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GESCHICHTE/445: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 246 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 12 / 18. März 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1998/V: DSJ fordert bessere Chancen für Kinder und Jugendliche
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 246)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Mit einer ausführlichen Begründung stellte der Vorstand der Deutschen Sportjugend - zusätzlich zum Präsidium des DSB - zur Bundestagswahl 1998 einen Forderungskatalog an die im Bundestag vertretenen Parteien auf, um damit gezielt auf Kinder und Jugendliche und deren Bedürfnisse abgestimmte Probleme aufzuzeigen. Mit dem breit gestreuten Forderungskatalog rief die DSJ zugleich die Jugendvertreter und -vertreterinnen in den Vereinen und Verbänden auf, diese zur Grundlage der Gespräche mit ihren zuständigen Wahlkreiskandidaten zu machen. Die Begründung und die Forderungen hatten folgenden Wortlaut (Auszüge):


"1. Bessere Lebens- und Bewegungssituationen "Straßenkinder" in deutschen Großstädten, steigende Kinderprostitution und eine Zunahme der Beschaffungskriminalität bereits im Kindesalter sind Beweise dafür, dass die gesellschaftliche Krise die junge Generation erreicht hat. Als Ursachen dieser Entwicklung sind der fortschreitende Sozialabbau und die Entsolidarisierung in der Gesellschaft längst ausgemacht. Kinder und Jugendliche, deren soziale Absicherung wegen der Arbeitslosigkeit der Eltern längerfristig stark gefährdet ist, erkranken, verlassen die Schulen und verlieren damit ein Stück Lebensperspektive.

Da das Abrutschen in die Armut fast immer mit einer Reduzierung der gesundheitlichen Vorsorge, mit Wohnungsnot, sozialer Isolierung und Ausgrenzung zu tun hat, gehören Lebens- und Bewegungssituation zusammen. Beides insgesamt - aber vor allem für benachteiligte Kinder und Jugendliche - deutlich zu verbessern, ist deshalb eine sehr wichtige gesellschaftspolitische Herausforderung.

Deshalb fordert die Deutsche Sportjugend für alle Kinder und Jugendlichen

  • sozial abgesicherte Lebensperspektiven,
  • die notwendige gesundheitliche Versorgung, familiengerechte Wohnungen,
  • eine Stadtplanung, die entsprechende Spiel- und Bewegungsräume vorsieht und diese Räume zeitgleich mit dem Bau neuer Wohnquartiere schafft,
  • die Förderung von jugendpädagogisch geeigneten, gewaltpräventiven Maßnahmen in allen Erziehungseinrichtungen und
  • die Förderung von Modellmaßnahmen zur Umsetzung dieser Forderungen,
  • den Ausbau von Spiel- und Bewegungsräumen in Kindergärten, Kindertagesstätten und -Horten sowie im wohnungsnahen Umfeld,
  • den weiterhin kostenfreien Zugang zu allen öffentlichen Spiel- und Sportanlagen sowie die bedarfsgerechte und gebührenfreie Bereitstellung von Spiel- und Sportstätten speziell für die sportliche Jugendarbeit,
  • die Förderung gesundheitspräventiver Maßnahmen.

2. Zeitgemäße und bedarfsorientierte schulische und berufliche Bildung

In ihrem Symposium "Zukunftsinvestition Jugend" hat die "Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftliche Forschung und Weiterbildung" im April 1998 festgestellt, dass die bürgerliche Gesellschaft dabei ist, einen erheblichen Teil ihrer jungen Menschen in die Perspektivlosigkeit, in Krankheit, Drogen und Kriminalität zu verlieren. Der extreme Anstieg der Verdächtigenziffern bei Jugendlichen um 220,8 % wird dabei primär als Ergebnis wachsender Perspektivlosigkeit gesehen und in Verbindung gebracht mit der Verdoppelung der Arbeitslosenquote unter Jugendlichen seit Anfang der 90er Jahre. Da kriminelle Gewalt Jugendlicher erfahrungsgemäß vor allem zu Lasten Gleichaltriger geht, reichen partielle Anstrengungen allein nicht. Eine zeitgemäße und bedarfsorientierte schulische und berufliche Bildung für alle Jugendlichen ist als ein wichtiger Schritt gefordert. (...)

Deshalb fordert die Deutsche Sportjugend für alle Kinder und Jugendlichen

  • ausreichende Bewegungs- und Spielangebote in allen Bereichen der Elementarerziehung,
  • Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen im Schul- und Berufsbildungssystem,
  • vermehrte Anstrengungen zur altersgemäßen Integration von Kindern und Jugendlichen ausländischer Herkunft und Aussiedlern in das schulische und berufliche Bildungssystem,
  • gezielte Sonderförderung von berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen zur Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit unter Berücksichtigung von motivierenden Spiel- und Sportangeboten,
  • Sicherstellung von qualifizierten und ausreichenden Spiel- und Sportangeboten im schulunterrichtlichen Fächerkanon als auch außerhalb des Sportunterrichts in allen Schultypen - einschließlich der Berufsschulen,
  • Förderung von Kooperationsvorhaben zwischen allen Schultypen und Sportvereinen.

