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GESCHICHTE/406: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 213 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 25 / 18. Juni 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1994/V: Bischof Huber: "Die Leistung muss dominieren - nicht der Erfolg"
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 213)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Im Zeichen eines neuen Aufbruchs stand der Bundestag des Deutschen Sportbundes am 2./3. Dezember 1994 in Timmendorfer Strand, bei dem Hans Hansen nach achtjährigem erfolgreichen Wirken in dieser Funktion nicht wieder für den Vorsitz kandidierte und als "Präsident der Basis und der Vereinigung" mit Standing Ovations zum DSB-Ehrenpräsidenten berufen wurde. Mit einem großen Vertrauensbeweis wurde der Berliner LSB-Präsident und DSB-Vizepräsident Manfred von Richthofen zu seinem Nachfolger gewählt, der in seiner Antrittsrede das besondere politische Gewicht des DSB unterstrich.

Zuvor hatte mit seinem Festvortrag unter dem Thema "Sportvereine als Reichtum der Gesellschaft" der Berliner Landesbischof Prof. Wolfgang Huber große Anerkennung bei den Delegierten gefunden. Einer der Kernpunkte seiner Ausführungen beschäftigte sich auch mit den menschlichen Leistungen und ihren Auswirkungen auf den Sport.


Aus beiden Ansprachen wird nachfolgend zitiert, zunächst aus der Antrittsrede Richthofens:

"Der Sport muss erneut und wohl auch nachdrücklicher als bisher den Versuch unternehmen, sich gegenüber der Bundesregierung und den Länderregierungen klar zu artikulieren. In der politischen Prioritätenliste der deutschen Gegenwart kann und darf der Sport nicht unbedingt einen der vordersten Plätze beanspruchen, aber ebensowenig kann und darf er sich damit abfinden, je nach Lust und Laune politischer Sachwalter oder ministerieller Administrationen als entbehrliche Nebensache bewertet zu werden.

Der Deutsche Sportbund ist die mitgliederstärkste Personenvereinigung der Bundesrepublik Deutschland; allein dies schon gibt ihm politisches Gewicht. Fast 25 Millionen Bürgerinnen und Bürger, darunter acht Millionen Jugendliche, finden im Sport vielfältige Möglichkeiten sinnvoller Freizeitgestaltung, oftmals sogar den freudvollen Ausgleich eines ansonsten tristen Alltags. Unsere Spitzensportlerinnen und Spitzensportler wirken als gesellschaftliche Vorbilder für Leistungsstreben.

Es besteht für uns keinerlei Anlass, uns politisch hintenan stellen zu lassen, und wir verwahren uns gegen Versuche, von außen in die demokratisch gewählten Führungsgremien des deutschen Sports hineinzuregieren. Und ebenso deutlich verwahren wir uns dagegen, in der Wechselhaftigkeit des politischen Tagesgeschäfts auf der einen Seite als Bittsteller ans Ende einer langen Warteschlange plaziert zu werden und auf der anderen als mit Medaillen dekorierte Bühne für publikumswirksame Auftritte dienen zu sollen.

Der Deutsche Sportbund und seine Mitgliedsorganisationen sind die gesellschaftlichen Partner der Politik auf Bundes- und Landesebene - nicht mehr und auch nicht weniger. Dies ist zu verdeutlichen. Es gilt, verstärkt Entwicklungen zu beobachten und zu beeinflussen, die sich in Brüssel, der Verwaltungsmetropole Europas, abspielen. Europapolitik ist die praktische Sportpolitik von morgen." (...)


Festansprache Landesbischof Prof. Wolfgang Huber:

"Das gesamte menschliche Leben gerät unter das Diktat des Erfolgs. Es genügt nicht, gut zu sein; entscheidend ist es, besser zu sein. Eine Gesellschaft, die sich an diesem Maßstab ausrichtet, ist, genau betrachtet, nicht eine Leistungs-, sondern eine Erfolgsgesellschaft. Nicht die jeweils besondere, auf die konkreten Bedingtheiten und Begrenztheiten des einzelnen bezogene Leistung wird gewürdigt, sondern der Erfolg über andere wird prämiert. Auch vom 'Leistungssport' gilt, dass er weiterhin 'Erfolgssport' ist. Demgemäß nimmt seine Kommerzialisierung zu; sogar auf Kreis- und Bezirksebene wird inzwischen das aktive Sporttreiben in manchen Bereichen und in bestimmten Sportarten zu einer entlohnten Tätigkeit. Der Wettkampfcharakter des Sports kann zu einer solchen Verwechslung zwischen Leistung und Erfolg verführen. Doch auf der anderen Seite kann gerade das Miteinander von Breitensport und Leistungssport im Verein dazu beitragen, eine solche Verwechslung wieder aufzulösen.

