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GESCHICHTE/323: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 145 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 47 / 22. November 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1983/III : Frieden in Freiheit - der Beitrag des Sports
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 145)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Die in diesem Jahr auch im Sport durch Friedensinitiativen, Spielfeste und Demonstrationen viel diskutierte Friedensproblematik griff DSB-Präsident Willi Weyer bei der 26. Hauptausschuss-Sitzung in Stuttgart am 4. Juni 1983 auf und erklärte dazu in einem Diskussionsbeitrag zu einer Leitlinie des Sports u. a.:

"Politisch geht es darum, ob sich unser Land bedroht fühlen muss; wird dies bejaht, brauchen wir Waffen zur Verteidigung, was die Stationierung bestimmter Systeme einschließt, über die wir nicht verfügen. Wir bleiben also letztlich davon abhängig, was die Abrüstungsverhandlungen zwischen den beiden Supermächten USA und UdSSR in Genf bringen. Mögen sie uns einen Frieden in Freiheit sichern. Darauf drängen wir. Der Sport kann dafür aber nur in seinem ureigenen Bereich etwas tun, wofür ich Ihnen diese Leitlinie als Diskussionsbeitrag vorstelle:

1. Der Sport kann nur in Frieden gedeihen. Sein Ethos ist die Friedenspflicht. Sie bildet das oberste Prinzip aller Regeln und die Grundlage der Begegnung und Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Rassen, Religionen und Weltanschauungen. Der Deutsche Sportbund teilt deshalb die wachsende Besorgnis über die weltweit mögliche Zerstörung unserer Zivilisation durch moderne Waffen.

2. Der Sport benötigt zur Verwirklichung seiner eigenen und seiner gesellschaftspolitischen Ziele den äußeren und den inneren Frieden. Seine Friedensarbeit wird nur dann wirksam werden, wenn, sie von allen mitgetragen werden kann, wenn sie die Mitglieder eint und keines kompromittiert. (...)

3. Der DSB hat den Dialog mit allen angeboten, die das Gemeinsame in der Friedensdiskussion suchen und das politisch Trennende in ihr überwinden wollen. (...) Für die ureigentlichen Aufgaben muss der Sport außerdem abwägen zwischen dem, was er zu leisten vermag, und dem, wofür er keine Instrumente zur Lösung des Problems besitzt.

4. Gerade wegen der wachsenden Schwierigkeiten, den Frieden zu sichern, und in der Verpflichtung des Sports zum inneren Frieden bleibt es der Entscheidung des einzelnen Sportlers überlassen, ob er sich selbst an Friedensaktionen beteiligen will oder nicht. (...)

5. Der Sport ist eine Friedens- und Menschenrechtsbewegung eigener Art. Dies darf wiederum auch nicht so gedeutet werden, als ob sich der Sport zwar seiner friedensfördernden Werte bewusst sei, aber keine eigenen Schritte in der Friedensarbeit wagen würde. (...)

6. Der Sport drängt auf die Bereitschaft der Mächte zur Verständigung, um in der offenen menschlichen Begegnung des Sports weiterhin einer friedlicheren und besseren Welt dienen zu können. Für eine wirkungsvolle Friedensarbeit und Erziehung zum Frieden verfügt er über viele Möglichkeiten (...).

7. Auf der Suche nach dem Frieden wird der Sport neben seinen positiven Beispielen jedoch auch die Defizite im eigenen Bereich festhalten müssen, um sie in langfristiger Friedensarbeit abzubauen: aggressives Zuschauerverhalten, Brutalität im Wettkampf, rücksichtsloses Erfolgsdenken, sportliches Wettrüsten, falsches Startum oder ideologische Ausgestaltung von großen Sportereignissen.

8. Der Sport entwickelt auf diese Weise selbst seine Methoden und Strategien zum Frieden, um die Möglichkeiten seiner internationalen Begegnungen, die der Publizität und der Vorbildfunktion seiner Athleten sowie die seiner universalen Regeln zu nutzen und die moralischen Werte von Fairness, Gerechtigkeit und Solidarität in die Arbeit für den äußeren und den inneren Frieden einzubringen.

9. Friedensfähigkeit muss im übrigen nicht an bestimmte politische Überzeugungen gebunden sein. Dieser Grundkonsens verlangt Toleranz, Zuversicht und Vertrauen in die eigene Kraft. (...)

10. Die Teilnahme an Aktionen für den Frieden ist eine wichtige, aber eben nur eine Ausdrucksform friedenspolitischer Betätigung engagierter Sportler und Staatsbürger. (...)

11. Die fairen Vorbilder und die freiwillige eigenverantwortliche Leistung stärken den Frieden mehr als alle Resolutionen. (...)

12. (...) Es wächst die Erkenntnis, dass es für einen Frieden in Freiheit weder durch Atomwaffen noch durch den Verzicht auf sie eine Garantie gibt. Beide Optionen schaffen Risiken, die schwer gegeneinander abzuwägen sind.

13. (...) Niemand kann deshalb den verantwortlichen Politikern die Entscheidung abnehmen, wie sie optieren (...).

14. Es genügt allerdings nicht nur, auf das Risiko einer atomaren Selbstvernichtung hinzuweisen, sondern auch das nicht minder reale Risiko einer schleichenden politischen Kapitulation muss bewusst gemacht werden. Jedes moralisch und politisch verantwortbare Urteil hat deshalb beide Risiken im Auge zu behalten, wenn nicht utopische Vorschläge das Gegenteil von dem bewirken sollen, was beabsichtigt ist: Frieden in Freiheit!"(...)


Nach eingehender Beratung fasste der Hauptausschuss in seiner folgenden Sitzung am 3. Dezember 1985 in Frankfurt zum Thema eine Resolution, die in folgendem Aufruf endete:

"Der Deutsche Sportbund appelliert

- an alle Sportler, die Grundwerte des Sports nachdrücklich zu beachten,

- an alle Mitgliedsorganisationen, an alle Vereine und deren Mitglieder, den Grundsatz der parteipolitischen Neutralität im Rahmen der Tätigkeit im Sport zu wahren,

- an alle Bürger, unterschiedliche Meinungen in der Diskussion um den Frieden sachlich zu führen und auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten,

- an die Bereitschaft der politisch Verantwortlichen in allen Ländern, sich zu verständigen, damit der Sport dem Menschen in einer Welt des Friedens dienen kann."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 47 / 22. November 2011, S. 24
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2011