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GESCHICHTE/371: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 183 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 41 / 9. Oktober 2012
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1989/VII: Hans Hansen: Mauerfall ist ein Wirklichkeit gewordener Traum!
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 183)

Eine Serie von Friedrich Mevert



In der turnusmäßigen "Ansprache des Präsidenten" bei der 34. Sitzung des Hauptausschusses des DSB am 3. Dezember 1988 in Mainz war Hans Hansen auch auf die weiterhin unbefriedigende Situation beim deutsch-deutschen Sportverkehr eingegangen. Bei nüchterner Betrachtung werde man auch weiterhin an Grenzen stoßen, die der DTSB der DDR sich aus politisch-strukturellen Gründen selbst auferlege, sagte Hansen damals. Also werde noch längere Zeit von einer Bilanz des Mangels zu sprechen sein. Der DSB-Präsident konnte zu diesem Zeitpunkt ebenso wenig wie die Mitglieder des Hauptausschusses ahnen, dass davon bereits ein Jahr später keine Rede mehr sein konnte.

So hieß es dann in Hansens mündlichen Bericht bei der 36. Sitzung des Hauptausschusses am 2. Dezember 1989 im Frankfurter Römer gleich zu Beginn in seinen Ausführungen, die heute unter dem Gesichtspunkt der kurzen Zeitspanne seit der Maueröffnung in Berlin verstanden werden müssen:

"In diesen Zeiten der dramatischen Reformprozesse in Osteuropa, der Ost-West-Entspannung und neuer deutsch-deutscher Perspektiven auch im Sport erwartet man von sportpolitischen Redebeiträgen epochemachende Erkenntnisse. Kein Zweifel: Unsere Standortbestimmung am Ende des nacholympischen Jahres 1989 ist ein Wirklichkeit gewordener Traum! In der allgemeinen Freude über politische Veränderungen wurde die sportpolitische Variante zwar an den Rand gedrängt. Euphorische Ausbrüche hat das keineswegs verhindert.

  • Vereine und Verbände von hüben und drüben verhandeln - wie in aller Welt üblich direkt miteinander.
  • Der Sportkalender alter Prägung ist vom Tisch. Jugendliche über 14 sollen einbezogen werden.
  • Spontane Begegnungen beiderseits der Grenze in den letzten Tagen wirkten wie ein Gefühl der Befreiung und
  • Olympische Spiele 2000 oder 2004 in Gesamt-Berlin sind - wenn die politische Entspannung auf Dauer so anhält - kein ferner Traum, keine Utopie mehr.

Dennoch wollen Übereifrige mit ihrer gesamtdeutschen Sportbegeisterung nicht mehr warten. Sie proklamieren für die nahe Zukunft bereits gemeinsame Mannschaften für Olympische Spiele oder andere internationale Ereignisse. Schließlich haben sogar Statistiker keine Hemmungen, künftige Medaillenspiegel unter den neuen Vorzeichen hochzurechnen.

Solchen Höhenflügen werde ich keinen weiteren Auftrieb geben. Bei aller Freude über das bisher Erreichte, bei der Genugtuung über die schnelle Abschaffung der unsäglichen Jahreskalender für Minimalkontakte, bei aller galoppierenden Phantasie über die Möglichkeiten der künftigen Zusammenarbeit auf breitester Ebene halte ich hier und heute einen Appell zur Sachlichkeit für angebracht. Wir wollen die sich abzeichnenden realistischen Perspektiven nicht durch Wunschvorstellungen oder unangemessene Forderungen gefährden.Wir wollen nicht dazu beitragen, dass ehrlich gemeinte Umarmungen plötzlich als peinliche Vereinnahmungsaktionen ausgelegt werden.

Was wir jetzt brauchen, ist Bodenhaftung. Die nüchterne Analyse und ein unverschleierter Blick in die allernächste Zukunft sind gefragt. Ich habe in der vergangenen Woche den Bundeskanzler über die Ergebnisse des Gesprächs mit DTSB-Präsident Klaus Eichler informiert und dabei den Eindruck der vollen Unterstützung des künftig deutsch-deutschen Sportverkehrs durch die Bundesregierung - auch in finanzieller Hinsicht - mitgenommen. Denn der Sport ist ein wichtiger Beitrag zur deutschen Gemeinsamkeit. Wenn kleiner und großer Grenzverkehr florieren, wenn Freundschaften wiederbelebt und Partnerschaften neu aus der Taufe gehoben werden, dann kann auch an der Sportbasis immer wieder deutlich gemacht werden: Souveränität braucht Anerkennung!

Versagen wir sie jenen DDR-Bürgern nicht, die zu Hunderttausenden so mutig für Freiheit und Demokratie demonstrierten und die dadurch erst die Voraussetzungen dafür schufen, dass wir gemeinsam den historischen Durchbruch zum freien Sportverkehr erreichten. Das ist unser sportpolitischer Auftrag der Stunde und nicht die Spekulation über gemeinsame Mannschaften oder verblendende Medaillenspiegel."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 41 / 9. Oktober 2012, S. 24
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2012