Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

GESCHICHTE/364: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 177 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 35 / 28. August 2012
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1989/I: DSB und Naturschutzring protestieren gegen "Tegelsbarg-Urteil"
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 177)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Von 1985 bis 1989 war der Deutsche Sportbund (DSB) um mehr als 1,7 Millionen neue Mitglieder und über 5.000 neue Vereine auf fast 21 Millionen Mitglieder in 66.650 Vereinen gewachsen. Das waren über 34 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik. Dieser Zuwachs im organisierten Sport ging im Wesentlichen auf die verschiedenen Breitensportaktionen und vor allem auf die Kampagne "Im Verein ist Sport am schönsten" zurück. Umso mehr wuchs auch der Bedarf an Sportanlagen gerade in Ballungsgebieten.

DSB und Deutscher Naturschutzring (DNR) wandten sich deshalb zu Jahresbeginn in einer gemeinsamen Presseerklärung vom 30. Januar 1989 nachdrücklich gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Januar 1989, die Hamburger Bezirkssportanlage Tegelsbarg aus Lärmschutzgründen an Abendstunden und am Wochenende zu sperren.

Die gemeinsame Presseerklärung von DSB und DNR hatte folgenden Wortlaut:

"Das Urteil der Berliner Richter zugunsten einer einzelnen Anwohnerin geht zu Lasten der Sportbedürfnisse breiter Bevölkerungskreise und des Naturschutzes. Gerade in Ballungsgebieten stellen Sportanlagen oft die einzige Möglichkeit zu Spiel, Sport und Bewegung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene dar. Die Sperrung von Anlagen in den besonders wichtigen Abendstunden und an Sonn- und Feiertagen reduziert das ohnehin knappe Sportangebot weiter. Der Standort der Bezirkssportanlage Tegelsbarg ist deshalb sinnvoll, weil er in der Nähe der Wohngebiete der Bevölkerung liegt. Tegelsbarg kann auch von wenig mobilen Bevölkerungsgruppen wie Kindern, älteren und behinderten Menschen gefahrlos und rasch erreicht werden. Gerade diesen Gruppen werden jetzt Sportangebote vorenthalten; sie haben schließlich nicht die Möglichkeit, auf weiter entfernt liegende Anlagen auszuweichen, falls dort überhaupt noch Kapazität frei wäre.

Es ist sicher notwendig, dass die Belästigung der Anwohner von Sportanlagen in zumutbaren Grenzen bleibt. Die Alternative zu Standorten in Wohngebieten oder deren Nähe ist jedoch eine Inanspruchnahme des ökologisch wertvollen Stadtrandes. Damit wäre ein weiteres Anwachsen des Verkehrsaufkommens verbunden.

Deutscher Sportbund und Deutscher Naturschutzring bedauern die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und warnen vor den Folgen. Dieses Urteil ist kein Einzelfall. Ähnliche Urteile sind vorausgegangen. Allein in Hamburg sind noch elf weitere Fälle gerichtsanhängig. DSB und DNR stellen zu den Konsequenzen dieses höchstrichterlichen Urteils fest:

  • Die Möglichkeiten zu Sport und Bewegung für ohnehin benachteiligte Gruppen stehen auf dem Spiel. Dies widerspricht der unumstrittenen politischen Maxime: "Sport für alle!"
  • Der Druck auf die ökologisch sensiblen Flächen am Stadtrand wächst. Dies widerspricht der klaren Forderung nach sparsamem und verantwortungsbewusstem Umgang mit unseren Flächenreserven.
  • Die Sportler werden gezwungen, zunehmend das Auto zu benutzen. Dies widerspricht eindeutig den Forderungen nach Reduzierung des Individualverkehrs.
  • Öffentliche Investitionen aus Steuermitteln in Milliardenhöhe sind in Gefahr, zu Fehlinvestitionen zu werden. Dies kann niemand gutheißen.

Der Gesetzgeber ist aufgerufen, das öffentliche und das private Nachbarrecht so zu gestalten, dass nicht überzogene Ansprüche Einzelner geschützt und damit Allgemeinheit und Natur gravierend beeinträchtigt werden."

Im Bericht des Präsidenten bei der 4. Hauptausschusssitzung des DSB am 30. Juni 1989 ging Hans Hansen fünf Monate später nochmals auf die mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes verbundene Problematik ein und führte u.a. dazu aus:

"Ich komme zu einem existentiellen Thema: Sport und Umwelt! Wir haben gelernt, dass unser trist und unfreundlich gewordenes Wohnumfeld mit dafür verantwortlich geworden ist, dass die Natur einem so starken Druck von erholungssuchenden und sporttreibenden Menschen ausgesetzt wird. Diese auch von uns beklagte Unwirtlichkeit wird von der Einschränkung des Sports in Wohnungsnähe durch Bauplanungsrecht und Immissionsschutz unnötig verschärft. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Tegelsbarg hat uns Gelegenheit gegeben, zu demonstrieren, dass wir mit dem Naturschutz darüber völlig einig sind, dass die Schließung von Sportanlagen in Wohnungsnähe auch den Druck auf die alternativen Standorte am ökologisch sensiblen Außenbereich verstärkt und dass damit nur eine umweltbelastende Erhöhung des Verkehrsaufkommens verbunden wäre.