Etwas zu leisten heißt, etwas gut zu machen. Der sportliche Wettbewerb ist ein Gradmesser dafür, ob wir - gemessen an den eigenen Möglichkeiten wie den Möglichkeiten anderer mit vergleichbaren Voraussetzungen - etwas gut gemacht haben und mit unseren eigenen Grenzen produktiv und kreativ umgegangen sind. In einem solchen Begriff der Leistung lassen sich die sportlichen Leistungen von Behinderten genauso würdigen wie diejenigen von körperlich Unversehrten. Er ermöglicht es, Kinder in dem ihnen gemäßen Leistungsrahmen Sport treiben zu lassen, ohne sie vorschnell und mit negativen Folgen zu Höchstleistungen zu treiben. Der Sog zum kindlichen Hochleistungssport entsteht vielmehr dann, wenn nicht die Leistung, sondern der Erfolg den entscheidenden Maßstab bildet. Wo nicht die Leistung, sondern der Erfolg zählt, dort regiert die Frage: 'Woran lag's?' - die berühmte Reporterfrage an die Zweitplazierten.

Die Folgerung heißt: Human bleibt der Sport nur, wenn er sich dem Sog des Konkurrenzdenkens nicht vollständig ausliefert, sondern zu ihm wieder Distanz gewinnt. Dafür sehe ich am ehesten dort Chancen, wo das Sporttreiben eingebettet ist in die Vielfalt von Aktivitäten, die in Sportvereinen miteinander verbunden sind.

Deshalb gebe ich auch die Hoffnung keineswegs auf, sondern erneuere sie, dass das Sporttreiben in den Vereinen sich an der ganzheitlichen Konzeption orientiert, die als Kennzeichen des Sports immer wieder hervorgehoben wurde. Im Sport verknüpft sich ein Bündel von Intentionen, die auf eine ganzheitliche Erfahrung menschlichen Lebens gerichtet sind. Ich beschreibe diese ganzheitliche Konzeption so, dass ich zwischen der naturalen, der personalen und der sozialen Dimension des Sports unterscheide:

Sport hat eine naturale Dimension: Er ist eine Handlungsform, in der Menschen von den natürlichen Bedingungen des eigenen Lebens, der eigenen Leiblichkeit Gebrauch machen; er vollzieht sich in aller Regel als ein Bewegungshandeln in Raum und Zeit; in diesem Bewegungshandeln verbindet sich die Natur des Menschen mit der ihn umgebenden Natur. In Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit hat dieses Bewegungshandeln einen wichtigen Maßstab und ein wichtiges Ziel.

Sport hat eine personale Dimension: Er dient der Entfaltung der personalen Würde, er ist eine Ausdrucksform menschlicher Kreativität und Gestaltungskraft. Im Sport begegnet der Mensch sich selbst in der Einheit von Körper, Seele und Geist.

Sport hat schließlich eine soziale Dimension: Im Sport begegnen Menschen einander. Sie erfahren, dass sie aufeinander angewiesen sind und sich wechselseitig bereichern, dass sie einander herausfordern und miteinander wetteifern können.

Sport kann der Entfaltung menschlicher Würde in diesen drei Dimensionen dienen; darin liegt seine humane Qualität und gesellschaftliche Unersetzbarkeit begründet. Aber im Sport kann diese Würde auch bedroht und gefährdet werden. Das geschieht derzeit vor allem durch drei Entwicklungstendenzen. Es geschieht dort, wo das Interesse an Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung das Übergewicht über die soziale Dimension des Sports gewinnt, es geschieht dort, wo die Kommerzialisierung des Sports seine personale Dimension in den Hintergrund drängt; und es geschieht schließlich dort, wo die direkte Gewalt gegen den Mitspieler oder die indirekte Gewalt der Leistungsmanipulation die physische Integrität gefährdet und damit die naturale Dimension des Sports aus den Angeln hebt.

Die Zukunft des Sports hängt nach meiner Überzeugung nach wie vor ganz entscheidend davon ab, dass das Bekenntnis zum Vorrang der Gewaltfreiheit vor allen Formen der Gewalt auch im Sport wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt. Das Prinzip der Fairness muss als grundlegender ethischer Maßstab des Sports unzweideutiger erkennbar sein, als dies im gegenwärtigen Sportbetrieb der Fall ist. Auch in dieser Hinsicht bieten sich übrigens gesellschaftliche Bündnispartner an, auf deren Kooperationsbereitschaft Sportvereine und Sportverbände zurückgreifen sollten. Die Kirchen gehören dazu. Denn die Anerkennung der menschlichen Würde in der Person des anderen ist ein grundlegender christlicher Gedanke. Das Fairnessprinzip beschreibt konkrete Folgerungen aus diesem Gedanken." (...)

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 25 / 18. Juni 2013, S. 31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2013