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GESCHICHTE/419: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 224 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 38 / 17. September 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1996/I: "Runder Tisch des Sports" im Bundeskanzleramt in Bann
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 224)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Es war die ursprüngliche Idee von DSB- und NOK-Ehrenpräsident Willi Daume, auf die - nach dreijähriger Pause - Bundeskanzler Helmut Kohl zurückgriff, als er zu dem "2. Runden Tisch des Sports" für den 13. Februar 1996 in das Bonner Bundeskanzleramt einlud. Im Gegensatz zur weniger effektiven Deutschen Sportkonferenz - 1970 begründet und zwischenzeitlich in den achtziger Jahren wieder aufgelöst - gehörten dem "Runden Tisch" von seiner Konstituierung im Juli 1993 neben hochrangigen Vertretern des Sports und der Politik auch solche aus der Wirtschaft und den Medien an.

Die vier Teilnehmergruppen erklärten unter der Leitung von Bundeskanzler Kohl ihre Bereitschaft zu einer engen partnerschaftlichen Zusammenarbeit und begründeten einen auf Dauer angelegten "Initiativkreis Wirtschaft und Sport". Für die gemeinsamen Aktionen dieses Initiativkreises wurden schwerpunktmäßig drei Projektbereiche festgelegt:

  • Jugend gegen Gewalt (unter Einbeziehung der Gewerkschaften und Kirchen,
  • Wettbewerbe für Jugendliche (neben schulischen und sportlichen Leistungen sollen auch Verdienste auf wissenschaftlichem Gebiet prämiert werden), und
  • Förderung von Schulen mit sportlichem Schwerpunkt.

Grundsätzliche Aussagen machten zu Beginn der Konferenz Bundeskanzler Helmut Kohl, DSB-Präsident Manfred von Richthofen und Edzard Reuter als Sprecher der Wirtschaft. Aus den drei Statements werden nachstehend wichtige Auszüge veröffentlicht:

Bundeskanzler Helmut Kohl:
"Der Sport wird oft als die "wichtigste Nebensache der Welt" bezeichnet. Ich finde, er ist mehr als das. Der Sport und die ihn tragenden Vereine und Organisationen leisten unschätzbar Wertvolles für unser Gemeinwesen. Junge Menschen erfahren und erlernen hier Einsatzfreude, Ausdauer, Gemeinschaftsempfinden, Selbstdisziplin, Fairness und Toleranz. All dies sind Werte und Tugenden, die für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind. Der Sport leistet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Integration vieler Menschen in unser Gemeinwesen - für neu zugezogene Menschen, für Ausländer, für Behinderte und Arbeitslose, aber auch für ältere und alleinstehende Menschen. Sport im Verein steht für Gemeinschaft, Lebensfreude und Geselligkeit. Besonders Jugendlichen kann durch sportliche Erfolge und die erlebte Gemeinschaft Orientierung und ein Stück gelebter Heimat vermittelt werden.

Dabei möchte ich besonders die Rolle des Breitensports hervorheben. Ihn zu fördern ist immer auch eine gute Investition in die Jugend und damit in die Zukunft unseres Landes. Lebendiger Breitensport und ein reges Vereinsleben fallen aber nicht vom Himmel. Dies ist nur möglich durch die Mitarbeit vieler fleißiger Hände. Rund 2,5 Millionen Menschen engagieren sich ehrenamtlich mit viel Idealismus in unseren Sportvereinen. Ohne sie wäre das Vereinsleben um vieles ärmer; viele Talente würden nicht gefördert. Die Sportbegeisterung und Leistungsbereitschaft vieler Kinder und Jugendlicher blieben unerschlossen.

Der Breitensport profitiert aber auch entscheidend von den Leistungen und Erfolgen unserer Spitzensportler. Spitzensportler sind wichtige Vorbilder. Wir brauchen solche Vorbilder. Wir brauchen Eliten in unserem Land. Damit meine ich nicht Geburtseliten, sondern jene Männer und Frauen, die aus ihrer Überzeugung und ihrem Willen heraus Besonderes leisten und leisten wollen.

Als Land, das seine Spitzenstellung im internationalen Wettbewerb bewahren will, brauchen wir ein klares Ja zu solchen Leistungseliten. Das gilt im Sport genauso wie in vielen anderen Bereichen. Die Erfolge unserer Spitzensportler sind eine überzeugende Werbung für den Standort Deutschland und unser "Made in Germany". Sie als Repräsentanten der Wirtschaft und der Medien haben dies erkannt und leisten einen wichtigen Beitrag zur Förderung vieler herausragender Aktiver und Mannschaften. Aber auch in bisher weniger bekannten Sportarten werden großartige Leistungen vollbracht, die unser aller Anerkennung und Unterstützung verdienen. Dies gilt in besonderer Weise für den Behindertensport. (...)

