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GESCHICHTE/451: Karl Friedrich Friesen - Verfechter der Vereine (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 18 / 29. April 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Karl Friedrich Friesen - Verfechter der Vereine
Vor 200 Jahren fiel der Weggefährte Jahns in den letzten Tagen der Befreiungskriege

von Prof. Hans-Jürgen Schulke



Die deutsche Turn- und Sportbewegung tut gut daran, sich ihrer historischen Wurzeln zu versichern - sie heißen Aufklärung, Freiheit, Gleichberechtigung, Brüderlichkeit. Zuletzt ist der "Turnvater" Jahn dazu verhaftet worden: 2011 mit der Erinnerung an die Eröffnung des ersten Turnplatzes 200 Jahre zuvor in der Berliner Hasenheide, 2013 das Gedenken an die Völkerschlacht in Leipzig mit Beteiligung von Turnerbataillonen (Lützows "wilde verwegene Jagd"), die Aufnahme von Jahn in die Hall of Fame im gleichen Jahr. Schon jetzt darf man sich den Dezember 2023 vormerken, dann ist das in der Deutschen Nationalversammlung verabschiedete Vereinsgesetz 175 Jahre alt - Jahn stimmte dem seinerzeit zu.

Nicht dabei war in der Frankfurter Paulskirche Karl Friedrich Friesen, der engste Weggefährte Jahns. Er wurde keine 30 Jahre alt. Der Adjudant des Kommandeurs Lützow fiel vor 200 Jahren auf dem Weg zur letzten großen Schlacht gegen Napoleon vor Paris. Mit ihr endeten endgültig die Befreiungskriege gegen den französischen Kaiser, der fast ganz Europa blutig unter seine Gewalt gebracht hatte.

Noch heute erinnert ein Ehrengrab auf dem Invalidenfriedhof in Berlin, einige Gedenktafeln und Straßen- sowie Vereinsnamen an diesen bedenkenswerten jungen Mann; der vielseitige Friesenkampf bei den Deutschen Turnfesten - Olympiasiegerin Britta Heidemann hat ihn einmal gewonnen - hält ihn bis heute in bewegender Erinnerung. Das erfolgt zu Recht, denn Friesen war zweifellos ein wichtiger Impulsgeber für das heutige Vereinswesen. Anders als der schulisch wenig erfolgreiche und nicht selten rhetorisch polternde, 6 Jahre ältere Jahn hatte Friesen eine akademische Laufbahn abgeschlossen. Er hatte sich mit Kants Ethik auseinandergesetzt, war nach Ausbildung in der Bauakademie einige Jahre Mitarbeiter bei Alexander von Humboldt, versuchte erfolgreich die pädagogischen Ideen von Pestalozzi - hier gemeinsam mit Jahn - in der Plamannschen Erziehungsanstalt praktisch werden zu lassen. Von Fichtes Reden an die Nation ließ er sich philosophisch und politisch inspirieren.

Dennoch war Friesen kein reiner Kopfmensch. Er war körperlich vielseitig und gewandt, mutig, entdeckungsfreudig - vielleicht einer der ersten kompletten Athleten in der Neuzeit. Und ihn interessierte die organisatorische Praxis. Er schuf - selbst ein glänzender Fechter - 1808 die Fechtbodengesellschaft, leitete zeitweilig den Turnkünstlerverein und eine Schwimmanstalt, gründete mit Jahn den geheimen Deutschen Bund, war Mitorganisator des allen öffentlich zugänglichen Turnplatzes und formulierte - wieder mit Jahn - eine Ordnung für die erste gesamtdeutsche Burschenschaft.

Die Fülle aller Aktivitäten lässt bei etwas Abstand ein Grundmotiv erkennen: In welcher Form kann man im öffentlichen Raum ein gleichberechtigtes gesellschaftliches Zusammenleben organisieren? Zu der Zeit war das Zusammenleben durch ständische Hierarchien, zünftige Ordnungen, familiäre Zwänge, kirchliche Verhaltensdiktate und militärische Abhängigkeiten geprägt. Es begann die Suche nach stabilen egalitären Gesellungsformen, die sich in mäandernden Begriffen wie Anstalten, Bünden, Gesellschaften, Tafeln, Vereinen etc. ausdrückten. Es galt schlussendlich, die Ideale der französischen Revolution "Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit" in eine alltagstaugliche Form zu bringen. Friesen war hierfür ein ideenreicher, geschickt und überzeugend verhandelnder Gesprächspartner.

War er damit ein Initiator des sportlichen Vereinswesens? Bedingt. Vereine als rechtlich verbindliche Organisationsform gab es schon zu Zeiten vor Jahn und Friesen, sie waren im Allgemeinen preußischen Landrecht von 1794 verankert. Doch hatten sie zu der Zeit vor allem eine Observationsfunktion, mussten angemeldet werden und wurden wegen etwaiger politischer Aktivitäten verfolgt. Friesen und seine Freunde werden das gewusst haben, vermieden den Begriff Verein und verwendeten unverfängliche Bezeichnungen. Den Gedanken der Freiheit und Gleichberechtigung, der gegenseitigen Anerkennung und Unterstützung gaben sie deshalb nicht auf.

Als dann in der ersten demokratischen Nationalversammlung in Deutschland endlich ein freies Vereinsrecht beschlossen wurde, war Friesen bereits 35 Jahre tot. Dennoch hat er es mit vorbereitet. Das ist aller Ehren wert.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 18 / 29. April 2014, S. 41
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2014