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GESCHICHTE/425: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 228 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 42 / 15. Oktober 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1996/V: NOK und Landessportbünde zu Strukturfragen des Sports
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 228)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Zehn Jahre, bevor es am 20. Mai 2006 in der Frankfurter Paulskirche zur Vereinigung von Deutschem Sportbund (DSB) und Nationalem Olympischen Komitee für Deutschland (NOK) zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) kam, war in den Spitzengremien und Mitgliedsorganisationen der beiden Dachorganisationen die Diskussion über künftige Strukturfragen für den deutschen Sport bereits in vollem Gange. Dabei zeichneten sich allerdings auch unterschiedliche Positionen zwischen dem DSB-Präsidium unter der Führung von DSB-Präsident Manfred von Richthofen mit deutlicher Unterstützung durch die Landessportbünde einerseits und dem NOK-Präsidium und den im NOK vereinten olympischen Spitzenverbänden andererseits ab. Diese unterschiedlichen Auffassungen wurden auch für die Öffentlichkeit besonders am zweiten November-Wochenende 1996 bei Zusammenkünften der beiden Mitgliedsgruppen des DSB deutlich.

So stand bei der Herbsttagung der Ständigen Konferenz der Landessportbünde am 8./9. November 1996 im Hodler-Saal des Hannoverschen Rathauses - Gründungsort des DSB 1950 - eine "Verstärkung der inhaltlichen und organisatorischen Kooperation" von DSB und NOK im Mittelpunkt der Beratungen. In der Diskussion wurde auch unterstrichen, "dass dieses Problem emotionslos zu Ende gedacht werden müsse und der Sport vor notwendigen Lösungen nicht die Augen verschließen dürfe."

Einstimmig wurde die folgende Erklärung der Ständigen LSB-Konferenz verabschiedet:

"Die Ständige Konferenz der Landessportbünde hat sich bei ihrer Tagung am 8./9. November in Hannover ausführlich mit der Verbesserung der Organisationsstrukturen im deutschen Sport befasst. Die Konferenz unterstützte dabei einstimmig die von DSB-Präsident Manfred von Richthofen vorgetragenen Argumente für eine Verstärkung der inhaltlichen und organisatorischen Kooperation von DSB und NOK. Der deutsche Sport könne sich in Zukunft eine Doppel- oder Mehrfacharbeit in seinen wichtigsten Aufgabenbereichen nicht mehr leisten. Über die zweckmäßigste Form dieser Kooperation müsse in einer breiten Diskussion in den Landessportbünden und Spitzenverbänden vorurteilsfrei mit dem Ziel diskutiert werden, bis zum Jahresende 1997 den Rahmen für eine notwendige Reform abzustimmen."

Bei der turnusmäßigen Mitgliederversammlung des NOK einen Tag später - am 9.11.1996 - im Rathaus von Chemnitz stand die gleiche Thematik unter TOP 4 "Berichte und Aussprache" auf der Tagesordnung. Als Ergebnis der Beratungen wurde einstimmig beschlossen, dass die Debatte über eine Fusion von DSB und NOK "sofort beendet wird."

Auszugsweise heißt es dazu im Protokoll der Versammlung: "Auch Schnoor (DVV) sieht die aktuellen Probleme in den Bereichen Traineranstellung, Nachwuchs, Finanzfragen oder im Leistungssport und wünscht sich in diesen Punkten eine gemeinsame Diskussion. Eine Strukturdebatte hält sie für nicht erforderlich. Sie legt einen von 43 Mitgliedern unterzeichneten Beschlussvorschlag vor mit der Bitte, die Fusionsdebatte sofort zu beenden.

Von Richthofen verweist auf grundsätzliche Ausführungen, die er bei dem in wenigen Wochen stattfindenden Bundestag des Deutschen Sportbundes geben möchte, bei dem alle DSB-Mitglieder anwesend sein werden. Es gehe ihm bei der geführten Diskussion um den Austausch von Sachargumenten, keinesfalls aber um Machtstreben. Für den vorliegenden Antrag zeigt er kein Verständnis, weil die Strukturdebatte jetzt nach den Olympischen Spielen notwendig sei. Er halte keineswegs am Begriff der Fusion fest. An eine Vereinnahmung einer Organisation habe er nie gedacht. Es sei vielmehr zu prüfen, ob mit einem gemeinsamen Aufsichtsgremium gearbeitet werden sollte.

Göhner (BDR) möchte einen möglichen Informationsmangel mit dem in der Anlage beigefügten Bericht aus Sicht des Schatzmeisters verringern. Er sieht bei der seitens des DSB gewünschten Fusion ein Einsparpotential von höchstens DM 20.000,-- im Bereich der Administration. Der vom DSB geforderte Finanzzuschuss des NOK an den Bereich Leistungssport in Höhe von DM 1,5 Millionen würde das NOK finanziell schwächen, aber keineswegs einen erhöhten Zuschuss des Bundes für die Hauptaufgabe des NOK, nämlich die Vorbereitung und Entsendung der Olympiamannschaften, nach sich ziehen.

Das bedeutet, dass die o.g. Mittelumverteilung eine Reduzierung der Olympiamannschaften zur Folge hätte. Im übrigen sieht er den Bereich Leistungssport nicht zwingend beim DSB angesiedelt. Das NOK könne die Leistungen des Bereichs Leistungssport für seine Aufgaben mit geringerem Umfang auch selber erbringen.

Digel betont, dass er den o.g. Antrag gerade unter Hinweis auf den letzten Absatz für den DLV unterschrieben habe. Aus seiner Sicht stellt die Frage nach der Steuerung des Spitzensports das Kernproblem bei den Strukturdiskussionen dar. Der Anlass seines Briefes an die Olympischen Spitzenverbände sei seine Betroffenheit über das gewählte Verfahren gewesen. Die tatsächlich benötigte Spitzensportdebatte findet zur Zeit jedoch nicht statt. Es sei zu klären, ob der DSB/Bereich Leistungssport als Kontrolleur des Bundesministeriums des Innern und gleichzeitig Dienstleister für die Spitzenverbände die richtige Form sei. Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, verliest Tagungsleiter Wagnerberger nochmals den Antrag:

'Die Mitgliederversammlung möge beschließen:
Grundlage für die beispiellose Entwicklung des deutschen Sports in den vergangenen Jahrzehnten war und ist die gute Zusammenarbeit von DSB und NOK.

Die Mitgliederversammlung des NOK für Deutschland erwartet deshalb, dass die Debatte über eine Fusion von DSB und NOK sofort beendet wird. DSB und NOK müssen sich den wirklichen Problemen im deutschen Sport zuwenden und gemeinsam Lösungen erarbeiten.'

Die Behandlung dieses Antrages wird bei einer Enthaltung einstimmig zugelassen. Der Antrag selber wird bei zwei Enthaltungen, die vier Stimmen entsprechen, einstimmig angenommen."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 42 / 15. Oktober 2013, S. 22
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2013