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GESCHICHTE/422: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 226 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 40 / 1. Oktober 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1996/III: Trauerfeier für Willi Daume
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 226)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Von Krankheit gezeichnet und schon etwas zurückgezogen und vereinsamt starb wenige Tage vor seinem 83. Geburtstag am 20. Mai 1996 DSB- und NOK-Ehrenpräsident Willi Daume in München. Mit seiner Wahl zum ersten DSB-Präsidenten bei der Gründung der Dachorganisation des deutschen Sports im Dezember 1950 in Hannover begann eine Zeit, die den "behutsamen Lotsen im deutschen Sport" (Rudolf Hagelstange) in über vier Jahrzehnten zu einer zentralen Figur im deutschen Sport mit großer nationaler und internationaler Ausstrahlung werden ließ.

Bei der Trauerfeier am 29. Mai 1996 in München wurde der bedeutende Sportführer in Gedenkreden gewürdigt. Wir dokumentieren Auszüge aus den Ansprachen des DSB-Präsidenten und des NOK-Präsidenten.

Manfred von Richthofen, Präsident des Deutschen Sportbundes:

"Mit dem Tod von Willi Daume hat sich nicht nur ein bedeutendes Kapitel deutscher Sportgeschichte vollendet. Es wurden auch Maßstäbe gesetzt, die dem Sport in dieser Welt neue Dimensionen eröffneten. Aus dem Kompromisskandidaten der Stunde Null des DSB ist der unumstrittene Glücksfall für den deutschen Sport geworden. Willi Daume, der Visionär und Mann der großen Entwürfe, hat den Sport in seinen Möglichkeiten immer hoch eingeschätzt, ihn aber auch in seinen Grenzen realistisch betrachtet. Die ganze Bandbreite sportlicher Einflussnahme auf das gesellschaftliche Leben hat ihn schon in seinen frühen Amtsjahren fasziniert. Wenn wir heute mit Nachdruck von der Politikfähigkeit des Sports sprechen, die gesundheits- und sozialpolitische Dimension öffentlich machen und die Rolle der Vereine ins rechte Licht rücken, dann sollten wir uns in Dankbarkeit daran erinnern, dass es Willi Daume war, der mit solchen Botschaften und den dazugehörenden Programmen schon in den fünfziger und sechziger Jahren überzeugte.

Der Sportpolitiker Daume war immer auch Gesellschafts- und Kulturpolitiker, der schließlich mit seiner Gratwanderung zwischen olympischem Idealismus und Realismus internationale Akzente setzte. Der Mann, der in Wissenschaft und Kunst nach Leitlinien und Orientierungshilfen auch für die Entwicklungen des Sports suchte, der Menschen des Geistes zu seinen Ratgebern erkor, Philosophen und Literaten zitierte und die Arbeit der bildenden Künstler in sein Verständnis von Sport ohne Berührungsängste integrierte, der war auf ganz natürliche Weise gefeit gegen die vordergründigen Aufgeregtheiten und platte Sensationslust des immer schneller rotierenden sportlichen Betriebs.

Verhaltene Freude in Stunden des Triumphes und freundliche Gelassenheit in Zeiten der Niederlagen - auch dies ein Ergebnis der Betrachtung größerer Zusammenhänge. Das ließ glaubwürdige und deshalb ernstgenommene Interpretationen von Ereignissen zu, die anderswo unangemessenen Siegestaumel auslösten oder peinliche Katastrophenszenarien verbreiteten. Willi Daume hat bei solchen nationalen Stimmungskrisen immer beruhigend gewirkt und sich als Beurteilungsinstanz von hoher Kompetenz erwiesen, der man nur allzugern das letzte Wort gab. Das ist von unseren Athleten über die sportlichen Amtsträger bis zum Millionen-Publikum gleichermaßen dankbar registriert worden und sollte weit über seinen Tod hinaus Nachhall finden.