Für die Förderung des Spitzensports kann ich Ihnen versichern, dass der Bund auch zukünftig ein verlässlicher Partner des Sports sein wird. Wir stehen im Bereich der Sportförderung gleichwohl vor neuen Aufgaben und Herausforderungen. Um den in den vergangenen Jahren erreichten Standard auf Dauer halten und für die Zukunft sichern zu können, brauchen wir eine neue Partnerschaft zur Förderung des Sports in Deutschland. Ich begrüße daher die Gründung eines Initiativkreises "Sport und Wirtschaft". Dabei sind die gegenseitigen Erwartungen der Partner groß. Verlässlichkeit und Flexibilität sind Grundvoraussetzung für ein fruchtbares Miteinander aller Beteiligten.

So gilt es beispielsweise, den kommerziellen Wünschen nach publikumswirksamen Übertragungszeiten ebenso Rechnung zu tragen wie den mitunter entgegengesetzten sportlichen Interessen. Hier gilt es, einen vernünftigen Mittelweg zu finden. An die Medien möchte ich in diesem Zusammenhang zwei Bitten richten:

  1. Räumen Sie auch weniger "populären" Sportarten einen angemessenen Platz in der Berichterstattung ein, und
  2. berichten Sie zu den Hauptsendezeiten auch einmal ausführlich über die großartigen Leistungen unserer behinderten Sportlerinnen und Sportler.

Unser aller Interesse gilt einem doping- und manipulationsfreien Sport. Diese Forderung gilt für alle Arten und Formen des Sports sowie grenzüberschreitend. Alle Aktiven müssen bei internationalen Wettbewerben gleiche Startchancen haben. Lassen Sie uns gemeinsam mit diesem "Runden Tisch des deutschen Sports" ein Signal des Aufbruchs für den Sport in Deutschland setzen. Ich erhoffe mir vor allem eine dauerhafte fruchtbare Partnerschaft von Sport, Wirtschaft, Medien und Politik. Der "Initiativkreis für den deutschen Sport" wird hierfür einen wichtigen Beitrag leisten."

DSB-Präsident Manfred von Richthofen, Sprecher des Sports,
"In der öffentlichen Diskussion zum "Runden Tisch" ist immer wieder der Eindruck vermittelt worden, als ginge es in der noch intensiver zu knüpfenden Verbindung zwischen Sport und Wirtschaft unter willkommener Assistenz von Politik und Medien ausschließlich darum, den Spitzensport in unserem Lande als alleiniges Ziel der Sportförderung zu betrachten. Doch hier soll es tatsächlich um mehr gehen. Wir sind uns, so glaube ich, einig in der Aufgabenstellung, die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Sports hervorzuheben und zum Maßstab unseres gemeinsamen künftigen Handelns zu machen. Dazu einige Daten und Fakten: Der organisierte Sport, dessen jüngste Bestandserhebung weit über 25 Millionen Mitglieder ausweist, registriert auch weiterhin ungebrochene Wachstumstendenzen. Fast 100 Verbände und vor allem mehr als 85.000 Vereine bilden ein bundesweit flächendeckendes soziales Netzwerk, das seinesgleichen sucht.

Die Vielfalt der Angebote und die Millionen-Dimension regelmäßiger Nachfrage ist zweifellos ein gesellschaftliches Phänomen der positiven Art, das der besonderen Pflege und Förderung nicht nur aller politischen Kräfte, sondern auch der Wirtschaft bedarf. Der Sport garantiert ein bedeutendes Stück Lebensqualität, weil er den unterschiedlichsten Interessen und Bedürfnissen der Menschen auf sozial verträgliche Weise gerecht wird. Vom Freizeit- über den Breiten- bis zum Spitzensport reicht die Palette der Möglichkeiten. Keine Altersgruppe und Leistungsklasse wird vernachlässigt.

Und die vielen Sonderaufgaben, denen die Sportorganisationen sich stellen, weisen auf gesellschaftspolitische Mitverantwortung im großen Stil hin. Ob Kleinkinder, Schüler, Jugendliche, ambitionierte Athletinnen und Athleten, fitnessbewusstes Mittelalter oder gesundheitsorientierte Senioren - im Verein ist für alle Platz. Und dass er auch das Gemeinschaftserlebnis über den Sport hinaus pflegt, bedeutet zusätzlichen Gewinn im Alltagsleben der Menschen. Benachteiligte Bevölkerungsgruppen erfahren im Sport, dass sie ganz selbstverständlich dazugehören zur großen Sportfamilie.

