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GESCHICHTE/381: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 190 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 48 / 27. November 2012
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1990/VII: Das Geschenk der Einheit: 40 Jahre Deutscher Sportbund
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 190)

Eine Serie von Friedrich Mevert



"Zum Auftakt unseres Bundestages gab es gestern die Rückblende auf 40 Jahre Deutscher Sportbund. Heute morgen nahmen wir die neuen Landessportbünde auf. Wir haben jetzt einen gemeinsamen Deutschen Sportbund. Wir haben Grund zur Freude und zur Zufriedenheit. Grund zur Freude, weil uns am Ende von 40jähriger DSB-Geschichte mit dieser Vereinigung ein Geschenk von unschätzbarem Wert gemacht wurde. Unser Grund zur Zufriedenheit ergibt sich aus dem schriftlich vorliegenden Gesamtbericht, aus der diesmal besonders umfangreichen Vierjahres-Broschüre."

So leitete DSB-Präsident Hans Hansen seinen mündlichen Rechenschaftsbericht über die abgelaufene vierjährige Legislaturperiode vor dem DSB-Bundestag am 15. Dezember 1990 im Kuppelsaal des Kongresszentrums in Hannover ein und fuhr dann fort:

"Dennoch will ich heute auf einige Punkte besonders eingehen. Die nüchterne Statistik verzeichnet für die Jahre 1985 bis 1989 einen Zuwachs von 1,7 Millionen Mitgliedern und 5.138 Vereinen. Der organisierte Sport präsentiert sich nach wie vor mit steil nach oben tendierender Wachstumskurve. Ein Phänomen, das mit der Aufbruchstimmung in Ostdeutschland eine neue Variante enthält. Konkurrenzängste der Vergangenheit sind vorbei. Das berechtigte Selbstbewusstsein wird wohl durch den Slogan der Trimmaktion - "Im Verein ist Sport am schönsten" - deutlich und markant ausgedrückt.

Der Sport hat sich auch dem Staat gegenüber von seiner selbstbewussten Seite präsentiert. Unabhängig vom Vereinigungsglanz - die abgelaufene Legislaturperode gehört zu den sportpolitisch erfolgreichsten. Diese Wertung fällt mir leicht, weil ich mich mit dem Hinweis auf viele Wurzeln aus der Willi-Weyer-Ära von dem Verdacht penetranten Eigenlobs befreien kann. Manches von dem, was unter Willi Weyer gesät und beackert wurde, haben wir ernten können.

Die Existenzfragen der Turn- und Sportbewegung - Steuerentlastungen und eine spürbare Steuervereinfachung - wurden geklärt. Mit dem Vereinsförderungsgesetz haben wir 90 Prozent der Vereine vom Einfluss der Finanzämter befreit. Die Entlastung von Steuerbürokratie und Ermutigung ehrenamtlicher Vereinsvorstände und -Kassierer reicht weit in die Zukunft. Die Zusammenarbeit mit allen staatlichen Institutionen verlief unter Wahrung unserer Autonomie positiv. Wir haben den gesellschaftspolitischen Stellenwert unseres Wirkens nachhaltig vertreten.

Eine Verbesserung der DSB-Präsenz in Bonn ist erfolgt. Die Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt, mit den zuständigen Ministerien, mit den politischen Parteien und den Bundestags-Fraktionen, mit Ausschüssen und Expertengruppen verlief konstruktiv und vertrauensvoll. Unser besonders herzlicher Dank gilt in dem Zusammenhang der zentralen Persönlichkeit für diese Gesamtatmosphäre des Vertrauens - dem Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble. Mit diesem Dank verbinden wir unsere herzlichen Wünsche für seine schnelle und völlige Genesung. Ob als aktiver Sportler oder als Sportpolitiker: Wolfgang Schäuble war und ist uns auf allen Ebenen ein unverzichtbarer Freund und Partner. (...)

Lassen Sie mich eine Reihe von Punkten des DSB-Aufgabenkataloges in der gebotenen Kürze in Erinnerung bringen. Wir haben uns mit Strukturfragen beschäftigt und wollen mit Neuerungen, die heute zur Beschlussfassung vorliegen, zukunftweisende Teil-Antworten geben: ein Ausschuss für Medienpolitik, ein Beirat für Umwelt/Sportstätten und ein Beirat für Grundsatzfragen sollen Zeichen setzen für künftige inhaltliche Schwerpunkte.In hauptamtlichen Leitungspositionen hat es überzeugende Neubesetzungen gegeben.