Schließlich hat er ein Leben lang überzeugend dafür geworben und manchmal auch gekämpft, das Organisationsgefüge des Sports nicht ausufern und zum Selbstzweck werden zu lassen. Die Vereine als unverzichtbare Basis für die unterschiedlichen sportlichen Ambitionen möglichst vieler Menschen - das war und blieb für ihn das wichtigste Kriterium der Förderungswürdigkeit. Für die kleinen und großen Machtkämpfe fehlte ihm vor allem dann das Verständnis, wenn Personalgerangel die Inhalte der sportlichen Arbeit überdeckte. "Der Sport wird sein, was wir aus ihm machen", so hat Willi Daume einmal Ende der fünfziger Jahre seinen Präsidentenbericht zur Lage vor einem DSB-Bundestag überschrieben. Dieses Motto hat auch als Leitsatz für seine gesamte Arbeit Bestand.

Die alltäglichen Inhalte und die großen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und dabei mit den ebenso einfachen wie überzeugenden sportlichen Botschaften für einige Lichtblicke in einer Welt der Widersprüche sorgen: Willi Daume hat sich auf diesem Kurs nicht beirren lassen, obwohl die Widersprüche zunehmend auch den Sport erfassten. So ist ein faszinierendes Lebenswerk entstanden, von dem wir wissen, dass es die Sportentwicklungen noch lange prägen wird. Willi Daumes Vermächtnis von der steten Betrachtung der größeren Zusammenhänge sollte uns Verpflichtung werden."

Walther Tröger, Präsident des NOK für Deutschland:

"Die vielseitige und spannungsreiche Persönlichkeit Willi Daumes und sein breit gefächertes Wirken für den Sport und für eine überzeugende olympische Geisteshaltung sind nur verständlich aus seinem tief verwurzelten Kulturbewusstsein. Es verband augenscheinlich widerspruchslos die Bewahrung des Überkommenen mit dynamischem Aufbruch nach vorne, ja über offenbare Grenzen - aber stets unter dem Postulat des rechten Maßes. Architekt nannte Willi Daume einmal seinen Traumberuf. In der Tat wirkte er als der Architekt des Gebäudes deutscher Sport; erster Gestalter aus Berufung als Gründungspräsident des Deutschen Sportbundes und von 1961 bis 1992 als Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland. Er entwarf visionäre, aber menschliche und dem Menschen dienende Pläne als Präsident des Organisationskomitees der Olympischen Spiele 1972 in München sowie des Olympischen Kongresses 1981 in Baden-Baden.

Das olympische Werk Willi Daumes und seiner Mitstreiter erlebte den bis heute noch nachwirkenden erschütternden Umschlag vom Triumph der heiteren Spiele in die Tragik des Einbruchs terroristischer Brutalität. Niemals stand die Zukunft des Olympismus als humanitäre Kraft der Solidarität und als Friedensbewegung so auf des Messers Schneide wie damals am 5. September 1972. Der nüchterne Idealist Daume und der ungebrochene Brundage ließen sich schließlich nicht von der Zerstörerischen Gewalt und vom öffentlichen Druck überwinden. Weil die Olympischen Spiele eben kein Spielzeug machthungriger Funktionäre oder gar Instrument politischer Hasardeure werden durften, setzten sie ein Signal der Hoffnung, das Avery Brundage in das mitunter bösartig fehlinterpretierte Wort fasste: "The Games must go on". Es entspricht dem illusionslosen Willi Daume, diesem Wunsch keinen Ewigkeitswert zuzusprechen. (...)

Die Aufgeschlossenheit ohne nationale Scheuklappen für weltweite Zusammenarbeit, besonders die deutsche Vorreiterrolle bei der partnerschaftlichen Hilfe zur Sportentwicklung in den benachteiligten Ländern dieser Erde ohne politische Auflagen fanden in Willi Daume ihren Fürsprecher. Diese Offenheit und effektive Mitverantwortung begleiteten und bestärkten das Hineinwachsen Deutschlands in den Weltsport, in die expandierende olympische Bewegung.

Der eigenwillige Olympier sui generis Willi Daume hinterlässt ein großes Erbe. In seinem bewegenden Appell auf dem Olympischen Kongress 1994 in Paris bekannte er sich zum Fairplay als Grundlage des humanen Sports. Seine Mahnung, dass Fairplay anerzogen und immer wieder erkämpft werden müsse, ist einer der vielen Aufträge, um deren Erfüllung wir uns im Sinne Willi Daumes bemühen müssen."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 40 / 1. Oktober 2013, S. 26
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2013