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GESCHICHTE/457: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 256 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 23 / 3. Juni 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1999/VI 50 Jahre NOK für Deutschland: Feier auf dem Petersberg
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 256)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Mit einem eindrucksvollen Festakt im Hotel Petersberg bei Königswinter feierte das Nationale Olympische Komitee für Deutschland am 6. November 1999 den 50. Jahrestag der Gründung des NOK am 24. September 1949 in Bonn. Mit den Worten "Wir feiern ein in jeder Hinsicht kleines Jubiläum", eröffnete NOK-Präsident Walther Tröger seine Begrüßung. "Unsere Bescheidenheit will auch der Notwendigkeit Rechnung tragen, unsere verfügbaren Mittel für die Erfüllung anderer satzungsgemäßer Aufgaben und vor allem für die Betreuung derer zu verwenden, die sich uns anvertrauen. Dies noble Haus tut uns gut, es hat uns wiederholt in unserer Geschichte eindrucksvoll gedient. Und ich denke, es steht auch dafür, wie wir uns gern sehen möchten und wohl auch sehen dürfen; als Zentrum der Dienstleistung und Hort der Gastfreundschaft, mit freiem Blick über große Weiten, die nur manchmal durch die Nebel und Widrigkeiten des Wetters und des Alltags verhangen sind. Ohnehin erwächst der angemessene Rahmen eines solchen Tages hauptsächlich aus der Schar hoher Gäste und ihrem Beitrag zu unserem Gefühl der Gemeinsamkeit."

Deren Liste war in der Tat eindrucksvoll mit IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch und Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl an der Spitze, Bundesinnen- und Sportminister Otto Schily, zahlreichen Bundestagsabgeordneten und mehreren ehemaligen Bundesministern, dem DSB-Präsidenten Manfred von Richthofen und DSH-Vorsitzenden Hans-Ludwig Grüschow, IOC-Ehrenmitglied Berthold Beitz und IOC-Exekutivmitglied Thomas Bach, Präsidenten von Weltsportverbänden und zahlreichen Olympiasiegern.

In seinem ausführlichen Rückblick ging NOK-Präsident Tröger auf Höhen und Tiefen der Olympischen Bewegung im Nachkriegsdeutschland ein und betonte insbesondere: "Aber nicht nur Positives darf vermeldet werden. Der Terrorangriff im Münchner Olympischen Dorf gegen unsere Gäste, die israelische Olympiamannschaft, wirkt bis heute nach und macht seither Sicherheitsmaßnahmen notwendig, die das Zusammenleben der Sportler aus aller Welt beengen und behindern. Später waren auch wir selbst an der Verletzung der Autonomie des olympischen Sports beteiligt, als die Mitgliederversammlung des NOK am 15. Mai 1980 auf massiven politischen Druck die Nichtteilnahme an den Olympischen Spielen in Moskau beschloss. Und vier Jahre später mussten die Sportler aus der DDR nach dem Moskauer Ukas einspruchslos auch auf ihre Olympiateilnahme verzichten."

Nachfolgend werden Auszüge aus den Ansprachen von Bundesminister Otto Schily, Bundeskanzler a. D. Helmut Kohl und dem Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau zitiert:


Bundesinnenminister Otto Schily:

(...) "Jubiläen wie der heutige 50. Jahrestag sind vor allem ein willkommener Anlass, allen Dank zu sagen, die mit Sportbegeisterung, organisatorischem Talent und persönlicher Einsatzfreude die erfolgreiche Arbeit des NOK zustandegebracht haben. Diese Arbeit hat auf nationaler wie auch internationaler Ebene breite Anerkennung gefunden und lässt Sie mit Recht stolz auf ein 50-jähriges erfolgreiches Wirken für den Spitzensport zurückblicken, das gerade auch für die würdige Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland immer besonders wertvoll gewesen ist. Mein besonders herzlicher Dank gilt Ihnen, Herr Professor Tröger, der Sie sich durch Ihr immenses Fachwissen, Ihre persönliche Integrität und durch ein herausragendes Engagement für den Sport ausgezeichnet haben.

