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GESCHICHTE/421: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 225 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 39 / 24. September 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1996/II: Bundespräsident Roman Herzog zur Rolle der Sportvereine
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 225)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Anlässlich der Verleihung der "Sportplakette des Bundespräsidenten" beim Festakt "150 Jahre Wiesbadener Turnvereine" am 17. März 1996 in der hessischen Landeshauptstadt machte Roman Herzog in seiner Festansprache auch einige grundsätzliche Aussagen zur Rolle der Sportvereine in unserer Gesellschaft:

"Mit großer Freude überreiche ich heute zum ersten Mal persönlich die - wie ich meine - höchste Auszeichnung im Breitensport, die Sportplakette des Bundespräsidenten. Mit dieser Plakette werden Vereine ausgezeichnet, die über 100 Jahre bestehen. Dieser formale Gesichtspunkt ist es natürlich nicht, der die Ehrung rechtfertigt, sondern es ist die Tatsache, dass dahinter über 100 Jahre beständigen Engagements für ein lebendiges Gemeinschaftsleben und damit besondere Verdienste um die Pflege und Entwicklung des Sports stehen. Unabhängig - aber doch zwangsläufig auch nie ganz fern - von politischen Strömungen und der Verfasstheit des Staates haben sich, vor allem seit der Turnbewegung unter Friedrich Ludwig Jahn, in der Mitte des vorigen Jahrhunderts Bürgerinnen und Bürger in Sportvereinen organisiert.

Seither verbringen sie einen entscheidenden Teil ihres Lebens in dieser Gemeinschaft und finden sich immer wieder neu im Wechsel der Generationen zusammen. Die neun Turn- und Sportvereine von 1846, die an der heutigen Ehrung teilnehmen, stehen beispielhaft für diese Entwicklung. Sie entstanden in enger Verbindung zu der sogenannten Paulskirchenbewegung und sind - repräsentiert durch den schon erwähnten "Turnvater Jahn" - Ausdruck dafür, dass der Sport stets auch Ausdruck seines gesellschaftlichen Umfelds ist. Sport ist in unserem Land zwar autonom, aber er steht eben doch im allgemeinen Spannungsfeld der Politik und des gesellschaftlichen Raumes.

Wir haben in Deutschland über 85.000 Sportvereine, nach der neuesten Statistik des Deutschen Sportbundes sind dort 25,9 Millionen Mitglieder registriert. Rund ein Drittel der Bevölkerung gehört also Sportvereinen an. Wenn man unterstellt, dass die meisten davon sich auch sportlich betätigen, und wenn man den nichtorganisierten Freizeitsport hinzunimmt, dann wird deutlich, welch ungeheure Bedeutung der Sport in unserem Leben besitzt. Das haben selbstverständlich auch die Werbestrategen der Wirtschaft festgestellt. Sponsoring im Sport ist weit verbreitet, allerdings - und leider - nur bei den medienwirksamen Ereignissen.

Im Sport des Alltags, also ganz vornehmlich im Leben der Sportvereine, sieht die Finanzseite oft ganz anders aus. Die Sportvereine werden nach wie vor von den ehrenamtlichen Mitarbeitern getragen; dies sind immerhin bundesweit rund 2,5 Millionen Menschen. Ich verstehe es, wenn dort Wünsche nach steuerlichen Erleichterungen für den Zeitaufwand und die damit verbundenen materiellen Opfer bestehen, Wünsche, die andererseits bei unserer knappen Finanzlage kaum Aussicht auf Erfolg haben.

Aber wir brauchen dieses ehrenamtliche Engagement, im Sport ebenso wie in unserer gesamten Gesellschaft. Ohne das Ehrenamt wäre nicht nur unsere Gesellschaft ärmer, sondern sie wäre gar nicht überlebensfähig. Übernahme eines Ehrenamtes heißt, ohne unmittelbare und materielle Gegenleistung etwas für andere zu tun. Das fängt bei den Eltern an, die eine Gruppe von Kindern gemeinsam zum Training und zum Wettkampf fahren. Es reicht über die Übungs- und Organisationsleiter in den Vereinen und die erfahrenen Senioren, die anderen alten Menschen die Chance des Mitmachens geben, bis hin zu den Vorsitzenden, die einen großen Teil ihrer Freizeit dem Management für ihren Verein opfern. Auch wenn "Ehrenamt" eben nicht "bezahltes Hauptamt" bedeutet, kann man den engagierten Menschen doch nicht zumuten, einzig und allein "draufzulegen".

Vielleicht gelingt es im Laufe der Zeit doch, Mäzene und Sponsoren zu überzeugen, dass ein Teil ihrer Mittel auch in die Breitenarbeit und die dafür unerlässliche ehrenamtliche Tätigkeit fließen muss. Denn ohne lebendigen Breitensport ist auch der Spitzensport nicht lebensfähig. Ebenso braucht andererseits die stets gepriesene Vorbildfunktion des Spitzensports den Nährboden der Breite. Die Vereine benötigen geeignete Sportstätten, die ganz überwiegend von den Kommunen getragen werden.

Angesichts der Lage der Kommunalfinanzen scheint mir die kürzlich erhobene Forderung des Deutschen Städtetages nach verstärkter Mitsprache und Mitwirkung der Kommunen in einem "Aktionsbündnis für den Sport" durchaus verständlich. Der dabei zugleich geltend gemachte Wunsch nach einer angemessenen Beteiligung der kommunalen Sportstättenträger an den Einnahmen des professionellen Sports und den Einnahmen aus Übertragungsrechten sollte zwischen den Beteiligten wenigstens "Sportlich fair" erörtert werden.

Ein Wort zur Situation in den neuen Ländern, die nicht zuletzt ebenfalls mit Finanzen zu tun hat. Dort war in der Zeit der DDR das Vereinsleben in weiten Teilen abgelöst durch die sogenannten Betriebssportgemeinschaften. Im Gleichklang mit der allgemeinen Entwicklung der DDR sind aber viele Sportstätten "vor Ort" im Laufe der Zeit in einen unzureichenden Zustand geraten - im Gegensatz zum Spitzensport, der uns nach der Wende bekanntlich eine wahrhafte "Vitaminspritze" einbrachte. Aber für die meisten Menschen und deren persönliches Leben ist eben der Breitensport das, was ihren sportlichen Alltag ausmacht.

Hier ist sowohl bei den Sportstätten wie beim Zusammenleben in lebendigen Vereinen noch eine Menge zu tun. Die Zahlen steigen zwar langsam, aber in Ostdeutschland ist noch immer nur etwa jeder Zehnte in einem Sportverein, im Westen sind es drei bis viermal so viele. Auch hier gilt: Bessere Sportstätten motivieren zum Mitmachen. Die Sportstättensanierung wäre ein gutes Feld für ein Miteinander von Staat und Mäzenen. (...)

Und darüber hinaus: Die Freizeitbetätigung in der Gemeinschaft und damit vorwiegend eben im Sportverein ist ganz allgemein unerlässlich. Wir brauchen sie auch, um falsch verstandenem Individualismus entgegenzuwirken und ebenso dem Abseitsstehen ausländischer Mitbürger, alter Menschen und - was leider gerade ganz aktuell festgestellt werden muss - dem Abseitsstehen von Arbeitslosen. Auch die Sportvereine können und müssen helfen, diesen Menschen Halt, Stütze, Kraft und Geborgenheit zu geben. Den heute zu ehrenden Vereinen wie allen übrigen Turn- und Sportvereinen in unserem Land wünsche ich eine gute Zukunft. Wir brauchen Sie für eine lebendige Gesellschaft."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 39 / 24. September 2013, S. 26
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013