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GESCHICHTE/399: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 208 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 19 / 7. Mai 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1993/VI: "Sportvereine sind feste Säulen einer offenen Gesellschaft"
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 208)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Bundespräsident Richard von Weizsäcker verlieh am 18. November 1993 in einer Festveranstaltung in Rostock die Sportplakette des Bundespräsidenten an 100jährige und ältere Sportvereine und würdigte aus diesem Anlass in einer Grundsatzrede die wichtige Rolle des Sports beim Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland nach der Vereinigung. Diese Plakette wurde als staatliche Auszeichnung für Vereine und Verbände, die sich 100 Jahre oder mehr besondere Verdienste um die Pflege und Entwicklung des Sports erworben haben, 1984 vom damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens gestiftet und von ihm erstmals beim 18. Bundestag des Deutschen Sportbundes am 25./26. Mai 1984 in Bad Homburg an fünf Verbände und 15 Vereine verliehen.


Die Rostocker Rede von Weizsäckers hatte folgenden Wortlaut (Auszüge):

"(...) Sportvereine sind wahrhafte Spiegel unserer Gesellschaft, aber nicht unbedingt des politischen Lebens. Dies schafft ihnen ihre unbestrittene von Parteien, politischen Richtungen und Ideologien distanzierte Stellung, ihre Stärke, die Autonomie, die der Sport braucht. Der entscheidende Beginn sportlicher Betätigung in der Gemeinschaft, im Verein, wurde maßgeblich gefördert durch die Turnbewegung in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Friedrich Ludwig Jahn steht dabei für das Zusammenkommen von Menschen unterschiedlichster gesellschaftlicher Stellung, aber mit dem gemeinsamen Ziel, sich unbevormundet an den eigenen Wünschen und Möglichkeiten orientiert sportlich zu betätigen. Sportvereine haben sich seit jeher in ihren vielfältigen Aktivitäten als Gemeinschaft empfunden. Auch wenn es bis in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein Sportarten gab, die sicher nicht allen zugänglich waren, so ist doch aus dem Sport heraus - und gerade auch durch Vorbilder und Idole - ungeheuer viel für den Abbau gesellschaftlicher Schranken getan worden. Nach letztlich misslungenen Politisierungsversuchen in der Zeit des Nationalsozialismus und auch in der DDR sind die Sportvereine heute Treffpunkt der Menschen und darüber hinaus feste Säulen einer offenen Gesellschaft.

Wir sind in Rostock. Wir zeichnen daher vor allem Vereine aus der weiten Region, also dem nördlichen Teil Deutschlands aus. Für die Vergabe der Sportplakette an Vereine aus den neuen Ländern gab es seit der Wiederherstellung unserer staatlichen Einheit nie einen Zweifel darüber, dass die Hintansetzung eines freien Vereinslebens in der ehemaligen DDR - insbesondere bei den traditionsreichen und damit um so eigenständigeren Vereinen - nicht gegen diese ausgelegt werden durfte. So zählt ihre gesamte Zeit des Bestehens, auch wenn es etwa vorübergehend Umbenennungen gegeben hat.

Der entscheidende Gesichtspunkt wird zu Recht in dem Bemühen um eine sportliche Gemeinschaft gesehen, bei allen politischen Widrigkeiten. Und dies ist nicht nur richtig so, sondern es ist ganz entscheidend wichtig für die künftige Entwicklung eines von ehrenamtlichem Engagement der Bürger selbst getragenen Vereinslebens auch in den jungen Ländern. Wie überall, so stehen wir leider auch im Sport vor schwierigen Aufgaben, die Infrastruktur zu verbessern. Sportstätten zu erneuern mit den damit verbundenen finanziellen Erfordernissen. Der Deutsche Sportbund hat hierzu einen Goldenen Plan Ost entwickelt, über dessen finanzielle Realisierung freilich noch Einigkeit erzielt werden muss. (...)

Gerade im Westen müssen wir allerdings sehen, dass wir - wie überall - auch im sportlichen Bereich durch die Einheit nicht nur geben, sondern auch empfangen. Und gerade im Sport ist dies für alle offensichtlich, denn der Spitzensport in der früheren DDR hat ohne jeden Zweifel befruchtend auf den gesamtdeutschen Sport gewirkt.

Erfolgreicher und anerkannter Spitzensport ist der beste Motor für den Breitensport und damit auch für eine lebendige Gemeinschaft im Verein. Und nur aus der Breite können Spitzenleistungen erwachsen. Und deswegen möchte ich noch einmal ausdrücklich alle politisch Verantwortlichen, aber ebenso die Bürgerinnen und Bürger selbst dazu ermutigen, sich auch im östlichen Teil unseres Landes zu engagieren für ein aktives Vereinsleben.

Zugleich gibt dies die große Chance, Vereinsamung und Bindungslosigkeit bei Jugendlichen, aber auch im Alter abzubauen, Verständnis für die unterschiedlichen Sorgen und Nöte des Alltags wie aber auch etwa für Minderheiten in unserer Gesellschaft zu fördern. Beispielhaft möchte ich die Aktionen des Deutschen Sportbundes und der Vereine für unsere ausländischen Mitbürger und die breite und zugleich leistungsstarke Entwicklung des Behindertensports erwähnen.

Die deutschen Olympia-Mannschaften bei den letzten Winter- und Sommerspielen waren augenfälliges Zeichen für das Zusammenwachsen der Menschen in Deutschland. Die knapp 24 Millionen Mitglieder in den rund 80.000 Turn- und Sportvereinen in ganz Deutschland können und wollen hierzu ebenso ihren Beitrag leisten. Darüber hinaus werden die Vereine auch künftig eine entscheidende Stütze für das gesellschaftliche und gesellige Leben sein. Voraussetzung dafür ist Einsatz und Engagement der vielen ehrenamtlichen Frauen und Männer für ihren Verein. Ihnen möchte ich an dieser Stelle meinen ganz besonderen Dank sagen.

Alle politischen Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - möchte ich ermuntern, das Ehrenamt nicht nur herauszufordern, sondern auch nach Kräften zu fördern. Dabei weiß ich wohl, wieviele Schwierigkeiten beim Ausgleich der Haushalte in allen diesen Ebenen heute bestehen. Und andererseits ist es aus jedem Sektor der Gesellschaft heraus stets relativ überzeugend zu begründen, warum gerade er nicht vernachlässigt werden darf. Nur gibt es wenige Felder, wo das, was wir in unserer Gesellschaft im ganzen anstreben, so beispielhaft zusammenkommt wie im Vereinsleben.

Deswegen haben wir heute hier in Rostock vor allem zwei Ziele vor Augen: Zunächst und vor allem den Vereinen selbst, die geehrt werden, zu danken, ihnen zu gratulieren und ihnen eine gute Zukunft zu wünschen; sodann gemeinsam dazu aufzurufen und dazu beizutragen, dass das private Vereinsleben mit seinen. ehrenamtlichen Kräften auch in den östlichen Bundesländern wieder zu der Blüte finden möge, die seiner eigenen Tradition entspricht und die dem vereinten Deutschland im ganzen zugutekommen wird."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 19 / 7. Mai 2013, S. 24
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2013