Wir erinnern uns aber auch in Dankbarkeit, was Willi Daume über viele Jahre für den deutschen Sport geleistet hat. An dieser Stelle wären sicher viele Namen in den Dank einzubeziehen, erlauben Sie mir aber, dass ich meine besondere Dankbarkeit gegenüber Berthold Beitz bekunde, dem der Sport unglaublich viel zu verdanken hat.

Die Wiedergründung des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland vollzog sich vor 50 Jahren an derselben Stätte, in der nur wenige Monate zuvor das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland entstanden war. Das mag ein Zufall gewesen sein. Ich bin aber für meinen Teil überzeugt, dass gerade der Sport und seine Institutionen für den Aufbau der demokratischen und freien Gesellschaft in Deutschland einen unschätzbaren Beitrag geleistet haben. Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, in dem das NOK die ganze Fülle des Olympischen Sports erleben - und was noch wichtiger ist - auch mitgestalten konnte. Sportliche Sternstunden, die uns noch in lebendiger Erinnerung sind, lassen dabei leicht die politisch bedingten Krisen vergessen, denen sich das NOK immer wieder gegenübergestellt sah.

Vielleicht sollte daran erinnert werden, dass es Theodor Heuss war, der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, der sich für eine möglichst schnelle Gründung eines Nationalen Olympischen Komitees eingesetzt hat. Was gewiss nicht selbstverständlich war, denn seinerzeit gab es auf Seiten der Alliierten eine gewisse Reserve gegenüber zentralen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland.

Dass es gelang, den Sport in der noch jungen Bundesrepublik bald zurück in die Olympische Bewegung zu führen, zählt zu den besonders anerkennenswerten Verdiensten dieser frühen Jahre. Vergeblich blieben allerdings im Verlauf der Zeit die Bemühungen, die deutsche Einheit wenigstens im Sport bestehen zu lassen. Eine Weile sah es zwar so aus, als könnten in Helsinki 1952 Sportler aus ganz Deutschland starten, bis dann Walter Ulbricht ostdeutsche Sportler in die Rolle passiver Teilnahme an der Berichterstattung über diese Spiele zwang. (...)

Schließlich markiert im weiteren Verlauf der 17. November 1990 mit der Vereinigung der beiden deutschen Nationalen Olympischen Komitees eine historische Zäsur. Es ist, wie ich finde, ein besonders erfreulicher Sachverhalt, dass es relativ rasch im Sport gelungen ist, zu einer harmonischen und sehr konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Ost und West zu gelangen. Dazu gehört allerdings auch, dass wir die bösen Folgen der staatlich gelenkten Sportpolitik der ehemaligen DDR gründlich aufarbeiten.

Über fünf Jahrzehnte hinweg hat das NOK - wie der Sport generell - der gesellschaftlichen Entwicklung unseres Landes wichtige Impulse gegeben. Es war die Olympische Bewegung, die mit gesamtdeutschen Olympiamannschaften bei den Spielen 1956, 1960 und 1964 auch über den Sport den Gedanken an die Einheit der Nation lebendig halten konnte.Die Olympischen Spiele 1972 in München gaben nicht nur dem westdeutschen Spitzensport kräftigen Auftrieb, sondern verliehen zugleich dem Breitensport einen deutlichen Schub. 1992 waren es in Barcelona und Albertville wiederum Olympische Spiele, die aller Welt die wiedergewonnene staatliche Einheit auch über das Medium Sport vor Augen führen konnten. Die dabei gelungene schnelle Integration der Sportlerinnen und Sportler aus West und Ost darf vorbildlich genannt werden.

