte Mannschaftsspiel schon Jahrhunderte alt und von Reliefs aus der vorchristlichen Zeit aus Europa, Vorderasien und China bekannt war. Im 12. Jahrhundert in England erstmals urkundlich belegt, wurde das Spiel in seiner modernen Form ab 1830 von den traditionellen britischen Schulen wie Eton, Westminster und Harrow geprägt.

Von England aus kam das Spiel auch nach Deutschland, wo 1874 Prof. Konrad Koch in Braunschweig einen Schülerfußballverein gründete und zwei Jahre später auch die ersten deutschen Fußballregeln entwarf. Um 1880 entstanden die ersten Fußballvereine in verschiedenen deutschen Städten, jedoch erste Verbandsgründungen blieben in ihrem Einfluss begrenzt. Als am 28. Januar 1900 der Deutsche Fußball-Bund als sechster deutscher Sportverband von 86 Vereinen und drei Verbänden in Leipzig gegründet wurde, gab es bereits einen regen Spielbetrieb. 1903 wurde auf dem Altonaer Exerzierplatz das erste Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft ausgetragen und vom VfB Leipzig mit 7:2 gegen den DFC Prag gewonnen. Das erste Länderspiel endete im April 1908 in Basel mit einer 3:5-Niederlage gegen die Schweiz. Vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 umfasste der DFB bereits 2.000 Vereine mit rund 200.000 Mitgliedern.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) feierte am 28. Januar 2000 seinen 100. Geburtstag am Gründungsort Leipzig in Anwesenheit hoher Ehrengäste mit Bundespräsident Johannes Rau, Bundeskanzler Gerhard Schröder und DSB-Präsident Manfred von Richthofen an der Spitze. Nachfolgend wird das Grußwort von FIFA-Präsident Josef S. Blatter dokumentiert:

"Die Bedeutung des Deutschen Fußball-Bundes für die FIFA in ein paar Zeilen zu skizzieren, ist eine sehr angenehme Aufgabe. Zu Beginn will ich ein ehrliches Kompliment machen: Der DFB ist ein vorbildlicher Verband innerhalb der FIFA, der seinen Verpflichtungen dem Fußball gegenüber weit über die Statuten und Reglemente hinaus nachkommt und stets nachgekommen ist. Auch wenn, und dies sei an dieser Stelle vorweg vermerkt, es in jeder Partnerschaft, so auch zwischen FIFA und DFB, immer wieder zu unterschiedlichen Auffassungen kommt und kommen kann.

Der DFB war kein Gründungsmitglied der FIFA, doch er war buchstäblich der Verband der "zweiten Stunde". Als am 21. Mai 1904 in Paris die FIFA von den Verbänden Frankreichs, Belgiens, Dänemarks, Hollands, Spaniens, Schwedens und der Schweiz gegründet wurde, war der DFB nicht zugegen. Doch noch am selben Abend telegraphierte er nach Paris, um seinen Beitritt anzukündigen. Seither zählte der DFB zu den Stützen im europäischen und weltweiten Fußball und darf einen wesentlichen Anteil an der Prosperität unseres Sports für sich in Anspruch nehmen.

Kontinuität und Stabilität, und das trotz der Erschütterungen zweier Weltkriege, prägten stets das Bild des DFB. Abzulesen ist dies immer in erster Linie an der Führung. Mit Egidius Braun stellt der DFB erst den achten Präsidenten in seiner hundertjährigen Geschichte, ganz sicher das bestimmende Element in der Erfolgsgeschichte des Verbandes. Mit über sechs Millionen Fußballerinnen und Fußballern zählt der DFB zu den größten Mitgliedsverbänden der FIFA, mit seiner wirtschaftlichen Potenz zu den wohlhabendsten, mit seinen großen sportlichen Erfolgen zu den erfolgreichsten und last but not least mit seinen diversen Engagements zu den sozialsten Verbänden der Welt. In der Rangliste der Weltmeisterschaften wird der DFB nur von Brasilien, dem einzigen Land, das an allen WM-Endrunden teilgenommen hat, überflügelt. Weltmeister 1954, 1974 und 1990, dazu Europameister 1972, 1980 und 1996 - diese Titel sprechen eine deutliche Sprache für die sportliche Vorbildfunktion des deutschen Fußballs in der ganzen Welt. Ein stets von Fairplay geprägter, gradliniger, zielstrebiger, disziplinierter und kämpferischer Fußball sind Gütezeichen für den DFB geworden. Fritz Walter, Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Günter Netzer, Berti Vogts, Lothar Matthäus und viele andere sind Namen von Spielerpersönlichkeiten, die weltweit in hellem Glanze strahlen. Und auch die Erfolge im Jugend- und Frauen-Fußball, insbesondere auch bei Weltmeisterschaften, sollen nicht unerwähnt bleiben.