Im Bereich Wirtschaft und Marketing befinden wir uns auf einem guten Weg. Eine neue Sponsoring-Fibel und verschiedene Breitensport-Aktionen machen das sichtbar. Seit Monaten sind wir dabei, uns selbst zu helfen.Mit der "Glücks-Spirale" gibt es neue partnerschaftliche Vereinbarungen und neu entfachte Spielfreude - nicht zuletzt von Millionen organisierter Sportler. Mit Genugtuung betrachten wir das Halbjahresergebnis 1990. Für die ab 22. Februar ganzjährig laufende Glücks-Spirale blicken wir optimistisch nach vorn.

Die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und Kirchen wurde intensiviert, Aktionen für Ausländer, Aussiedler, Arbeitnehmer und die gemeinsame Erklärung der Kirchen und des Sports dokumentieren, dass der Sport seine gesellschaftspolitischen Aufgaben auch dann nicht vernachlässigt, wenn die Schlagzeilen anderen Ereignissen und Vorkommnissen gelten.

Ein Wort zum Thema DSB und Sportwissenschaft. Ich stimme Ommo Grupe zu, der darauf hinweist, dass der DSB einen Teil seiner Relevanz und Akzeptanz durch sein Engagement für soziale Fragen und für Menschen, die sich in unserer Gesellschaft nur schwer Gehör verschaffen können, verdankt. Wir werden auch künftig dem Schulsport, dem Sport der Behinderten, der Kinder, der Ausländer besondere Beachtung schenken, so wie wir es in den zurückliegenden Jahren getan haben. (...)

Die alten Ersatzkriege in den Sportarenen sind passé. Systemvergleichen wurde die Grundlage entzogen. Warum versuchen wir nicht mit Nachdruck, neue Orientierungsmarken zu setzen und dafür auch international zu werben?

Ich denke, dass die Chancen nicht schlecht stehen und die Verpflichtungen dazu gerade in den letzten Wochen überdeutlich geworden sind. Die Ausmaße der bekannt gewordenen Leistungmanipulationen bekommen existentiellen Zuschnitt. Wenn wir uns jetzt nicht zu einem Radikalschnitt entschließen und uns nur halbherzig der Problembewältigung nähern, verspielen wir schneller, als wir jetzt noch ahnen, unseren noch vorhandenen Kredit an Glaubwürdigkeit. (...)

Wegweiser sind in den letzten Tagen von unseren zuständigen Gremien im BA-L bereits gegeben worden. Auch die große Linie mit einer unabhängigen Kommission von Experten ist vorgezeichnet. Sie kann uns helfen, wenn es um die ethische, moralische und rechtliche Bewältigung der jetzt bekannten Vorfälle geht.

  1. Wir brauchen zusätzlich eine erhebliche quantitative Ausweitung der Kontrollmaßnahmen außerhalb der Wettkämpfe, um eine flächendeckende Kontrolle zu erreichen.
  2. Die Aufklärung der Athleten durch Broschüren und in Form von Informationsveranstaltungen muss intensiviert werden.
  3. Die Spitzenverbände bleiben aufgefordert, nur solche Athleten zu fördern und für internationale Meisterschaften zu nominieren, die ihr schriftliches Einverständnis erklären, sich jederzeit den Kontrollen außerhalb des Wettkampfes zu unterziehen.
  4. Funktionäre, Trainer, Ärzte und weitere Mitarbeiter im Umfeld der Athleten, die Verantwortung für Dopingmanipulationen haben, sind für uns nicht mehr tragbar.
  5. Die Einrichtung einer interdisziplinären Beratungs- und Kontrollkommission durch den BA-L zur Unterstützung der Spitzenverbände ist unverzichtbar.
  6. Athleten, die bereit sind, sich zu offenbaren, müssen anders behandelt werden als jene, die im Umfeld der Athleten Voraussetzungen für Manipulationen geschaffen haben.
  7. Wir müssen in diesem Zusammenhang verantwortungsbewusst überlegen, ob das System der Nominierungskriterien noch aufrechtzuerhalten ist.

Wenn wir in Fragen der Leistungsmanipulation den Selbstreinigungsprozess nicht in aller Entschlossenheit angehen, wenn wir nicht überzeugend dazu ansetzen, uns selbst aus dem Sumpf zu ziehen, dann können wir auf anderen Ebenen noch so viele Glanzlichter setzen. Man wird uns der Unglaubwürdigkeit und der Scheinheiligkeit bezichtigen, man wird unsere gesamtgesellschaftlichen Zielvorstellungen in Zweifel ziehen. Lassen wir es nicht soweit kommen."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 48 / 27. November 2012, S. 44
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2012