Deutsche Sportlerinnen und Sportler haben bei Olympischen Sommer- und Winterspielen von 1896 bis 1998 zusammengerechnet sage und schreibe 1.413 Medaillen gewonnen. Das ist eine überaus beachtliche Leistung. Bei diesen Erfolgen sollten jedoch nicht jene vergessen werden, deren sportlicher Einsatz zwar nicht durch erhoffte Medaillen gekrönt wurde, die aber gleichwohl durch ihre Teilnahme Deutschland durch vorbildliches Auftreten hervorragend bei Olympischen Spielen repräsentiert haben. Hierfür ist allen bisherigen deutschen Olympiateilnehmern ebenso zu danken wie dem sie umgebenden Stab der Betreuer.

Ich wünsche dem NOK weiterhin viel Erfolg bei der Bewältigung seiner verantwortungsvollen Aufgaben und der Mitgliederversammlung einen erfolgreichen Verlauf. Und uns allen wünsche ich, dass wir stets darauf bedacht bleiben, dass es die Sportlerinnen und Sportler sind, die in den Mittelpunkt der Sportpolitik gehören."


Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl:

(...) "Diese 50 Jahre waren schwere Jahre für die Deutschen. Es waren die Jahre der Teilung, und wenn wir in drei Tagen des Tages gedenken, an dem die Mauer vor 10 Jahren geöffnet wurde von Menschen, die in einem Volk zusammen leben wollten, dann gehört dazu auch der Sport. Es war für viele, die damals Verantwortung trugen, sehr schwer, miteinander zu sprechen, ohne gleichzeitig in den Verdacht zu geraten, dass sie möglicherweise die eigene Identität nicht wahren. Es gab enorme Pressionen auch hier bei uns, wir haben das erlebt im Zusammenhang mit der Olympiade 1980, an der wir dann nicht teilnahmen. Aber ich sage noch ein Wort zu jenen, die in der DDR lebten. Die Sportverantwortung tragen auch Sportler, die oft ganz persönlich noch unter ganz andere Druckverhältnisse gerieten. Und ich warne diejenigen, die in der warmen Sonne der Bundesrepublik hier am Rhein über Schicksale in der früheren DDR reden, das mit jener Leichtfertigkeit zu tun, die ich gelegentlich beobachte. (...)

In ein paar Wochen gehen wir in ein neues Jahrhundert, ja ein neues Jahrtausend und wir, die Deutschen, können zurückblicken auf ein Jahrhundert, das sozusagen aus zwei Hälften bestand. Zwei Weltkriege, zwei schreckliche Diktaturen und die Chance - wie es Wolfgang Borchert damals gesagt hat - wir sind noch einmal davongekommen. Aber wir sind nicht nur davongekommen, sondern die Generationen, die damals die Verantwortung direkt übernahmen, und die, die folgten, haben versucht etwas daraus zu machen. Das Nationale Olympische Komitee war dabei, die Verantwortlichen in den Verbänden waren dabei, die Sportlerinnen und Sportler waren dabei. Ich wünsche mir einfach, ich wünsche uns, meine Damen und Herren, dass wir in diesem Geist jetzt klug sind. Und wir versuchen zumindest aus der Geschichte zu lernen, weil wir Werke des Friedens tun, hierzulande und draußen in der Welt.

Herr Präsident Samaranch, in Europa haben wir in einer dramatischen Nacht beim Amsterdamer Vertrag den Sport sozusagen in die EU-Verträge aufgenommen. Es war mir nie verständlich, warum das eigentlich so schwierig wurde, denn im Nationalbereich waren Politiker in den Sonntagsreden eigentlich immer dafür, dass wir das so tun. Dass es gelungen ist, freut mich und ist für mich auch ein Zeichen, wie wir mit dem Internationalen Olympischen Komitee, mit dem Nationalen Olympischen Komitee, mit dem Deutschen Sportbund, mit all jenen, die da Verantwortung tragen, den Offiziellen, den Aktiven, den Weg ins neue Jahrhundert gestalten. Dass eine junge Generation, die jetzt heranwächst in Frieden und Freiheit wie nie zuvor, diese Perspektive auch wahrnimmt zu sagen: Es ist unsere Chance als freie Bürger in einem freien Land. Das wünsche ich mir und uns."