Nicht nur die unmittelbaren sportlichen Belange und Ziele stehen im Mittelpunkt. Aus dem Spektrum der Vereins- und Verbandsarbeit ergibt sich von der Volksgesundheit über das Umweltengagement bis zur sozialen Integration eine fast allumfassende Bandbreite gesellschaftlicher Anliegen, die beim Sport in guten Händen sind. In den Händen der rund 2,5 Millionen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nämlich, die der Gesellschaft Dienste von nahezu unschätzbarem Wert erweisen. (...)

Ich habe von der Gesamtdimension sportlicher Aufgaben und Entwicklungen gesprochen. Dazu gehört als wesentlicher Teil natürlich der Spitzensport, dem wir hier die angemessene Aufmerksamkeit nicht versagen wollen. Als Sprecher des Sports lege ich gerne ein sehr eindeutiges Bekenntnis zur Leistung ab. Die klare Bedingung allerdings lautet: es geht um die Leistung auf natürlicher Grundlage; Manipulation in jeglicher Ausprägung wird abgelehnt. Nur mit dieser Eindeutigkeit werden wir den ethisch-moralischen und auch pädagogischen Ansprüchen gerecht, mit denen wir das Streben zur Spitze und zur Höchstleistung vor allem für die Jugend legitimieren. Nur so können wir verantwortungsvolle Nachwuchsförderung betreiben. Nur unter diesen Vorzeichen dürfen wir von der ungebrochenen Vorbildwirkung des Spitzensports und in dem Zusammenhang von seinen positiven Auswirkungen auch auf den Breiten- und Freizeitsport sprechen. (...)

Edzard Reuter, Sprecher der Wirtschaft:
"Die Verantwortlichen von Politik, Sport, Wirtschaft und Medien sind zu einer Konzentration aller Kräfte aufgerufen, um den deutschen Sport und die Leistungen seiner Spitzenathleten zu fördern und unsere Jugend für körperliche Leistung und die damit verbundenen geistigen Anstrengungen zu gewinnen und zu begeistern. Wenn dieses gelingt, profitiert sowohl unsere Gesellschaft im allgemeinen und unsere Wirtschaft im besonderen. Dies gilt national wie international. Als Ausdruck kultureller und gesellschaftlicher Eigenart und Leistungsfähigkeit ist Sport eine Visitenkarte unserer Gesellschaft. Die deutsche Wirtschaft ist traditionell international orientiert. Im Zuge der sich immer stärker entwickelnden Internationalisierung und Globalisierung des Weltmarktes können Sport und Wirtschaft ihre Zusammenarbeit und Repräsentanz auf der internationalen Ebene stärker im wechselseitigen Interesse nutzen.

Selbstverständlich, und das möchte ich im Interesse der Vermeidung von Missverständnissen klar und deutlich sagen, bleibt die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Sportes unangetastet. Aber es kann kein Zweifel bestehen, dass sich der Sport dem raschen Wandel in der Welt und den daraus resultierenden Herausforderungen ebenso wie die Wirtschaft stellen muss, die sich auf neue Strukturen, neue Märkte und neue Wettbewerbssituationen einzustellen hat. Wenn wir also in dieser neuen Welt Erfolg haben wollen, dann sind wir auf Zusammenarbeit angewiesen. Wir brauchen die Partnerschaft von Sport und Wirtschaft.

Deshalb soll ein "Initiativkreis Wirtschaft und Sport" gegründet werden, der allen Unternehmen der Wirtschaft offensteht, die den Sport zu fördern und hierzu ihren Beitrag zu leisten gewillt sind. Ich darf heute sagen, dass sich die hier versammelten Vertreter von Wirtschaftsunternehmen bereit erklärt haben, über ihre bestehenden Sportengagements hinaus die vom Initiativkreis erarbeiteten bzw. noch zu erarbeitenden Vorschläge zusammen mit den Partnern von Sport, Politik und Medien zu unterstützen und ggf. auch zu finanzieren.

Ferner sollen als Ausdruck einer neuen Solidarität durch gemeinsame Maßnahmen und Kampagnen aller Partner zusätzliche Mittel eingeworben werden. Selbstverständlich ist jedes Unternehmen frei in seiner Entscheidung, an einem Projekt oder Programm teilzunehmen. Wir brauchen in Deutschland eine Aufbruchstimmung. Wir von der Wirtschaft glauben, dass wir mit dieser Aktion einen guten Beitrag leisten können."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 38 / 17. September 2013, S. 26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2013