3. Anerkennung und Förderung sportlicher Jugend- und Sozialarbeit

Während die Anzahl der im Sport organisierten Kinder und Jugendlichen abhängig von Sportart und jugendkulturellen Trends sinkt oder steigt, erfreut sich das Medium Sport bei Kindern und Jugendlichen insgesamt weiterhin allergrößter Beliebtheit. Dieser seit Jahren unveränderte Trend lässt sich einerseits mit der Wandlungsfähigkeit des Mediums Sport erklären. Er setzt aber auch die Wandlungsfähigkeit von Sportstrukturen und Spiel- und Sportanlagen ebenso voraus wie eine kontinuierliche Aus- und Fortbildung von ehren- und hauptamtlich tätigen Entwicklern und Vermittlern. (...)

Deshalb fordert die Deutsche Sportjugend für alle Kinder und Jugendlichen

  • die berechtigten Ansprüche vieler Jugendlicher an gesellschaftlicher Mitgestaltung und Verwirklichung der individuellen Lebensperspektiven, vor allem der Mädchen und jungen Frauen, anzuerkennen und zu unterstützen,
  • die ungekürzte Fortsetzung der Förderung der Kinder- und Jugendarbeit im Sport aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes,
  • die Förderung von allen sportbezogenen Bildungsmaßnahmen einschließlich der jugendpolitischen, sozialen, kulturellen und internationalen Bildung,
  • die vorrangige Verbesserung der immer noch völlig unzureichenden Spiel-, Sport- und Freizeitstätten-Situation in den neuen Bundesländern,
  • die Anerkennung und Stärkung der Ehrenamtlichkeit in der Jugendarbeit im Sport auch durch eine Vereinheitlichung und Verbesserung aller gesetzlichen Regelungen für Sonder- und Bildungsurlaub einschließlich beruflicher Freistellung im Sinne einer Förderung des ehrenamtlichen Engagements,
  • die dauerhafte Förderung der Koordinierungsstelle Fan-Projekte bei der Deutschen Sportjugend. Da das Medium Sport nachweislich zur Integration von Kindern und Jugendlichen ausländischer Herkunft sowie Spätaussiedlern besonders geeignet ist, fordern wir
  • eine weitergehende finanzielle, aber auch geeignete personelle Förderung für derartige Maßnahmen und Angebote in Vereinen und Verbänden des Sports,
  • die Förderung aller Maßnahmen zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft sowie
  • die Erleichterung der Einbürgerung junger Ausländerinnen und Ausländer als Beitrag zu deren Integration.

4. Internationale und Entwicklungszusammenarbeit

Der Sport ist ein wichtiger Teil im Gesamtspektrum des internationalen Jugendaustausches und der Begegnung zwischen Menschen der unterschiedlichsten Herkunft, Kultur, Rasse und Religion. Als Medium des vorurteilsfreien Kennenlernens der Jugend untereinander und der längerfristigen Zusammenarbeit hat es sich vor allem nach dem 2. Weltkrieg in der sogenannten westlichen Welt und teilweise in der Entwicklungszusammenarbeit bewährt. Durch die Beendigung des Ost-West-Konfliktes und entsprechende weltweite Auswirkungen sind neue und damit zusätzliche Herausforderungen bezüglich Kontakten und Strukturhilfen in den mittel- und osteuropäischen Staaten, in den sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern und durch eine kinderspezifische Verarmung als Folgen der weltweiten Globalisierung und Polarisierung zwischen Reichen und Armen festzustellen. (...)

Deshalb fordert die Deutsche Sportjugend für alle Kinder und Jugendlichen

  • die finanzielle Grundsicherung für die internationale Jugendarbeit im Sport, sowie eine ausreichende Förderung internationaler Jugendbegegnungsmaßnahmen als Friedensarbeit und zur Unterstützung des interkulturellen Verständigungsprozesses,
  • die weitere Förderung der fachlichen Aus- und Weiterbildungsarbeit für ehren- und hauptamtliche Fachkräfte der internationalen Jugendpolitik und Jugendarbeit als Grundlage gesamteuropäischer und weltweiter Zusammenarbeit und Kooperationsbefähigung,
  • die inhaltliche Qualifizierung der bundesdeutschen Entwicklungshilfe als Beitrag zur Sicherung des Friedens durch einen angemessenen ideellen und materiellen Beitrag, (...)
  • Konzentration auf Projekte zur Stärkung der Eigenständigkeit von Nicht-Regierungs- und Basisorganisationen im Sinne der "Hilfe zur Selbsthilfe",
  • einen Beitrag zur Absicherung der elementaren Grundversorgung mit Nahrung, Trinkwasser und gesundheitserhaltenden bzw. gesundheitsfördernden Leistungen,
  • einen politischen Beitrag in den Weltorganisationen für mehr Humanität und Gerechtigkeit,
  • die Beendigung bzw. Verhinderung von kriegerischen Auseinandersetzungen und Vertreibung und damit eine starke Reduzierung der Ursachen der Flüchtlingsprobleme und Asylerwartungen."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 12 / 18. März 2014, S. 15
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2014