Auch wenn in Deutschland häufig über neue Konzepte der Ausbildung diskutiert wird, so ist doch unbestritten, dass der DFB über viele Jahre hinweg in dieser Beziehung mit führend war, ansonsten die erwähnten Erfolge nicht zu realisieren gewesen wären.

Doch nicht nur sportlich ist der DFB ein Aushängeschild, auch sportpolitisch hat er enorme Arbeit geleistet. Da gilt es, in erster Linie an meinen - leider zu früh verstorbenen - Freund Hermann Neuberger zu denken. Als Organisationschef für die WM 1974 im eigenen Land legte er Zeugnis ab seiner enormen Fähigkeiten, und in der Zeit von 1975 bis 1992 zeichnete er als Verbandspräsident verantwortlich für eine sehr erfolgreiche Epoche des DFB, die mit seiner Tätigkeit als Vorsitzender der WM-Organisationskommission der FIFA einherging. Für die Endrunden 1978, 1982, 1986 und 1990 leitete Hermann Neuberger die bedeutendste Kommission der FIFA mit Bravour und Geschick. Schon seit jeher und noch heute haben Vertreter des DFB Sitz in zahlreichen ständigen Kommissionen der FIFA und tragen somit direkte Verantwortung für das Wohl und die Entwicklung des Fußballs. Was mich ganz besonders freut, sind die vorbildlichen sozialen Engagements des DFB, die, auch wenn Geld vorhanden ist, keine Selbstverständlichkeit darstellen.

Einrichtungen wie der DFB-Sportförderverein, die 1977 gegründete Sepp-Herberger-Stiftung, die Aktion "Keine Macht den Drogen", die 1986 ins Leben gerufene Mexiko-Hilfe oder die Kooperationsverträge mit Ungarn, Tschechien, Bulgarien und Polen sowie verschiedene spontane Hilfsaktionen wie zuletzt für den von deutschen Hooligans schwer verletzten französischen Polizisten Daniel Nivel haben zahlreiche Millionen Mark bedürftigen Kindern und in Not geratenen Menschen zur Verfügung gestellt. Zu erwähnen bleibt auch die vorbildliche Unterstützung des Projektes FIFA-SOS-Kinderdorf durch den DFB. Der Deutsche Fußball-Bund legt damit beredtes Zeugnis ab für die soziale Verantwortung des Fußballs in der heutigen Zeit. Er hat als einer der ersten Verbände realisiert, dass der Fußball mit seiner enormen Ausstrahlung und sozialen Bedeutung nicht nur nehmen kann, sondern auch zurückgeben muss. Seine Engagements helfen auch uns, das Markenbild des Fußballs ständig zu verbessern.

Ich wünsche dem Deutschen Fußball-Bund mit Präsident Egidius Braun an der Spitze, seinen über 90 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und natürlich seinen über sechs Millionen Mitgliedern alles Gute zum 100. Geburtstag. Dieses Jubiläum setzt einen Meilenstein in der Geschichte des DFB, und es ist ein Moment, innezuhalten, zurückzuschauen, aber vor allem die Zukunft anzupacken. Diese ist nicht frei von großen Herausforderungen, die unsere ganze Kraft und Konzentration erfordern. Gewisse Tendenzen zur hemmungslosen Kommerzialisierung unter Missachtung der wesentlichen Eckpfeiler des Fußballs - Solidarität und Universalität - machen uns Sorgen. Als Präsident der FIFA zähle ich weiterhin auf die wertvolle Mitarbeit des DFB, und ich zweifle keinen Moment daran, dass der Weltverband auch die nächsten 100 Jahre auf sein loyales und engagiertes Mitglied bauen kann."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 32 / 5. August 2014, S. 50
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2014