Bundespräsident Johannes Rau:

"Wie die Bundesrepublik Deutschland feiert auch das Nationale Olympische Komitee für Deutschland in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Das NOK hat in den fünf Jahrzehnten seines Bestehens im Sinne eines integrierenden und völkerverbindenden Miteinanders gewirkt und wichtige Beiträge für die olympische Bewegung und den Sport geleistet. Dafür spreche ich Ihnen meinen herzlichen Dank aus. Sie blicken heute auf fünfzig bewegte und wechselhafte Jahre zurück, die immer eng mit der deutschen Nachkriegsgeschichte verbunden waren. Es ist gut, dass der Sport in unserem Land autonom ist, eine gesellschaftliche Selbstorganisation und keine staatliche Zuständigkeit. Gleichwohl ist er - und damit auch das NOK - eingebunden in die jeweilige politische und gesellschaftliche Situation. (...)

Auch nach der deutschen Einheit hat das NOK sich mit großem Engagement und mit Erfolg um die Integration der Athleten aus Ost und West gekümmert. Das zeigte sich bereits bei den Olympischen Spielen 1992 in Albertville und Barcelona, als nach 28 Jahren wieder eine gemeinsame deutsche Olympiamannschaft am Start war. Nach meinem Eindruck ist das Zusammenfinden der Deutschen aus Ost und West im Sport schon weiter gediehen als in manch anderen Feldern.

Das ist keine Überraschung: Wie kaum ein anderer gesellschaftlicher Bereich vermag der Sport Menschen zu begeistern und einander näher zu bringen.

Der Sport und die olympische Bewegung haben sich in den letzten fünfzig Jahren zunehmend auch kommerziellen Interessen und Einflüssen geöffnet, aus wirtschaftlichen Erwägungen vielleicht auch öffnen müssen. Der Einfluss von Fernsehsendern und Sponsoren darf aber nie so weit gehen, dass der Sport in Gefahr gerät, seinen inhaltlichen Ausverkauf zu betreiben und damit seine Seele zu verlieren. Das Ansehen des olympischen Sports ist in den letzten Jahren durch Manipulationen verschiedener Art beeinträchtigt worden. Die Doping-Problematik ist das eine. Der Kampf gegen Doping muss international wirkungsvoller angegangen werden. Die bevorstehende Gründung einer internationalen Antidoping-Agentur ist dafür ein wichtiger Schritt.

Aber auch das Verhalten von Mitgliedern des Internationalen Olympischen Komitees im Zusammenhang mit der Vergabe Olympischer Spiele hat die Glaubwürdigkeit der olympischen Bewegung geschädigt. Beides steht in krassem Widerspruch zur Olympischen Idee und zum Gedanken des Fair Play - Ideale, die keineswegs überholt, sondern unerlässlich sind, damit der Sport die von uns allen gewollte Vorbildfunktion tatsächlich erfüllen kann. Ich wünsche mir, dass die internationale Familie des Sports alle notwendigen Maßnahmen trifft, um Manipulationen im Sport wirksam vorzubeugen. Ich halte es da mit dem 1996 verstorbenen Willi Daume, Ihrem langjährigen und unvergessenen Präsidenten, der bei seinem Abschied vom Internationalen Olympischen Komitee gesagt hat:

"Fair Play ist zwar das Wesen des Sports, aber nicht automatisch mit ihm verbunden. Es kommt nicht durch göttliche Fügung vom Himmel geflogen, sondern muss, wie wir immer wieder erfahren, dauernd neu anerzogen werden." (...)

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 23 / 3. Juni 2014, S. 26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2014