Bei der Suche nach Standorten für Sportanlagen hat nicht immer die möglichst optimale Erreichbarkeit, sondern die Minimierung der Grundstückskosten die wichtigste Rolle gespielt. Heute kommen ökologische Kriterien - der sparsame Umgang mit Flächen, die Vermeidung von Verkehrsbelastungen, der Schutz vor Zersiedelung und Naturzerstörung - hinzu. Sie deuten in die von uns vertretene Richtung: Um die Ecke, an der Ecke, in Wohnungsnähe müssen die Angebote für den alltäglichen Sport liegen!

Weite Wege entziehen jenen Sportchancen, die es am dringendsten nötig haben. Sie schaden zugleich der Umwelt.Wir erwarten von der Politik, dass in dieser Hinsicht sinnvolle Standorte auch zu möglichen Standorten werden. Das überholte Leitbild einer Stadt mit voneinander getrennten Funktionen und das überzogene Individualrecht auf Ruhe vor natürlichen Lebensäußerungen anderer darf Sport und Wohnen nicht länger trennen.

Die missliche Situation ähnelt dem trickreichen Spiel der beiden Igel mit dem Hasen: Wenn eine Sportanlage planungsrechtlich zulässig ist, geht es aus Immissionsschutzgründen nicht, und wenn die Bedingungen des Immissionsschutzes erfüllt sind, kommt die rote Karte vom Bauplanungsrecht!

So kann man mit dem Sport nicht umspringen! Wenn es so weitergeht, Wohnen von Bewegung zu trennen, wenn Sportanlagen ein Wohngebiet angeblich nicht auf-, sondern abwerten, wenn sinnvolle Standortanforderungen des Sports in der Praxis utopisch werden, dann kann sich der Mangel an Sportgelegenheiten nur verschärfen. Dies aber läuft auf Zugangsbeschränkungen hinaus, die wir nicht kampflos hinnehmen!

Gerade die Bevölkerungskreise, die sich am wenigsten selbst helfen können, sind die Hauptbetroffenen: Kinder, Eltern und Behinderte. Sie sind nicht mobil, sie können nicht in 10 Minuten mit dem Auto leicht eine andere Anlage erreichen, wie der Vorsitzende des Bundesverwaltungsgerichts, Prof. Sendler, in einem Interview zum Tegelsbarg-Urteil das Problem herunterspielte. Und sie können auch leider noch nicht so lautstark auftreten, dass man sie allenthalben wahrnimmt. (...)

Statt zu begrüßen, dass nun auch ältere Menschen immer häufiger zum Sport finden und damit aktiv etwas für ihre Gesundheit und gegen Vereinsamung tun, werden die notwendigen Voraussetzungen für ihre dauerhafte Sportteilnahme nicht verbessert, sondern erschwert. Kommunen als Planer, Bauherren und Betreiber werden verunsichert. Statt endlich modellhafte Lösungen eines sport- und bewegungsfreundlichen Wohnumfelds zu entwickeln, wird in Rechtsprechungen und Gesetzgebung, bei Behörden und Gewerbeaufsichtsämtern über Sport geredet, als seien seine Forderungen etwas Unanständiges.

Wir fordern, dass endlich Flagge gezeigt wird:

  • Entweder erfüllt der Sport wichtige Aufgaben von Öffentlichem Interesse, entweder organisieren die Sportorganisationen vielgestaltige Sportangebote und kümmern sich unsere Vereine um soziale Problemgruppen - dann muss es auch rechtliche Möglichkeiten, finanzielle Absicherungen und politische Legitimation für die Schaffung der notwendigen Anlagen, ihre Unterhaltung und ihren Betrieb geben.
  • Oder es gibt weiter Tegelsbarg-Urteile, rückläufige Mittel für den Sportstättenbau, sportfeindliche Lärmschutzgutachten und eine Dominanz des mit allen Mitteln Ruhe suchenden Eigennutzes. Das bedeutet nicht Sportförderung, sondern Sportverhinderung."

*

Quelle:
DOSB-Presse Nr. 35 / 28. August 2012, S. 27
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund
Otto-Fleck-Schneise 12, 60528 Frankfurt/M.
Telefon: 069/67 00-255
E-Mail: presse@dosb.de
Internet: www.dosb.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2012