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GESCHICHTE/414: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 219 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 33 / 13. August 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1995/IV: Auf dem Weg zum Parlament des europäischen Sports
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 219)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Anlässlich der 12. Europäischen Sportkonferenz (ESK) vom 25. bis 29. September 1995 in Wien und Budapest hatte die auch für die internationalen Aufgaben zuständige DSB-Vizepräsidentin Erika Dienstl in einem Grundsatzreferat den Stellenwert dieser Konferenz aus der Sicht des Deutschen Sportbundes beleuchtet und die Auffassung vertreten, dass die ESK "gegenwärtig und für die nächste Zukunft weiterhin als ein Gremium anzusehen ist, das sich zu einer Art Parlament des europäischen Sports entwickeln kann." Deshalb sollten alle europäischen Organisationen, die das breite Spektrum des Sports repräsentieren, ihren Beitrag zur gemeinsamen Gestaltung der europäischen Sportpolitik in dieses Forum einbringen.

In Erika Dienstls Ausführungen hieß es unter anderem:

"Das Motto der diesjährigen ESK 'Einheit durch Sport im neuen Europa' wurde zu einer Zeit gewählt, als durch die Überwindung des Ost-West-Antagonismus und den Wegfall der ideologischen Barrieren die Schaffung einer neuen Dimension der europäischen Einigung näher zu rücken schien. Die ohnehin mühsame Neugestaltung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen vor allem in Mittel- und Osteuropa ist leider immer wieder ins Stocken geraten und insbesondere durch das Aufflammen kriegerischer Konflikte erschüttert worden. Der Sport als völkerverbindende Kraft erhält vor diesem Hintergrund erneut herausragende Bedeutung.

"Einheit durch Sport im neuen Europa" ist daher nicht nur als Hinweis auf den Prozess der Neuorientierung der europäischen Sportstrukturen und die Entwicklung neuer Formen der Zusammenarbeit zu verstehen, sondern bedeutet vor allem die Aufforderung an uns alle, unser Engagement für gemeinsame Aufgaben in grenzüberschreitender Zusammenarbeit im europäischen Sport zu vertiefen.

Um uns über die Möglichkeiten zur weiteren Förderung der Universität und der Vielfalt des Sports in seinen verschiedenen erzieherisch-sozialen und integrativen Funktionen - und damit auch seinem gesellschaftspolitischen Auftrag in unseren Ländern - auszutauschen, bietet die Europäische Sportkonferenz einen geeigneten Rahmen. Dabei stehen Möglichkeiten zur Lösung gemeinsamer Probleme im Mittelpunkt unserer Erörterungen. Die Zielsetzung, uns auf die wesentlichen Anforderungen einer gemeinsamen gesamteuropäischen Sportpolitik zu verständigen, beinhaltet auch die Bereitschaft für solidarische Unterstützung der Länder, die besondere Schwierigkeiten in der Anpassung ihres Sportgeschehens an neue politisch-wirtschaftliche Bedingungen und Herausforderungen haben.

Die Europäische Sportkonferenz kann weiterhin als einzigartiges Gremium im europäischen Kontext betrachtet werden. Sie bietet die Möglichkeit, die höchsten Vertreter der staatlichen und der nichtstaatlichen Sportinstanzen und -organisationen aus ganz Europa gleichberechtigt zum Erfahrungsaustausch und zur Abstimmung ihrer sportpolitischen Positionen und Entwicklungen zusammenzuführen.

Dies hat sie dem Europarat voraus. Denn es liegt nun einmal in der Natur zwischenstaatlicher Gremien, dass eine Mitwirkung von nichtstaatlichen Organisationen (des freien Sports) dort zwar möglich ist, jedoch schon aus formalen Gründen eine tatsächlich gleichberechtigte Zusammenarbeit nicht gegeben ist. Den gesamteuropäischen Dachorganisationen des freien Sports wie ENGSO oder EOC hat die ESK voraus, dass sie eben auch die staatlichen Sportinstanzen in den sportpolitischen Dialog einbindet.

Der Deutsche Sportbund ist jedoch auch der Ansicht, dass die Europäische Sportkonferenz ihrer Rolle nur gerecht werden kann, wenn sie künftig noch stärker ihre Ziele und Aufgabenstellungen definiert und zu konkreten Ergebnissen und Impulsen für die Sportentwicklung in ihren Mitgliedsstaaten führt. Wir haben daher die Erwartung an die ESK, dass sie ihre Bemühungen um Vermeidung von Doppelarbeit intensiviert sowie arbeitsteilig und kooperativ im Verhältnis mit anderen europäischen Sportgremien agiert. Ihre Arbeitsgruppen sollen sich grundlegender Themen und Bedürfnisse des Sportgeschehens annehmen und pragmatische Problemlösungen und Handlungsansätze erarbeiten.

Die Empfehlungen, die als Ergebnisse der Arbeitsgruppen der diesjährigen ESK im Verlauf unserer Konferenz vorgestellt werden, zeigen, dass dieser Blick auf konkrete Umsetzungsmöglichkeiten in großem Maße einbezogen worden ist. Aus unserer Sicht gilt dies zum Beispiel in besonderer Weise für die Arbeitsgruppe zum Thema Ehrenamt. Sie hat in vorbildlicher Weise die eher theoretisch angelegte Grundlagenarbeit der Arbeitsgruppe des Europarate zu diesem Thema "anwenderfreundlich" weiterentwickelt. Auch die Arbeitsgruppe zu Jugend im europäischen Sport unter Federführung des DSB hat nach ihrer ersten Mandatszeit, die vorwiegend der wissenschaftlichen-theoretischen Erfassung dieses Themenkomplexes diente, in ihrer zweiten Arbeitsperiode sehr praxisbezogene Empfehlungen abgegeben.

Der Deutsche Sportbund ist daher der Auffassung, dass die Europäische Sportkonferenz gegenwärtig und für die nächste Zukunft weiterhin als ein Gremium anzusehen ist, das sich zu einer Art Parlament des europäischen Sports entwickeln kann. Das gilt im besonderen Maße, wenn auch künftig die Vertreter der für den Sport zuständigen staatlichen Instanzen der europäischen Länder hochrangig vertreten sind. Alle europäischen Organisationen, die das breite Spektrum des Sports repräsentieren, die Olympischen Komitees, die europäischen Fachverbände, die European Non-Governmental Sports Organisation (ENGSO) und gleichermaßen die Repräsentanten des Europarate sollen ihren Beitrag zur gemeinsamen Gestaltung der europäischen Sportpolitik in dieses Forum einbringen.

Dies alles ist auch im Zusammenhang mit der erforderlichen Weiterentwicklung des besonderen Profils der ESK zu sehen. Es muss mit einer Konkretisierung ihrer künftigen Strategien zur weiteren Verbesserung von Qualität, Status und Glaubwürdigkeit des Sports in Europa einhergehen. Die systematische administrative Unterstützung der ESK-Arbeit durch ein ständiges Sekretariat wird vom Deutschen Sportbund für die nächste Zeit als erforderlich erachtet und ausdrücklich begrüßt. Die nächsten Jahre müssen zeigen, ob die Europäische Sportkonferenz sich als führendes Forum und gesamteuropäisches Haus des Sports profilieren kann."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 33 / 13. August 2013, S. 26
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2013